Aus der Traum – Tatort 182 #Crimetime 1239 #Tatort #Mannheim #Wiegand #SWF #SWR #Traum

Crimetime 1239 – Titelfoto © ARD/SWF/SWR

 Zwischen Laderampe und Theaterbühne

Aus der Traum ist die 182. Folge der Fernsehreihe Tatort. Die vom Südwestfunk (SWF) produzierte Folge wurde erstmals am 15. Juni 1986 im Ersten Programm der ARD ausgestrahlt. Für Kriminalhauptkommissarin Hanne Wiegand (Karin Anselm) ist es der sechste Fall.

Die Handlung in einem Satz, ohne Auflösung: Ballou, ein junger Arbeiter aus dem sozialen Niemandsland, jedoch mit Theaterambitionen, tötet in Notwehr den Chef, es geht dabei um dessen Frau, und obwohl er mit ihm und dessen Bruder in dunkle Geschäfte der Spedition verwickelt war und bleibt, nebenbei spielt er Theater an einer Jugendbühne und hofft auf den Durchbruch – Kommissarin Wiegand ermittelt, kommt aber auf konventionellem Weg nicht weiter, obwohl sie spürt, dass mit diesem Lockenkopf etwas nicht stimmt.

Niemand soll sagen, in den 1980ern hätte es nicht schon skurrile Tatorte gegeben (1). Dieser hier ist beinahe so absurd wie das Theater sein kann, wenn man es von Laienseite angeht und damit die große politische Keule schwingt. Aber ist das alles vielleicht ironisch? Man muss den ARD-Sendern dafür danken, dass sie solche besonderen Tatorte immer wieder auspacken. Elf Jahre liegen zwischen der hier besprochenen Wiederholungs-Ausstrahlung  und der letzten zuvor.

Bei „Aus der Traum“ muss man schnell eine Grundentscheidung treffen – mag man diesen überzogenen und gleichzeitig rudimentär wirkenden Film oder findet man das Ganze komplett trashig? Es ist schon spannend, Ballou in der Person von Frank Holtmann zu sehen, wie er chargiert, im Leben und auf der Theaterbühne, und im Gegensatz dazu die in diesem Film besonders trocken und auf wenig spektakuläre Weise unsympathisch wirkende Kommissarin Wiegand. Über einige ihrer Tatorte haben wir bereits geschrieben (2), aber dieser ist wohl der „besondere Fall“, der schwierig zu beurteilen ist. Wir versuchen das aber in der -> Rezension.

Handlung  (WDR)

Schauspieler werden – das ist der große Traum von Ballou. Er will weg von der heruntergekommenen Spedition, in der er arbeitet und durch das Theater ein neues Leben anfangen. An seinem Traum soll auch Denise teilhaben, die französische Frau seines Chefs. Als der Chef, Kurt Ellroth, tot in seiner Wohnung gefunden wird, schreibt die Polizei ins Protokoll: Unfall.

Erst ein anonymer Brief veranlasst Kommissarin Wiegand, den Fall nochmals aufzugreifen und sich die Spedition Ellroth etwas näher anzusehen. Außer Denise und ihren Kindern wohnen Ballou und Ellroths Bruder Richard auf dem Gelände. Durch Kurts Tod ist die Firma zusammengebrochen. Richard behauptet, Denise und Ballou seien Komplizen und hätten Kurt aus dem Weg geräumt. Frau Wiegand vermutet dagegen einen Einzeltäter, eben Ballou, hat aber keine Beweise. Ballou dagegen glaubt nicht an den wirtschaftlichen Zusammenbruch der Firma und durchsucht das Büro der Firma Ellroth. Er entdeckt einen Versicherungsschwindel und einen Dritten im Bunde.

Rezension

Bei einem Tatort wie diesem empfiehlt sich deshalb auch eine besondere Herangehensweise. Wir hatten bis zum Anschauen dieses Films nie vom Hauptdarsteller Frank Holtmann gehört, sind also auch erst einmal in die Ermittlungen eingestiegen.

