Sterben und sterben lassen – Tatort 137 #Crimetime 1133 #Tatort #Berlin #Walther #Hassert #SFB #Sterben

Crimetime 1133 – Titelfoto © SFB / RBB

Tango des Todes

Sterben und sterben lassen ist eine Folge der ARD-Krimireihe Tatort aus dem Jahr 1982 und wurde vom Sender Freies Berlin produziert. In seinem dritten Fall muss Kommissar Walther einen Mordanschlag im Zusammenhang mit einem Medikamentenschmuggel aufklären.

Diesen Berliner Tatort haben wir im Rahmen der Reihe „Alte Tatorte des SFB, frisch restauriert“ im Sommer 2017 rezensiert und somit  eine bis zu diesem Zeitpunkt komplette Sammlung der Berliner Tatorte der 1970er und frühen 1980er erstellen können:

Handlung (1) 

Die Brüder Hans und Niki Pototschnik aus Wien wollen sich in Berlin eine neue Existenz als Besitzer eines Restaurants aufbauen. Dazu benötigen sie Geld.

Niki, der jüngere, lebt schon längere Zeit in Berlin. Er arbeitet als Fernfahrer für eine etwas undurchsichtige Firma. Da die Bezahlung hoch ist, mischt er sich nicht in das illegale Geschäft ein, um das es geht: die Verschiebung von Medikamenten. Bei einem dummen Unfall begeht Niki Fahrerflucht, was das ganze Unternehmen gefährdet. Mit seiner Chefin, die ihn eigentlich mag, kommt es zum Bruch. Vielleicht reagiert sie aus gekränktem Stolz, jedenfalls fühlt sie sich unter Druck gesetzt, als Niki seinen Anteil fordert.

Sie veranlaßt Schrader, ihr treues Faktotum, Niki einen „Denkzettel“ zu verpassen. Der nimmt seine Aufgabe ernster als er sollte. Aber es trifft den Falschen: Ein unbeteiligter Freund Nikis muß in den Flammen des präparierten Autos sterben. Als Hans Pototschnik in Nikis Wohnung kommt, findet er dort Kommissar Walther vor, der mit den Ermittlungen in dem Todesfall betraut ist.

Rezension

Den  137. Tatort durchweht ein Hauch von Rainer. Von Rainer Werner Fassbinder. Weil einer aus seiner Darstellerriege, Harry Baer, als Protagonist Nicki eingesetzt wird. Doch schon diese Besetzung wirft Fragen auf. Wieso nimmt man  zur Darstellung eines Wieners nicht einen der vielen österreichischen Darsteller, die im deutschen Film und Fernsehen tätig sind oder auch einen, der bisher noch nicht bei uns zu sehen war? Aber nachdem so viele Österreicher_innen ihren Dialekt zügeln müssen, um in deutschen Produktionen als Deutsche durchzugehen, warum nicht mal umgekehrt? Vielleicht gehört das zu den Verfremdungseffekten in diesem Film und 1982, als er gedreht wurde, war ohnehin Fassbinder-Zeit. Freilich war er noch nicht tot, als der Film gedreht wurde. Dafür verstarb er elf Tage nach der Erstausstrahlung dieses Tatorts mit dem wirklich überzogenen Titel „Sterben und sterben lassen“, der dem James-Bond-Film-Titel „Leben und Sterben lassen“ aus dem Jahr 1973 nachempfunden wurde.

Aber was wir sehen, soll nicht real sein, diesen schrägen künstlerischen Touch haben ja alle SFB-Tatorte mit dem Ermittler Walther mehr oder weniger. Man beachte das Ende im Theater, dem Ort der Illusionen und wie Nicki tatsächlich genau im Kegel eines Führungsscheinwerfers stirbt. Als er und sein Bruder sich auf diesen Lichtkreis am Boden zubewegten war klar, dieser letzte Weg des Nicki wird kein leichter sein. Auch nicht für seinen Bruder, dessen Bruder immerhin wirklich und auch hörbar von einem Wiener gespielt wird und der im realen Leben tatsächlich (auch) Koch ist. Da soll einer sagen, es sei nicht alles verwoben, Kunst und Realität, Krimi, Liebe, Tragik.

Komischerweise oder nicht, mir hat diese Tangolastigkeit, die schon aufs Theatralische des Ganzen h hinweist, dieses total verschobene Abhängigkeitsverhältnis zwischen Inge (Margit Saad in iihrer letzten Rolle vor dem endgültigen Wechsel ins Regiefach) und Hans (Vladim Glowna) gut gefallen. Das ist ein Fassbinder-likes Szenario, wie Menschen da ein kollusives Verhältnis herausbilden, in dem nichts, aber auch nichts irgendeinen Trost spendiert. Es ist nicht einmal etwas Gemeines oder Böses drin, sondern nur das Auslaufen von etwas, das als tänzerische Leidenschaft begonnen hat, in einem zwischenmenschlichen Desaster, das nicht begründet wird. Hans ist nicht etwa Invalide und kann nicht mehr tanzen, er hätte jede Möglichkeit gehabt, sich abzusetzen. Theoretisch, aber nicht alle Menschen sind innerlich unabhängig. Im Grunde ist das niemand und einige, die sich nicht an andere binden können, und das denken, hängen mit sich selbst in einem narzisstischen Hörigkeitscluster fest.

