Die Bestie (While the City Sleeps, USA 1956) #Filmfest 917

Filmfest 917 Cinema

While the City Sleeps ist ein US-amerikanischer Film noir von Fritz Lang aus dem Jahr 1956 mit Dana AndrewsRhonda FlemingGeorge SandersHoward DuffThomas MitchellVincent PriceJohn Drew Barrymore und Ida Lupino in den Hauptrollen. Das von Casey Robinson geschriebene Zeitungsdrama basiert auf The Bloody Spur von Charles Einstein, das vom Fall des Chicagoer Serienmörders William Heirens (alias „Lipstick Killer“) inspiriert wurde. (Der Film spielt sogar auf die Verbrechen von Heirens im Dialog des Drehbuchs an, was darauf hindeutet, dass der Antagonist des Films, auch bekannt als „Lipstick Killer“, ein Nachahmerkiller ist.

In diesem Film finden zwei Linien zusammen. Wir haben gerade drei Filme von Ida Lupino rezensiert, zwei davon mit ihrer Entdeckung des Jahres 1949, Sally Forrest, die man oben nicht erwähnt hat, obwohl sie  mehr Spielzeit hat als Lupino. Und wir haben zuletzt mehrere der deutschen Filme Fritz Langs angeschaut, zuletzt „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1921) und „Vier um die Frau“ (1920).[1] Einige seiner amerikanischen Filme kennen wir bereits, seinen ersten namens „Fury“ (1936), die Noirs aus den Mittvierzigern „Die Frau im Fenster“ (1944) und „Scarlett Street“ (1945). Siehe dazu auch weiter  unten, „Amerikanische Filme von Fritz Lang“. Ergänzung im Rahmen der Publizierung dieses Artikels. Unsere bisher größte, vierteilige Filmrezension haben wir Langs „Die Nibelungen“ (1924) gewidmet, verlinkt ist Teil 1 der Rezension, der Film selbst ist ein Zweiteiler.

Handlung[2]

Der Film beginnt mit einem bösartigen Mörder, der eine unschuldige Frau in ihrer Wohnung angreift. Bald stellt sich heraus, dass dieser Mörder ein Serienmörder ist.

Die Szene wechselt zum älteren Amos Kyne, einem Nachrichtenmedienmogul, der auf seinem Sterbebett (in seinem Büro) mit den Männern spricht, die für die Abteilungen seines Unternehmens verantwortlich sind: Drahtdienstchef Mark Loving, Zeitungschef Jon Day Griffith und Fernsehchef „Honest“ Harry Kritzer; Edward Mobley, TV-Moderator von Kyne Inc., ist ebenfalls anwesend. Nachdem Kyne die anderen entlassen hat, spricht er mit Mobley über seine Sorgen um sein Imperium nach seinem Tod. Mobley hat den Top-Job viele Male abgelehnt und tut dies während dieses Gesprächs erneut. Er ist in vier Minuten auf Sendung und geht hinüber, um Kynes Fernseher einzuschalten. Als er zurückblickt, sieht er, dass der alte Mann gestorben ist.

Nach Kynes Tod geht das Unternehmen an seinen Sohn Walter Kyne, den sein Vater ihm übel nahm und nie in das Geschäft aufgenommen hat.

Aufgrund seines mangelnden Wissens und da er nicht die ganze Arbeit an der Spitze alleine übernehmen will, beschließt Walter Kyne, eine neue stellvertretende Position des Geschäftsführers zu schaffen. Er fordert Loving, Griffith und Kritzer heraus, den Serienmörder zu fangen, der als „Lipstick Killer“ bezeichnet wird. Der Mann, der das tut, wird den neuen Job bekommen.

Der Job ist ein sehr lukrativer und prestigeträchtiger Preis, und um ihn zu sichern, versucht Griffith, sich mit seinem Freund Mobley zu verbünden, der sich bereit erklärt, zu helfen, obwohl er selbst nicht an dem Job interessiert ist. Loving manipuliert Starautorin Mildred Donner, um sich an Mobley zu gewöhnen und Informationen aus ihm herauszuholen. Kritzer könnte eine Insider-Spur haben, da er eine heimliche Affäre mit Walter Kynes Frau Dorothy hat. Sie ist sowohl seine Vertraute als auch süße Gespräche mit ihrem Ehemann in seinem Namen. Ihr Liebesnest befindet sich jedoch zufällig gegenüber der Wohnung von Lovings Sekretärin Nancy Liggett, mit der sich Mobley verlobt.