Bei „Serienjunkies“ gibt es genau eine Eintragung als „Gastauftritt“ – diejenige in „Aus der Traum“. Es gibt einen Frank Holtmann, der mit anderen zusammen eine Band gegründet hat, das sagt die Wikipedia. Doch der namentliche Eintrag ist nicht mit einem Biografie-Link hinterlegt. Des Weiteren erfährt man, dass es 9 Fachkräfte namens Frank Holtmann gibt – und 1638 Holtmanns in Deutschland. Das bedeutet, wir können nicht einmal sicher sagen, ob der Bandgründer mit dem Schauspieler identisch ist. Allerdings spielt Letzterer im Film E-Gitarre, genau wie der Holtmann der Band, das ist doch immerhin ein starkes Indiz, zumal auch der Zeitraum einigermaßen hinkommt (1985/86 entstandt „Aus der Traum“, 1992 erfolgte die Bandgründung, vielleicht als Alternative zu mangelnden Schauspielaufträgen).

Kann jemand, der es nicht einmal zu einem Wikipedia-Eintrag gebracht und offensichtlich nur in einem einzigen Film aufgetreten ist, ein guter Darsteller sein? Wie kam es zu der Besetzung der Hauptrolle mit diesem offenbar vollkommen unbekannten Akteur? Letztere Frage können wir leider mangels Nachweisen im Internet nicht klären, aber zu dem seltsamen Fall, den der immerhin sehr bekannte Peter Schulz-Rohr beim SWF als Leiter der Abteilung Fernsehspiel und Musik produziert hat. Der Mann ist auch bekannt als Tatort-Regisseur, unter anderem hat er den allerersten Film der Serie, „Taxi nach Leipzig“ inszeniert.

Es stehen einander also gegenüber: Ein vollkommen unbekannter Schauspieler und ein renommierter Produzent, der sich im Tatort-Metier bestens auskannte (Schulze-Rohr verstarb 2007).

Denkt man linear-logisch, heißt dies, die Produktion wusste genau, warum sie einen laienhaft agierenden Darsteller, der dazu auch noch einen Laiendarsteller im Theater mimt, die Hauptrolle in einer ARD-Premiumproduktion spielen ließ. Und wir bleiben bei diesem Gedankengang, denn die Rechnung geht auf. Wo heute Top-Schauspieler auf skurril machen, war das bei Frank Holtmann nicht gespielt. Die Art, wie er zum Beispiel bei Kommissarin Wiegand den Unschuldigen gibt, mit seinem viel zu intensiven Mienenspiel, reizt zum Lachen, auch die Interaktion mit den übrigen Schauspielern liegt auf ähnlichem Niveau. Vielleicht war es eine ziemlich fiese Entscheidung der Macher von „Aus der Traum“, jemanden für die Hauptrolle des Täters zu engagieren, für den das große Geschäft als Fernsehstar auch nur ein Traum bleiben konnte – trotz seines netten Aussehens im Sinn der 1980er mit VolaHila-Lockenfrisur und einem modelhaften Körperbau, den wir in Szenen mit Denise, der Frau seines Chefs, bewundern dürfen.

Die Ernsthaftigeit, mit der Holtmann seinen Ballou spielt, hat jedoch etwas Erhabenes, wie es dem reinen Tor eignet und die Produktion, die sich dieser offensichtlichen Eigenschaft bedient, in einem besonderen Zwielicht erscheinen lässt, da hilft auch der Gedanke wenig, dass die Gage für Holtmann sicher dem großen Part angemessen war, den er spielt.

Unsere Bechäftigung mit dem Darsteller begründet sich durch den unübersehbaren Fakt, dass die Figur Ballou diesen Film dominiert. Und das besondere Spiel erhöht eher die Präsenz, weil es spannender ist, als einem routinierten Profi bei der Arbeit zuzuschauen, von dem man weiß, dass er jederzeit die Rolle im Griff hat und auf gewisse Weise daher auch vorhersehbar agiert. Frank Holtmann ist leider nicht Nastassja Kinski, die durch einen Tatort entdeckt wurde (3), sonst hätte man von einem Sprungbrett sprechen können. Ein solches ist der Tatort durchaus zuweilen, aber die meisten, die hier einem großen Publikum bekanntgemacht werden, mussten sich zuvor in kleineren und größeren Rollen in kleineren Produktionen bewiesen haben. Heute arbeitet etwa die Hälfte der Topriege deutscher Film- und Fernsehschauspieler für dieses Format, da fallen Leistungen wie die von Holtmann als Ballou mit ihrer improvisiert wirkenden Ausrichtung sehr auf.

