Ukraine: Offene Briefe, Petition, Scholz unter Druck +++ Die spanische Panzerfalle? | Briefing 14

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13.06.2022 Briefing-Timeline 14 (hier zu Nr. 13 vom 12.06.2022)

Corona und Affenpocken: Heute keine Neuigkeiten von uns, der Grund ist in unserem letzten Report von gestern erklärt.

13.06.2022 Ukraine: der nächste offene Brief an Kanzler Olaf Scholz in Form einer Petition ist geschrieben. Wir haben seinerzeit den Brief der „Vorsichtigen“ an Scholz nicht unterzeichnet, wir tun dies jetzt auch nicht mit dem Brief der „Ofensiven“. Vor allem deshalb nicht, weil weitere Sanktionen gefordert werden, die sich vielleicht die Erstunterzeichner:innen leisten können, nicht aber die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland.

Auch wenn wir die Waffenlieferungen an die Ukraine grundsätzlich unterstützen, gilt das nicht für einige Argumente, die in dem Brief genannt sind und in denen so getan wird, als stünde mit dem Ausgang des Ukraine-Krieges die Freiheit der westlichen Welt auf dem Spiel. Das tut sie höchstens dann, wenn die Demokratien von innen zerfallen, denn hochgerüstet genug ist die NATO ganz sicher, um Russland standhalten zu können, falls es Mitgliedsländer der NATO angreifen sollte. Auf die internen Probleme der Demokratien sollten vor allem die Liberalen unter den Unterzeichnern etwas mehr achten, die ja einst auch Angehörige einer Partei waren, die sich als den Bürgerrechten verpflichtet verstand.

Diese Partei hat sich leider zu einem neoliberalen, Klassenkampf-von-oben-Cluster zurückentwickelt, der unter Freiheit nur noch die Freiheit des Kapitalverkehrs versteht, und wirkt deshalb bei dem, was wir als Freiheit für alle bezeichnen, bei der Werteverteidigung, nicht so recht glaubwürdig. Manche der alten FDP-Politiker:innen, wie Gerhard Baum, die mitunterzeichnet haben, sollten sich fragen, ob sie die richtigen Akzente setzen, denn sie müssten es noch wissen, wie es einmal war, als die FDP   eine breitere ideologische Basis hatte.

Wenn Sie sich vom Inhalt der Petition repräsentiert fühlen, unterzeichnen Sie bitte. Wir sprechen  lediglich unsere Meinung aus.[1]

Die Ukraine wird leider von allen möglichen Seiten für alles Mögliche in Bezug genommen und  instrumentalisiert, genau wie Russland auf der anderen Seite. Davor warnen wir ausdrücklich. Zumal die ukrainischen Politiker sich immer wieder Entgleisungen leisten, die uns mittlerweile massiv auf den Zeiger gehen, wie, wer sonst, wieder einmal der Herr Melnyk.[2]/[3] Wir wussten bisher z. B. nicht, dass Flucht etwas mit Lust zu tun hat. Zum Glück ist die Hilfsbereitschaft vieler Menschen in Deutschland nicht von der Meinung dieses Mannes über dieses Land abhängig. Hier haben wir einen Satz gecancelt, der sich auf erste persönliche Erfahrungen mit Geflüchteten aus der Ukraine bezieht. Wir sind ja nicht der Herr Melnyk.

Noch nie wurde für einen einzelnen Anlass so viel gespendet wie jetzt für die Ukraine, noch nie wurden politische Grundsätze so rasch über den Haufen geworfen, seit der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen ist, nie haben wir so viele ökonomische Nachteile in Kauf nehmen müssen, für ein Ziel, das eben nicht unseres ist, zumindest nicht die Sanktionen betreffend. Was uns hier von Privilegierten verkauft wird, sollte uns eher zu denken geben, denn das „wir“ wird wieder einmal an der falschen Stelle bemüht. Besonders von Menschen, deren Denken im Allgemeinen nicht auf deutlich sichtbare Weise von sozialen Aspekten und Gemeinsinn geleitet ist.

Schon die Waffenlieferungen sind kein Kinderspiel und wir können verstehen, dass Kanzler Scholz sich nicht an die Spitze der Fordernden stellt. Das folgende aktuelle Beispiel zeigt das Problem deutlich:

13.06.2022 Ukraine II: die spanische Panzerfalle? Aus innenpolitischen Gründen vollzieht ein EU-Land, das sich bisher zurückgehalten hat, einen harschen Schwenk und plötzlich steht die Lieferung moderner Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 auf der Agenda.[4] Bisher habe kein Land westliche Technik dieser Art an die Ukraine herausgegeben, heißt es von Kanzler Scholz. Damit wird auf jeden Fall, was deutsche Waffenlieferungen angeht, eine weitere Grenze gerissen, und das muss überlegt sein. Denn was wird als Nächstes kommen?

Es liegt auf der Hand, und das wissen die ukrainischen Forderungspolitiker und ihre hiesigen Brüder und Schwestern im Geiste auch: Es ist im Grunde egal, ob Leopard-Panzer aus Spanien den Weg in die Ukraine finden, oder ob sie direkt von hier aus dorthin geliefert werden. Für den einen wie den anderen Weg muss die Bundesregierung eine Genehmigung erteilen und steht damit in der Verantwortung. Der Druck auf Kanzler Scholz wird nicht nachlassen, gleich, wie weit er geht, deshalb halten wir ihm hier zugute, dass er zuletzt unpopulär, dafür aber so verantwortungsbewusst verhalten hat, wie es bei derlei Schelte von teilweise unberufener, aber einflussreicher Seite möglich ist.

Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass deutsche Panzer wieder in der Ukraine rollen. Nicht für den Sieg der Nazis, sondern für den Sieg der Freiheit? Klar gibt es erkennbar einen Unterschied zu 1941, das sehen wir auch so, trotzdem ist es richtig, über die Historie nachzudenken und keinesfalls über den NATO-Comment hinauszugehen. Dass deutsches Kriegsgerät das erste seiner Art aus dem Westen ist, das die Ukraine erreicht, muss nicht sein. Lieber sollten wir die Schimpfkanonaden von Melnyk & Co. aushalten, als an einer so sensiblen Stelle als erstes Land die Grenzen weiter zu verschieben.

TH

12.06.2022 Ukraine, EU-Beitritt: Nicht überall löst das Drängen auf den Kandidatenstatus seitens der ukrainischen Regierung Begeisterung aus.[5] Auch wir haben uns mehrfach dagegen ausgesprochen, ein so großes, wirtschaftlich schwaches und demokratisch nicht gefestigtes Land im Expresstempo in die EU zu schleusen. Die Türkei hat seit 23 Jahren einen Kandidatenstatus und es gibt keine vorgeschriebene Geschwindigkeit der Aufnahme, was in diesem Fall wichtig und richtig ist. Was man konkret tut, um die Moral der Ukrainer:innen im Abwehrkampf gegen Russland zu stützen? Wir sind selbst gespannt, was die EU-Kommission sich einfallen lässt, nachdem deren Chefin Ursula von der Leyen schon im April gesagt hat, die Ukraine gehöre zum „europäischen Haus“. Dass die osteuropäischen Staaten, vor allem diejenigen mit wackeligen Demokratien, Feuer und Flamme für einen Ukraine-Beitritt sind, versteht sich von selbst. Siehe dazu auch unser Briefing von gestern.

Am Rande von Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj lobte die deutsche Spitzenpolitikerin [von der Leyen in ihrer Funktion als Kommissionspräsidentin] am Samstag die gut funktionierende Verwaltung des Landes. Zugleich mahnte sie weitere Reformen an. Grundsätzlich würdigte sie die „enormen Anstrengungen und die Entschlossenheit“ der Ukraine auf dem Weg in die EU.[6]

In einer Umfrage, die Sie unterhalb des verlinkten Artikels finden, sprechen sich gegenwärtig 78 Prozent der Abstimmenden dafür aus, die üblichen Regeln für einen EU-Beitritt der Ukraine einzuhalten, also gegen eine Art Kriegsexpress. Zwischen Solidarität für die Ukraine und der Gefahr, dass die ohnehin überdehnte und kaum noch steuerbare EU mit diesem Land noch mehr Probleme bekommen wird, wird also sehr wohl unterschieden. Hilfe für die Ukraine wird grundsätzlich von einer Mehrheit befürwortet, das zeigt sich an einer breiten Zustimmung zur Lieferung schwerer Waffen. Hingegen halten die wenigsten immer weitere Sanktionen für eine gute Idee, besonders das Ölembargo steht hierbei in der Diskussion.[7] Die Linie, lieber Waffen, wenn die Ukrainer:innen kämpfen wollen als der eigenen Wirtschaft schaden, haben wir von Beginn an vertreten.

12.06.2022 Schützenpanzer Marder fertig renoviert. Derweil sind die ersten schweren Geräte fertig geworden zum Versand in die Ukraine. Vielleicht nimmt Scholz sie ja als Geschenk mit, wenn er Kiew besucht?[8]

12.06.2022 Reist er oder reist er nicht? Nach anderen europäischen Spitzenpolitikern steht nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz laut einem Medienbericht erstmals seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor einer Reise nach Kiew. Der SPD-Politiker wolle vor dem G7-Gipfel Ende Juni die Ukraine besuchen, berichtete die „Bild am Sonntag“. Derweil gehen im Osten des Landes die Kämpfe weiter, in denen die russische Armee ihre Überlegenheit bei Artillerie und Munition für Landgewinne nutzen will.[9] Der Bildzeitung würden wir auch zutrauen, Scholz quasi nach Kiew schreiben zu wollen, denn Wirkung ist wichtiger als Wahrheit. Die Spannungen zwischen Kiew und Berlin sind vielleicht aber so besser abzubauen, unsere Haltung dazu ist: wenn es Sinn ergibt, sollte Scholz hinfahren, aber sicherstellen, dass das nicht als eine Art Sieg gegen seinen Widerstand oder gar gegen die hiesige Regierungszögerlichkeit ausgeschlachtet wird, egal von wem.

12.06.2022 Schlachtfeldsieg oder Verhandlungen? Reicht das Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro? Nur bei den FDP-Anhänger:innen gibt es eine relativ große Minderheit, die an einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld glaubt. Die FDP-Anhänger:innen glauben auch an einen Endsieg des Raubtierkapitalismus über die weit überwiegende Mehrheit der Menschen. Außerdem sind sie mehr als die Sympathisant:innen aller anderen Parteien der Meinung, das „Sondervermögen“ (der Sonderschuldenberg) von 100 Milliarden Euro reiche nicht aus, um die Bundeswehr fit zu machen. Das sind dieselben Leute, die die Ärmeren im Land am liebsten verhungern lassen würden. Wir dürfen nie vergessen, dass diese klassistisch-neoliberale Partei die Regierungspolitik in Berlin mitbestimmt. (Quelle a. a. O.) Wichtig ist aber auch hier: den meisten Menschen, auch uns, ist klar, dass eine Befürwortung der militärischen Unterstützung der Ukraine nicht bedeuten muss, dass der Stand vor dem 24.02. wieder erreichbar ist oder gar der Stand von vor 2014, bevor also Russland die Krim besetzte, sondern dass damit erreicht werden soll, dass Russland sich überhaupt zu Verhandlungen bereitfinden wird, bei denen die Ukraine als selbstständiger Staat gesichert werden kann.

12.06.2022 China will Russland nicht materiell unterstützen. Im Zusammenhang damit, wie ein Frieden letztlich aussehen könnte, die vielleicht wichtigste Meldung des Tages.

China hat seine offiziell neutrale Position im Krieg gegen die Ukraine bekräftigt. Der chinesische Verteidigungsminister Wei Fenghe sagte auf einer Sicherheitskonferenz in Singapur, sein Land habe Russland im Zusammenhang mit der „Ukraine-Krise niemals irgendeine Art von materieller Unterstützung geliefert“. Peking unterstütze „Friedensverhandlungen“ zwischen den Kriegsparteien und hoffe, dass „die NATO Gespräche mit Russland führen wird“, fügte Wei hinzu.

Ganz wichtig ist, ob diese Aussage wirklich zutrifft und nicht hintenrum doch anders agiert wird, selbst Unternehmen in der EU umgehen ja die Sanktionen gegen Russland auf zuweilen recht trickreiche Weise (Umverladen von russischem Öl mithilfe griechischer Tanker etc.). Würde China Russland helfen, würde dieser Krieg episch werden. Die Frage ist, ob China daran ein Interesse hat und nicht lieber in Ruhe abwartet, denn eine wirtschaftliche Stärkung Russlands bedeutet der Krieg per se ganz gewiss nicht, auch wenn einige das Gegenteil behaupten. Deswegen ist die Frage ja auch, wer den größeren Sanktionsschaden hat, Rusland oder die EU, und nicht, ob Russlands Wirtschaft vom Krieg profitiert und schneller wächst. Im Gegenteil, der große Switch hin zu neuen Abnehmern von Rohstoffen kostet Geld in Form von niedrigeren Preisen, weil diese neuen Abnehmer ihrerseits aus der Lage Profit schlagen möchten (siehe Indien, dort wird nicht der aktuell hohe Börsenpreis für russisches Öl bezahlt, sondern zu Sonderkonditionen eingekauft).

12.06.2022 Zar Wladimir I. Viel diskutiert wird derzeit Putins Selbstvergleich mit Peter dem Großen, der nach Meinung von Experten seine wirklichen Ziele offenlegt und nebenbei klarstellt, dass man sich auf einen längeren Krieg einzustellen hat.

Moskau – Bei einem öffentlichen Auftritt hat der russische Machthaber Wladimir Putin die Invasion Russlands in der Ukraine mit den Geschehnissen im Großen Nordischen Krieg Anfang des 18. Jahrhunderts und sich selbst mit Zar Peter dem Großen verglichen. Das gibt laut einer Analyse des US-Senders CNN einen Einblick in die tatsächlichen Hintergründe des russischen Angriffskriegs und Putins eigene Motive hinter der so genannten „Sonderoperation“.

So erklärte Putin vergangene Woche bei einem öffentlich inszenierten Treffen mit jungen Vertreter:innen russischer Unternehmen und Start-ups, auch Peter der Große hätte Schweden seinerzeit „nicht erobert“, sondern „nur zurückgenommen, was Russland rechtmäßig gehörte“. Mit der Erklärung, dass genau dieselbe Rolle im Ukraine-Krieg nun auch Russland zufalle, räumte Putin indirekt ein, dass es bei der Invasion nicht wie seit Kriegsbeginn behauptet darum gehe, zum Schutze Russlands eine militärisch neutrale Ukraine zu sichern.

Vor allem Spins wie die Entnazifizierung haben wir von Beginn an nicht als glaubwürdiges Kriegsmotiv erachtet, denn Putin hat normalerweise keine Abneigungen gegen rechte Regierungen. Im Grunde trifft eine Faschisierung in den letzten Jahren auch auf Russland selbst zu. Ob die militärische Neutralität der Ukraine jetzt noch eine Option ist, wenn zu befürchten steht, dass ein weiterer Krieg bevorsteht, wenn Russland es erst einmal mit dem Donbass gut sein lässt und die Ukraine das akzeptieren muss? Wir melden Zweifel an. Deswegen: Je weniger Widerstand der weitere Vormarsch verursacht, desto schwieriger wird ein fairer Verhandlungsfrieden werden.

Zar Peter der Große hat Russland übrigens seinerzeit, Kriege hin oder her, an Europa herangeführt und modernisiert. Eine solche Leistung ist bisher von Wladimir Putin nicht zu vermelden, vielmehr stützt er sich auf ein PfründeSystem, in dem er quasi als Lehnsherr fungiert und das noch weiter hinter der Zeit zurückliegt als der westliche Finanzkapitalismus mit teil- oder scheindemokratischem Unterbau.

12.06.2022 Höhere Lebensmittelpreise und die Agrarwende: Wieder nicht in Zusammenhängen gedacht. Die Preise für Lebensmittel werden weiter steigen, das wurde auch auf dem gerade stattfindenden deutschen Bauerntag betont. Man könnte ein wenig zusätzliches Getreide produzieren, auch in andern EU-Ländern, um den Preisauftrieb zu mildern, heißt es, aber sehr viele Maßnahmen, die kurzfristig Entlastung bringen würden, laufen der dringend politisch gewünschten Agrarwende hin zu mehr Tierwohl, Artenschutz und besseren Lebensmittelpodukten zuwider.

Das kommt davon, dass in Deutschland Politiker:innen für die Wirtschaft verantwortlich sind, die nichts von deren Zusammenhängen verstehen. Unmöglich, das Getreide aus der Ukraine oder aus Russland sofort durch Mehrproduktion hierzulande zu ersetzen. Hinzu kommt noch das Dilemma: Was ist mit den Menschen in den armen Ländern, die jetzt besonders von der Getreidekrise betroffen sind? Eine eventuelle Mehrproduktion müsste eigentlich dorthin ausgeführt und nicht in Deutschland verwendet werden.

Wir müssen mal anfangen, unsere Artikel, die sich mit der Inflation beschäftigen, durchzunummeriern, um klarzumachen, welch gefährliches Spiel die Politik hier spielt, denn von der Preisfront gibt es fast täglich neue negative Nachrichten, über die wir schreiben könnten und sollten. In unserem gestrigen Briefing haben wir einige frühere Artikel dazu verlinkt, scrollen Sie bitte noch ein wenig.

11.06. 2022 US-Inflation erreicht 8,6 Prozent. Wenige Staaten des Westens haben derzeit eine höhere Inflation als Deutschland (7,9 Prozent im Mai) auf Jahresbasis. Die USA gehören dazu. Preistreiber sind vor allem die enorm anziehenden Preise für Rohöl und in der Folge für Kraftstoff. Nun haben die USA als erstes Land den Import von russischem Erdöl gestoppt, wohl wissend, dass sie relativ wenig davon verwenden. Aber die Weltwirtschaft ist miteinander verwoben, wie dieses Beispiel zeigt:

Während die Vereinigten Staaten nie nennenswerte Mengen an Öl aus Russland importiert haben, wird der Rohstoff auf den Weltmärkten gehandelt, und Europa war stark von russischen Exporten abhängig. Die jüngste Entscheidung der EU, den Transport von Öl mit Tankern aus Russland zu verbieten, ließ die Ölpreise auf diesen globalen Märkten in die Höhe schnellen.[10]

Wie in Deutschland steigen aber auch die Lebensmittelpreise überdurchschnittlich stark an, in beiden Ländern liegt die jährliche Steigerung derzeit über 10 Prozent, und das trifft vor allem ärmere Haushalte.[11] Im ersten der beiden Artikel kommt aber auch zum Ausdruck, dass die Amerikaner wohl lieber hungern als auf das Autofahren verzichten würden. In den Städten wäre das ein Witz, aber wer die Weiten dieses Landes kennt und wie sehr dort das Leben on Wheels eine essentielle Bedeutung hat, der kann auch die Angstwut verstehen, die in einer Bevölkerung herrscht, in der sehr viele Menschen so gut wie keine Reserven haben, um Lagen wie diese auszusitzen. Der Reichtum an der Spitze des Landes und das damit verbundene hohe BIP pro Kopf verdeckt nach außen die Tatsache, dass viele mehr oder weniger von der Hand in den Mund leben und tatsächlich aufs Auto angewiesen sind. Ob man trotzdem sogenannte Minitrucks fahren muss, die noch einmal um 50 Prozent größer sind als die hier üblichen SUVs und die sich in immer höherem Tempo zu wahren PS-Monstern entwickeln, ist eine andere Frage. Der Lifestyle gründet sich auf der Fähigkeit, irgendwie konsumieren zu können, auch wenn es nicht exakt dieselben Güter sind wie bei uns, die einen mittelständischen Status suggerieren, welcher für viele immer schwieriger aufrechtzuerhalten ist.

Derweil versuchen die Republikaner, die aktuelle Regierung für die Preissteigerungen verantwortlich zu machen und politisch Kapital aus einer Entwicklung zu schlagen, die keinen Deut anders ausfallen würde, wenn sie den Präsidenten stellen würden.

Zur Inflation siehe auch diese Beiträge von uns aus den letzten Tagen:

UPDATE: EZB plant erste Leitzinserhöhung seit 2011 +++ Anleihekaufprogramm wird beendet (Statistik, Kommentar, Erklärquelle) | Frontpage | Wirtschaft | EZB, Leitzins – DER WAHLBERLINER

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Stimmung der Verbraucher bleibt angespannt | Frontpage | Wirtschaft | Statista, Konsumbarometer – DER WAHLBERLINER

„Sie verdienen am Hunger“ (Foodwatch) | Frontpage | Wirtschaft | Spekulation – DER WAHLBERLINER

11.06.2022 Fußball: Einstehen gegen Rassismus, auch wenn es unangenehm wird? Für großen Unmut sorgt derzeit die Tatsache, dass der DFB vor dem Nations-League-Spiel gegen Ungarn, anders als zuletzt gegen England im München, nicht gegen Rassismus auf die Knie gehen wird, so scheint es jedenfalls im Moment. Das Stadion von Budapest, in dem das Spiel ausgetragen werden soll, ist bekannt als rassistischer und homophober Hexenkessel.

Die Engländer haben sich dort selbst von Schulkindern ein Pfeifkonzert abgeholt, als sie die Geste bei ihrem Nations-League-Spiel wagten. Ungarn ist ein EU-Land, das muss uns immer bewusst sein. Wir haben spätestens seit dem Beitritt der „Konversionsstaaten“ jedoch keine Union, die auf Werten basiert (die Werteunion ist etwas anderes) und jeder kann nur persönlich tun, was er tun kann. Das wäre zum Beispiel im Falle der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, heute Abend Mut zu zeigen und gegen Rassismus die mittlerweile weltbekannte Geste.[12]

11.06.2022 Deutschland: SPD-Chefin droht mit dem Energiesicherungsgesetz von 1975, das nach der allerersten Ölkrise beschlossen worden war. Tempolimit, Sonntagsfahrverbote? Wir finden sowieso, morgen sollte man in Berlin nicht Autofahren, morgen gehört die Stadt den Radfahrer:innen, die ihre jährliche Sternfahrt machen. Schade, dass wir im Moment etwas gehandicapt sind, sonst wären wir dieses Mal dabei.[13]

Die Politik beschwert sich, dass die Ölkonzerne die aktuellen Steuerleichterungen nicht vollständig an die Benzinkunden weitergeben. Wir haben uns von Beginn an skeptisch zum Tankrabatt geäußert, vor allem, weil er keine positive Steuerungsfunktion hat und nicht nachhaltig ist. Das wäre die Gelegenheit, um endlich ein generelles Tempolimit von 130 auf Autobahnen und 30 in Innenstädten einzuführen. Vielleicht wird dann wenigstens in Berlin 50 gefahren.