Mobley erhält Insiderinformationen von seinem Polizeifreund Lt. Kaufman. Nach einem neuen Mord entwickeln die beiden Männer einen Plan, um eine Falle zu stellen, indem sie Nancy als Köder benutzen, wobei Mobley den Lippenstiftkiller im Fernsehen verspottet, um ihn an die Öffentlichkeit zu bringen.

Der Lippenstiftkiller nimmt den Köder und folgt Nancy in ihre Wohnung, um sie anzugreifen, kommt aber nicht hinein. Mrs. Kyne kommt zufällig gerade an und betritt ihre Wohnung. Der Mörder nutzt die offene Tür aus und es gelingt ihm, sie anzugreifen. Sie wehrt sich gegen ihn und rennt schreiend zu Nancys Wohnung. Der Mörder rennt weg, und nach einer Verfolgungsjagd, an der auch Mobley beteiligt ist, wird er von der Polizei erwischt. Durch Kaufman liefert Mobley den Scoop an Griffith, der sicherstellt, dass er zuerst in einer Extra-Zeitung und erst dann auf dem Kyne-Wire-Service veröffentlicht wird, aber immer noch vor allen Konkurrenten.

In all dem Tumult wird Dorothy in der geheimen Wohnung erkannt und die ehebrecherische Affäre aufgedeckt. Der „ehrliche“ Harry Kritzer gewinnt die Beförderung wegen der drohenden Erpressung gegen Kyne. Als Mobley und Griffith in einer Bar über die Folgen dieser Ereignisse sprechen, verkündet Mobley, dass er zurückgetreten ist. Kyne kommt herein und Mobley sagt ihm, was er von ihm hält.

Der Film endet damit, dass Mobley und Nancy in Florida geheiratet haben und von einer Lokalzeitung von einer unerwarteten Umwälzung in der Kyne-Organisation erfahren. Kritzer ist raus; die Beförderung ging an Griffith; und Mobley soll wiederum befördert werden, um ihn zu ersetzen. Das glückliche Paar küsst sich und ignoriert ein klingelndes Telefon.

Rezension

Fritz Lang durch den Spiegel eines seiner Filme wiederzusehen, ist immer ein Genuss, aber ich habe mich auch gefreut, weitere Darsteller:innen anzutreffen, die ich zuletzt schätzen gelernt habe, wie die erwähnte Sally Forrest oder welche, die als Charakterdarsteller zur ersten Garde Hollywoods zählten, wie George Sanders, der sich mit einer vergleichsweise kleinen Rolle begnügt, oder Thomas Mitchell, der u. a. durch seine Mitwirkung in John Fords „Stagecoach“ (1939) bekannt ist. Was wir nicht sehen, ist ein Superstar, der wohl auch das Budget dieses Werks gesprengt hätte.

Bei seiner Veröffentlichung mochte der Filmkritiker Abe Weiler den Film, besonders die Schauspielerei. Er schrieb: „Da es voller Klang und Wut, Mord, heiliger und profaner Liebe und einer fairen Quote an intramuralen Intrigen ist, fragt sich ein Zuschauer, ob die Tycoons des riesigen Kyne-Verlags sich jemals die Mühe machen, über so banale Geschichten wie das Wetter zu berichten. Aber während dieses journalistische Jamboree eher extravagant als wahrscheinlich ist, machen ein straffes und ausgefeiltes Drehbuch von Casey Robinson und eine Reihe professioneller Auftritte While the City Sleeps zu einer kurzweiligen und handwerklichen Fiktion.“ [7]

Jahrzehnte nach der Veröffentlichung des Films zieht er weiterhin die Aufmerksamkeit der Kritik auf sich. 1998 nahm Jonathan Rosenbaum vom Chicago Reader den Film in seine Liste der besten amerikanischen Filme auf, die nicht in den AFI Top 100 enthalten waren. [8] Time Out Filmkritiken schrieben über den Film: „Lang nutzt inspiriert Büros mit Glaswänden, in denen alles zu sehen ist und nichts verhüllt wird, und zeichnet explizite Parallelen zwischen Andrews und dem Mörder nach. Langs am meisten unterschätzter Film.“ [9] Emanuel Levy schrieb 2019: „Einer von Fritz Langs besten Noir-Kriminalfilmen der 1950er Jahre, ‚While the City Sleeps‘ ist ein bedeutender Film, um zukünftige Trends des Genres vorwegzunehmen.“ [10]