Die 1980er waren allerdings auch eine besondere Zeit im Tatort. Nachdem die erste Generation aus den 1970ern, wie Hansjörg Felmy als Haferkamp, Klaus Schwarzkopf als Finke, nachdem Veigl, Lutz, Konrad (4) abgetreten und die heutigen Star-Tatorte noch ferne Zukunft waren, gab es eine Art Promi-Lücke und damit wohl mehr Platz für Debütanten. Stilistisch-inhaltlich waren die 1980er bei der Reihe wohl keine sehr progressive Zeit, aber personalpolitisch eine des Wandels.

Nicht nur die Figur Ballou mit ihren Ambitionen und ihrer Mehrfach-Rolle als Arbeiter, Ganove und Theaterschauspieler ist aber besonders, auch die Handlung kann man als exzentrisch bezeichnen. Die Spedition, das Heim des Chefs mit der blonden Französin, das Jugendlichen-Aktionstheater sind die drei Settings, die so unterschiedlich sind, dass auch dies spannend wirkt. Es wirkt auch wie eine Parodie auf die oft sehr stringente Milieuzeichnung der 1970er-Tatorte, die meist eine pointierte Mittelstandsanalyse beinhalteten.

„Aus der Traum“ wirkt eher, als habe man die Handlung geclustert oder man habe drei oder vier beliebige, vollkommen unzusammenhängende Stichworte gewählt, aus denen der Drehbuchautor eine Handlung zu verfassen hatte. In dieser kommt es zu allerlei Aktionen, die an sich gar nicht witzig sind, aber die Art, wie sie ausgeführt werden, macht diesen Tatort zu einem – Brüller. Wir haben an vielen Stellen wirklich gelacht, waren aber nie sicher, ob wir das gemäß Absicht der Macher des Films hätten tun sollen. Aber manchmal ist man nicht nur gemäß Plan Dritter erheitert, sondern einfach so und vielleicht politisch nicht einmal korrekt.

Schon die Sache mit dem Fernseher in der Badewanne ist so lächerlich, dass sie wieder gut wirkt. Wie später auch der Bruder sagt: Kurt und ein Fernseher in der Badewanne? Quatsch! Dieses Brett quer über der Wanne in weniger als einem Meter Abstand zum Kopf des Badenden, auf dem der Fernseher gestanden haben soll (woher kommt das Brett?) ist ein Witz für sich. Wenn jemand wirklich in der Wanne fernsieht, dann nicht aus so kurzem Abstand zum Bildschirm. Aktionen wie die nächtliche Räumung von Warenlagern mit einem umgespritzten und mit falschem Kennzeichen versehenen Auto der fallierten Spedition Ellroth sind so unlogisch, ebenso wie der Anruf bei der Polizei seitens der mittlerweile Liebhaberin des toten Ex-Chefs, dass jedem die Haare zu Berge stehen, der die Sache ernsthaft von der Krimiseite betrachtet.

Klar, dass in einem solchen Krimi „Der Däne“ keinen normalen Mercedes, sondern einen Ami-Schlitten in Creme aus den späten 1970ern fährt, vermutlich einen Lincoln Continental – die Theateraufführung, in der Ballou einen Nazi-Mörder spielt, aber möglicherweise wirklich in dieser besonderen Schiene in Stuttgart gelaufen ist, die das Plakat andeutet. Die Stuttgarter Theatermacher waren zeitweise durchaus progressiv und für Experimente offen.

Das Verschwimmen von Leben und Inszenierung ist sicher ein Thema dieses Tatortes, der wie eine Art wilder Lebenstraum eines Hilfsarbeiters wirkt, in dem es nicht auf stimmige Details, sondern auf markante Momente ankommt, die, wie es in Träumen ist, nicht unbedingt nachvollziehbar oder wahrscheinlich sein müssen. Selbst Wiegands Verhalten, als sie ein Geständnis per Trick herbeiführt, wirkt als Schluss eines solchen Tatorts viel übersetzter als in anderen Fällen, in denen wir ähnliches gesehen haben, wie zuletzt in Haferkamps Parade-Tatort „Rechnung mit einer Unbekannten“.