11.06.2022 Ukrainekrieg: Es fehlt an Nachschub. Der mittlerweile durch den Ukrainekrieg ziemlich bekannt gewordene Militärexperte Gustav Gressel, der keine Gelegenheit auslässt, die deutsche Regierung zu mehr Waffenexporten an die Ukraine aufzufordern, schildert, dass es, wie sollte es anders sein, vor allem ein Mangel an Nachschub und Waffen ist, der die Ukraine in eine immer schwierigere Lage bringt.[14] Wir meinen: Wenn man Waffen zusagt, sollte man sich mit dem Liefern auch etwas beeilen und nicht hoffen, dass sich das Problem auf die eine oder andere Weise von selbst erledigt. Deutschland steht, wenn man alles, was hierzulande geleistet wird, inklusive dem Preisdruck auf die Bevölkerung, nicht so schlecht da, die Solidarität mit der Ukraine betreffend, wie einige es unter Verwendung einer isolierten Betrachtungsweise gerne darstellen, aber wenn man etwas zusagt, muss man es auch bereit und in der Lage sein, es so zu liefern, dass es noch sinnvoll eingesetzt werden kann. Der Krieg wird viel blutiger werden und viel länger dauern, wenn die Ukraine erst eine Wende erzwingen kann, wenn die russischen Truppen vor Kiew stehen.

11.06.2022 Ukraine II. EU-Beitritt als Motivationsmittel für die Bevölkerung? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist überraschend nach Kiew geflogen um die maßgeblichen Politiker zu treffen, insbesondere Wolodymir Selenskyi. Welche Bedingungen für einen Beitritt soll es geben und wie schnell soll es gehen? Die Bedingungen aufzuweichen, die an Rechtsstaatlichkeit, an Grundzüge der Demokratie und der Korruptionsarmut gestellt werden, aufzuweichen, halten wir nicht für eine gute Idee, trotz des Krieges. Vielmehr ist die ukrainische Regierung gefordert, Reformen vorzunehmen, die einen EU-Beitritt auch in normalen Zeiten ermöglicht hätte. Dann muss es eben ein wenig schneller gehen mit den Reformen, wie eben alles im Moment schneller gehen muss, als wir es aus vielen ruhigen Jahren gewöhnt sind. Eine Garantie für irgendetwas sind sie sowieso nicht.

Wer wagt, es als sicher darzustellen, dass die Ukraine nicht, wenn sie in der EU ist, sich wieder rückwärts entwickelt? Das tun ja alle Demokratien mehr oder weniger seit Jahren und von unterschiedlichen Ausgangspositionen aus. Die Beispiele Polen und Ungarn zeigen, dass im Grunde manche Länder die EU wieder verlassen müssten, wenn man ernsthaft hohe Maßstäbe an die demokratische Verfasstheit anlegen wollte. Den rechten Regierungen dieser Länder damit auch nur zu drohen, geht aber aus geostrategischen Gründen überhaupt nicht.

Was noch fehlen würde, wäre, wenn auch die Türkei von Freund Erdogan mitmachen dürfte. Dann kann sich die EU endgültig von dem Narrativ verabschieden, sie sei (auch) eine werteorientierte Gemeinschaft. Auch die Beitritte weiterer Balkanländer lassen nichts Gutes ahnen, man denke an Serbien und die Republik Kosovo. Das eine Land hat das andere nicht einmal als unabhängigen Staat anerkannt. Ähnlich sieht es mit Nordmazedonien aus, dessen Beitritt von Bulgarien überhaupt nicht gewünscht wird. Kanzler Scholz ist diesbezüglich gerade in Vermittlungsmission unterwegs.[15] Da sieht man, dass der Kanzler sich nicht nur um Waffenlieferungen zu kümmern hat. Das ist nämlich Sache des Wirtschaftsministeriums und des Verteidigungsministeriums. Da darf sich auch der erklärungssichere und den kriegserprobten Grünen angehörende Herr Habeck gerne als Manager beweisen.

Bisher hat es noch keinen Krieg zwischen EU-Ländern oder zwischen NATO-Ländern gegeben, aber auch das ist nicht für alle Zeiten festgeschrieben, wie man am Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland in der Ägäis sieht. Vielleicht ist es die gemeinsame Mitgliedschaft in der NATO, die bisher einen Kriegsausbruch im Südosten Europas verhindert hat.

TH

07.06.2022 Ukrainekrieg: Die Sicht des europäischen Ostens, des Westens und derer, die schauen müssen, wie sie klarkommen und vernünftig handeln.

Heute Nacht gab es heftige Kämpfe in einer Stadt im Osten der Ukraine, der Krieg hört nicht auf, das sogenannte Schlachtenglück wogt hin und her. Es versteht sich von selbst, dass hierzulande täglich neue Analysen geschrieben werden. Eine davon beschäftigt sich speziell mit der Sicht der osteuropäischen Staaten, aus deren Sicht wiederum Deutschland zu wenig zu Unterstützung der Ukraine tut.[16]

Zunächst einmal: tut Deutschland wirklich zu wenig und gibt es dadurch ein Ende der deutschen Führung in Europa?

Das ist die Einleitung, aber natürlich stimmt das so nicht. Leider ist die letzte Information, welches Land wie viel in bestimmten Bereichen tut, vom 10.05.2022. Ich habe aber kürzlich schon darauf hingewiesen, dass allein die humanitäre Hilfe, die Deutschland leistet, die Gesamthilfe der meisten anderen Länder übersteigen dürfte. Dazu gibt es natürlich auch Hintergedanken, auf die kommen wir noch zu sprechen.

Außerdem schrieb ich kürzlich, noch kein Land habe Panzer an die Ukraine geliefert; vielleicht sollte ich konkretisieren, noch kein westliches Land. Ob Polen tatsächlich schon hunderte von Panzern geliefert haben kann, wage ich zur bezweifeln, weil der Ringtausch nicht so schnell gehen kann, dass dadurch nicht dessen eigene Verteidigungsfähigkeit gefährdet würde. Polen hat auch die meisten Geflüchteten aufgenommen. Es heißt in der Analyse, dafür habe Polen sozusagen eigens seine Einstellung gegenüber Geflüchteten, oder, besser, gegenüber Fremden, geändert.

Ja, genau das ist ein vortreffliches Beispiel, um bestimmte Narrative zu analysieren. Es ist z. B. auffällig, und das wird in der Analyse auch erwähnt dass Ungarn aus dieser anti-russischen osteuropäischen Einheitsfront ausgeschert ist. Das wird damit begründet, dass es gewisse ideologische Nähe zwischen dem Putin-Regime und dem von Viktor Orban in Ungarn gibt.

Das allein ist nicht der Schlüssel, denn genau das trifft auf die polnische Regierung auch zu. Auch sie macht der EU ständig Stress mit der Idee, mehr autoritäre und nicht rechtsstaatliche Strukturen zu etablieren. Eine große Nähe zur Ukraine hingegen besteht traditionell, und man darf dabei nicht vergessen, dass beide Regierungen rechts gerichtet sind. Es gibt aber auch noch ein ganz schlagkräftiges Argument, dass überhaupt nicht in der Analyse vorkommt. Polen hat in den letzten Jahrzehnten eine schrumpfende Bevölkerung zu verzeichnen gehabt, unter anderem sind, wie wir ja hier in Berlin gut wissen, viele Arbeitskräfte nach Deutschland ausgewandert oder pendeln nach Deutschland. Schon vor dem Krieg wurden diese in Teilen durch ukrainische Arbeitskräfte ersetzt. Jetzt zieht Polen die einmalige Chance, seine Bevölkerung wieder aufzufüllen.

In einem bestimmten Clustern linker PolitikerInnen trifft das wiederum auf die These, das unbegrenzte Arbeitsmigration schädlich ist, weil die reicheren Länder immer das Potenzial aus ärmeren Ländern abziehen.

So kann man es deuten, was Deutschland und Polen angeht, so ist es aber in der anderen Richtung auch, was Polen und die Ukraine angeht. Man darf nicht vergessen, dass die Ukraine eines der ärmsten Länder Europas ist. Da Pol:innen und Ukrainer:innen sich mental näher stehen als viele andere Völker in Europa, ist eine Ansiedlung relativ unproblematisch, während sich Polen noch immer gegen jede Zuwanderung von außerhalb der EU sperrt. Das ist ein ganz utilitaristisches und zudem der Selbstähnlichkeit verpflichtetes Denken. Ich finde es nicht sehr sinnvoll, diese Hintergründe zu verschweigen. Wir erinnern uns auch daran, dass die dortige Regierung gerne in der EU mehr Einfluss hätte unter Verwendung des Arguments, dass Polen viel mehr Einwohner hätte, wenn die Deutschen im Zweiten Weltkrieg nicht so viele Pol:innen getötet hätten und wollte sogar bestimmte Ansprüche aus dieser hypothetisch höheren Zahl ableiten. Die Polen haben also sehr wohl im Blick, das Bevölkerung auch Macht bedeutet. Z. B. bestimmt ihre Größe, wenn auch n nicht im Maßstab 1:1, darüber, wie viele Abgeordnete ein Land ins EU-Parlament entsendet.

Wenn man es zusammenfassen will, kann man auch schreiben, dass der große Zugang aus der Ukraine für das überalterte Polen eine Frischzellenkur darstellt?

Diese Art von Bevölkerungspolitik kennt man in Deutschland auch, und eines sollten wir im Blick behalten: wenn es noch ein paar Wochen so weitergeht, werden wir im Jahr 2022 so viele Menschen aus der Ukraine hier aufgenommen haben wie im berühmten Herbst 2015 aus dem Nahen Osten. Die meisten der Ukraine-Kriegsgeflüchteten werden sich nach meiner Ansicht relativ gut hier zurechtfinden. Die Mehrheit wird vermutlich bleiben und nicht in die zerstörten Gebiete der Ukraine zurückkehren, vor allem die Frauen, die ihre Männer verloren haben, oder deren Besitz zerstört wurde, deren Männer jedoch nach dem Krieg nachkommen könnten. Für Männer gilt, soweit mir bekannt ist, immer noch, dass sie im Alter zwischen 18 und 60 Jahren nicht ausreisen dürfen.

Kommen wir zu den baltischen Staaten, was ist mit Ihnen, haben sie zurecht Angst?

Den Teil der Analyse finde ich so insofern richtig, als die baltischen Staaten schon lange vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine Sorge hatten, dass das Putin-Regime immer aggressiver werden könnte. Auch, dass man die russisch sprechende Bevölkerung dort gegen die Regierungen aufhetzen könnte, das haben wir schon einmal angesprochen. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied zur Ukraine. Alle diese Länder haben sich geradezu mustergültig in die EU integriert, gehören zu den stärksten unter den neuen EU-Ländern, der Lebensstandard dort ist höher als in der Ukraine und auch höher als in Russland. Die russisch sprechenden Menschen in den baltischen Staaten werden sich überlegen, ob sie das aufs Spiel setzen. Die baltischen Staaten sind auch nie dadurch aufgefallen, dass sie ihre eigenen Demokratien rückwärts entwickeln, wie das in Polen und in Ungarn der Fall ist. Ich glaube deshalb auch, dass die Sorge unberechtigt ist, dass die NATO diese Länder als nicht für wert erachten könnte, sie tatsächlich gemäß Artikel 5 des Nordatlantikverstrages zu verteidigen. Für berechtigt halte ich allerdings die Sorge darüber, dass diese Länder wissen, dass sie relativ klein sind und schnell zu überrennen wären, dass die NATO sie also quasi erst einmal zurückerobern müsste, wenn Russland ernsthaft dort zum Krieg ansetzen würde. Das ist ein Faktor den man nicht außer Acht lassen darf. Ob sich Freund Putin nun dadurch provoziert fühlt oder nicht, es ist richtig, dass die NATO im Nordosten stärkere Militärpräsenz zeigt. Das ist keine historische Betrachtung, sondern ganz auf die aktuelle Lage bezogen.

Also, es geht um die Schachzüge von heute, nicht um die Versäumnisse von gestern oder vorgestern, zum Beispiel Russland gegenüber. Die USA, heißt es auch in der Analyse, haben da ein anderes Selbstverständnis als globale Ordnungsmacht.

Ja, ich zitiere: „Während die USA in den vergangenen Jahrzehnten weltweit dafür die militärischen und diplomatischen Strukturen geschaffen haben, wollen die Briten auch nach dem Brexit ihren Einfluss auf dem europäischen Festland bewahren“, sagt der interviewte Experte. Es geht dabei um die Akteure die die liberale Weltordnung bewahren wollen.

Ist diese Beschreibung so richtig?

Mir wäre es ganz neu, dass Deutschland und Frankreich keine Interessen in dieser Sache hätten oder ganz andere, wie quasi behauptet wird. Die neoliberalkapitalistische Weltordnung wird von ihnen genauso verteidigt, das geht aber nicht ohne die USA. Jeder wie er kann, und Deutschland gemäß den Problemen, die aus seiner Geschichte herrühren. Ein eigenständiger Imperialismus der sich als wertebasiert ausgibt, den nimmt Deutschland niemand ab, und das ist auch gut so. Also versteckt man sich hinter den USA, was in Fall von Kanzler Olaf Scholz bedeutet, dass er immer nur genau so weit geht, wie er es mit Joe Biden absprechen kann und wie Biden auch geht oder gehen würde, wenn er in der hiesigen Position wäre.

Ganz typisch ist aber wieder dieser komplett unkritische Ansatz gegenüber der sogenannten liberalen Weltordnung, die ich deswegen auch etwas mehr in diesen Begriff mit „neo“ hinein eingegrenzt habe. Hätte der Westen sich nicht über Jahrzehnte hinweg bei fast jedem Auslandseinsatz blamiert oder moralisch selbst diskreditiert, sich wirtschaftlich nicht durch seine Überdehnungen des Finanzkapitalismus geschwächt, wäre das in der Ukraine jetzt vielleicht alles nicht geschehen. Neben der Tatsache, dass man auch Russland zu sehr unter imperialistischen Gesichtspunkten betrachtet hat, verlietete diese Serie von Pleiten Putin zu der Einschätzung, dass der Westen nun auch nicht einig genug und stark sei, um die Ukraine so massiv zu unterstützen, dass sie im Kampf bestehen kann.

Von moralischer Überlegenheit ebenso wenig eine Spur wie von Einigkeit?

Ob es nun Donald Trump war, der diesem idealisierten Bild am meisten geschadet hat, oder ob vorher schon über Jahrzehnte hinweg die falschen Zeichen gesetzt wurden, im Irak, in Syrien, in Libyen, in Afghanistan, und wo immer es galt, eine Region zu destabilisieren, anstatt sie vorgeblich demokratisieren zu wollen: Die Ukraine plötzlich unter ganz anderen Vorzeichen zu betrachten als all diese Länder, das wird, wenn es wieder etwas ruhiger geworden ist, aufgearbeitet werden müssen.

Von wem,  angesichts mehrerer Parteien, die in dieser Sache so ähnlich ticken?

Da erwarten wir uns von linken Politiker:innen unter äquidistanten und realistischen Vorzeichen weit mehr, als sie bisher leisten können, weil sie sich ständig in Widersprüche verstricken.

Stimmt die schlussendliche Analyse, dass man in Deutschland darauf abstellt, Russland nicht zu demütigen, weil man es noch braucht?

Grundsätzlich wird kein Land „nicht gebraucht“, so etwas, auch im Umkehrschluss, zu suggerieren, das ist imperialistisch-überhebliches Denken. Davon auszugehen, Länder seien obsolet, ist sehr entlarvend. Bis auf einige parasitäre Steuer-„Oasen“ vielleicht. Da würde ich Ausnahmen zulassen. Das Argument, das zu lesen ist, mit der strukturellen Abhängigkeit von Russland, läuft ja eigentlich dem danach vorgebrachten Klimaschutzargument zuwider. Das sehen wir an den aufgeregten Diskussionen über die Energieversorgung und strategische Fehler bei der Ausrichtung derselben. Je geringer die strukturelle Abhängigkeit, desto unabhängiger ist das eigene Klimawandel-Management hierzulande auch.

Ob man unter „brauchen“ in Wirklichkeit verstehen sollte, dass man Russland zu einem bestimmten Verhalten drängen will?

Das geht aus dem Text nicht hervor, aber ich wäre da zurückhaltend. Russland wird weiterhin vor allem fossile Rohstoffe verkaufen, mit allen Vorteilen und Nachteilen, die das ökologisch und ökonomisch bedeutet. Es gibt aber einen weiteren Grund, der hier, nach meiner Ansicht vielleicht auch wissentlich, nicht genannt wird. Es geht darum, wie dieses große Land im Systemkonflikt zwischen dem Westen und China aufgestellt sein wird. Je mehr man jetzt Russland zusammenfalten möchte, desto mehr treibt man es in die Arme des werten Herrn Xi Jinping. Das würde ich trotz all des berechtigten Entsetzens über den russischen Angriffskrieg nicht außer Acht lassen wollen.

Die frühere deutsche Regierung hat diesen Systemkampf gegen China komplett versemmelt, sich von der Wirtschaft am Nasenring durch die Manege führen lassen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass gerade der kriegstreibende Teil der Ampel in der Hinsicht sogar realistischer ist, und damit auch vielleicht mal etwas Gutes für die strategische Aufstellung des Landes tut. Leider ist genau dieser Teil aber auch rhetorisch zu sehr auf Kriegseskalation im Fall Ukraine gepolt. Geostrategisch und wirtschaftlich wäre es jedenfalls dringend geboten, diese  gigantische Auseinandersetzung im Blick zu behalten. Auf die osteuropäischen Länder können wir uns dabei wiederum nicht verlassen, sondern eher auf Länder wie Frankreich. Nicht, weil wir einander tatsächlich so sehr ähnlich sind, sondern, weil Frankreich immer schon eine strategischere Wirtschaftspolitik betrieben hat, auch Deutschland gegenüber, man weiß dort also eher, wie es funktioniert. Jetzt muss Frankreich nur noch überzeugt werden, dass es in Europa nur gleichberechtigt gemeinsam geht.

Und Osteuropa ist dabei nicht im „Inner Circle“?

Das war es in weiten Teilen nie, die EU wurde zu schnell erweitert, das ist keine neue Ansicht von mir. In Osteuropa liebäugeln einige, auch der Freund Orban, sehr damit, die EU an der Nase herumzuführen, indem sie mit der chinesischen Karte winken. Wenn diese wirklich zum Einsatz kommt, dann wird das auch die EU weiter auseinandertreiben. Es gibt also aus deutscher Sicht  genug Gründe, nicht jedem Wunsch von Ländern wie Polen einerseits oder Ungarn andererseits zu folgen, sondern sich eine gesunde Distanz zu bewahren und einen kerneuropäischen Weg zu verfolgen. Dass Polen aus historischen Gründen berechtigterweise sowohl antideutsch als auch antirussisch sind, lässt sich gut nachvollziehen, aber es darf nicht das aktuelle geostrategische Handeln In Deutschland bestimmen.

Sondern?

Es muss so ausgerichtet sein, dass die Demokratien tatsächlich gewinnen, auch von innen heraus, indem sie nicht ökonomischen Druck gegen die eigene Bevölkerung erzeugen, den die Regierungen dann wieder verwenden, um Bürgerrechte abzubauen, es muss darauf zielen, die Demorkatie nicht weiter beschädigen durch Unglaubwürdigkeit nach innen und durch chaotische und destruktive Außenpolitik. Es geht um die Ausstrahlung der Freiheit, die erhalten werden muss, und um einen friedlichen Wettbewerb der Systeme.

Also im Rahmen der imperialen Ordnung und mit Soft Power statt diesen hässlichen russischen Panzern?

Mir wäre eine gleichgeordnete, multipolare Welt am liebsten, die uns alle ruhig schlafen lassen würde, aber das ist überhaupt nicht abzusehen. Es ist Regierungen mächtiger Staaten leider eigen, den Nationalismus zu schüren, sich für überlegen zu halten und ihr System gleich mit. Der Westen ist zwar dringend reformbedürtig, aber am Ende des Tages ziehe ich eine Verfasstheit, die ein Mitwirken der Zivilgesellschaft zumindest generell noch erlaubt, einer solchen vor, bei der Veränderung nur dann erfolgt, wenn das System implodiert, wie die Sowjetunion, oder explodiert, wie Dritte Reich der Nazis, und dabei zig Millionen von Toten die Folge sind. Daher ist es wichtig, das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker jetzt mit der Ukraine zu verteidigen, aber die langfristigen Folgen muss man im Blick behalten und auf einen vernünftigen Ausgleich hinwirken.

Was ist ein vernünftiger Ausgleich?

Kein Diktatfrieden à la Putin jedenfalls, keine Vernichtung der Ukraine, aber vermutlich auch kein Stand von vor 2014, als Russland die Krim annektiert hat. Einen wirklichen Ausgleich erreichen wir  auch nicht dadurch, dass wir die eigene Wirtshaft ruinieren, nur, weil einige Regierungen in Osteuropa es gerne so hätten. Deren Ökonomien können die deutsche nicht ersetzen, wenn es darum geht, die EU einigermaßen am Ball zu halten. Das ist jetzt schon schwierig genug, nach den Erschütterungen, welche die Bankenkrise und Corona hervorgerufen haben, angesichts der Tatsache, dass aus Asien jetzt schon Druck auf die zu sehr von dort abhängigen Lieferketten ausgeübt wird, angesichts der Rohstoffprobleme, der Getreidekrise etc., aber jede weitere Schwächung hilft nur Putin und vor allem China.

Ich beneide die deutsche Regierung nicht. Je klüger sie handelt, desto schwerer lässt sich das angesichts der großen Simplifizierer verkaufen, die nur auf Schlagzeilen aus sind oder nach alter Gewohnheit Sündenböcke suchen. Wir brauchen nach diesem Krieg eine Ordnung, die endlich Sicherheit aus Friedfertigkeit und Interessenausgleich heraus bietet, und nicht, weil jeder Angst vor dem Waffenpotenzial der anderen hat. Wir waren da nach der Auflösung der Blöcke des Kalten Krieges schon so viel weiter, aber es wurde mutwillig fast alles kaputtgemacht. Federführend vom Westen, wo man glaubte, man habe den Endsieg schon in der Tasche und könne die ganze übrige Welt nach schlechter alter Gewohnheit kolonialistisch betrachten und behandeln.