Fünf Jahrzehnte nach der Veröffentlichung des Films schrieb der Kritiker Dennis Schwartz: „Fritz Lang (‚M‘) inszeniert seinen am meisten unterschätzten großartigen Film, mehr ein sozialer Kommentar als ein reines Krimidrama.“ [2]

Wir müssen uns ja immer der Frage widmen, ob es sich bei einem Film um einen „Noir“ handelt und akzeptieren das nicht bloß deswegen, weil es in der Wikipedia steht. Das Genre wurde mittlerweile so erweitert, dass fast jeder Krimi hineinpasst, selbst wenn ihm viele der eingrenzenden Kriterien fehlen, die einst für dieses Subgenre erstellt wurden.

„The Big Heat“ ist zum Beispiel für mich klar ein Film noir, weil der Protagonist, ein Cop, im Kampf gegen das Verbrechen seine Frau verliert, die an seiner Stelle durch einen Anschlag stirbt. Am Ende steht ein bitterer Sieg, bei dem man sich fragt, ob er diesen Preis wert war. In „Scarlett Street“ gibt es die Femme fatale, die einen harmlosen Mann in den Abgrund reißt, das ist ein Kern-noir. Ähnlich ist „Woman in the Window“ angelegt, aber mit einem Clou: Es handelt sich um einen Traum des Protagonisten. Streng genommen ist der Film also kein Noir. „Fury“ hingegen fällt aus dem  Zeitrahmen des klassischen Film noir, den wiederum sehe ich nicht so eng, denn das Genre ist nicht plötzlich mit „Der Malteser Falke“ entstanden, wie es der Rahmen 1941-1958 suggeriert, der ursprünglich festgelegt wurde. Deswegen halte ich „Fury“ für einen Noir, trotz seines Happy Ends, denn er ist hochgradig negativ gegenüber den Menschen und einer Dorgemeinschaft an sich, wenn sie sich als Lynchmob zusammenrotten, und der Protagonist überlebt nur knapp.

Nun wird „While the City Sleeps“ mit „M“ verglichen, und dieser gilt als klassischer Noir-Vorläufer. Auch in „While the City Sleeps“ kommt ein Serienmörder vor, der in diesem Fall nicht auf Kinder, sondern auf Frauen spezialisiert ist, die ihn wegen seiner disruptiven Kindheit triggern. Einige Kritiker schreiben, Lang klagt mehr den Journalismus-Sensationsbetrieb an als diesen Mann, der sogar Sympathie evoziert. Das habe ich etwas anders empfunden. Der junge Mann wird nicht wirklich hinterleuchtet, so, wie „M“ überhaupt keine Biografie hat und dadurch unfassbar, bedrohlich, dämomisch wirkt, das Böse aus dem Nichts sozusagen. Mitten im psychologisierenden Kino der 1950er wirkt Langs Werk zwar nicht sehr analytisch, aber ganz konnte man den Background des Täters nun auch nicht mehr weglassen. Dachten sich zumindest die Macher des Films.

Auch in „M“ steht der Täter nicht so im Vordergrund, wie man denken möchte, aber Peter Lorre verleiht ihm eine grandiose Präsenz als jemand, der beinahe wieder Mitleid hervorruft. Zumal es heute eine gesicherte Tatsache ist, dass Serientäter mit psychischen Anomalien nicht töten, weil sie es wollen, sondern, wie „M“ es selbst ausdrückt, weil sie es müssen. In der Regel sind sie deshalb nicht schuldfähig, werden nicht ins Gefängnis gesperrt, sondern in der Sicherungsverwahrung untergebracht. Freilich gibt es Gradationen von Schuld und das Beschriebene trifft nicht auf alle Killer zu. Der Täter in „While the City Sleeps“ hat eher als „M“ gefühlt nur eine Nebenrolle, vermutlich auch anteilig weniger Spielzeit. Lang wollte eher ein Team zeigen als einen Einzelgänger, eine gesellschaftliche Situation. War es 1931 der Umgang der OK mit dem Täter und derjenige der Polizei, wird dieses Mal die Presse bzw. werden die Medien in den Vordergrund gerückt. In der Tat wird hier ein horizontal integriertes Medienunternehmen namens „K“ gezeigt, in dem sich Ränke abspielen, wie man sie aus dem tatsächlichen Berufsleben durchaus kennt.