So weit, so gut, passabel inszeniert und gespielt. Aber als Krimi ist der Film furchtbar. Nicht, dass das auf neue Tatorte nicht auch manchmal zuträfe, aber sie wahren die mittlerweile fast durchgehende Grundstruktur, dass am Anfang wenigstens eine Leiche sein muss, dass dadurch die Ermittler direkt ins Spiel kommen und dann recht präsent bleiben. Die SFB-Spielart aber war von Beginn an, dass das Verbrechen sich erst entwickelt, die Polizei erst spät eingreifen kann, weil vorher nichts passiert ist und dadurch hatten die Ermittler wenig Entfaltungsmöglichkeiten. Dass man sie aber so alibimäßig einsetzt wie in „Sterben und sterben lassen“,  hat denn doch Seltenheitswert, zumal sie nichts zur Erhellung der Tatbestände beitragen. Weder wird die Leiche im verbrannten Wagen mal richtig untersucht noch kommen Walter und Hassert am Ende rechtzeitig ins Theater um die Tragödie zu verhindern.

Ein Problem des Films wird schon zu Beginn sichtbar: Die Einleitung in Frankreich, der seltsame Motorradunfall, der in jeder Hinsicht, auch die spätere Art der Ermittlung des Fahrers, im Folgenden die Handlungsführung entsprechen keinem gängigen Krimimuster. Ein Whodunit ist es zu keinem Zeitpunkt, ein Howcatchem kann es nicht werden, weil der erste Mord einfach mittendrin stattfindet, ein error in obiecto ist und die Polizei das nicht ernsthaft aufgreift, um dem Täter auf die Spur zu kommen und am Ende wird ebenfalls kein Wettlauf inszeniert. Immerhin, drei Tote ,einer fast zu Beginn, einer etwas in der Mitte und einer am Ende waren für damalige Tatort-Verhältnisse viel und welch eine kunstvolle Einteilung. Was schwingt noch mit? Geld natürlich, und Träume von der Unabhängigkeit, der Selbstständigkeit, die natürlich nicht für jeden so geht, auch wenn er extra eine alte Musikbox aus Südeuropa ankarrt, wie es Abhängigkeiten schafft oder doch nicht, zwischen der 20 Jahre älteren Inge und Nicki – zumindest liegen die beiden Schauspielen 20 Jahre auseinander.

Und dann dieser Arzneimittelrückkauf. Das hat es gegeben und gibt es online immer noch, dass Arzneimittel woanders billiger zu haben sind als in Deutschland, aber dass der Reimport, den man ganz legal auch von Autos kennt, ausgerechnet vom Hersteller inszeniert wird, mutet kurios an – ich will das aber nicht vertiefen, weil  es sowieso drangepappt wird, um die Geldwerte aufzumotzen, um die es geht. Man hätte es auch mit Drogen machen können, aber das war wohl gerade ausgelutscht, in Berlin und nach Christiane F.

Finale

So furchtbar finde ich den Tatort nicht und die Formulierung erklärt sich daraus, dass er aktuell der am viertschlechtesten bewertete von über 1000 Tatorten ist. Nach meinem Gefühl, und ich habe ja nun fast 600 dieser Filme gesehen, gibt es Schlimmere. Allerdings darf man die Erwartung, dass es sich um einen Krimi handelt, auch nicht zu sehr enttäuschen, nicht mit allen Konventionen des Genres und den noch einmal wesentlich engeren der Reihe brechen. Dass die Berliner Tatorte bis Markowitz oft so schwach bewertet sind, liegt auch daran, dass man sie offenbar mit Gewalt schräg und künstlerisch wirken lassen wollte und da gehen viele Fans der Reihe nicht mit. Man kann das außerdem und trotzdem noch einen guten Krimi basteln – nur wirkt es hier so, als habe man daran gar kein Interesse gehabt. Auch Fassbinders Filme sind bekanntlich  nicht gerade fürs Massenpublikum gewesen, zumindest die der ersten Jahre, in denen er unter anderem mit Harry Baer gearbeitet hat.

5,5/10

© 2023, 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)

(1),  kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Peter Keglevic
Drehbuch
Produktion Horst Borasch
Musik Peer Raben
Kamera Gérard Vandenberg
Schnitt Friedericke Badekow
Premiere 31. Mai 1982 auf Deutsches Fernsehen
Besetzung

 

 

 

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