TH

07.06.2022: Verbraucherstimmung in Deutschland (bleibt) im Keller[17]  

02.06.2022 Affenpocken und Corona: Siehe unseren aktuellen Report von heute.

02.06.2022 Deutschlandtrend der ARD: Sonntagsfrage, Ukraine, Russland

Heute hat die ARD ihren neuen Deutschlandtrend herausgegeben. Die SPD verliert deutlich an Zuspruch, die Grünen steigen ebenso deutlich und haben den größeren Koalitionspartner nun eingeholt. Die Union „setzt sich ab“ und gewinnt ebenfalls ein Prozent hinzu.

ARD-DeutschlandTrend: Fast jeder Zweite muss sich einschränken | tagesschau.de

21 Prozent für die SPD und die Grünen, 27 Prozent für die Union. Die guten Ergebnisse bei den letzten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW sowie Friedrich Merz‘ Kalkül, die Regierung in der Ukrainefrage vor sich herzutreiben, obwohl noch kein anderes Land Panzer oder gar Kampfflugzeuge in die Ukraine geliefert hat, scheint deutliche Wirkung auf den Bundestrend auszuüben. Kanzler Scholz wird wohl eher in einem Vierjahreszeitraum denken und man kann froh sein, dass er derzeit Verantwortung vor Rhetorik stellt, aber uns würde die Außenwahrnehmung interessieren: Glaubt man in anderen Ländern wirklich, Deutschland tue für die Ukraine wenig? Abgesehen von den USA mit ihren anderen Möglichkeiten und ihren erheblichen geostrategischen Interessen ist das nämlich nicht so.

Allenfalls die Liefergeschwindigkeit ist typisch deutsch, nämlich bescheiden. Dabei ist das, was man hinter all dem Sperrfeuer der Politik sieht, doch ziemlich klar: Deutschland will nun in dem Moment moderne Flugabwehrsysteme liefern, in dem die USA vorangegangen sind. Das ist wohl das abgestimmte Handeln, das Olaf Scholz betont, anstatt, wie die Außenministerin, einen Sieg der Ukraine als Kriegsergebnis verbal klar festzulegen und daran gemessen zu werden, wenn es am Ende doch darauf hinausläuft, dass Russland einen Teil der eroberten Gebiete behalten wird. Aber das Geschwätz von heute, das sich von dem von gestern stark unterscheiden mag, ist in dieser Medienlandschaft allemal mehr gefragt als eine Position, die versucht, seriös zu wirken. Wir bevorzugen die seriöse Kommunikation, aber wir wissen auch, wie Menschen, wie Wähler:innen gestrickt sind. Die Ankündigungsrhetoriker werden als die stärkeren Kommunikator:innen wahrgenommen werden.

Das mag bei politischen Forderungen auf vielen Gebieten einen Grund haben: Aktivist:in sein zum Beispiel erfordert eine fordernde Haltung und einen Auftritt, der Aufmerksamkeit erzeugen sollte. Für die deutsche Außenpolitik in Kriegszeiten ist die Gefahr groß, sich mit zu viel Kampfeslust lächerlich zu machen und Wladimir Putin mehr Genugtuung zukommen zu lassen, als er verdient hat, wenn es doch auf einen Teilerfolg für ihn in der Ukraine hinauslaufen sollte. Welchen Preis Russland und auch der Westen durch die Sanktionen dafür zu zahlen haben? Das wird hierzulande vor allem dann ein Thema sein, wenn es bei uns schlecht läuft und wir die Nachwirkungen noch jahrelang spüren werden. Es wird ein Thema sein, wenn in Russland hübsch inszenierte und propagandistisch bestens unterlegte Siegesparaden den Menschen ihre Entbehrungen versüßen sollen, während Deutschland und die NATO ja offiziell keine Kriegsparteien sind.

Sicherlich kann sich das Kriegsblatt wieder wenden und es ist nach unserer Ansicht nach wie vor an der Ukraine, ihre Kriegsziele selbst zu definieren. Doch es sind die Ziele der Ukraine, bei deren Errichtung kann man ihr helfen. Doch wir haben uns hierzulande davon fernzuhalten, zu tun, als seien sie die unsrigen. Das gilt für den Westen insgesamt. Der Westen muss auch mit der Option leben können, dass die russischen Truppen nicht komplett auf den Stand vom 23.02. zurückgedrängt werden können und dass die Krim nicht zur Ukraine zurückkehren wird. Schließlich hat der Westen Letzteres bereits acht Jahre lang akzeptiert und auch dem Kampf im Donbass vor dem russischen Einmarsch eher zugeschaut, wenn man von ein paar der üblichen nicht so an die große Glocke gehängten Hilfen absieht, die es für die Ukraine vor allem seitens der USA schon länger gibt.

Bezüglich der Lieferung schwerer Waffen sind die Befragten in Deutschland gespalten und es gibt dabei, wie zu erwarten, Unterschiede je nach politischer und regionaler Zugehörigkeit:

Der deutsche Kurs im Umgang mit diesem Krieg wird in der Bevölkerung sehr unterschiedlich bewertet. Jeder Zweite (50 Prozent) vertritt die Haltung, Deutschland solle dabei entschlossen agieren und Härte gegenüber Russland zeigen. 43 Prozent indes sagen, die Bundesregierung sollte eher zurückhaltend sein, um Russland nicht zu provozieren. Während die Mehrheit der Anhänger von Grünen (74 Prozent), FDP (60 Prozent) und Union (59 Prozent) ein entschlossenes Auftreten Deutschlands unterstützen und in den AfD-Reihen ein zurückhaltendes Agieren (71 Prozent) favorisiert wird, sind die Anhänger der SPD in dieser Frage gespalten.

Darüber hinaus bestehen massive Unterschiede zwischen West und Ost. 53 Prozent der Westdeutschen halten ein entschlossenes Handeln und Härte gegenüber Russland für angebracht, im Osten sagen das jedoch lediglich 35 Prozent. Für Zurückhaltung hingegen plädieren im Westen 40 Prozent, unter Ostdeutschen sind es 58 Prozent. Die bestehende Unterstützung der Ukraine mit Waffen halten vier von zehn Befragten (42 Prozent) für angemessen (+7 im Vgl. zu Ende April). 29 Prozent geht sie nicht weit genug (-2), knapp jedem Vierten (23 Prozent) geht sie zu weit (-4). Hierbei ist wichtig zu wissen: Am Mittwoch, dem letzten Tag der Befragung, hatte die Bundesregierung weitere Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt, darunter unter anderem ein modernes Flugabwehrsystem.

Die deutschen Sanktionsmaßnahmen gegen Russland halten derzeit 37 Prozent für angemessen (+3). Einer relativen Mehrheit von 41 Prozent gehen sie nicht weit genug (-4). Für 15 Prozent gehen sie zu weit (+1). Die diplomatischen Anstrengungen Deutschlands zur Beilegung des Krieges halten 43 Prozent für angemessen (+2); fast ebenso vielen Befragten gehen sie allerdings nicht weit genug (-1). Für 8 Prozent gehen sie zu weit (+2).

Es geht nichts oder nur wenig über Sozialisierung. So ist vollkommen klar, dass die Skepsis im Osten stärker ausgeprägt ist, wo die Erzählung vom Brudervolk der Russen ebenso stark verankert ist wie im Westen die jahrzehntelange Verankerung im gegnerischen Block. So gesehen, hätten die Unterschiede sogar noch stärker ausfallen können, denn solche Haltungen enden nicht plötzlich mit einer Wende, sondern werden tradiert. Mehr, als vielen bewusst ist. Es geht in der aktuellen Konfrontation wieder um eine Erzählung und damit um die eigene Biografie. Für die Ostdeutschen ist die gegenwärtige Lage deshalb nach unserer Ansicht eine stärkere Belastung als für uns Westler, die noch die früheren Narrative der Blockgegnerschaft aus der Mottenkiste holen und aufpolieren können.

Dass besonders die einst so fancy friedensbewegten Grünen ganz vorne dabei sind, wenn es darum geht, so zu tun, als würde man nun am liebsten olivgrün gesprenkelt tragen und an die Front gehen, lässt allerdings tief, sehr tief blicken. Die Substanzlosigkeit und mangelnde Hinterlegung der politischen Ansichten dieses Clusters, die uns nicht erst durch den Ukrainekrieg aufgefallen ist, erreicht neue Höhen oder eher Tiefen. Die meisten Grünen-Anhänger haben nie „gedient“, also keinerlei Ahnung davon, wie es sein könnte, wirklich in den Krieg ziehen zu müssen, sie sind nie auf die Gefahren trainiert worden, die damit verbunden sind und selbstverständlich war keiner von ihnen dabei, als die Bundeswehr in den letzten Jahren in Auslandseinsätze geschickt wurde. Afghanistan ist längst vergessen, die fragwürdige Beteiligung am Kosovo-Krieg von 1999, der nur durch eine grüne Wende möglich war, sowieso. Ach Gott, ist das lange her.

Das merkt man der Bedenkenlosigkeit, mit der sie auf Kriegskurs gehen, eindeutig an. Vielleicht wäre eine Art Gegenkurs zum Besuch vom Hofreiter Toni, dem obersten Kriegstreiber bei den Grünen, wären ein paar Wochen Echteinsatz im Donbass, eine gute Maßnahme, um deren Mütchen etwas zu kühlen.

Aber dass Frontrhetorik seitens grüner Spitzenpolitiker:innen in diesem politisch wenig elaborierten  Spektrum gut ankommt, versteht sich anhand der Umfragen von selbst. Wir wünschen normalerweise niemandem, dass es ihm mal so richtig dreckig geht, ökonomisch oder gar Leib und Leben betreffend, aber bei diesen Umfragewerten sind wir beinahe am Ende der Contenance angelangt. Das hat nichts mit Ängstlichkeit zu tun, wir erwarten zum Beispiel keine atomare Eskalation, zumal diese nur von Russland ausgehen könnte. Der Westen wird Kriegsziele sicher nicht auf diese Weise durchsetzen und Russland ist gemäß eigener Doktrin nicht aufgerufen zu einem Atomschlag, wenn seine Truppen auf fremdem Territorium vorstoßen – aber etwas mehr Maß halten im grünen Spektrum wäre wirklich eine gute Idee, denn täglich sterben Menschen in diesem Krieg auf eine grausame Weise.

Was sich anhand der Umfragen wieder zeigt: Strukturell und mental passen die Grünen wirklich gut zu FDP und Union – und sie sind weit überwiegend im Westen zuhause, wo generell eine härtere Haltung bevorzugt wird.

Aber glaubt jemand ernsthaft, die Union, wäre sie unter Kanzlerin Merkel an der Regierung, würde deutlich anders handeln als jetzt Kanzler Scholz? Nein, das würde sie nicht, Frau Merkel würde ebenso bedacht sprechen wie Scholz und vor allem nie über das hinausgehen, was andere Länder für die Ukraine tun. Heute hat sie sich erstmals zum Ukraine-Krieg geäußert und das Erwartbare gesagt, ohne der Regierung wohlfeile Tipps zu geben oder gar Kriegsziele zu benennen. Soweit man hört, telefoniert der aktuelle Kanzler ohnehin mit seiner erfahrenen Vorgängerin, um die Lage zu besprechen.

Und wie ist unsere Haltung? Ja. Der Ukraine muss geholfen werden, sofern sie selbst noch Chancen sieht, den Krieg in ihrem Sinne zu gestalten. Für die Opfer in diesem Kampf muss dann deren Regierung geradestehen, wenn sie umsont gewesen sein sollten. Aber, Deutschland betreffend, im Verbund mit den anderen NATO-Ländern, aus guter neuerer Tradition nicht vorneweg, angesichts der deutschen Geschichte, und nicht die Rhetorik von Johnson, Baerbock, Merz & Co. übernehmen, sondern schön scholzig bleiben. Das gilt auch für Scholz selbst. Der Kampf um die Ukraine ist kein deutscher Krieg und niemals ein deutscher Sieg.

TH

26.05.2022, Briefing-Timeline 10 (hier zu Nr. 9 vom 25.05.2022)

Finnland und Schweden in der NATO

Kürzlich hat eine im Auftrag von Welt-TV erstellte Umfrage von Civey ergeben, dass fast 70 Prozent der Bundesbürger:innen Schweden und Finnland gerne in der NATO hätten, und zwar auf jeden Fall. Weitere 11 Prozent sind überwiegend dafür. Ob die Umfrage exakt repräsentativ ist, muss nicht geklärt werden, sie gibt mit ziemlicher Sicherheit das Stimmungsbild einigermaßen wieder. Wir waren etwas spät dran, aber wir hätten mit der weit überwiegenden Mehrheit gestimmt. Der NATO kann nichts Besseres passieren, als dass zwei der letzten vollständigen Demokratien ihr beitreten. Pessimistisch könnte man nun konstatieren, dass sich das wohl eher negativ auf diese Demokratien auswirken wird als positiv auf die NATO, aber wir sehen es derzeit eher umgekehrt.

Dafür kann Freund Erdogan, der versucht, die NATO und die Beitrittsländer ein wenig zu erpressen, gerne gehen. Die Türkei liegt sowieso sehr weit weg vom Nordatlantik und die Gefahr, dass Erdogan mit seinen Übergriffen auf andere Länder, zum Beispiel seinen „Militäroperationen“, so würde Freund Putin es nennen, in Nordsyrien, die NATO in einen weiteren Konflikt hineinziehen wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Das ist freilich nur eine persönliche Haltung von uns, realistisch ist es nicht, denn die NATO hat ein großes Interesse daran, dass das große und wichtige Land am Bosporus nicht dem Gegenblock unter Führung Chinas anheimfällt.

Man wird sich also auf einen Kompromiss einigen, der den wilden Mann von ebenjenem Bosporus irgendwie so aussehen lässt, als habe er etwas erreicht. Die Schweden sind aufgrund ihrer vieljährigen Neutralität als Top-Diplomaten bekannt und werden das Problem mit Hilfe einigen Drucks aus den USA schon wuppen. Es zeigt sich aber wieder einmal, dass ganz unterschiedlich aufgestellte Staaten keine optimalen Bündnispartner sind, wenn es um einen Comment in Sachen Umgang miteinander geht, denn der Umgang miteinander und der Umgang dieser Politiker mit den Bürger:innen ihrer Länder ist oftmals sehr ähnlich. Pompöses, großspuriges Auftreten nach außen und autoritäres Regime im Inneren entsprechen einander.

Im Grunde ist es nicht vorwiegend eine Frage der Region, der die Türkei angehört, sondern ihres zunehmend diktatorischen Gepräges, dass sie nicht in ein Bündnis passt, das von sich behauptet, die Freiheit verteidigen zu wollen. Nur die Tatsache, dass einige ihrer Mitglieder es damit traditionell gar nicht so genau nehmen, macht in Wahrheit die Anwesenheit eines Landes wie der Türkei im Bündnis zu einer für die Anführer des Bündnisses sinnvollen Sache: Alles ist Geostrategie, nicht Wertepolitik.

25.05.2022 Das Schulmassaker von Uvalde, Texas, USA

A gunman murdered 19 children and two teachers in the deadliest U.S. school shooting for nearly a decade, prompting President Joe Biden to urge Americans to confront the country’s gun lobby and pressure Congress to tighten gun laws. Authorities said Salvador Ramos, 18, shot his grandmother, who survived, before fleeing and crashing his car near Robb Elementary School in Uvalde, Texas, and opening fire before being killed, apparently shot by police.[18]

Erst kürzlich haben wir uns zu den hohen Todesfallzahlen in den USA durch Schusswaffengebrauch geäußert und sie mit 40.000 beziffert. Offenbar sind das aber die Opferzahlen von Gewaltverbrechen insgesamt, durch Schusswaffengebrauch kommen etwa 32.000 Menschen pro Jahr ums Leben, Selbstmorde mit Feuerwaffen allerdings inkludiert. Zum Vergleich: Die Zahl aller Tötungsdelikte in Deutschland liegt bei etwa 2.000 pro Jahr. In Deutschland sterben insgesamt ca. 10.000 Menschen pro Jahr an Selbsttötung, alle Begehungsweisen zusammengerechnet.

Das gestrige Grundschul-Massaker mit bisher gezählten 21 Toten in Texas war das folgenreichste seit dem berüchtigten Sandy-Hook-Elementary-School-Massaker in Connecticut im Jahr 2012, bei dem es zu 26 gewaltsamen Todesfällen kam.

Um unser Entsetzen über diese Bluttat von Texas zu kanalisieren, haben wir auf Twitter nach ein paar Gedanken gesucht. Damit es gleich klar ist. Auch in Deutschland gibt es tatsächlich Menschen, Rechte und Ultraliberale, die gerne weniger strenge Waffengesetze hätten:

(1) Libertäre Deutsche Jugend auf Twitter: „Nicht das einzige. https://t.co/WAq9APtMfv“ / Twitter

(1) Mare Tranquillitatis auf Twitter: „@SZ_Panorama @POTUS Und jetzt ratet mal, welche Position die AfD zum Waffengesetz hat. https://t.co/9u3q5OORug“ / Twitter

Und wie man doch alte Propagandabilder missbrauchen kann, nicht? Zum Glück ist nicht zu erwarten, dass solche Ansichten bei uns in nächster Zeit mehrheitsfähig werden. Trotzdem ist der letzte Todesschuss auf einer Kirmes gerade mal ein paar Tage her und in Berlin kommt es recht häufig zu Schusswechseln, in der Regel werden auf diese Weise Clanstreitigkeiten ausgetragen. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis dabei auch Unschuldige verletzt oder getötet werden, ein weiteres Problem ist hier die Polizeigewalt, hier kann man immer wieder auch von einem missbräuchlich angewendete Gewaltmonopol sprechen.

(1) Prof auf Twitter: „Aber da besteht sicher kein Zusammenhang. Sind halt 22 (01/22 – 05/22) „bedauernswerte“ Einzeltäter mit ’ner „schweren Kindheit“, die „um Hilfe“ riefen. 💁 #schoolshooting https://t.co/Pdkrcm2AyG“ / Twitter

In diesem Tweet hat sich jemand Gedanken gemacht, was wohl das massive Sponsoring er NRA, der National Rifle Association, mit dem Verhalten der republikanischen Politiker zu tun hat, die jede Verschärfung des Waffenrechts blockieren. Es ist nicht so, dass wir in Deutschland kein Problem mit dem Einfluss von Lobbyist:innen auf die Politik hätten, aber die Summen, um die es in dem Tweet geht, sind atemberaubend und stellen Fragen an die Demokratie in den USA und ihren  Zustand.

(1) 💙💛 Cruelli deVil 💛💙 auf Twitter: „Das „nicht Waffen töten, sondern Menschen“ ist der amerikanische „Fuck you Greta“-Aufkleber auf SUVs der Deutschen. #schoolshooting“ / Twitter

Ganz klar eine ähnliche Haltung? Vielleicht. Aber es sind immer dieselben Typen, die sich rücksichtslos über alles und jeden hinwegsetzen und von denen gibt es in den USA besonders viele, weil in dieser Gesellschaft Menschen von klein auf zur Gewaltausübung erzogen werden. Oder auch: Direkt vom Bethaus zum Schießplatz. Oder auch: Schutz des ungeborenen Lebens um jeden Preis, aber Schutz der bereits Lebenden? Quatsch.

(1) 💙💛✊🏼 Jasmin Schreiber auf Twitter: „Pro life: In Texas kannst du legal keine Abtreibung kriegen, dein Kind kann aber jederzeit in der Schule erschossen werden. Nie wird irgendetwas schlimm genug sein, dass sich die Waffengesetze in den USA ändern. Thoughts and prayers, dann ab auf den Schießstand. #schoolshooting“ / Twitter

So gesehen ist es fast wieder logisch, dass dieselben Radikalen, die für das freie Waffentragen plädieren, auch oft bei den „Lebensschützern“ zu finden sind. Aufgrund der hohen Anzahl von Toten durch Schusswaffen (und Drogen) in den USA muss irgendetwas getan werden, um die Geburtenrate hochzukriegen, damit mehr Futter für die Amokschützen dieses Landes durch die Gegend läuft. Die USA sind das einzige westliche Land, in dem schon vor Corona das Durchschnittsalter der Menschen nicht mehr gestiegen ist, diese Tendenz wird sich wohl fortsetzen.

(1) Schwarzwaldmädle auf Twitter: „Kein feindliches Land muss die USA angreifen. Die USA führen Krieg gegen die eigene Bevölkerung. #schoolshooting“ / Twitter

Das ist richtig, aber bei uns wird der Krieg auf andere Weise geführt: In dem immer mehr Menschen in die Armut getrieben werden. Beiden Phänomenen liegt eine radikal menschenfeindliche Einstellung auch seitens der Politik zugrunde. Hätte jemand geglaubt, dass die Zivilisation so schnell geschliffen, die Demokratie von so vielen Seiten angegriffen werden kann, wie wir das jetzt sehen?

(1) MeiMey auf Twitter: „Der Gouverneur von Texas findet das jüngste #schoolshooting in seinem Bundesstaat „unbegreiflich“. Ach, urteilt doch selbst. Thoughts and prayers fürn Arsch, ihr verlogenen Wi***er. Grundschulkinder, verdammt! 🖤🖤🖤😢🤬 https://t.co/T2a2WnevAp“ / Twitter

In einem Tweet aus dem Jahr 2015, damals wohl noch als Kandidat, twittert Abbott, der Gouverneur von Texas, sinngemäß: „Wie, wir in Texas sind nur die Nr. 2 bei den nationalen Waffenkäufen hinter KALIFORNIEN? Nehmt Geschwindigkeit auf, Texaner!“ Kalifornien vermutlich in großen Lettern, weil es einem aufrechten Bewohner des Lone Star State wohl als ein Landstrich, bevölkert von unheimlichen Linken und Progressiven gilt, die an der falschen Küste wohnen und in einem weiteren Tweet will er das offene Tragen von Waffen in Texas durch Zivilisten unterstützen. Zurück zu den alten Pioniertagen ohne Gesetz und Ordnung. Aber er kann ja anlässlich des aktuellen Schulmassakers gut nicht schreiben, das kommt eben davon. Ein weiterer Gedanke schließt sich unweigerlich an.