Ob diese Ballung realistisch ist, sollte man nicht zu sehr hinterfragen, denn Film ist Verdichtung, das macht einen Teil seiner Dramatik aus, nicht nur das einzelne exorbitante Ereignis, das es in „While the City Sleeps“ eigentlich nicht gibt.

Das Ensemble macht den Film in der Tat angenehm. Man hat den Eindruck, das matcht alles recht gut, inklusive des Mangels an Harmonie im Team und natürlich ist es ein großer Unterschied in der Anmutung, dass die Geschichte eher an einem Liebespaar mit einer reizenden jungen Frau als an der Mörderfigur aufgehängt wird. Auch das Filming ist selten „noir“, auch wenn die Einstellung im Badezimmer, die zum Tod des ersten Opfers führt, schon ein wenig „Psycho“ von Alfred Hitchcock vorwegnimmt, der das alles aber zu einer ikonischen Sequenz auswalzt. Die Ausleuchtung und die Perspektiven sind ansonsten eher unauffällig, aber Lang hatte sich m. E. immer schon kritisch zu Exzessen des Expressionismus gestellt, der, aus Deutschland kommend, Eingang in den US-Film, besonders in den Film noir fand. Der Stil zeigt sich eher an der Psychologie des Figurentableaus, die bei den Emigranten, die nach Hollywood gingen, generell durch überdurchschnittliche Stimmigkeit auffällt. Das Menschliche betreffend, funktioniert also auch dieser Film und wirkt sehr ausgewogen beim Zeigen von negativen und positiven Eigenschaften.

Finale

Und da kommt der Mörder eben nicht gut weg, denn seine Verstörtheit wegen der Adoption hat auf mich etwas an den Haaren herbeigezogen gewirkt und mehr erfährt man über ihn nicht. Man kann es so interpretieren, dass sich sein Hass vor allem gegen die leibliche Mutter gerichtet hat, von der er sich im Stich gelassen fühlt, ausgeliefert an Menschen, die keinen guten Zugang zu ihm finden vice versa. Das ist sehr wenig, um die Psychologie eines Serienkillers zu gestalten und vielleicht hätte man, trotz des anderen Zeitstils, diesen Mann, wie einst den „M“ ohne jede Erklärung auftreten  lassen sollen. Das hätte auch eher eine Störung des Systems bewirkt, während das, was wir sehen, die Journalisten und Polizisten zwar nicht kalt lässt, aber eher deswegen, weil es eine Sensation zu vermelden gibt, und da möchte man vorne dabei sein. Kritiker haben auch Parallelen zwischen der Hauptfigur des Fernseh-Anchormans und dem Mörder gesehen, da wurde ich, offen geschrieben, nicht fündig. Vielleicht kann man sagen, die Lockvogel-Idee, die ich übrigens um mehrere Minuten vorausgeahnt hatte, deutet darauf hin, aber letztlich erscheint mir das nicht schlüssig. Interessant aber, dass damals der Wechsel vom Nachrichtensprecher zum Chefeditor einer Zeitung noch ein Aufstieg war. Die IMDb-Nutzer:innen weisen dem Film aktuell einen Durchschnitt von 6,9/10 zu.

An „The Big Heat“, „Fury“, die beiden 40er-Noirs mit Edward G. Robinson reicht er nicht heran, aber etwas mehr ist drin:

74/100

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

[1] Von seinen amerikanischen Filmen kennen wir bereits, seinen ersten namens „Fury“ (1936), die beiden Noirs aus den Mittvierzigern „Gefährliche Begegnung / Die Frau im Fenster“ (1944) und „Scarlet Street“ (1945), „The Blue Gardenia“ (1953) und „The Big Heat“ (1953), der vielen als sein bester amerikanischer Film gilt.

[2] Während die Stadt schläft (1956) – Wikipedia

Regie Fritz Lang
Drehbuch Casey Robinson
Produktion Bert Friedlob
Musik Herschel Burke Gilbert
Kamera Ernest Laszlo
Schnitt Gene Fowler junior
Besetzung

 

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