Beweisaufnahme – Tatort 122 #Crimetime 1127 #Tatort #Berlin #Walther #Hassert #SFB #RBB #Beweis #Aufnahme

Crimetime 1127 - Titelfoto © SFB / RBB

Beweisaufnahme ist ein Krimi aus der Reihe Tatort, der erstmals am 8. März 1981 in der ARD ausgestrahlt wurde. In seinem ersten Tatort muss der Berliner Kommissar Walther einen Fall von sexueller Nötigung, Falschaussage und schließlich einen damit zusammenhängenden Todesfall aufklären.

Diesen Berliner Tatort haben wir im Rahmen der Reihe „frisch restaurierte alte Krimis“ des SFB im Sommer 2017 rezensiert undsomit  eine bis zu diesem Zeitpunkt komplette Sammlung der Berliner Tatorte der 1970er erstellen können:

Handlung (1)

Zwei junge Männer, Hannes Lehm und Klaus Hößler, verhindern im letzten Augenblick ein Notzuchtverbrechen. Kommissar Walther findet als Täter den 19jährigen Gunnar Melz vor, der krankenhausreif geschlagen wurde.

Als es zur Verhandlung kommt, erfahren die beiden – die sich als Helden fühlen -, daß sie unter Anklage gestellt werden: ein Gutachter bescheinigt Gunnar, daß er völlig normal ist, und das Opfer will nichts von einem Verbrechen wissen. Bei der Gerichtsverhandlung beantragt der Staatsanwalt vier Monate Freiheitsentzug für Hannes Lehm und Klaus Hößler.

Auf eigene Faust stellen beide nun Ermittlungen an. Als sich ihre Vermutungen bestätigen, werden sie wiederum Zeuge, wie Gunnar einem Mädchen nachstellt. Um den gleichen Fehler nicht noch einmal zu begehen, verlassen sie den Tatort. Als ein Toter gefunden wird, kommt zwar die Wahrheit an den Tag, aber Lehm und Hößler haben ein neues Verfahren zu erwarten. 

Anni und Tom über „Beweisaufnahme“

Anni: Nachdem der herrlich staubige Behnke also durch einen hyperempathischen Typ namens Walther abgelöst wurde, ändert sich sowieso zu Beginn der 1980er in Berlin einiges. Wenn auch nicht alles. Das Loftwohnen für Studenten kam in Mode, alles schon fast wie  heute. Ein paar Leutchen finden sich zusammen und haben eine riesige Ex-Fabrikhallenanlage für sich allein.

Tom: So gedrängt wie jetzt ging es in der Stadt damals jedenfalls nicht zu. Der Film ist sehr individuell gestaltet, aber auch affektiert und irgendwie vom typischen Berliner Größenwahn angehaucht. Assistent Hassert wurde übrigens von Behnke übernommen, ich glaube, der hatte sogar dem ersten Berliner-Tatortkommissar schon als Beigabe gedient.

Anni: Aber da steckt ja auch eine Menge NDF drin, mit Magdalena Montezuma als böser Lady in – was war das eigentlich, die gruselige Farbe des gruseligen Kostüms? Pink oder Lila? Bei der Einstellung unseres Fernsehers im Zweifel Pila. Und mit Peer Raben als Filmkomponist, beide haben ja für Fassbinder gearbeitet. Auf der anderen Seite der konservative Hitparaden-Moderator Dieter Thomas Heck. Berlin hat alle zusammengebracht, sogar als Film-Eheleute.

Tom: Gerade der Heck hat seine Sache eigentlich gut gemacht, die Montezuma hatte eh einen sehr eigenen Stil und ich habe ihre Figur richtiggehend verabscheut, aber insbesondere Praetorius als Hannes überspielt hemmungslos bzw. wird dazu angehalten, Jochen Schroeder als Kommilitone Klaus ist da etwas dezenter und realistischer. Er trägt auch keine Glühbirnen-Jacke, wie der „Elektrische Reiter“, der offenbar Hannes‘ Vorbild ist. Etwas ungewöhnliche für Studenten, auch damals.

Anni: Mit welchen Riesenbatterien hat denn diese Jacke eigentlich funktioniert? Heute könnte man da ein so cooles Design anbieten, mit kleinen, energiesparenden LEDs. Aber was ist? Kein Mensch trägt mehr Leuchtjacken. Bei der Art von Hannes sowieso ein Risiko, weil er ständig in Gefahr ist, sich körperlich mit anderen anzulegen – und wie gefährlich ist dann diese Jacke für ihren eigenenTräger und den Gegner und wie schnell geht so ein Birnchen kaputt. Stimmt schon, einiges an dem Film ist etwas affektiert. Mehr Affektiertheit als Avantgarde jedenfalls. Bis auf die Gerichtsszene, die ist im  Hitchcock-Kreiselstil gefilmt, mit stilisiert-reduzierten Hintergründen.