Wenn man die Bilder von weinenden Eltern sieht, deren Kinder in der betroffenen Grundschule umgebracht wurden: Wie viele von ihnen haben diesen Abbott gewählt und wie viele davon haben selbst Schusswaffen zuhause? Was wir wirklich unheimlich finden, ist, wie rudimentär und abgespalten Menschen oft sind. Und der Eindruck, dass es immer schlimmer wird, mag daran liegen, dass wir uns in den letzten Jahren immer mehr für alle diese Vorfälle interessieren, aber das macht es nicht besser. Hier mal etwas Medienoffizielles, wenn man es so bezeichnen kann:

(1) SZ Panorama auf Twitter: „Nachdem ein Täter an einer Grundschule in Uvalde mindestens 19 Kinder getötet hat, zeigen sich Politiker und Politikerinnen erschüttert. @POTUS fordert, wie viele andere, schärfere Waffengesetze. #schoolshooting #texas https://t.co/KfLHaF51GE“ / Twitter

Glauben Sie, in den USA wird sich etwas ändern? Im Grunde sind es zwei verschiedene Paar Schuhe, sollte man meinen. Aber schauen Sie auch mal auf die Außenpolitik der USA. Momentan stürzen sich alle auf Russland, aber seit dem Ende des zweiten Weltkrieges haben die USA vermutlich mehr als 10 Millionen Menschen in anderen Ländern umgebracht. Auch die Demokraten,  zuletzt gerade sie.

Außerdem hat der Demokrat Joe Biden im Moment gerade ein Umfragetief durchzustehen. Das heißt auch, dieser Vorfall in Texas kam zu einem ganz ungünstigen Zeitpunkt und vielleicht kurz vor einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse in Senat und Abgeordnetenhaus bei den „Midterms“. Mit republikanischen Mehrheiten, wie sie danach zu befürchten sind, wird es keine Verschärfung der Waffengesetze geben. Warum auch. Was weltweit für Schlagzeilen sorgt, ist in den USA Alltag.

Wir können nur dringend wiederholen, was wir kürzlich schon aus geopolitischen Überlegungen heraus geschrieben haben: Wir müssen uns in Europa von den USA mehr distanzieren, unabhängiger stellen, die Alltagskultur nicht mehr ausschließlich an diesem Land orientieren. Das führt nur zu mehr Hass, mehr Rassismus, mehr ermordeten Menschen. Es führt letztlich zum Untergang eines freien Europas oder trägt zumindest dazu bei, denn es gibt weitere hochgefährliche Faktoren, die seit Jahren teilweise fast unbemerkt gegen die Demokratie wirken. Denn es hört ja nicht auf:

(1) Myriam Frank 🔯 Mutterwurm auf Twitter: „Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, bietet der US-Waffenhersteller WEE 1 Tactical nun auch ein speziell für Kinder entwickeltes halb automatisches Gewehr an, das an das AR-15 angelehnt ist. #SchoolShooting #MassShooting #NRA https://t.co/r053sJ5fx0“ / Twitter

Es gibt keinen Stillstand. Kürzlich hat ein Hersteller in den USA tatsächlich eine Schnellfeuerwaffe für Jugendliche entwickelt, die leichter und kleiner ist als das „Erwachsenenmodell“ AR-15, das sich bei Amokschützen besonderer Beliebtheit erfreut. Ist das noch Zivilisation, wie wir sie kennen, oder schon Dystopie? Als nächstes müssen sich wohl die Grundschüler:innen bewaffnen und mit schusssicheren Westen ausstatten, wenn sie das Elternhaus verlassen, damit nicht die ein paar Jahre älteren Kinder sie mit dem JR-15 (so heißt das Waffenmodell wirklich) über den Haufen schießen. Aber die Corona-Maske, die ist natürlich eine Einschränkung der Freiheit ohnegleichen.

(1) Herr Pan Tau. auf Twitter: „Wären nur alle Kinder ordentlich bewaffnet gewesen… #Uvalde #schoolshooting #Texas Es macht mich mal wieder fassungslos und so unendlich traurig.“ / Twitter

Genau diesen Gedanken hatten wir auch und sahen, jemand war schneller. Zum Glück, weil wir nicht gerne außerhalb der Bewerbung unserer Artikel herumtwittern. Aber genau das war es und so werden einige auch argumentieren. Man kann sich auch die Dimensionen der US-Waffen- und Kriegsindustrie hierzulande kaum vorstellen und damit auch nicht deren Einfluss. Nach innen und nach außen ist der Kriegszustand geradezu notwendig, damit dieses Geschäft weiter floriert.

Wir haben das heutige Briefing ausschließlich diesem Ereignis in Texas gewidmet.

Woanders auf der Welt sind an diesem gestrigen Tag wohl mehr Menschen ums Leben gekommen, durch Gewalt. In der Ukraine zum Beispiel. Aber hier geht es um die Zerstörung der Zivilisation gerade in einem Land, das uns vor Zerstörern der Zivilisation schützen soll. Wem dabei nicht mulmig wird, der versteht nicht, worum es bei dem Begriff Freiheit wirklich geht: nämlich friedlich, angstfrei, gleichberechtigt und solidarisch nebeneinander leben zu können. Davon entfernen wir uns alle immer weiter und die USA sind, wie meistens, das Land, in dem man sich anschauen kann, wie es bei uns wird, wenn die Brutaliserten sich durchsetzen. Als nächstes wird wohl das Abtreibungsrecht kippen, während die Waffengesetze bleiben werden, wie sie sind – oder noch lockerer werden.

TH

22.05.2022 9-Euro-Ticket

Morgen kommt es und wir werden es aufgrund besonderer persönlicher Umstände dankbar annehmen. Normalerweise wären wir, 9-Euro-Ticket hin oder her, weiter überwiegend mit dem Rad gefahren, aber im Moment geht das nicht so wie gewünscht. Argumente für und gegen das Tickt gibt es zuhauf.[19] Wir betonen deshalb, dass wir das Ticket zwar als zusätzliche Maßnahme zur Kostendämpfung in diesen inflationären Zeiten begrüßen, aber es selbstverständlich nicht als Ersatz für einen besser ausgebauten ÖPNV ansehen.

Woran wir bisher gar nicht gedacht hatten: Dass die BVG-Verkehrsmittel noch mehr überfüllt sein könnten als zu manchen Tageszeiten schon jetzt. Bei einer Inzidenz von immer noch ca. 280 in Berlin und Sommerhitze keine erfreuliche Aussicht, auch nicht das möglicherweise warten müssen auf die nächste Bahn, die dann hoffentlich nicht ganz so voll ist. Doch vor allem ist wichtig: ÖPNV und Radwegenetz müssen besser ausgebaut werden. In Berlin heißt das bezüglich der BVG vor allem: Mehr einsatzfähige Wagen für die U-Bahn und dadurch kürzere Taktung in Stoßzeiten.

Service: hier finden Sie alles Wichtige zum 9-Euro-Ticket: Verkaufsstart des 9-Euro-Tickets: Was Fahrgäste nun wissen müssen | WEB.DE

Auch passend zum Thema Bewegung in der Stadt: Mit dem Fiets* zur Arbeit | Newsroom | Wirtschaft, Ökologie, Verkehrswende | Radfahren – DER WAHLBERLINER

22.05.2022 Aus der Linken

 „Berlins Kultursenator Klaus Lederer hat ausgeschlossen, beim Linke-Bundesparteitag Ende Juni fürein Amt an der Parteispitze zu kandidieren. „Ich habe eine Aufgabe und jeden Tag wirklich gut zu tun, um genau daran zu arbeiten“, sagte Lederer der „Berliner Zeitung“ (Sonntag). „Das heißt aber nicht, dass ich mich aus der Verantwortung nehme, was die inhaltlichen Debatten angeht“, sagte Lederer. „Ich bin aber auch lange genug dabei, kenne meine Grenzen und meine, es braucht da einen neuen Aufbruch. Die Partei muss jünger und diverser werden, da helfe ich gern mit voller Kraft mit. Aber nicht in der ersten Reihe.“[20]

Wenn wir richtig liegen, hat man als Senator und Vizebürgermeister auch ein höheres Einkommen, als ein stino Bundestagsabgeordneter an Diäten erhält, während der Parteivorsitz kein dotiertes Amt ist, sondern eine Ehre. Sollte man jedenfalls meinen. In der Linken hat nur kaum noch jemand Lust, auf diesem Schleudersitz Platz zu nehmen, ganz so, wie es über Jahre hinweg bei der SPD der Fall war. Der SPD als Volkspartei schadete es aber mehr, wenn kein Mensch außerhalb eines begrenzten regionalen Raums die Namen neuer Vorsitzender kennt, wie zuletzt bei Esken / Walter-Borjans. Die Linke hingegen kann ruhig mal etwas wagen, noch viel schlimmer wird es allein dadurch nicht. Höchstens dann, wenn sich dadurch auch eine qualitative Abwärtsspirale ergibt, was einige jedoch bereits seit Jahren als gegeben ansehen.

Zumindest während der ersten Berliner R2G-Koalition ab 2017 war Lederer meist einer der beliebtesten Politiker der Regierung, aber damals erlebte die Linke einen zwischenzeitlich Umfragen-Aufschwung auf bis zu 20 Prozent. Wie es im Moment aussieht, wissen wir nicht, uns liegt kein aktuelles Ranking vor. Janine Wissler hingegen, die, anders als ihre Kollegin Susanne Hennig-Wellsow.nach den jüngsten Problemen in der Linken nicht hingeworfen hatte, wird auf dem Parteitag im Juni wohl erneut kandidieren.

Zur Linken siehe zuletzt im Briefing vom 19.05 „ Links wirkt nicht, sondern blamiert sich weiter.“[21]

Affenpocken statt Corona? ++ SPD-Fail, Güne-Hype beim Politbarometer ++ Ukraine: Azovstal ++ Putinknechte und Sorgenmenschen ++| Briefing 6 – DER WAHLBERLINER

22.05.2022 Affenpocken II

Warum trenden heute die Affenpocken im Zusammenhang mit #LGBT #LGBTIQ auf Twitter? Weil Menschen sich bei einem LGBT-Festival auf Gran Canaria infiziert haben könnten. Hier etwas mehr, auch  um hervorzuheben, dass der Vergleich mit AIDS unsinnig ist und der Vorgang keinen Grund zur Diskriminierung darstellt.[22]

»Es war nur eine Frage der Zeit, bis Affenpocken auch in Deutschland nachgewiesen werden«, teilte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu dem Fall mit. Durch die Meldungen aus anderen Ländern seien Ärzte und Patienten in Deutschland sensibilisiert. »Auf Grund der bisher vorliegenden Erkenntnisse gehen wir davon aus, dass das Virus nicht so leicht übertragbar ist und dass dieser Ausbruch eingegrenzt werden kann.« Dafür sei aber schnelles Handeln nötig. »Wir werden jetzt das Virus genauer analysieren und prüfen, ob es sich um eine ansteckendere Variante handelt.«[23]

21.05.2022 Ukraine: Werk Azovstal in Mariupol eingenommen

Die Evakuierungsmaßnahmen der letzten Tage ließen diese Ahnung zu: Azovstal wird fallen und das ist nun offenbar passiert. Derzeit noch unter dem Vorbehalt, dass die Angaben von russischer Seite stammen:[24]

Alle Kämpfer hätten sich ergeben, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Freitagabend in Moskau. Es seien insgesamt 2439 ukrainische Soldaten seit dem 16. Mai in russische Gefangenschaft gekommen. Das Werk war das letzte Stück der strategisch wichtigen Stadt im Südosten der Ukraine, das noch nicht komplett unter russische Kontrolle gewesen war.

Da diesem Widerstand von manchen eine geradezu stalingradsche Dimension angedichtet worden war, passt diese Meldung zu einer Nachdenklichkeit, die sich dort Bahn bricht, wo die Meinung der westlichen Welt zuhause ist.

21.05.2022 Ukraine, Wirtschaft, die NYT: Tag der Erkenntnis, Tag des Wandels? Leitkommentar

So könnte man das, was heute nachrichtlich läuft, gut überschreiben. Vor allem hat ein Artikel des Editorial Boards der New York Times für Furore gesorgt, in dem die Herausgeber fordern, die US-Regierung möge ihre Haltung zum Ukraine-Krieg überdenken, einen Verhandlungsfrieden ins Auge fassen und dem ukrainischen Regierungschef Wolodymir Selenskyj Grenzen setzen. Wir haben nicht deswegen eigens ein NYT-Abo eingerichtet, sondern folgen der Zusammenfassung der Berliner Zeitung zu diesem Artikel, unter dem Vorbehalt, dass diese nichts Wichtiges auslässt.[25] Die Berliner Zeitung hat ihrerseits einen Social-Media-Knaller gelandet, indem sie ihren Beitrag mit „Die NYT klingt plötzlich wie Sahra Wagenknecht“ überschrieben hat. Lesen Sie bitte selbst und urteilen Sie dann, ob das, was die NYT in der Wiedergabe der Berliner Zeitung schreibt, wirklich dem entspricht, was Sahra Wagenknecht in Talkshows und in Medien äußert. Nach unserer Ansicht gibt es da sehr wohl einen Unterschied: Die Perspektive. Die NYT schreibt im Interesse der „Ostküsten-Elite“ der USA, was weitgehend stimmt, Sahra Wagenknecht argumentiert aus russischer Sicht, was man hierzulande angesichts der Aufstellung des Putin-Regimes und der Tatsache, dass dies auf einen ungehinderten Durchmarsch in der Ukraine, der eben keinen Verhandlungsfrieden, sondern einen russischen Diktatfrieden nach sich ziehen würde, nicht tun sollte.

Glauben wir nun und würden wir es für richtig halten, dass es für die Ukraine eine Ganz-so-oder-so-Lösung geben wird? Richtig ist eine Sache für sich, aber realistisch: Nein. Die Ukraine so aufzurüsten, dass sie alle von Russland besetzten Gebiete inklusive der Krim wird zurückerobern könnte, ohne dass Russland „schmutzige Waffen“ inklusive kleinerer Atomwaffen einsetzen wird, ist beinahe undenkbar, auch wenn das russische Militär sich angesichts seiner Größe und technischen Überlegenheit derzeit ziemlich blamiert.

Also wird es etwas wie einen echten Verhandlungsfrieden geben müssen. Die Frage ist eher schon, was im Anschluss passiert. Die Ukraine oder Restukraine wird Sicherheitsgarantien erhalten müssen, damit es nicht zu neuen russischen Übergriffen kommt, der jetzige Fall darf sich nicht wiederholen. Deswegen ist es folgerichtig, dass die skandinavischen Staaten Schweden und Finnland sich der NATO anschließen. Diese ist, wenn sie sich ein inklusiveres Gepräge gibt und eine künftige paneuropäische Sicherheitsarchitektur ins Auge fasst, auch nicht überholt, nicht obsolet. Langfristig wird dieses Bündnis auch Russland einschließen müssen. Das russische Interesse liegt auf der Hand: nicht zum chinesischen Vorhof degradiert werden. Gerade deshalb wäre Augenhöhe wichtig. Ob das mit Putin noch möglich ist, ob die USA irgendwann wieder dahin kommen werden, auf Augenhöhe mit anderen zu verhandeln, ist erneut eine andere Frage.

Oder will jemand ernsthaft behaupten, Russland hätte nicht z. B. auch auf dem Baltikum ebenfalls dieses Muster angewendet oder könnte es noch tun, militärische „Spezialoperationen“ durchzuführen, wenn die Ex-Sowjetrepubliken dort nicht Mitglieder der NATO wären? Auch dort gibt es russische Minderheiten, die man instrumentalisieren kann, indem man sie für schutzbedürftig erklärt. Es handelt sich um rein geostrategische Operationen und der wirtschaftliche Schaden wird für Russland groß sein, auch das ist keine Frage. Man kann eben nicht die Gaslieferungen einfach mal nach China umleiten, das bisher auch mit weniger russischem Gas ganz gut ausgekommen ist. Falls sich China und Indien doch bereiterklären, mehr russische Energie zu beziehen, wird der Preis dafür hoch sein: Russland als energieliefernder Vorhof des wirtschaftlich mächtigen Reichs der Mitte, das ist es, was die Menschen in Russland, die sich überwiegend als Europäer:innen begreifen, zu erwarten haben und auch Indien entdeckt gerade, was man mit dem Druck einer 1,4-Milliarden-Bevölkerung im Rücken politisch alles bewirken kann, gerade, wenn man sich nicht strikt neutral gibt. Derweil setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass wir uns bewegen müssen:

Selten war Deutschland, war die Europäische Union mit so vielen gewaltigen Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert: Krieg, Klimakrise, Artensterben, Pandemie, Armutsmigration, galoppierende Energiepreise, Inflation, gesellschaftliche Konflikte.

Was wir seit Jahren fordern, nämlich eine größere strategische Unabhängigkeit Europas von „zwei Diktaturen“, Russland und China und einer „wackeligen Demokratie“, den USA, hat nun auch T-Online in seinem heutigen Morgenbriefing entdeckt.

Unsere Energieversorgung haben wir nach Russland ausgelagert, die Wirtschaftsmärkte nach China, die Sicherheit kommt aus den USA. Zwei Diktaturen und eine wackelige Demokratie sind bisher die Garanten für Deutschlands Wohlstand und Sicherheit gewesen.[26]

Man könne jedoch die erheblichen Umstellungen, die mit einer Aufgabe dieser Sicherheiten verbunden sind, nicht den Politikern allein überlassen, Verzicht und Umdenken sei bei uns allen angesagt:

Man kann nicht gleichzeitig für den Klimaschutz sein und T-Shirts für fünf Euro aus China kaufen. Man kann nicht gleichzeitig Putins Erdöl verweigern und SUV fahren. Man kann nicht gleichzeitig die Vermüllung der Weltmeere beklagen und im Supermarkt Plastikverpackungen shoppen. Die Zeit des ungehemmten Konsums und der leichtsinnigen Was-geht-das-wird-gemacht-Mentalität ist vorbei. Jede und jeder in unserem Land, auf unserem Kontinent trägt eine Mitverantwortung.

Richtig bis zu dem Punkt, an dem die Komponente der sozialen Verantwortung der Politik dafür, dass die Menschen sich auch gute Ware leisten können, komplett weggelassen wird. Zum Beispiel lassen sämtliche Sportartikelhersteller in Südostasien produzieren, nicht nur in China, wir merken das immer, wenn wir auf die Etiketten schauen. Und das nicht nur für fünf Euro, sondern mit hohen Gewinnen der Markenhersteller auch für das Mehrfache.

Es gibt kaum noch einigermaßen bezahlbare Alternativen hiesiger oder wenigstens europäischer Fertigung, aber von gerechter Umverteilung, die Industrien zurückholen würde, weil sich dann mehr Menschen die höheren Herstellungskosten in Europa leisten könnten, im T-Online-Artikel kein Wort, dabei wäre das wirtschaftsstrategisch und ökologisch eine Win-Win-Situation. Natürlich nicht, wenn man den Neoliberalen mit ihrer ressourcenverschleudernden Freihandelsideologie folgt, die werden nie verstehen, dass wir so nicht weiterwirtschaften können. Wir tragen gerne die Mitverantwortung und verbessern uns auf diesem Gebiet, so gut es geht, auch unter den jetzigen, sehr ungünstigen Bedingungen, aber es muss dabei fairer zugehen als bisher, wenn wir alle oder wenigstens die Mehrheit mit in das Boot nehmen wollen, das wir Richtung Nachhaltigkeit rudern wollen.

In der Folge wird noch die Verantwortung für die Verantwortung bei der Informationsbeschaffung angesprochen, mit erheblicher Eigenwerbung. Die klare Trennung von Information und Meinung funktioniert meist nicht so, wie man es sich wünscht, sonst darf man Information wirklich nur strikt neutral herunterrattern und selbst dann ist man nicht „neutral“, weil man zwangsläufig eine Auswahl vornehmen muss, die wiederum zwangsläufig subjektiv ist. Bei uns ist es sehr klar: Wir verwenden Informationen verschiedener Quellen und bauen darauf unsere Meinung auf, die wir in Artikeln wie diesem kundtun. Das ist transparent und ehrlich. Und wir geben unsere Quellen ebenfalls an, von einigen sehr allgemeinen und weit verbreiteten Nachrichten, die man fast wortgleich aus unzähligen Medien beziehen kann, abgesehen.

Ja, es muss sich etwas ändern. Aber nicht so, wie die herrschende Klasse es sich vorstellt, inklusive der ihr zuarbeitenden Medien. Es ist durchaus möglich, den Wohlstand der Mehrheit zu bewahren, aber ihn anders zu organisieren und auch an dessen Definition zu arbeiten. Dabei dürfen immaterielle Aspekte gerne eine größere Rolle spielen, aber nicht zulasten der Grundversorgung, nicht zulasten der Daseinsvorsorge. Das ist wirklich zu billig, der Mehrheit jeden Tag Konsumverzicht nahezulegen, während diejenigen, die einen wirklich riesigen ökologischen Fußabdruck haben, weitermachen wie bisher und sich natürlich auch alle High-End-Ökolabels dieser Welt leisten können, um damit auf ihren Jachten in der Sonne zu sitzen, die einen Energieverbrauch wie eine mittlere Kleinstadt haben.

Wir haben schon vor ca. 10 Jahren vorgerechnet, was es bringen würde, Produkte teurer, aber nachhaltiger und langlebiger zu gestalten, was wir aber unbedingt ergänzen müssen: Die ökonomisch immer mehr in Bedrängnis kommenden Menschen müssen sich diese teurere Anschaffung trotzdem erst einmal leisten können. Es ist die neoliberale Erziehung, welche die heutige Wegwerfgesellschaft maßgeblich befördert hat, diese Mentalität bezieht sich sogar auf Menschen: Wer nicht mehr maximal finanzialisierbar ist, kann weg. Dass es ausgerechnet ein SPD-Kanzler war, der sich dabei am meisten hervorgetan hat, ist symptomatisch, aber nicht entscheidend. Dieser Ungeist sitzt in fast allen Politikern und auch in den meisten Redaktionen und ist dort mittlerweile so tief verwurzelt, dass Einschränkungsforderungen fast ausschließlich ohne soziale Gerechtigkeit gedacht und niedergeschrieben werden.

Nun noch ein Wort zur deutschen Rolle im Ukraine-Krieg. Glauben Sie nicht Kriegshetzern, die so tun, als hinge daran, ob Deutschland etwas vorsichtiger oder etwas offensiver agiert, die Entscheidung im Ukraine-Krieg. Das ist definitiv nicht der Fall. Was die USA tun werden, das ist entscheidend, siehe oben, strategische Abhängigkeit. Und in Europa haben die beiden Atommächte Großbritannien und Frankreich, die auch ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrats der UNO sind, geopolitisch immer noch die dickere Hose an, im Vergleich zu unserem Land mit seiner ganz anderen Geschichte.