Finale

Wenn wir bei heutigen Tatorten hohe Maßstäbe an die Ermittlungsarbeit anlegen und daher oft unzufrieden sind, ebenso wie mit unrealistischen Handlungsverläufen oder -elementen, müssen wir festhalten, früher war nicht alles besser.

Im Gegenteil. Manchmal findet kaum Aufklärung statt und es bleibt nichts anderes, als mit unerlaubten Methoden Geständnisse zu provozieren. Das mussten wir auch erst einmal lernen, dass Tatorte auch in ihrer frühen Phase nicht immer sauber konstruierte Whodunnits nach angloamerikanischem Vorbild waren.

Natürlich ist es eine Last für Plots, die nicht das Augenmerk auf die Ermittlung legen, sondern auf die Figuren und deren Umstände, wie in „Aus der Traum“, dass es bis etwa 1988 keine DNA-Analyse gab, mit der man lästige, mühselige Ermittlungsarbeitsdarstellungen stark verkürzen kann, um sich auf Sozialdramen, Humoreinlagen oder psychopathische Kommissarstypen zu konzentrieren.

Ob diese allerdings im Fall des Badewannentods eindeutige Ergebnisse erbracht hätte? Nicht auszuschließen, denn irgendwo bleibt fast bei jeder Berührung ein genetischer Fingerabdruck und die KT ist heute so ausgefuchst, dass sie kleinste Spuren zielgenau auswerten kann. Daraus erschließt sich auch die Aufklärungsquote von 96 % bei Fällen, die offiziell als Tötungshandlungen deklariert wurden (5).

Auch wenn wir eine ironische Hintergründigkeit unterstellen, meinen wir, man ist in „Aus der Traum“ etwas übers Ziel hinausgeschossen und hat außerdem einen Hauptdarsteller auf eine Art Himmelfahrtskommando geschickt, das zwar den Eindruck des Films verstärkt, aber nicht unbedingt als fair bezeichnet werden kann. Die Punktzahl spiegelt eine verhaltenen Einstellung diesem 182. Tatort gegenüber.

Anmerkung anlässlich der Wiederveröffentlichung des Textes in der Rubrik „Crimetime“ des neuen Wahlberliners im Jahr 2024: Wir haben nur einige optische Anpassungen ans aktuelle Schema vorgenommen, ansonsten den Text nicht verändert. Alles, was Sie jenseits dieses Absatzes lesen, spiegelt unseren Stand von 2016, das gilt auch für die untenstehenden Zitierungen. Mittlerweile haben wir weitere  „alte Tatorte“ von Haferkamp oder Wiegand und anderen gesichtet und Rezensionen darüber in „Crimetime“ gezeigt.

6,5/10

© 2024, 2016 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Kursiv, tabellarisch: Wikipedia

(1) Es existiert ein namensgleicher Tatort „Aus der Traum“ aus dem Jahr 2006, mit dem Saarland-Duo Kappl / Deininger (tätig von 2006 bis 2014).
(2) „Peggy hat Angst„, „Spiel mit dem Feuer„, „Der Mord danach„, „Blasslila Briefe„.
(3) „Reifezeugnis“.
(4) „Schussfahrt„, „Rechnung mit einer Unbekannten“ „Acht Jahre später„.
(5) Eine Dunkelziffer ist gleichwohl anzunehmen – versierte Morde mit nicht nachweisbaren Substanzen werden vermutlich gar nicht aktenkundig, weil als natürliche Todesfälle eingestuft – besonders bei alten Menschen, die von „Todesengeln“ oder Familienmitgliedern, die ans Erbe wollen, nach der Methode „ruhe sanft, aber vorzeitig“ aus dem Leben befördert werden.

Regie Hansgünther Heyme
Drehbuch Norbert Ehry
Produktion Peter Schulze-Rohr
Musik Karin Klein
Kamera Johannes Hollmann
Schnitt Katrin Eplinius
Premiere 15. Juni 1986 auf Das Erste
Besetzung

 


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