Tom: Und damit sie richtig wirkt, durften die beiden Studis nicht mal von einem Strafverteidiger vertreten werden. Kein Wunder, dass diese Art von Stilisierung sich im Tatort nicht durchgesetzt hat und weniger Spuren hinterließ als die gleichzeitig beginnende WDR-Schimanski-Ära. Aber seinem Beruf, schräg auf Teufel komm raus zu sein, wird Berlin hier schon ganz gut gerecht, und das hat eigentlich bis heute was Spießiges.

Anni: Jaja, Berlin wird niemals wie New York. Bis auf die Immobilienpreise, die nähern sich so schnell an, wie’s irgend geht. Nix mehr mit Riesenlofts für ein paar krumme Mark. Aber du hast es mitbekommen, anfangs versucht auch damals schon ein Vermieter den Klaus abzuzocken, indem er ihm 480 Mark für ein WG-Zimmer abknöpfen will. So billig war’s damals gar nicht, auch wenn der normale Preis 380 betrug.

Tom: Als ich nach Berlin kam, und das war 25 Jahre später, da ging in WGs noch was um 200 bis 250 Euro. Warm. Das würde bedeuten, dass die Preise sich während der ganzen  Zeit, real, also inflationsbreinigt betrachtet, eher rückwärts entwickelt hätten. Das glaube ich bei aller Liebe zur Übertreibung im Tatort „Beweisaufnahme“ nicht. Die Schauspielleistungen und die Wohnweise und einiges muss man also differenziert sehen. Die Studie über Zivilcourage und ihre Folgen fand ich allerdings sehr interessant.

Anni: Aber auch fragwürdig. Nicht nur, weil der zugrundeliegende Vergewaltigungsversuch als Delikt etwas lässig behandelt wird, sondern auch, weil die Quintessenz des Films ist, wie du’s machst, es ist immer falsch. Wenn du hilfst, kriegst du eine Anzeige wegen Körperverletzung, wenn nicht, eine wegen unterlassener Hilfeleistung. Was haften bleibt ist aber, dass Zivilcourage nur Stress macht, denn am Ende sind die beiden Studenten ja keine Zufallsbeobachter, sondern entscheiden sich trotz Verfolgung des Täters dafür, ihn nicht zu stellen und nochmal mit ihm eine Prügelei anzufangen – vielleicht sogar, weil sie eben gerade zulassen wollen, dass er dieses Mal Erfolg hat und daraufhin dingfest gemacht werden kann. Was selten vorkommt: Dass Figuren es ablehnen, mit dem Bullen einen trinken zu gehen.

Tom: Die haben eben etwas leicht Rebellisches. Ich habe den Film „Der elektrische Reiter“ noch nicht gesehen, aber hier wird ein wenig Kitsch damit betrieben, so mein Eindruck. Wie die Reichen oder der gehobene Mittelstand und ihre Kungelei dargestellt werden, Gefälligkeitsgutachten unter Freunden und sowas, die Art, wie mit Geld manipuliert wird, finde ich in dem ganzen Fall am Realistischsten, aber das war früher ohnehin eine Stärke der Tatorte, diese Milieus zwar zu überzeichnen, aber nicht so, dass sie unglaubwürdig wirken. Dafür ist mir Walther gegenüber den beiden Studis doch etwas zu übereifrig, welcher Kriminaler nimmt sich zweier Leute, die sich gar nicht helfen lassen wollen, in der Art an und kriegt dafür noch ständig eins von seiner überspannten Frau oder Freundin auf die …

Anni: Plautze. Mütze trug er nicht. Und war, finde ich, damals einer der modernsten Polizisten, ähnliche Typen wie den Münchenern um fast zehn Jahre voraus. Witzigerweise wurde Berlin nach solchen Experimenten, wenn man bei sechs Tatorten mit Walther von einem Experiment sprechen kann, nach der Wiedervereinigung tatortseitig konservativ und sogar melancholisch, als mit Günter Lamprecht einer der bis dahin besten Schauspieler übernahm – mit seinem Franz Markowitz, den er selbst erfunden hatte. Und es gibt wirklich in jedem Alt-Berliner Tatort eine Discoszene, oder? Oder gab es dieses Mal gar keine? Egal. Meine Wertung: 7/10, obwohl ich diesen Umgang mit gewissen Delikten und mit der Zivilcourage nicht wirklich mochte.

Tom: Ich finde „Beweisaufnahme“ – warum heißt der Film eigentlich so? – halt etwas exzentrisch, vor allem wegen einiger Charaktere, aber 6,5/10 gehen noch.

6,5/10

© 2022, 2017 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1) und kursiv: Wikipedia

Volker Brandt: Kommissar Walther Ulrich Faulhaber: Assistent Hassert Friedrich-Karl Praetorius: Hannes Lehm Jochen Schroeder: Klaus Hößler Johanna Sophia: Rita Inge Blau: Verena Dieter Thomas Heck: Erich Melz Magdalena Montezuma: Annemarie Melz Manfred Lindlbauer: Gunnar Melz Edgar Ott: Dr. Pechelt Anita Kupsch: Frau Pechelt Leslie Malton: Evi Pechelt Mareike Carrière: Susanne Roth Rüdiger Kreklau: Wolfgang Ehlers Horst Schultheis

 

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