Wenn also Boris Johnson mit seinem draufgängerischen Gepräge zumindest so wirkt, als sei er härter Russland gegenüber, ist das seine Sache, nicht die unsere, nicht die Haltung, der die deutsche Regierung 1:1 folgen muss.

 Wenn also ein Ex-NATO-Generalsekretär, wie tausend andere zuvor, versucht, Olaf Scholz unter Druck zu setzen, dann schreiben wir: Je weniger er sich von der aktuellen bellizistischen Stimmungsmache beeindrucken lässt, die immer noch klingt wie im März-Schock und mit fehlerhafter Folgeneinschätzung einhergeht,[27] desto mehr ist er in Sachen Ukraine-Krieg unser Mann am richtigen Platz, nämlich jemand, der eigenständig denken, handeln und von gesicherten Ergebnissen her kommunizieren kann. Man muss es eben mal aushalten können, dass er nicht jeden Tag irgendwelche Meldungen in die Welt setzt, die zumeist sehr schlecht altern.

20.05.2022 Corona

Die 7-Tage-Inzidenz sanj in den letzten Tagen in Schritten von ca. 5 bis 6 Prozent, das ist eine gute Rate, wenn im Sommer Entspannung herrschen und weitere Corona-Maßnahmen aufgehoben werden sollen, wie etwa die Maskenpflicht im ÖPNV. Heut steht die Inzidenz bundesweit bei 342, gestern waren es 362. Mehr im Corona-Report von vorgestern (108/22).[28]  

20.05.2022 Affenpocken

Dafür ist das nächste Virus schon im Anmarsch, es trägt den Erreger für die sogenannten Affenpocken.

Seit Anfang Mai wurden in mehreren europäischen und nordamerikanischen Ländern dutzende Verdachtsfälle und bestätigte Infektionen mit Affenpocken gemeldet. Nach ersten Fällen in Großbritannien meldeten auch Spanien, Portugal, Italien, Schweden und Frankreich sowie die USA und Kanada bestätigte Fälle und Verdachtsfälle.[29]

Zu den Symptomen der Affenpocken beim Menschen gehören Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen und ein Ausschlag, der oft im Gesicht beginnt und dann auf andere Körperteile übergreift. Die meisten Menschen erholen sich innerhalb mehrerer Wochen von der Krankheit, ein tödlicher Verlauf ist selten, heißt es in dem Beitrag weiter. Mal sehe, ob das Ganze wieder ein ziemlicher Affenzirkus wird.

19.05.2022 Die Regierungskoalition im Politbarometer: SPD-Schlappe, Grünen-Hype

Gemäß ZDF-Politbarometer steht die SPD mit 22 derzeit so niedrig wie seit Umfragen nicht mehr, die der Bundestagswahl am 26. September 2021 vorausgingen.[30] Die Grünen hingegen kommen auf 24 Prozent und liegen damit 2 Prozent hinter der CDU. Die FDP verliert 2 Prozentpunkte und kommt auf 7 Prozent. Viele wundern sich gerade, dass die sehr dezidiert kriegsorientierten Grünen dermaßen hochgehen, während die kaum anders aufgestellte FDP verliert. Kanzler Scholz wird derzeit von Medien niedergeschrieben, die von ihm gerne ein bellizistische Rhetorik hätten, ohne dass sich dadurch faktisch viel ändern würde. Deutschland hilft der Ukraine auf unspektakuläre Weise relativ viel und Panzer hat bisher auch noch kein anderes westliches Land dorthin gegeben, um den russischen Angriffsfeldzug zu stoppen. Nun könnte man sagen, vor zwei, drei Jahren stand die SPD in Umfragen auch schon bei 14, 15 Prozent, was soll’s. Vermutlich wird Kanzler Scholz auch in etwa so denken, denn bis zur nächsten Wahl ist es noch lange hin.

Insofern gut, dass der Krieg nicht mitten in den Bundestagswahlkampf 2021 fiel, dann wären die Töne der hiesigen Politik noch um einiges schriller gewesen. Interessanterweise sind in Umfragen die Menschen mehrheitlich der Meinung, dass Scholz richtig, also einigermaßen umsichtig und vorsichtig agiert, derzeit etwa mit Anteilen von etwas über 50 Prozent Zustimmung und ca. 35 Prozent Ablehnung. Passt das zusammen mit dem Absturz der SPD im Politbarometer? Kommt wohl auch darauf an, wie man fragt und nach welcher Methode man Umfragen erstellt. Den Grünen hingegen fällt die Stimmungslage geradezu in den Schoß, denn das deren Wähler:innen besonders friedensorientiert sind, gilt schon lange nicht mehr. Besonders, dass der Spin der allgemein zu erwartenden Einschränkungen des Krieges wegen so gut ankommt, ist schon krass. Das wird wohl als Ehrlichkeit angesehen, in Wirklichkeit ist es der Aufgalopp zur nächsten Runde der sozialen Verwüstung in diesem Land, die Reichen natürlich ausgenommen, wie immer. Es ist nicht unsere Schuld, dass die Menschen so grottennaiv sind. Wir versuchen, für die zu schreiben, die sich ein wenig mehr eigenes Kombinieren und Analysieren erlauben.

19.05.2022 Ukraine-Krieg

Die Evakuierung aus dem lange Zeit heiß umkämpften Azov-Stahlwerk von Mariupol dauern an, jetzt geht es um die Rettung von Zivilisten und die Bergung von Toten,[31] vor zwei Tagen war von 959 Kämpfern die Rede, die sich ergeben haben, mittlerweile sollen es ca. 2000 sein.

Derweil ist es in Deutschland jetzt möglich, Energieunternehmen unter Staatskontrolle zu stellen. So schnell geht’s mit der Enteignung, wenn der politische Wille vorhanden ist. Ziel sind vor allem Einheiten, die zu russischen Konzernen gehören. Um wirtschaftliche Aspekte mit großem humanem Impact geht es auch hier:

US-Außenminister Antony Blinken appelliert vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an Russland, die Blockade der ukrainischen Häfen zu beenden, damit Lebensmittel ausgeführt werden könnten. „Die Lebensmittelversorgung von Millionen von Ukrainern und Millionen weiterer Menschen auf der ganzen Welt ist buchstäblich in Geiselhaft genommen worden“, sagt er. Ein hochrangiger Beamter in Moskau weist die Vorwürfe zurück und erklärt, die Russen seien „keine Idioten“ und würden keine Lebensmittel exportieren, solange gegen sie strenge Sanktionen verhängt seien.[32]

Die New York Times hat nun Bilder geliefert, die Erschießungen im Wege des Massakers von Butscha belegen sollen.[33] Das ist deren journalistische Aufgabe und Freiheit und wir hoffen, alles stimmt wie gezeigt. Nicht, weil es schöne Bilder sind, sondern weil in Bezug auf Kriegsverbrechen die Wahrheit besonders wichtig ist und nicht der Propaganda irgendeiner Seite geopfert werden darf. Die USA jedoch wollen eigene Untersuchungen in der Ukraine anstellen, was ganz sicher keine gute Idee ist. Sie sind quasi Partei und außerdem nicht dafür bekannt, niemals Menschenrechtverletzungen in Kriegen zu begehen. Nur ein international besetztes Gremium, dem man eine gewisse Neutralität unterstellen darf, kann diese Verbrechen so aufarbeiten, dass der Verdacht auf Manipulation gering bleibt.

19.05.2022 Links wirkt nicht, sondern blamiert sich weiter

Derweil hat Sahra Wagenknecht das Hashtag #Putinknecht auf sich gezogen, nebst einigen anderen linken und AfD-Abgeordneten, auch wenn deren Nachname nicht so schön passt. Wir werden weiterhin dabeibleiben, wenn sie etwas Richtiges sagt, zum Beispiel die sozialen Folgen des Krieges betreffend, aber nicht mitgehen, wenn sie der Ansicht ist, Putin dürfe die Ukraine quasi ungehindert erobern. Ein Auftritt von Wagenknecht bei Markus Lanz in der laufenden Woche hatte wieder einmal für Wellen gesorgt. Immerhin, wie auf Twitter richtig kommentiert wird: Hier herrscht Meinungsfreiheit und die Orientierung an Quoten kann man im deutschen Fernsehen nicht übersehen. Deswegen sind wir auch der Meinung, man soll das Internet nicht zu sehr deckeln, das führt nur dazu, dass dieselben Menschen, die es bisher öffentlich taten, im Untergrund weiterhin ihre Bubble pflegen. Mit dem Nachteil, dass wir fast alle denken, es sei ruhig geworden und dann umso überraschter sind, wenn es zu Gewalttaten kommt.

Die Linke im Ganzen geht äußerst schweren Zeiten entgegen, weil zwischen zu kapitalismusaffinen und hervorgehobenen identitätspolitischen Positionen einerseits sowie Steinzeit-Ideologie auf der anderen Seite offensichtlich keinen Raum für ein modernes, solidarisches, die Selbstermächtigung förderndes Links im strikt klassenkämpferische Sinne zu existieren scheint. Wir haben sogar mitbekommen, dass Trotzkisten von offensichtlichen Stalinisten als „gekauft“ bezeichnet werden, weil sie Antiimperialismus nicht einseitig, sondern allseitig verstehen. Das muss man sich im Jahr 2022 erst einmal vorstellen, welche Kämpfe in diesem Cluster ausgefochten werden.

Wer zudem das System Putin verteidigt, ist selbst ein Fan von autokratisch-kapitalistischen Systemen und versagt als Kommunist, Sozialist und auch als Internationalist komplett.

19.05.2022 Die Ärmeren leiden am meisten unter dem Krieg und den mit ihm verbundenen hohen Preisen

Nicht überraschend, dass die Entlastungspakete der Bundesregierung nicht ausreichen, um die Mehrkosten auf dem Energiesektor abzudecken, die Privathaushalten durch den Ukraine-Krieg entstehen. Während aber Haushalte mit hohem Einkommen kein Problem damit haben, die für sie geringen Mehrkosten zu decken, empfehlen wir den Ärmeren ausdrücklich, sich nicht auf „Sparen für die Ukraine“ einstimmen zu lassen. Das wäre angesichts der Tatsachenlage vollkommen fehl am Platze. Mehr dazu in unserem grafisch unterlegten Artikel von heute: Kriegsführung zulasten der Ärmeren: Die Energiepreise belegen es +++ BGE +++ Grundsicherung +++ Gießkanne | Frontpage | Wirtschaft | Grafik Statista – DER WAHLBERLINER.

18.05.2022 Thema des Tages: Schwangerschaftsabbruch

„Mein Bauch gehört mir!“. Wenn man mit Demo-Bildern und darauf zu sehenden Transparenten mit jenem oft sehr aggressiv vorgetragenen Slogan gegen § 218 StGB großgeworden ist und zumindest formalchristlich erzogen wurde, ist es gar nicht so leicht, diese Re- und Deklamation nicht als etwas plump zu empfinden. Uns war das damals zu sachlich-eigentumslastig, denn ein Leben ist ein Leben und, inklusive seinem Entstehungsort, kein Eigentum einer dritten Person, auch nicht in seiner frühen Entwicklungsform. Es nicht zuzulassen und warum nicht, darüber sollte mit etwas mehr Empathie geredet werden, dachten wir seinerzeit. Es war also weniger das „ob“ als das „wie“ der Diskussionsführung, das uns abgestoßen hat. Das Selbstbestimmungsrecht war gerade in dieser Sache für uns kein taugliches gesellchaftspolitisches Kampfmittel und nichts Progressives.

Und wir mögen Kinder, bei uns ist der tatsächliche Status nicht durch eine tiefverwurzelte und u. E. durchaus psychologischer Betrachtung zugängliche, grundsätzliche Feindschaft Kindern gegenüber bedingt, wie man sie in Deutschland häufig antrifft, auch als Nachwirkung der Traumata des 20. Jahrhunderts und einer leider sehr deutschen Unkultur der mangelnden Zugewandtheit anderen Menschen gegenüber, um für den psychologischen Aspekt etwas wie einen Umriss zu skizzieren. Unzählige Sozialfachmenschen versuchen, diese Schäden zu reparieren, der Erfolg ist, sagen wir mal, mittelmäßig. Es gibt ihn, aber der Weg dorthin gestaltet sich offenbar sehr, sehr mühsam und ebenso oft ist ein Scheitern zu beobachten.

Nichtsdestotrotz hat sich die Welt in vieler Hinsicht, insbesondere gesellschaftspolitisch, weiterentwickelt, und wir finden die heute global überwiegend geltenden Fristenlösungen zum Schwangerschaftsabbruch angemessen, ebenso sollte das „Werbeverbot“ des § 219a StGB in Deutschland entfallen. Er macht zwar Einschränkungen auf der Motivebene („Vermögensvorteil“, „anstößige Weise“), aber diese sind u. E. schwierig zu definieren und können dazu führen, dass an sich legale Angebote zu Kriminalisierung führen und es für Frauen schwieriger wird, sich kompetent und unabhängig beraten zu lassen. Die Zahl der Arztpraxen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, ist ohnehin (leicht) rückläufig.

Ganz anders aber geht es derzeit in den USA zu, die aktuell ebenfalls eine Fristenregelung zum Schwangerschaftsabbruch haben. Dort treibt eine radikalfundamentalitistische „christliche“ Minderheit die Mehrheit vor sich her und wird es möglicherweise schaffen, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch generell zu kippen.

Zwar haben in den USA die Bundesstaaten mehr Befugnisse als die hiesigen Bundesländer, aber nicht in dieser grundlegenden Sache das letzte Wort, deswegen wird derzeit mit großer Spannung und Anspannung ein Urteil des Supreme Court zu ebenjener Sache erwartet. In vielen konservativen Staaten wurden bereits rigide Gesetze erlassen, die nur noch auf Bundesebene bestätigt werden müssen, um in Kraft treten zu können. Dank der mittlerweile überwiegenden Anzahl an konservativen Richter:innen am US Supreme Court ist zu befürchten, dass die USA hinter den Stand von 1973 zurückfallen werden, als die Abtreibung bzw. der Schwangerschaftsabbruch nach langen Kämpfen generell erlaubt wurde. Dies im Jahr 2022 und, wohlgemerkt, obwohl eine Mehrheit von über 70 Prozent im Land das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bejaht.

Wenn Sie ein Gefühl dafür erhalten wollen, wie es ist, wenn das mächtigste Land der Welt, die wichtigste Demokratie der Welt, in Gefahr ist, sich rapide rückwärts zu entwickeln, woher Typen wie Donald Trump ihr Wählerreservoir schöpfen, empfehlen wir diesen Artikel:

Abtreibungsverbot in den USA: Per Gericht in die Vergangenheit (rnd.de)

So geht es also in einem Land zu, in dem jährlich 40.000 Menschen durch Schusswaffeneinsatz sterben. Die Waffennarren und -närrinnen und die rigiden Abtreibungsgegner:innen sind übrigens nicht selten personalidentisch, stammen aus denselben Regionen und Communities. Manche von ihnen gehe dann hin und erschießen ganz christlich einige Menschen, die ihnen aus rassistischen Gründen nicht in den Kram passen. So gesehen und auch wegen der vielen Drogentoten spricht einiges dafür, die Geburtenrate der USA sozusagen von oben herab diktiert wieder anzuheben. Dabei wächst das Land einwohnermäßig durch die weiterhin vielen Zuwander:innen doch sowieso, aber vielleicht sind es für die Fundis auch „die falschen Menschen“, die dazukommen.

Europa muss sich dringend unabhängiger von den USA stellen, nicht nur aus geostrategischen, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Gründen. Wir haben ähnliche Rechtstendenzen und wir haben reaktionäre Weltbilder, die sich mitten unter uns ausbreiten. Bei uns kommt das Problem dieser Weltbilder bzw. offensiver Propaganda dafür, das dürfen wir nicht verschweigen, weniger aus christlich-fundamentalistischen Kreisen, diese haben hier keinen vergleichbar großen Einfluss, aber sehr wohl aus Milieus, die ebenfalls religiös geprägt sind. Wir müssen uns hier nicht jeden Tag für Frauenrechte einsetzen, weil das ja schon geradezu eine Aneignung wäre, aber die Feministinnen sollten wissen, worum es geht und dass das, was wir heute in den USA sehen, in ein paar Jahren in Europa, speziell in Ländern wie Frankreich oder Deutschland, ebenfalls anschlussfähig sein und Gestaltungspolitik werden kann. Wenn Rechte, wenn Nazis sich mit religiösen Fundis verbünden, anstatt einander aus ethnischen Gründen zu bekämpfen, beispielsweise. Darin liegt ein großes reaktionäres Potenzial, das bisher noch nicht vereint ist. Insofern ist es geradezu ein Glück, dass die deutsche Geschichte bisher verhindert, dass das allzu offen angegangen wird.

Wir haben auch ein Beispiel dafür gefunden. Denn wir wollen nicht so tun, als gäbe es ähnliche Strömungen wie in den USA aus dem „christlichen“ Raum nicht auch bei uns. Radikale Katholiken, so unser Gefühl, würden, wenn es der Durchsetzung ihrer Ziele dient, sich dann auch gerne mit der AfD zusammentun. Wem dies ein wenig wie ein kleines Amerika-Echo vorkommt, der liegt sicher nicht ganz falsch. Beachten Sie auch bitte den gehässig-unchristlichen Ton dieses Artikels, in dem u. a. behauptet wird, die Bundestagsabgeordneten der Ampel-Koalition „genießen das Sterben Ungeborener“.[34] Wir haben mal in der Publikation einige Monate zurückgescrollt: Kein einziger Beitrag zum massiven Pädophilie-Problem unter Amtsträgern der katholischen Kirche. Vielleicht genießen die Herausgeber der Publikation ja diese Zustände, die aus einer kompletten Fehlstellung im Priestertum resultiert. Der Unterschied zu amerikanischen Fundis, die unter dem Deckmantel christlicher Prinzipien eine vorgestrige, paternalistische und notabene undemokratische  Gesellschaft zurückwollen, ist in der Tat eher der aktuell noch zu verzeichnende Außenseiterstatus selbiger hierzulande, nicht, dass ähnliche Weltbilder nicht gepflegt würden. Generell geht es hier um Offenheit oder Verengung und leider auch in diesem Kontext um unser Zentralthema „Demokratie in Gefahr“.

Ob das nun gerade der richtige Gegenakzent ist, kann man als Ansichtssache bezeichnen, aber offenbar in der Tat auch, um ein Gegenzeichen zu setzen, hat man in Spanien gerade das Abtreibungsrecht weiter liberalisiert, sodass nun u. a. schon 16-Jährige eigenständig über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden können.[35]

Wir werden den Gegenstand noch mit Grafiken zur weltweiten Lage des Abtreibungsrechts vertiefen. So viel vorweg: Wo die Bevölkerung unkontrolliert und in rasantem Tempo weiterwächst, gibt es, wenn überhaupt, nur ein sehr eingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Dafür sind gleich zwei Religionsgemeinschaften und deren die Überbevölkerung so gut wie möglich fördernder Einfluss verantwortlich: die christlich-katholische und die sunnitisch-muslimische. Welche Lebensbedingungen die zu vielen Menschen dann in armen Ländern und Regionen haben werden, die ökologisch-klimatechnisch immer mehr in die Knie gehen, ist diesen Apologeten der unschönen menschlichen Existenz nicht so wichtig. Wir denken auch vermutlich, wir nehmen in Europa schon viele dieser Menschen auf, aber das stimmt nicht: Es müssten mehr sein, wenn verhindert werden soll, dass die Hungerkatastrophen vor allem in Afrika Dimensionen annehmen werden, die es nie zuvor in der Weltgeschichte gegeben hat.

Die für das Leben der großen Mehrheit auf dem Globus bessere Lösung wäre es, endlich u. a. ein modernes Abtreibungsrecht in diesen Ländern zu etablieren. Dass es in der „Ersten Welt“ eher umgekehrt laufen kann, wenn wir Pech haben und dadurch auch im Westen die Armut noch schneller um sich greifen wird – siehe oben. Weitere Kandidaten für einen Move in die falsche Richtung sind autokratische Länder wie China, deren Regierende sich Sorgen machen, weil sie glauben, die Bevölkerung altere zu schnell. 2021 hatte China die niedrigste Geburtenrate seit 1949 zu verzeichnen und die Menschen dort haben trotz der Aufhebung der Ein-Kind-Politik gar keine Lust, ihre nun einmal angenommene Rolle als Kleinfamilienmitglieder oder kinderlose Paare zu ändern.[36]

17.05.2022 Wahlen in NRW, Abschluss: Immer dieser Lauterbach und der Herr Kühnert

„Wir haben diese Wahl verloren. Union und Grüne haben gewonnen, die müssen daher auch zuerst die Gespräche führen. Alles andere kommt danach“, sagte der SPD-Politiker am Sonntagabend in der ARD.[37] Da soll noch einmal jemand behaupten, dass Lauterbach lügt. Es trendet häufig auf Twitter, immer wieder mit Rücktrittsforderungen verbunden, aber vergleichen Sie seine Aussage mit der des neuen SPD-Generalsekretärs Kevin Kühnert:

„Ich bleibe dabei: Das wird uns heute Abend, davon bin ich fest überzeugt, die Gelegenheit bieten, einen Regierungswechsel für Nordrhein-Westfalen herbeizuführen, den sich viele Menschen gewünscht haben“, erklärte Kühnert in der ARD. Zu dem Zeitpunkt stand sogar noch eine rot-grüne Mehrheit bei den Sitzen im Landtag in Aussicht, eine Koalition aus SPD und Grünen wollte Kühnert daher keinesfalls ausschließen, im Gegenteil: „Schwarz-Gelb ist abgewählt! Rot-Grün ist möglich!“[38]

Wie schnell auch dieser angebliche Linksausleger in der SPD gelernt hat, den typischen Anforderungen an einen Posten gerecht zu werden, auf dem noch jede:r in der SPD so abgeschliffen wurde, dass er am Ende als die Schröders, Nahles etc. herauskam, die wir kennen. Kevin Kühnert begann erst vor wenigen Jahren seine politische Karriere in unserem Berliner Bezirk und uns wurde immer wieder berichtet, dass sein linkes Gepräge nicht mit allzu viel Substanz unterlegt sei. Daher sind wir über seine Entwicklung nicht besonders überrascht.

Lauterbach ist im Grunde immer noch kein Politiker, Kühnert war immer schon einer.

16.05.2022 Weizen für die Welt oder nicht

Russland versucht offenbar auf unterschiedliche Weise gezielt, die Welt auszuhungern, so kommt es jedenfalls in vielen Nachrichten rüber („Weizenklau in der Ukraine“) u. a., oder Nahrungsmittel gezielt an die wenigen Verbündeten umzuleiten. [39], Derweil hat Indien, offiziell in Erwartung einer schlechten Ernte,[40] einen Exportstopp verhängt und der Weizenpreis an den Märkten explodiert. Für uns ist diese Entwicklung ein weiterer Vorbote für die Verteilungskämpfe zulasten der Ärmeren, die der Welt bevorstehen. Wasser wird dabei ebenfalls eine eminent wichtige Rolle spielen. Der Hunger wird wieder zunehmen. Aber nicht, weil die Menschheit (sofern ihre Zahl sich mal irgendwann endlich stabilisiert) nicht zu ernähren wäre, sondern weil künstlich an der Knappheit geschraubt wird. Was in der Ukraine und in Russland passiert, ist rein politisch und ob Indien nicht bloß Kapital aus dieser Lage schlagen und Weizen zu Überpreisen verkaufen will, darf man sich ebenfalls fragen. Die Spekulation an den Märkten tut ein Übriges, um die Probleme zu steigern, weil sie natürlich diesem Trend folgt und für weiteren Preisauftrieb sorgt. Wer diese Form von Marktwirtschaft gut findet, hat eine verbrecherische Mentalität. Und damit zu weiteren Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und damit weiter im Thema.

16.05.2022 Die größten Sorgen der Menschen hierzulande[41]

Ist es der Ukraine-Krieg, der den Menschen am meisten Sorgen bereitet? Nein, überraschenderweise nicht. 34 Prozent tendierten aber immerhin dazu. Nur noch 8 Prozent sehen die Pandemie als den größten Sorgenbringer an. Doch nicht weniger als 40 Prozent haben Angst vor der grassierenden Inflation. Zwei Drittel der Befragten dieser Umfrage haben angegeben, ihr eigenes Einkaufsverhalten bereits geändert zu haben und auf den Energieverbrauch (mehr) zu achten. Brav, die Bevölkerung, oder? Aber ob das so bleibt, wenn wir nicht, wie heute, die letzte Flasche Sonnenblumenöl bei unserem Markt um die Ecke abgrasen konnten, sondern, wie letzte Woche, in drei verschiedenen Geschäften gar nicht mehr fündig wurden? Wie wir unser Einkaufsverhalten zu professionalisieren versuchen, wohl wissend, dass wir damit bald an Grenzen stoßen werden, wenn die massive Teuerung weiter anhält oder sich gar weiter beschleunigt, haben wir in unserem letzten Beitrag zur Inflation erläutert. Komisch auch: Die Menschen bibbern, aber die Verantwortlichen werden nicht durch Abstrafung bei Wahlen zur Rechenschaft gezogen. Siehe gestern in NRW. Nicht wählen ist übrigens erst gar keine Lösung, auch wenn wir alle wissen, dass wir der Politik, auch wenn wir Millionen sind, in Relation zu einigen Millionär:innen ziemlich blunze sind. Und damit weiter im Thema.

16.05.2022 Der heutige Trend: #IchBinArmutsbetroffen – Twitter Suche / Twitter

Lange ist es her, dass Menschen in diesem Land, die von Armut betroffen sind, ihre Scham überwanden und sich outeten. Wenn wir richtig orientiert sind, geschah das, als „Hartz IV“ eingeführt wurde und es zu Protesten kam. Wir mussten richtig lachen, angesichts dieser Übersicht der Süddeutschen Zeitung: Hartz IV: „Ohne Sanktionen tanzen uns Empfänger auf dem Kopf herum“ – Wirtschaft – SZ.de (sueddeutsche.de)

Klassismus und Diskriminierung durch Ämter mit und dem misanthropischen Menschentyp, der sich dort offenbar gerne ansiedelt, und der übliche Von-oben-herab-Journalismus mal wieder voll at Work. Das BVerfG ist mitschuldig an den Sozialverbrechen der Regierungen Schröder und Merkel, weil es Sanktionen unter das Existenzminimum für zulässig erklärt hat. Die Schäden reichen über Hartz IV hinaus, denn damit wurde der Wert des gesamten Grundrechte-Katalogs des GG zur Disposition der herrschen Klasse gestellt. Wer Art. 1, Die Würde des Menschen, so mit Füßen tritt, wie die Politik es mit der heutigen „Sozial“-Gesetzgebung tut, kann nicht mehr glaubhaft machen, dass die folgenden Normen noch Geltung haben und das schadet massiv dem Vertrauen in die Demokratie. Da Art. 1 Ewigkeitsgarantie hat, höhlt man ihn eben aus, wenn er nicht mehr passt. Das Eigentumsrecht hat übrigens keine Ewigkeitsgarantie, ist aber das absolute, das Meta-Dogma, in diesem System.

Zur Hartz IV zurück: Richtig wäre es vielmehr, Wohlverhalten, Eigenanstrengungen durch Boni zu privilegieren und den Missbrauch zu bekämpfen, als wieder einmal pauschal auf die Ärmsten einzudreschen, aber sich nicht an die Abzocker:innen heranzutrauen. Allgemein typisches Berliner Verhalten Verbrecher:innen gegenüber, kennen wir. Immer auf die tatsächlich Schwachen.

Zu jenen gehören auch Menschen, die möglicherweise dieses System viele Jahre lang durch ihre Steuern und ihre Tätigkeit gestützt haben. Es kann ganz schnell gehen, dass jemand, der ganz normal gearbeitet hat, in Hartz IV landet, z. B. durch eine länger andauernde Erkrankung, die ihn aus dem Beruf drängt. Besonders bei Selbstständigen geht das ratzfatz, weil es keinen Zeitpuffer durch Krankengeld und ALG I gibt. Wer noch keine Möglichkeit hatte, massiv Vermögen aufbauen, sitzt sofort in der Falle und wer schon etwas dafür tun konnte, muss es erst einmal bis zu einem lächerlich niedrigen Restwert hin aufbrauchen, bevor er überhaupt Unterstützung erhält. Egal, wie es diesen Menschen dann geht, sie werden mit einer strikt autoritären Behörde konfrontiert, die sie grundsätzlich als Delinquenten, nicht etwa als „Kunden“ ansieht und zu dem persönlichen Unglück, das mit einer solchen Abdrängung aus der bisherigen Tätigkeit regelmäßig verbunden ist, mit einem gesellschaftlichen Stigma versehen und von vorne bis hinten drangsaliert. Wer diese permanenten Demütigungen nicht aushält und seinem Leben selbst ein Ende setzt, dessen unsterbliche Seele darf von wo auch immer dabei zusehen, wieauf dem Amt ein Korken knallt: Wieder eine:n zur Strecke gebracht, der sich nicht wehren konnte.

Bei dem heutigen Hashtag darf es nicht bleiben, aus diesem Ansatz muss endlich eine mutige Bewegung werden. Hoffentlich erkennen wenigstens ein paar nicht ganz so verpeilte m. o. w. inke Politiker:innen diese Möglichkeit. Soziologisch betrachtet ist die folgende Anmerkung viel zu kurz, das wissen wir, aber sie muss sein: Es geht auch darum, zu begreifen, dass man das Spiel der Mächtigen nicht mitmachen darf, sich als arbeitender Mensch des Prekariats, der unteren oder mittleren Mittelschicht gegen die Armen in Stellung bringen zu lassen, anstatt zu überlegen, wie man selbst in Relation zu den leistungslosen Superreichen gestellt ist und endlich politische Konsequenzen daraus zu ziehen.

Die NRW-Wahl hat leider gerade wieder gezeigt, wie schwer das den Menschen zu vermitteln ist. Leider liegt es nicht nur an ihnen, sondern auch daran, wie linke Politik in diesem Land generell vermittelt wird: Es ist nur noch zum Fremdschämen. Und damit zur NRW-Wahl.

16.05.2022 Wahlen in NRW

Die professionellen Wahlanalytiker sind am Werk und wir haben ein paar Stimmen für Sie zusammengetragen.

Marie Illner, Web.de.

Merz: „Die CDU ist zurück“ – Der Wahlabend in NRW in Zitaten | WEB.DE

Welche Bedeutung das Ergebnis der Landtagswahl in NRW für die Bundesparteien hat | WEB.DE

Nordrhein-Westfalen: Landtagswahl in NRW: Niedrige Wahlbeteiligung schadete vor allem der SPD | tagesschau.de

Analyse: NRW-Wählermehrheit will neue Koalition – Landespolitik – Nachrichten – WDR

FDP-Pleite in NRW – Wahlforscher sieht zwei Gründe: Corona-Ärger und einen Lindner-„Fehler“ (merkur.de)

In der Analyse heißt es, in der Bundesregierung sei das marktwirtschaftliche Elemente nicht zu erkennen. Welch ein Unsinn, mit Verlaub Anfangs dominierte die FDP als kleinster Koalitionspartner die Szene komplett, erst seit dem Ukraine-Krieg ist klar, dass man es nicht einfach so marktwirtschaftlich laufen lassen kann, ohne die Menschen wenigstens ein bisschen zu entlasten. Andere Länder in der EU greifen gerade viel stärker in die Wirtschaft ein, um die Bevölkerung einigermaßen vor den Folgen eines ganz sicher nicht von ihr verursachten Krieges zu schützen. Deutschland ist das neoliberalste Land in ganz Europa und damit auch eines der neoliberalsten Länder weltweit. Aber vom Elfenbeinturm der einen oder anderen Uni aus kriegt man vermutlich die desaströsen Auswirkungen dieser Politik auf den Zustand der Gesellschaft nicht so mit oder ist mit den Thinktanks verbunden, die am liebsten sämtliche Rechte der Menschen gegenüber einem letztlich vollkommenen Ausbeutungsdurchgriff der „Wirtschaft“ schleifen möchten. Gerade für NRW mit den vielen Menschen, die in großindustriellen Strukturen tätig waren, wäre die neoliberale Medizin des puren Individual-Egoismus das pure Gift, gerade sie brauchen eine mehr kooperative Konversion der Wirtschaft.

Der hoffnungsvollste Ansatz: Die Grünen wollen NRW zur ersten klimaneutralen Industriezone Europas machen und damit zu einer Futurezone (Ricarda Lang sinngemäß gestern Abend bei Anne Will). Dann mal los, auf so etwas warten wir ja schon so lange, im Interesse unserer Freund:innen in NRW und von uns allen. Es wäre das erste Mal, dass eine Industrieregion die Konversion aus dem Niedergang riesiger Altindustrien heraus, in dem Fall als immer noch größte Industrielandschaft Europas, wirklich schaffen würde und insofern zukunftsweisend über NRW und über Deutschland hinaus. Wenn das mit der CDU gelingen soll, muss aber mehr Druck gemacht werden als gerade in der Bundes-Ampel, wo man offenbar gar nicht so gram darüber ist, dass man durch den Krieg erst einmal an mehr Nachhaltigkeit und mehr sozialer Politik gehindert wird.

Der beste, weil unumstößlich wahre Satz: Die Linke muss sich erneuern. Das gilt schon, seit wir sie kennen, bisher hat sie es in der Zeit als Auftrag zu Lean Cusine verstanden, wenn es um Wahlergebnisse ging. Dass sie in Berlin (AGH-Wahlen September 2021) noch zweistellig ist, verdankt sie hauptsächlich dem Engagement für „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die als Volksentscheid 56 Prozent Zustimmung einfahren konnten. Die Grünen können da anders auftreten:

Wir sind in Krisen handlungsfähig und verlieren trotzdem dabei die großen Herausforderungen nicht aus dem Blick“, äußerte die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang selbstbewusst. Gerade in Nordrhein-Westfalen hätten die Menschen sehen können, was geschehe, wenn eine Regierung sich vor Transformationsprozessen verstecke und wegducke, erklärte Lang weiter. Man habe als Partei ein eigenständiges Angebot gemacht und werde nun schauen, wer bereit sei, „diesen Weg in eine klimaneutrale Zukunft mitzugehen“.[42]

Wenn das Verhalten von Jens Spahn (Sie erinnern sich, der Fail-Corona-Gesundheitsminister) gestern bei Anne Will der Maßstab für eine anpackende und kooperative Politik der Zukunft auch in NRW sein soll, dann sollte man allerdings mit den Hoffnungen vorsichtig sein Wie kann man nur so jung sein und schon so old School rüberkommen? Merz hin, Günther und Wüst her, die CDU hatte immerhin eines richtig gemacht: Frühzeitig von der Idee Abstand zu nehmen, dass Spahn ihr nächster Vorsitzender werden könnte.

Wir sind aber a.) nicht der Ansicht, dass man aus dem, was gestern bei einer rekordmäßig niedrigen Wahlbeteiligung gelaufen ist, zu sehr auf die Bundespolitik übertragen und es auch nicht für Scholz-Bashing verwenden sollte, b.) wie wär’s denn mit der alten Weisheit, dass ein Regierungswechsel im Bund eine Gegenbewegung auf Länderebene verursacht? Im Saarland, bei der ersten Landtagswahl nach der Bundestagswahl im September 2021, war der Ampel-Auftrieb vielleicht noch zu frisch für eine Gegenbewegung, hauptsächlich war der Aufstieg der SPD aber dem Zusammenbruch der dortigen Linken in der Nach-Lafontaine-Zeit zu verdanken, also einer Sondersituation.

15.05.2022: Wahlen in NRW, Update nach der Wahl, nach Vorlage des vorl. Amtl. Endergebnisses noch einmal aktualisiert

„Wir haben bei der ans Ende des Artikels angefügten Abstimmung mitgemacht. Danach wäre die CDU sehr klar vor der SPD. Wir haben mit ‚keine der genannten Parteien‘ gestimmt“, schrieben wir heute Mittag im Briefing. Man durfte also auch mitmachen, wenn man nicht in NRW wohnt. Die CDU kam in dieser Abstimmung zum relevanten Zeitpunkt auf 36 Prozent, die SPD auf 24 Prozent. Verblüffend, wie gut diese sicher nicht repräsentative Abstimmung, die nicht einmal regional gebunden war, nun das spiegelt, was die aktuellen Hochrechnungen aussagen, Zahlen sind Prozentwerte, das vorläufige amtliche Endergebnis in Prozentzahlen:

CDU 35,7 (+2,7)

SPD 26,7 (-4,6)

Grüne 18,2 (+11,8)

FDP 5,9 (-6,7)

FDP 5,4 (-2,0)

Die Linke 2,1 (-2,7)

Sonstige: 6,1 (+1,5)

Der Verlust an linken Politkmöglichkeiten wird uns in den nächsten Jahren noch beschäftigen. NRW wäre ein Bundesland gewesen, in dem Die Linke unter einigermaßen normalen Voraussetzungen Chancen auf den Einzug in den Landtag gehabt hätte, wie die 4,9 Prozent bei der vorausgegangen Wahl bewiesen haben.

Krass niedrig scheint mit 56 Prozent die Wahlbeteiligung zu sein. Das zeugt leider auch davon, dass die Menschen nicht wirklich politisiert sind, angesichts der Angebote. Keinerlei „Schicksalswahl“-Stimmung offensichtlich. Wir haben das wohl sogar in Berlin gespürt und deswegen die Berichterstattung zu diesem wichtigen Ereignis dezent ins Briefing integriert, anstatt ihr breiten Raum zu widmen. Irgendwann werden wir uns die wichtigen Kennzahlen von NRW wieder anschauen und feststellen, was wirklich für die Menschen bei diesen leichten Verschiebungen zwischen CDU und SPD herauskommt. Die Grünen betreffend: Es gibt Soziologen und Parteienforscher, die sagen, weit über 20 Prozent kann es für sie in NRW nicht gehen, weil dafür das Milieu in Gegenden fehlt, die eben auch hohe ländliche Anteile und nicht-urbane Städte haben (ein Mangel an Hipstern und kriegswütigen Biobauern sowie der für sie / durch sie geschaffenen Infrastruktur ist wohl insbesondere im Ruhrgebiet zu beklagen). Ausnahme: Baden-Württemberg, begründet in der speziellen Person des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der auf uns immer eher wie ein Generalschwabe denn wie ein Grüner wirkt.

Bei ersten Hochrechnungen musste die FDP noch um den Wiedereinzug ins Parlament bangen, die SPD könnte nur mit ihr und den Grünen regieren, und auch für eine solche Ampel würde es knapp, die CDU kann auch mit den Grünen alleine in eine stabile Zweierkoalition gehen. NRW, das Land der noch relativ klaren Verhältnisse? Innenstädte für die Grünen, Randbezirke der Städte und weniger urbane städtische Kommunen für die SPD, katholisches Rhein- und Münsterland für die CDU? Wir werden es bei der Wahlkreisanalyse sehen.

Krass niedrig scheint mit 56 Prozent die Wahlbeteiligung zu sein. Das zeugt leider auch davon, dass die Menschen nicht wirklich politisiert sind, angesichts der Angebote. Wir haben das wohl sogar in Berlin gespürt und deswegen die Berichterstattung zu dieser wichtigen Wahl dezent ins Briefing integriert, anstatt ihr breiten Raum zu widmen. Irgendwann werden wir uns die wichtigen Kennzahlen von NRW wieder anschauen und feststellen, was wirklich für die Menschen bei diesen leichten Verschiebungen zwischen CDU und SPD herauskommt. Die Grünen betreffend: Es gibt Soziologen und Parteienforscher, die sagen, weit über 20 Prozent kann es für sie in NRW nicht gehen, weil dafür das Milieu in Flächenländern fehlt, die eben auch hohe ländliche Anteile und nicht-so-richtig-urbane Städte haben (ein Mangel an politisch rudimentären Hipstern und kriegswütigen Biobauern mitsamt der für / durch sie geschaffenen Infrastruktur ist wohl insbesondere im Ruhrgebiet zu beklagen). Ausnahme: Baden-Württemberg, begründet in der speziellen Person des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der auf uns eher wie ein Generalschwabe denn wie ein Grüner der tonangebenden Generation wirkt.

Ansonsten bleibt uns nur, den vielen Menschen in NRW, darunter auch Freunden von uns, viel Glück mit der neuen Regierung zu wünschen. Glück auf heißt es ja endgültig nicht mehr, seit alle Zechen stillgelegt sind. Ach ja, wir werden unsere Freunde auch mal fragen, ob sie überhaupt gewählt haben.

15.05.2022, während der Wahl

Wir haben den Wahl-O-Mat gemacht und das Ergebnis war sozusagen das Übliche.[43] Heißt, gleich, wer die heutige Wahl gewinnt, Hendrik Wüst von der CDU, der amtierende Ministerpräsident oder Thomas Kuschaty, sein Herausforderer von der SPD, wir würden ihn nicht wählen, wenn wir dort wohnen würden. Wie schon in Schleswig-Holstein am letzten Wochenende: Es ist mehr oder weniger egal, wer unter der Ägide der Wirtschaftslobbyisten regiert. Falls Sie in NRW wohnen und den Eindruck haben, hier zeichnen sich bahnbrechend unterschiedliche Alternativen ab, schreiben Sie uns bitte, vor allem, wenn es sich um solche handelt, die eine krass gute Zukunftsvision für das bevölkerungsreichste Bundesland haben. Wir bilden Ihre Antwort dann in einem unserer nächsten Briefings ab.

Wir finden es übrigens falsch, von einer „kleinen Bundestagswahl“ zu sprechen, wie viele Kommentator:innen es tun. NRW spiegelt weder den Durchschnitt der Bundesrepublik, noch ist es mit seinen regionalen Besonderheiten repräsentiert, wenn es quasi als Miniaturausgabe der Republik apostrophiert wird. Richtig ist: Die Wahl dort ist besonders wichtig, weil die großen Parteigliederungen in NRW viel Einfluss auf die Bundesparteien haben und ein Erfolg oder eine Niederlage dort wichtige interne Strukturen verändern kann. Hier gibt es ein paar schnelle Informationen,[44] unter anderem diese:

Den Zahlen zufolge dürften die Grünen mit Umfragewerten um 17 Prozent die „Königsmacher“ werden und könnten sich in Sondierungen mit CDU und SPD entsprechend teuer verkaufen. Ihre Spitzenkandidatin Mona Neubaur stellte in dieser Woche bereits ihre „Regierungsvorhaben“ vor und meinte selbstbewusst, es wäre „vielleicht gar nicht so spielentscheidend“, welcher Mann Ministerpräsident werde. „Egal in welcher Regierungskonstellation“ würden die Grünen schon für Wandel sorgen. Die Spitzenkandidaten von CDU, SPD, Grünen und FDP schließen nichts kategorisch aus – außer eine Zusammenarbeit mit der AfD.

Und mit der Linken? Ach ja, die wird weit von einem Einzug in den NRW-Landtag entfernt abschneiden.

Wir haben bei der ans Ende des Artikels angefügten Abstimmung mitgemacht. Danach wäre die CDU sehr klar vor der SPD. Wir haben mit „keine der genannten“ Parteien gestimmt.

Eine gesonderte Wahlberichterstattung wird es trotz der Wichtigkeit der Wahl von uns nicht geben, allenfalls ein Update des heutigen Briefings, wenn sich Überraschungen ergeben sollten. Ansonsten morgen mehr zum Ergebnis.

15.05.2022 Ukraine-Krieg

Gestern hat die russische Regierung verkündet, dass sie die EU-Mitgliedschaft der Ukraine nicht mehr neutral sieht, sondern einer NATO-Mitgliedschaft mehr oder weniger gleichstellt, also dagegen ist.[45] Da wirkt es irgendwie seltsam kongruent, dass in der Nacht auf das mittlerweile weltberühmte Asow-Stahlwerk in Mariupol, das Symbol der Verteidigungsbereitschaft, in dem noch ca. 1.000 Kämpfer:innen ausharren, Phosphorbomben mit hämischen Aufschriften zum ESC-Gewinn der Ukraine und wegen eines Appells, den die ukrainischen Teilnehmer:innen dabei abgegeben haben, geworfen wurden. Wäre es nach den professionellen Voter:innen gegengen, hätte die Ukraine diesen ESC nicht gewonnen, aber das Publikum, das die überwiegende Zahl der Stimmen vergibt, hat sein Herz sprechen lassen.[46]

Ob die rüde und zynische Form der Bombardierung des Asow-Werks stimmt oder nicht, wollen wir noch abwarten, aber da in diesem Krieg wieder einmal jede Menschlichkeit verloren geht, ist es nicht unmöglich. Phosphorbomben zählen zu den geächteten Kriegswaffen, ebenso wie biologische, chemische und natürlich auch atomare Waffen.

Was man dahinter sehen könnte, ist großer russischer Frust, ist weitere Verrohung und möglicherweise sind die Informationen richtig, dass auch die massive russische Offensive im Osten der Ukraine nicht mehr richtig vorankommt oder, vorsichtiger ausgedrückt, „nicht im Zeitplan liegt“.[47] Sollte das der Fall sein, gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, wie es weitergehen könnte: Die Ukraine wird mit Hilfe des Westens den Krieg drehen oder Putin wird (noch mehr) verbotene Waffen einsetzen lassen. Falls die Informationen des ukrainischen Verteidigungsministeriums auch nur annähernd stimmen, die gerade veröffentlicht wurden,[48] wäre das ein Desaster für die russischen Kriegsherren und würde eine Beobachtung belegen, die nun im Wesentlichen und im Großen seit 100 Jahren gilt: Aggressoren gehen gegen eine entschlossene Verteidigung blutig baden, auch wenn sie zunächst hoch überlegen erscheinen. Uns fällt spontan jedenfalls kein erfolgreicher Angriffskrieg der letzten Jahrzehnte ein.

15.05.2022 NATO-Erweiterung, Nord-Süd-Konflikt auf Normalmaß reduziert?

Gestern haben wir uns zur überraschenden möglichen Blockade der Aufnahme von Schweden  und Finnland in die NATO durch die Türkei geäußert. Mittlerweile wird nicht mehr ganz so heiß gekocht, vermutlich wird die Sache auch bald gegessen sein, nachdem Finnland nun seinen offiziellen Antrag gestellt hat. Schweden wird vermutlich nicht zurückbleiben. Nach dieser Argumentation klingt das Ansinnen der Türkei, aus deren Sicht dargestellt, nicht unlogisch: Wenn die EU die PKK als Terrororganisation einstuft, dann darf sie in EU-Ländern nicht walten, wie sie will.[49]

Ob das in Schweden der Fall ist, haben wir noch nicht recherchiert, aber dass das Land, ebenso wie Deutschland, viel Raum für alle möglichen Organisationen lässt, die man nicht unbedingt als Speerspitze der Demokratieverteidigung bezeichnen kann, ist bekannt. Vermutlich glaubt man die Stärke des eigenen Systems. Was wir in Deutschland sehen: Das könnte eine Fehlannahme sein, zumindest, wenn zu viele Angriffe aus verschiedenen Richtungen auf die Demokratie gleichzeitig stattfinden. Auch eine Schwächung der Demokratie durch immer rigidere Überwachungs- und Polizeigesetze ist ein Sieg für die Antidemokraten. Wer also dass Narrativ pflegt, dass in der Ukraine die Freiheit verteidigt wird, der muss auch etwas mehr darauf achten, was im eigenen Land passiert, als das bei uns schon seit vielen Jahren der Fall ist. 

Gestern gab es nur Erdogans Auftritt, der auf geostrategisches Sich-Aufplustern schließen ließ, aber nach der obigen Darstellung wirkt das, was wir gerade sehen, viel rationaler und nachvollziehbarer. Das ändert freilich nichts daran, dass Erdogan gegen die Türken ebenso einen Angriffskrieg führen lässt wie Putin gegen die Ukraine. Wenn er sich aber auf eine Einschätzung der EU, die PKK betreffend, berufen kann, dann hilft ihm das natürlich dabei, die NATO-Mitgliedschaft von Schwedne und Finnland an Bedinungen zu knüpfen. Ob diese erfüllt werden? Wir werden es sehen, aber dass eine NATO-Erweiterung in diesem wichtigen Moment an einem, von der Ursache her Türkei-internen Problem scheitert, das die dortige herrschende Politik wesentlich mitverursacht hat, scheint doch eher unwahrscheinlich.

15.05.2022 Spaltung oder Vereinigung durch den Krieg?

Kürzlich hat die Zeit ein Interview mit Harald Welzer geführt, einem der Unterzeichner des offenen Briefs an Bundeskanzler Scholz, in dem vor einem Atomkrieg gewarnt wird. Wir haben diesen Appell nicht unterzeichnet, weil er uns zu einseitig war und zu sehr in die Richtung ging, Russland mehr oder weniger ungehindert den Krieg gewinnen zu lassen. Zumindest kann man den Aufruf so interpretieren. Klar, dass der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk darauf ansprang, woraus eine Kontroverse hervorging, die sich letztlich mit einer anderen verknüpfte: Spaltet oder eint dieser Krieg das Land? Damit ist nicht die Ukraine gemeint, sondern Deutschland. Auf NATO- und EU-Ebene ist überwiegend ein Schließen der Reihen zu beobachten, keine Frage.

Aber wie sieht es mit der deutschen Gesellschaft aus? Wir meinen, es ist wie mit Corona. Disparitäten werden und wurden nicht durch diese Herausforderungen geschaffen, sondern deutlicher sichtbar als bisher. Außerdem gehören sie in einer Demokratie mehr oder weniger dazu, sofern der Anstand bei der Auseinandersetzung einigermaßen gewahrt bleibt. Dass dies häufig nicht der Fall ist, liegt an einem Mindset, das durch jahrzehntelange neoliberalistische Verrohung geschaffen wurde, nicht an den politischen Themen selbst. Bezüglich existenzieller Gegenstände wie Krieg und Frieden wird es immer unterschiedliche Ansichten geben, die mit Leidenschaft vorgetragen werden dürfen.

Selbst die Verrohung der Diskussionskultur ist durchaus ein fragwürdiges Narrativ: Schauen Sie sich mal Bundestagsdebatten an, in denen noch die Kriegsgeneration das Wort führte: Haben Sie den Eindruck, dass es damals einen besseren politischen Stil gab als heute? Oder sind wir nur gegenwärtig massiv davon enttäuscht, dass die Wende von 1989 keine friedlichere, empathischere Welt hervorbrachte? Was es in jenen Jahren noch nicht gab und was die Sichtbarkeit der Differenzen erhöht: Soziale Netzwerke und „Bürgerjournalismus“, Plattformen, auf denen alles aufeinanderprallt, was früher auf ähnlich deftige Weise am Stammtisch als dem Vorläufer der virtuellen Bubble besprochen wurde. Dort blieb es aber im Wesentlichen in der Bubble und man hatte weniger Kontakt zur Gegenseite. Klassenpolitisch war das sogar von Vorteil, aber die hohe Transparenz dessen, was die Menschen so denken, ist eben eine Erscheinung unserer Zeit, an die sich nicht alle gleichermaßen gewöhnen, mit der nicht alle umgehen können. Deswegen vertreten wir im Wesentlichen eine Position, die, wo immer es geht, pro Meinungsfreiheit und gegen Einschränkungen derselben gerichtet ist. Grenzen ziehen wir vor allem dort, wo es um strafbare Tatbestände geht, die unabhängig vom technischen Medium, mit dem sie geäußert werden, zu verfolgen wären.

Die Gesellschaft ist nicht „einig“ und wird es durch diesen Krieg nicht werden, vielmehr muss sie, wenn sich der Pulverdampf etwas verzogen haben wird, wieder über ihre Zukunft und mehr Gerechtigkeit diskutieren. In aller Offenheit. Gerne inkludiert: Wie es eigentlich immer wieder zu solchen Kriegen komme kann und wie wir unser Verhalten endlich so verändern, damit die Wahrscheinlichkeit wesentlich sinkt, dass wir uns doch mal eines Tages alle gegenseitig auslöschen. Nur ein Tipp: Je lebendiger und gerechter eine Demokratie ist, je weniger sie Hass und Gewalt im Inneren produziert, je weniger sie andere unterdrücken und imperialistisch beherrschen will, desto weniger kriegslüstern geht es in ihr und mit ihr in der Regel zu. Darüber muss mit einer Demokratie wie den USA wieder ohne Scheu gesprochen werden. Aber sprechen Sie mal mit den Machthabern in China über Demokratie. Da können Sie auch gleich einen Sack Reis umwerfen. Und das ist der Unterschied, der im Grunde antiimperialistische Äquidistanz eher von der Seite her angreifbar macht, dass Russland oder China augenfällig und einseitig als die Guten angesehen werden. Das Umgekehrte ließe sich besser argumentieren. Wir bleiben in der Mitte und sind gegen jede Form von expansiver und auf Ungleichstellung beruhender Geopolitik. Wäre ein solches multipolares System verwirklicht, würden wir es bis in unseren Alltag hinein merken: Alles wäre entspannter und friedlicher.

14.05.2022 Ukraine-Krieg

Kürzlich haben wir gelesen, dass ein Deal sein könnte: Die Ukraine handelt mit Russland einen Waffenstillstand aus unter Aufgabe einiger von Russland besetzter Gebiete und erhält dafür die EU-Mitgliedschaft. Ernsthaft jetzt? Eine Mitgliedschaft kann sie sowieso beantragen, aber nicht zu Sonderkonditionen, also qua Putin-Express. Wir sind diesbezüglich verhalten. Die Ukraine wäre nach einer Aufnahme das ärmste Land der EU, zudem ein ziemlich großes, außerdem hat sie noch einen Weg vor sich, bis die Kriterien an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eingehalten sind, die man als EU-Mitglied mindestens erbringen sollte. Dass einige aktuelle Mitglieder der EU diesbezüglich keine guten Vorbilder sind, muss hingegen viel mehr diskutiert und gegebenenfalls auch sanktioniert werden, falls sich die EU tatsächlich als Wertegemeinschaft begreift (was sie nach unserer Auffassung nur an zweiter Stelle ist, was aber vorrangig sein sollte). Die Abstimmenden sind bei einer entsprechenden Umfrage gespalten, es gibt nur eine knappe Mehrheit für die Aufnahme der Ukraine.[50] Allerdings kommt es immer auf die exakte Fragestellung an, die liegt uns in diesem Fall nicht vor.

Dafür haben wir eine Abstimmung, hier können Sie mitmachen: Civey-Umfrage: Sorgen Sie sich, dass die neuesten russischen Sanktionen gegen die EU Deutschlands Wirtschaft nachhaltig schaden werden? – Civey

Das „nachhaltig“ spielt dabei für uns eine wichtige Rolle: Schäden, die auf mittlere oder gar lange Sicht nicht wiedergutzumachen sind und auch nicht durch einen Innovationsschub an anderer Stelle, etwa auf dem Sektor der erneuerbaren Energien, ausgeglichen werden können. Wir fürchten angesichts der extremen globalen Vernetzung der Wirtschaft sehr wohl, dass dies der Fall sein wir und  mit uns tun dies derzeit exakt 50 Prozent sogar mit „eindeutig ja“, weitere 15 Prozent mit „eher ja“. Die übrigen haben keine Ahnung von Wirtschaft und vor allem nichtvon der Fragilität eines Systems, das schon seit der Bankenkrise nur noch mit Notmaßnahmen funktionsfähig gehalten wird. Hier aber der Begleittext von Civey:

„Energie kann als Waffe genutzt werden. So reagierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag im deutschen Bundestag, nachdem Russland Handelsverbote gegen 31 Energiefirmen verhängt hatte. Zwar verringerte Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Gas seit Kriegsbeginn von zuvor 55 Prozent auf etwa 35 Prozent, dennoch könnten die Sanktionen Auswirkungen auf die deutsche Energieversorgung haben.

Auf der Sanktionsliste stehen auch Teile von Gazprom Germania. Das Unternehmen ist Eigentümerin wichtiger Firmen der nationalen Gaswirtschaft und besitzt den größten Einzelspeicher für Gas in Deutschland. Jetzt müssen sich diese Tochterfirmen nach potenziell teureren Alternativen umsehen, was auf die Verbraucher umgewälzt werden könnte. Außerdem wird es europäischen Firmen durch die Sanktionen erschwert, ausreichend Gasvorräte anzulegen.

In der „Wirtschaftswoche“ versicherte Habeck, dass Deutschland auf die Sanktionen eingestellt sei, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt seien. So müssen die Gasspeicher zum Jahreswechsel voll und mindestens zwei Flüssiggasterminals angeschlossen sein. Außerdem riet er die Deutschen dazu an, kräftig Energie einzusparen. Um wirklich nachhaltig abgesichert zu sein, sei der Ausbau erneuerbarer Energien allerdings der einzige Weg.“

Was wir jetzt erleben und was noch kommen kann, war alles schon abzusehen, seit es um  Sanktionen geht. Deswegen waren wir bereits kurz nach Kriegsbeginn eher dafür, die Menschen in der Ukraine, die kämpfen wollen, mit Waffen zu beliefern als für ein Sanktionskarussell mit unabschätzbaren Folgen. Die Gefahr, dass am Ende alle verlieren werden, ist ziemlich groß, denn auch immer mehr Sanktionen sind eine feindselige Spirale der Eskalation. Dass Putin seinerseits den Hahn zudrehen könnte, wurde ja bisher deshalb mehr oder weniger ausgeschlossen, weil Russland auf die Einnahmen aus Europa angewiesen ist. Den Move, dass er sagt: Entweder mehr Geld oder kein Gas, an den hat lange Zeit kaum jemand gedacht und den werden wir alle deutlich zu spüren bekommen. Es sei denn, er erweist sich als Bluff, aber ob unsere Politiker:innen es darauf ankommen lassen werden, es herauszufinden? Es wird sehr spannend bleiben, so viel steht fest und die Preise werden steigen, so viel steht auch fest. Einige EU-Länder deckeln übrigens die Energiepreise und / oder fordern den „Übergewinn“ von Energieunternehmen zurück, aber in Deutschland, wo Parteien wie die FDP und die Grünen mitregieren? Oh je. Gerechtigkeit ist kein harte Währung, in diesem Land. Deswegen müssen wir uns alle darauf einstellen, dass es voll auf uns durchschlägt, wenn die Politik meint, einen Saktionswettlauf inszenieren zu müssen. Wer anschafft, bezahlt, ist übrigens hierzulande ebenfalls kein hoch geschätztes Prinzip: Die Politik schafft ständig neue Verwerfungen, aber die Mehrheit darf darunter ächzen, nicht die gutbezahlten Anschaffer:innen.

Deswegen schließt sich die Folgefrage logisch an, auch hier können Sie Ihre Meinung kundtun:

14.05.2022 Militär oder Klima?

„Aufgrund des Russland-Ukraine-Krieges läutete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine sicherheitspolitische Kehrtwende ein. Nachdem die Bundeswehr lange einem Sparkurs unterlag, soll sie künftig mit einem Sondervermögen über 100 Milliarden Euro aufgerüstet werden. Laut der Wehrbeauftragten des Bundestages Eva Högl ist dies dringend nötig, da es der Armee an sämtlichen Ausrüstungsmaterialien fehle.

Die Linke lehnt die Aufrüstungspläne ab. Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow und weitere führende Linke fordern stattdessen ein Sondervermögen, mit dem die dringend benötigte Energiewende auch für finanzschwache Haushalte tragbar ist. Mit dem Geld soll u.a. der Gaspreis gedeckelt und der ÖPNV ausgebaut werden. Linken-Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte dem Phoenix zudem, dass nur Deeskalation und nicht Aufrüsten zum Frieden führe.

Neben dem geplanten Sondervermögen erhält das Verteidigungsressort mit dem aktuellen Bundeshaushalt zusätzliche Mittel in einer Rekordhöhe von rund 50 Milliarden Euro. Die Haushaltsplanung sieht zudem „Investitionen in eine wettbewerbsfähige, klimaneutrale und digitale Zukunft” vor, die in den Jahren 2023 bis 2026 insgesamt mehr als 200 Milliarden Euro umfassen sollen. Bis 2045 soll dadurch das Ziel der Treibhausgasneutralität erreicht werden.“

Die Bundeswehr ist im Vergleich zu anderen Armeen krass ineffizient, dort gilt es, den Hebel anzusetzen, anstatt bequem nach immer mehr Geld zu rufen. Klar ist der Instandhaltungsstau jetzt riesig, weil man jahrelang geschlunzt hat, um nicht zu schreiben, jahrzehntelang. Aber schien es nicht so, als ob es nie wieder Krieg geben könnte, in den 1990ern? Die Bundeswehrstrukturen sind es aber nicht allein, es ist auch der Mangel an klarem Auftrag, der sie in Nachteil gegenüber anderen Armeen setzt. Sie ist Verfügungsmasse für ständig wechselnde politische Ideen und Anhängsel anderer Armeen, wenn sie im Einsatz ist. Das hemmt die Motivation und die Effizienz ebenfalls. Wir haben uns von Beginn an gegen das „Sondervermögen“ ausgesprochen und offen gelassen, wie viel Geld wirklich notwendig sein könnte, um die Armee „in Schuss zu bringen“,  und zwar so, dass sie ihren Verteidigungsauftrag erfüllen kann, aber nicht jedes Abenteuer logistisch covern muss, das von anderen an die Bundesregierung herangetragen wird.

Für uns eine ganz eindeutige Angelegenheit: Für das Klima kann man Schulden machen, aber nicht für eine Aufrüstung, die jedes Maß sprengt, obwohl es der NATO ganz gewiss nicht an zu wenig Militär mangelt. Unsere Prognose: Bisher musste noch niemand zur Verteidigung Deutschlands einschreiten und das wird auh so bleiben.

14.05.2022 Blick auf die Linke

Dass „nur Deeskalation und nicht Aufrüstung zum Frieden führe“, wie Linken-Fraktionsvorsitzender Bartsch sagt, ist zumindest in Bezug auf die aktuelle Konfliktlage in der Ukraine eher der Tatsache geschuldet, dass er den verzweifelten Spagat zwischen den stark auseinanderdriftenden Teilen der Linken machen muss, damit die einzige relevante linke Partei in Deutschland sich nicht endgültig selbst zerstört. Ob das noch abzuwenden ist? Für uns ganz und gar offen, wenn wir sehen, wie groß die internen ideologischen Differenzen mittlerweile sind. Bartsch ist zwar eine Integrationsperson, aber kein Zugpferd, wie die Partei es jetzt bräuchte, um sachliche Differenzen zu überwinden.

Die Folgen dieses Niedergangs sind dramatisch, denn wer soll in Deutschland jetzt noch soziale Politik einfordern? Nicht erst der Krieg hat den Zerfall eingeleitet, aber er beschleunigt ihn möglicherweise.

14.05.2022 Der Norden in die NATO: Kalte Füße schon vor Beitritt?  Und im Süden plustert sich Freund Erdogan auf.

Russland stellt die Stromlieferungen nach Finnland ein, weil Finnland sich zu einem NATO-Beitritt entschlossen hat.[51] Derweil will jemand die Nordländer nicht in der NATO haben, der zuletzt eher kleinere Brötchen backen musste, aber jetzt wieder mächtig großspurig auftritt: Freund Erdogan aus der Türkei, Putins Bruder im autokratischen Geiste. Wir erklären mal kurz, warum es für ihn plötzlich so einfach ist:

Die NATO hat es zugelassen, dass er ein sehr enges Verhältnis mit Putin pflegt und sogar Waffensystem für die Türkei in Russland gekauft hat, obwohl sie selbst NATO-Mitglied ist. Und zwar ein wichtiges, an einer geostrategischen Bruchstelle zwischen Europa und Asien. Während Putins Krieg in der Ukraine zu Recht angeprangert wird, schert sich niemand darum, was Erdogan mit den Kurden macht. Er greift sie in Nordsyrien an und das geht weder ohne Putin, aus militärischen Gründen, noch geht es ohne Billigung der NATO-Partner. In Deutschland schweigen die Erdogan-Anprangerer spätestens seit dem Krieg, auch diejenigen, die kurdische Wurzeln haben. Einige von ihnen in der Linken sind sogar gleichzeitig Putin-Versteher:innen. Wie sollen diese eine antiimperialistische Haltung glaubhaft vertreten, wenn sie sich an Russland ketten, egal, was von dot kommt? Das Ergebnis ist, dass sie auch zu Erdogan nichts mehr sagen können, ohne sich vollkommen lächerlich zu machen. Das muss weh tun, aber vielleicht tut ja jemanden, der lange genug in der Politik ist, kein noch so offensichtlicher Widerspruch in den eigenen Positionen mehr weh.

Das Ergebnis des Verhätschelns von Erdogan, das natürlich auch mit dem Flüchtlingsdeal zu tun hat, ist, dass er jetzt die Schweden nicht in die NATO lassen will, weil sie eine relativ freundliche Haltung den Kurden gegenüber gezeigt haben. Das heißt, er macht für dessen Aufnahme zur Bedingung, dass er in Schweden genauso beherzt in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates eingreifen darf wie z. B. in Deutschland. Was erlauben Recep? wäre die richtige Antwort, in beiden Fällen, aber am Ende siegt immer geostrategisches Denken über Menschenrechte und über Ethik und in Ernstfall auch über die Demokratie. Das Krasseste ist, dass Erdogan sich nun auch als Friedensfürst im Sinne eines Vermittlers geriert. Unsere Prognose: Putin wird nicht derjenige sein, der den Frieden in der Ukraine herbeiführen wird. Wenn der Westen zulässt, dass Erdogan dieses Narrativ mit Recht pflegen darf, ist der Westen ein weiteres Mal bis auf die Knochen blamiert, so kurz nach Afghanistan.

Ein Problem ist unzweifelhaft, dass Länder, die in Bündnissen zusammengeschlossen sind, unterschiedliche Entwicklungen nehmen können. Als die Türkei 1952 der NATO beitrat, war sie in einem Demokratisierungsprozess begriffen, jetzt geht es rückwärts, wie auch in Russland. Wird die Türkei deshalb rausgeschmissen? Aber sicher nicht. Erdogans Regime war nicht nur wegen seines Dauerkrieges gegen die Kurden moralisch korrumpiert, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen schon fast am Ende, da kam dieser günstige Krieg in der Ukraine und er wittert Morgenluft. Profiteure gibt es eben überall. Ein Grund mehr, sich bei uns nicht selbst wirtschaftlich massiv zu schaden, während andere die Situation dermaßen kaltblütig ausnützen dürfen. Haben Sie mitgekriegt, wie zahm Kanzler Scholz bei seinem letzten Treffen mit Freund Erdogan war? Okay, nennen wir es typisch scholzsche Zurückhaltung, aber peinlich ist es trotzdem und es nimmt nicht Wunder, dass immer wieder ausländische Politiker mit den unseren einen Umgang pflegen, der unter der Würde ist. Zu ihnen zählt nicht nur der aktuelle ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, sondern immer dann auch Recep Erdogan, wenn ihm etwas nicht passt. Und das kommt recht häufig vor, z. B. immer dann, wenn in Deutschland versucht wird, die politische Einflussnahme religiöser Elemente zu begrenzen.

14.05.2022 Noch einmal zum Norden und zur Energie: Geheimnisse um die Nord-Stream-2-Klimastiftung und wie man sie aufbauschen kann

Die „Welt“ ist in die Meisterklasse des investigativen Journalismus aufgenommen worden, weil sie es geschafft hat, den „wirtscchaftlich Berechtigten“ der Klimastiftung zu ermitteln, die in Mecklenburg-Vorpommern zur Absicherung der russisch-deutschen Gaspipeline eingerichtet wurde, falls die USA durchsanktionieren.[52] Nun ja, ein Triumph ist ein Triumpf und nach unserer Ansicht bleibt es an Putin hängen, dass er seine Freunde in Deutschland hängen lässt, indem er es ihnen durch seinen Angriffskrieg verunmöglicht, das Projekt der Gaspipeline aufrechtzuerhalten. Es fällt uns nach wie vor schwer, den Politiker:innen in MV oder auch in der Bundes-SPD deswegen schwerste Vorwürfe zu machen, denn wie Ex-Präsident Trump sich wegen Nord Stream 2 aufführte, das war – sic! – einer jener Fälle, in denen die Potentaten anderer Staaten meinten, mit der deutschen Politik Schlitten fahren zu können. Wir hatten das Zeichen von Unabhängigkeit, das durch Nord Stream 2 gesetzt wurde, durchaus begrüßt und die ökologischen Aspekte deshalb zurückgestellt, zumal wir davon ausgingen, dass man nicht gleichzeitig aus Kohle, Gas und Atom aussteigen kann und dass Gas als Brückentechnologie das geringere Übel ist. Fragen zu diesen Konstruktionen im Umfeld von Nord Stream 2 sind sicherlich berechtigt, müssten allerdings auch an Angela Merkel gehen. Aber der CDU-geführte Untersuchungsausschuss, den es demnächst in MV geben soll, wird sicherlich auch sie vorladen, oder: warten wir’s ab. Falls ja, viel herauskommen wird dabei nicht. Genau so, wie wir nicht alle so wahnsinnig viel haben, dass jetzt ein gewisser Herr Petersen namentlich bekannt ist.

TH

13.05.2022 In eigener Sache

Freitag der 13., ausgerechnet. Medien, die so etwas wie ein Briefing, einen Lagebericht, einen täglichen Newsletter einsetzen, haben zumeist den Vorteil, dass die Redaktionen frühmorgens schon besetzt sind und dass sie auf eigene Beiträge verweisen können, wenn es um Hintergrundwissen und Vertiefung geht. Wir könnten aber aus unserer Kleinheit den Vorteil ziehen, dass wir nicht auf ein Medium angewiesen sind, sondern uns das Beste aussuchen können, um Sie zu informieren und unsere Meinung zu den Vorgängen in der Welt kundzutun.

Ach ja, der Hintergrund: Wir starten wieder einen neuen Versuch, so etwas wie einen Überblick herzustellen, deshalb diese Ansprache. Selbstverständlich nur zu den Themen, die uns selbst wichtig erscheinen, von einigen wissen wir, dass Sie Ihnen auch wichtig sind, wir können es an den Zugriffszahlen ablesen. Weitere Erklärungen des Features folgen dann und wann, denn Sie wollen ja nicht vorwiegend über uns, sondern über wichtige Themen informiert sein. Vielleicht noch etwas zum Ton. Es hat sich eingebürgert, dass die meist von Chefredakteur:innen geschriebenen Überblick-Newsletters so einen süffisant-ironischen Ton haben, natürlich in Sachen Krieg nicht in dem Maße wie z. B. die Berliner Bürokratie betreffend. Wir werden uns ebenfalls am Thema orientieren, mit dem Bonus, dass wir bei bestimmten Vorgängen auch in einen kämpferischen Modus schalten können. Dass wir das dürfen, haben wir als „Bürgerjournalisten“ den „anderen“ ebenfalls voraus, neben der großen Auswahl an Quellen, die wir hier zeigen können. Wir hoffen, dieses Mal klappt es, Kontinuität herzustellen. Es funktioniert im Kulturbereich, bei Corona, warum nicht beim Weltenlauf? Vielleicht weil man mit dem Laufen kaum hinterherkommt, schon gar nicht in letzter Zeit, wo sich wieder alles zu beschleunigen scheint, aber man darf den Versuch nie aufgeben, dranzubleiben. Außerdem wollen wir versuchen, dieses Briefing mit einer Timeline zu verbinden.

13.05.2022 Russland-Ukraine-Krieg: Scholz muss telefonieren, die Preise explodieren, die NATO darf expandieren

Heute hat Bundeskanzler Olaf Scholz erstmals seit sechs Wochen mit Wladimir Putin telefoniert, dabei ging es um Humanitäres, um einen Waffenstillstand und um die Weltversorgungslage, vor allem mit Lebensmitteln. Bei uns: Immer wieder kein Rapsöl etc. Gestern haben wir in diesem Artikel festgehalten, dass ein Drittel aller Menschen in Deutschland sich Sorgen um die finanzielle Zukunft macht[53] und dass wir der Ansicht sind, es müssten mehr sein. Es sind mindestens zwei Drittel, die wirklich Grund zur Sorge haben. Diejenigen, die mit dem kapitalistischen Sound der Spekulation heulen, Krisengewinnler und die Staatsbediensteten sind die einzigen, die es ruhig angehen lassen können. Und damit steigen wir ins Zitat des Tages ein:

„Die Preise für Benzin, Heizöl, Lebensmittel explodieren. Selbst Mittelschichtfamilien müssen sich einschränken und wer vorher schon mit seinem Gehalt oder seiner kleinen Rente kaum über den Monat kam, ist am Verzweifeln. „Wir werden alle ärmer werden“, behauptet Wirtschaftsminister Habeck. Was für ein Märchen! Wenn Preise steigen, werden nicht alle ärmer – irgendwer wird auch reicher, nämlich der, der den steigenden Preis am Ende kassiert.

Allein im März haben die Ölkonzerne in Deutschland zusätzliche Gewinne in Höhe von 1,2 Milliarden Euro eingefahren. Und seit Kriegsbeginn boomt die Zockerei auf den Agrarmärkten, was die Preise für Weizen und andere Agrargüter nach oben treibt. Doch statt dem Einhalt zu gebieten, sieht unsere Regierung tatenlos zu, wie Ölkonzerne und skrupellose Agrarspekulanten mit der Krise einen Reibach machen.

Dabei muss man das nicht so laufen lassen: In Spanien und Portugal wurde Anfang Mai der Gaspreis per Gesetz fast halbiert und auch der Strompreis gesenkt. In vielen Ländern gibt es mittlerweile gesetzliche Preisdeckel für Energie. Nur der deutschen Regierung fehlt offenbar das Rückgrat dazu. Kein Wunder, dass der Preis für den Liter Diesel nirgendwo in der EU so stark gestiegen ist wie in Deutschland.“[54]

Dabei können wir gleich etwas Wichtiges klarstellen: Sofern sie nicht von rechtsaußen kommt, zitieren wir jede Meinung, wenn wir damit übereinstimmen. Nach vielen Abweichungen zu unseren Positionen hat auch Sahra Wagenknecht wieder etwas geschrieben, was wir für wichtig halten und worauf wir mehrfach hingewiesen haben: Die Simplifizerung der Hintergründe für die Preissteigerungen wird vor allem von Menschen betrieben, die hoffen, wir wissen nicht, dass nicht Engpässe, sondern Spekulationsblasen für die gegenwärtige Preisrallye hauptsächlich verantwortlich sind. Das Gas fließt doch, warum sollen die Preise sich so steigern? Weil an den Börsen für kurzfristige Kontrakte mächtig hohe Preise aufgerufen werden, das sind komplett politische Preise, sie beruhen nicht auf Lieferengpässen. Wo wir nicht mitgehen: Putin kann „seine“ Energie nicht einfach so überall hin verkaufen. Das gilt nicht für Gas, das durch Pipelines gen Westen geschickt wird und außerdem muss es bei den vielen Ländern, die Russland nicht sanktionieren, auch genug Nachfrage für zusätzliches Angebot aus Russland geben. Das dürfte sich sehr wohl auf den Preis auswirken, und zwar negativ für Russland.

Daher ist es eine absolut logische Maßnahme, dass Putin jetzt eine Karte spielt, auf die wir hätten viel früher kommen müssen. Wir haben sie aber als Möglichkeit nicht beschrieben, nämlich, dass Putin jetzt zu uns in Europa sagt: Entweder höhere Preise oder kein Gas mehr. Welch eine Demütigung für die Schwadroneure, die am liebsten selbst alle Lieferungen gestoppt hätten, egal, welcher Preis dafür zu zahlen gewesen wäre. Sicher wird Russland in ein paar Jahren das Problem haben, dass es ganz auf China und Indien angewiesen sein wird, wenn Westeuropa sich wirklich unabhängig von russischen Energielieferungen macht und wir werden sehen, ob dann der Schwanz mit dem Hund wackeln wird und nicht umgekehrt, wovon wir eher ausgehen. Sprich, dass die wirtschaftlich aufsteigenden Milliardenvölker in diesem Spiel mehr und mehr das Sagen haben werden. Auch deswegen finden wir es komplett sinnvoll, wenn die Russen sich als dem europäischen Kulturkreis zugehörig betrachten.

Nun lesen Sie mal bitte den Wikipedia-Artikel über die geostrategischen Entwicklungen seit der Wende von 1989 mit der NATO als Ankerpunkt. Lesen Sie da heraus, dass die Sache komplett einseitig ist und dass man Russland gegenüber nicht massive Fehler gemacht hat, indem man die Chance der Tauwetterphase versemmelt hat? Vor allem ein Statement von Bill Clinton hat uns ziemlich getriggert. Sinngemäß sagte er, man hätte Russland gerne mehr integriert, aber in Washington hätten „politischer Unternehmer“ längst Pflöcke in die andere Richtung eingeschlagen. Sind damit unternehmungslustige Politiker gemeint, die ihre eigene Regierung oder den Präsidenten übergehen oder Unternehmer oder Unternehmercluster, die Politik machen? Oder beides? Es klingt nach Verschwörungstheorie, aber was ist es letztlich: Interessenpolitik, durchgeführt von massiv einflussreichen Interessenvertretern.

Wer diese Infiltrationen als Verschwörungstheorien im negativen Sinne abtun möchte, der muss auch die NOGen, die sich mit den Auswirkungen des Lobbyismus auf die Politik befassen, als Verschwörungstheortiker:innen bezeichnen. Denn genau darum geht es: Dass mächtige Wirtschaftslobbys mehr Frieden in der Welt verhindern und es nicht   zulassen lassen wollen, dass Völker wirklich selbstbestimmt sind:

In einem vom NSO archivierten Telefongespräch am 5. Juli 1994 sagte Clinton zu Jelzin: „Ich möchte, dass wir uns auf das Programm Partnerschaft für den Frieden“ und nicht auf die NATO konzentrieren. Zur gleichen Zeit hätten jedoch „politische Unternehmer“ in Washington den bürokratischen Prozess für eine schnellere NATO-Erweiterung vorangetrieben, als von Moskau oder dem Pentagon erwartet wurde, das sich für die Partnerschaft für den Frieden als wichtigsten Schauplatz für die sicherheitspolitische Integration Europas einsetzte, nicht zuletzt, weil sie Russland und die Ukraine einschließen könnte[55]

Wenn man hinter alle diplomatischen Vorgänge, Finten und auch hinter die Narrative blicken will, ist diese Anmerkung nicht zu unterschätzen. Clinton liefert mit diesen gar nicht so mysteriösen Andeutungen auch den „Deep-State-USA“-Verfechtern reichlich Munition, weil es wirkt, als sei die US-Regierung nicht Herrin des Verfahrens gewesen. So entwickelten sich die USA von dem partnerschaftlichen Gepräge der frühen 1990er unter George Bush sen. zu der Macht mit alleinigem hegemonialem Anspruch unter seinem Sohn George W. Bush. Dass der Terror von 9/11 sehr gut in dieses Konzept passt, weil er den Vorwand für allerlei geostrategische Eingriffe lieferte, folgt auf dem Fuß und ohne jeden logischen Bruch. Dass einige daraus wiederum den Schluss daraus ziehen, die US-„Machtelite“ selbst sei in diese grausamen Anschläge verstrickt gewesen, liegt leider nicht so fern, wie man uns glauben machen will. Damit treffen wir keine Aussage darüber, ob wir zu jenen rechnen, die das glauben.

Deswegen muss man auch sehr wachsam sein, wenn es jetzt um die Kriegsziele in der Ukraine geht: Selbstverteidigungsrecht, Freiheit, Selbstbestimmung auf der einen Seite: ja, das ist so, daran führt nichts vorbei. Aber wie man die Lage geostrategisch wieder am besten ausnutzen könnte, daran wird ebenfalls heftig gearbeitet. Es ist eigentlich ganz einfach: Finnland hat bereits erklärt, dass es einen NATO-Aufnahmeantrag stellen wird, Schweden wird wohl nachziehen. Hat Putin das nicht bedacht? Dass einige nur auf eine solche Gelegenheit gewartet haben, die lahme und strategisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit befindliche NATO, die von den USA selbst unter Donald Trump angeschossen wurde, wieder in Schwung zu bringen? Dass der eine oder andere auch dankbar dafür gewesen sein mag, dass Russland einen Grund dafür liefert, dass der z erstrittene Westen sich wenigstens über eine Sache einig ist, nämlich dass der Ukraine geholfen werden muss? Falls er und seine Berater die Gefahr nicht gesehen haben, spricht das für einen Realitätsverlust über Jahre hinweg. Oder nimmt man es für ein größeres Ziel in Kauf, weil man ohnehin nie vorhatte, im Norden anzugreifen? Weil man weiß, dass die NATO Russland nie angreifen würde, man aber einen Zuwachs an NATO-Ländern propagandistisch ausschlachten kann?

Diese beiden skandinavischen Staaten, die wirtschaftlich gut aufgestellt sind und zu den besten Demokratien der Welt zählen, sind jedenfalls die klarsten Gewinne für die NATO seit langer, langer Zeit. Sie sind ohnehin westlich orientiert und bei Manövern und logistisch eng mit der NATO verbunden, aber eben keine offiziellen Mitglieder, und das ergibt durchaus einen Unterschied. Vor allem, was den häufig zitierten Art. 5 des NATO-Vertrages angeht: Wer ein NATO-Land angreift, greift alle NATO-Länder an. Das gilt in jede Richtung, auch in der Form, dass z. B. die nach allgemeiner Ansicht gut organisierte finnische Armee den baltischen Staaten wohl aus logistischen Gründen als erste zu helfen hätte, wenn Estland, Lettland, Litauen von Russland herausgefordert würden.

TH

[1] Petition · Die Sache der Ukraine ist auch unsere Sache! · Change.org

[2] Andrij Melnyk: Viele Geflüchtete haben „keine Lust, hier zu bleiben“ | STERN.de

[3] Sind ukrainische Flüchtlinge in Deutschland nicht willkommen?: Botschafter Andrij Melnyks verstörender Vorwurf (msn.com)

[4] Angebot aus Spanien: Rollen bald deutsche Panzer in der Ukraine? | WEB.DE

[5] Beitrittspläne der Ukraine spalten die Europäische Union | WEB.DE

[6] Beitrittskandidat: EU-Beitritt? Wie es derzeit für die Ukraine aussieht (t-online.de)

[7] Umfrage zum Ukraine-Krieg: Deutsche zweifeln an Effekt von Ölsanktionen – n-tv.de

[8] Modernisierte Marder fertig zur Auslieferung (msn.com)

[9] Bericht: Scholz reist im Juni nach Kiew – Die Nacht im Überblick | WEB.DE

[10] Warum der durchschnittliche Gaspreis bei $ 4.99 pro Gallone liegt und wie hoch er gehen wird – CNN

[11] Die Inflation steigt so schnell wie seit 40 Jahren nicht mehr, angetrieben von den Rekordgaspreisen – CNN

[12] In Ungarn sollte Deutschland Haltung zeigen – und hinknien! | WEB.DE

[13] „Stinkt zum Himmel“: Esken bringt wegen hoher Spritpreise Tempolimit ins Spiel | WEB.DE

[14] „Das größte Problem“: Militärexperte prognostiziert Ukraine düstere Lage | WEB.DE

[15] Scholz in Skopje und Sofia: Vermittlung im Dauerstreit? | tagesschau.de

[16] Ukraine-Krieg: So erklärt sich das unterschiedliche Handeln der EU-Staaten | WEB.DE

[17] Stimmung der Verbraucher bleibt angespannt | Frontpage | Wirtschaft | Statista, Konsumbarometer – DER WAHLBERLINER

[18] Reuters, Briefing vom 25.05.2022

[19] 9-Euro-Ticket ist beschlossen – der Bundesländer-Frust bleibt (rnd.de)

[20] Parteien – Berlin – Lederer schließt Amt an der Spitze der Bundespartei aus – Politik – SZ.de (sueddeutsche.de), dpa-Meldung

[21] Affenpocken statt Corona? ++ SPD-Fail, Güne-Hype beim Politbarometer ++ Ukraine: Azovstal ++ Putinknechte und Sorgenmenschen ++| Briefing 6 – DER WAHLBERLINER

[22] Affenpocken-Virus: Hot Spot Gay Pride auf Gran Canaria? (yahoo.com)

[23] Affenpocken in Deutschland und weiteren Ländern nachgewiesen – Spektrum der Wissenschaft

[24] Russische Armee: Azovstal und Mariupol sind gefallen | WEB.DE

[25] Neue Haltung zur Ukraine: New York Times klingt plötzlich wie Sahra Wagenknecht (berliner-zeitung.de)

[26] Abhängigkeit von Putin: Deutschland befindet sich in einer gefährlichen Lage (t-online.de)

[27] Mehr Sanktionen und Waffen: Ex-NATO-Chef fordert „deutsche Führung“ – n-tv.de

[28] Corona-Report 108/22 | Es geht wieder voran +++ Übersterblichkeit zu hoch berechnet +++ weltweit mehr Infektionen +++ Wie wird der Herbst, Herr Lauterbach? | Kurzreport – DER WAHLBERLINER

[29] Bundeswehrinstitut bestätigt ersten Affenpocken-Fall in Deutschland​ (rp-online.de)

[30] (1) ZDFheute auf Twitter: „Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die #SPD nur noch auf 22 Prozent, die #Grünen erhielten 24 Prozent und lägen damit vor der SPD. #Politbarometer https://t.co/jj5C6QB3qP“ / Twitter

[31] UKRAINE-TICKER-Asow-Regiment – Zivilisten und Schwerverletzte aus Stahlwerk gebracht (msn.com)

[32] UKRAINE-TICKER-Asow-Regiment – Zivilisten und Schwerverletzte aus Stahlwerk gebracht (msn.com), 20.05.2022, 03:00 Uhr.

[33] (1) DER SPIEGEL auf Twitter: „Die Gräuel von #Butscha entsetzten die Welt, russische Soldaten haben dort wohl Hunderte Menschen ermordet. Der Kreml bestreitet die Verbrechen, doch die »New York Times« hat anhand von Videos acht Fälle genau aufgearbeitet. https://t.co/7ktVmULd01“ / Twitter

[34] Gesellschaftspolitik ohne jeden Skrupel | Die Tagespost (die-tagespost.de)

[35] Spaniens Regierung billigt Gesetzesentwurf zu Abtreibungen | WEB.DE

[36] Chinas Geburtenrate fiel 2021 auf Rekordtief – Asien – derStandard.de › International

[37] Rüffel von Klingbeil für ehrliche Wahlanalyse? Lauterbach reagiert auf Twitter | WEB.DE

[38] (1) Kevin Kühnert auf Twitter: „Schwarz-gelb ist abgewählt! Rot-grün ist möglich! #nrwwahl2022 https://t.co/cXCuLk2w4z“ / Twitter

[39] Russland stiehlt offenbar massenhaft Weizen aus der Ukraine (msn.com)

[40] Weizen: Preis steigt nach Indiens Exportstopp auf neuen Rekord (msn.com)

[41] Nicht Pandemie oder Krieg: Das ist die größte Sorge der Deutschen | WEB.DE

[42] NRW-Wahlanalyse bei Anne Will: „Wir stehen vor dramatischen Entscheidungen“ (t-online.de)

[43] Wenn ich in NRW abstimmen dürfte: Der Wahl-O-Mat für die größte Wahl des Jahres | Parteien, Personen, Politik | Landtagswahl in NRW 2022 – DER WAHLBERLINER

[44] Nordrhein-Westfalen: Bei den Landtagswahlen bleibt es spannend | STERN.de

[45] „Kein Unterschied“ mehr zur NATO: Kreml ändert seine Meinung zu Kiews EU-Plänen – n-tv.de

[46] Publikum-Voting reißt es rum: Die Ukraine gewinnt den ESC | WEB.DE

[47] Ukraine-Krieg im Liveticker: +++ 13:33 Russland hat laut Kiew bereits 27.400 Soldaten und 1220 Panzer verloren +++ – n-tv.de

[48] MFA of Ukraine 🇺🇦 auf Twitter: „Information on Russian invasion Losses of the Russian armed forces in Ukraine, May 15 https://t.co/zhP6zGrAjW“ / Twitter

[49] Finnland und Schweden: Türkei knüpft NATO-Aufnahme an Bedingung – n-tv.de

[50] Das denken die Deutschen zu einem EU-Beitritt der Ukraine (t-online.de)

 

[51] Nach Ankündigung zu Nato: Russland stellt Stromlieferungen nach Finnland ein – WELT

[52] Nord Stream 2: Geheimnis um Schattenmann der Klimastiftung gelüftet – WELT

[53] 1/3 sorgt sich um die finanzielle Zukunft (Statista) | Frontpage | Wirtschaft | Zukunft – DER WAHLBERLINER

[54] Schluss mit grüner Energiepreistreiberei! | Revue (getrevue.co)

[55] NATO-Osterweiterung – Wikipedia

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