Heute empfehlen wir diesen Beitrag im „nd“, weil er uns in Bewegung versetzt hat. Offenbar ging es vielen Linken so, dass sein Gegenstand für Aufregung sorgte.
Wir stellen häufig fest, es ist kaum noch Zeit vorhanden für die Befassung mit der eigenen linken Identität, fürs Forschen und fürs Große und Ganze, für die Vertiefung und Erweiterung. Der Kapitalimsus lässt es nämlich nicht zu. Er fordert uns mittlerweile jeden Tag heraus, als Menschen, die in Berlin ansässig sind und den Mietenwahnsinn erleben und beschreiben, der die aggressivste Form des Klassenkampfes von oben in der jüngeren deutschen Geschichte darstellt.
Weil dieser Kampf ein anderes, an Akutalität, Einzelfällen und -themen orientiertes Herangehen bei unseren Beiträgen erfordert, haben wir die Empfehlungsrubrik eingerichtet. Allerdings nehmen auch Artikel wie der gerade entstehende Zeit in Anspruch, weil wir über die verlinkten Beiträge reflektieren und unseren Leser_innen darüber in ein paar Zeilen Mitteilung machen möchten.
Wer nicht in einer linken Partei oder Gruppierung politisch aktiv ist, für den ist die Darstellung in „nd“ besonders geeignet weil er ein Schlaglicht darauf wirft, warum es keine starke, vereinigte Linke in Deutschland gibt. Die gibt es aber nicht einmal in Ländern, deren Geschichte nicht von so viel Zerrissenheit geprägt ist, aber Linke sind eben auch sehr dogmatisch, da reiben sich die pragmatischen Bürgerlichen die Hände und arbeiten fast ungehindert am Endsieg des Kapitals und merken außerdem immer mehr, wie leicht es ist die Linken mit ethischem Framing zu ködern einerseits und zu spalten andererseits.
Der Ost-West-Konflikt ist offenbar unter Linken nicht überwunden und überträgt sich nun auf Generationen, die gar nicht mehr während der Teilung sozialisiert wurden, es also, plan geschrieben, nicht persönlich nehmen müssten, dass die DDR kritisiert wird. Es sollte nicht so schwer sein, ein System zu kritisieren, ohne diejenigen zu diskreditieren, die in diesem System gelebt haben. Das gilt auch für jene, die ihren Lebenszweck darin sahen, in diesem System etwas zu bewirken und es nicht zu verurteilen. Ganz leicht können wir Demut lernen, wenn wir wieder aufs Hier und Jetzt schauen: Wie schlapp wir auf die Angriffe des Kapitalismus auf alles, was uns lieb und teuer sein sollte, reagieren, erübrigt jede linke Besserwisserei. Vor allem müssen sich diejenigen, die sich auf die Vergangenheit berufen, auf ihre Vorzüge oder Nachteile, fragen lassen, wo sie heute stehen, wenn es darum geht, den Kampf wieder aufzunehmen.
Da sich der „nd“-Artikel auf die Rote Hilfe bezieht, kann man immerhin sagen, es steht im Auge des Sturms bei jenem Streit eine Anzahl von Menschen, die aktiv sind im Kampf gegen die zunehmende Repression seitens des gegenwärtigen Systems. Das ist neben den ideologischen Grabenkämpfen der Linken, die so ermüdend sind, der andere Gesichtspunkt, der uns involviert hat: Dass diese Repression schleichend voranschreitet, oft zunächst gar nicht als Versuch der Einschränkung von Menschen- und Bürgerrechten erkannt wird, politischen Widerstand jedoch zunehmend erschwert.
Es ist ein Zeichen von Schwäche, dass das System so handeln muss, aber es wäre falsch, sich darüber zu freuen, dass es diese Schwäche offenbart, denn sie führt zu viel Leid.
Was ist Opposition und wie weit darf sie gehen, das ist eine Frage, die wir uns stellen müssen, wenn wir sehen, wie mit unseren Städten, mit unserem Lebensraum, wie mit der Mehrheit der Menschen, die hier leben, umgegangen wird und die Politik sich weitgehend hilflos gibt. Nicht alle Menschen sind von den Folgen betroffen, schon gar nicht gleichzeitig, aber wir sehen zu wenig Solidarität mit ihnen und zu wenig Akzeptanz der spezifischen Widerstandsform, die sie gewählt haben – diese Kritik ist ausdrücklich auch an uns selbst als Wahlberliner gerichtet.
Unser Eindruck ist aber, dass vielen Linken etwas an den Methoden nicht gefällt, mit denen der Abwehrkampf geführt wird.
Die einen nehmen Abstand, weil sie denken, persönliche Betroffenheit lässt den im Grunde systemaffinen Menschen dann mal aufwachen, aber nur so lange und so weit das erwachte Bewusstsein für die Bearbeitung seines eigenen Anliegens Bedeutung hat. Den anderen ist das Graswurzelhafte der aktuellen Bewegungen suspekt, weil ein autoritärer Mensch, wenn auch Kommunist oder Sozialist, alles aus der Funktionärs- oder Kadersperspektive betrachtet. Es hat uns etwas zu sagen, dass bei den Kämpfen um Berlin keine linke Partei eine führende Rolle spielt, während die Gegner klar formiert sind und sich gegenseitig die Bälle zuschieben.
Die Wirtschaft, die Politik, die Medien, die Lobbyverbände, alle arbeiten reibungslos zusammen und versuchen, die Deutungshoheit über einen Vorgang zu gewinnen, der im Grund ein Desaster des Kapitalismus offenbart, das immer deutlicher sichtbar wird: Er schafft die Allokation durch Produktionsmittel nicht mehr und krallt sich deshalb die Städte. Lange hat es keine so deutlich für die Linke sprechende Situation mehr gegeben wie jetzt, aber sie wird kaum genutzt. Wenn man die Entwicklung an der Partei „DIE LINKE“ festmachen will, geht es sogar rückwärts, die neuesten Umfragen zeigen lediglich ca. 8,5 Prozent Zuspruch. Das ist weniger als bei der letzten Bundestagswahl erzielt wurden (9,2 Prozent). Kein Wunder, bei der Geschwindigkeit, mit welcher die Partei zur Mitte strebt, befreit von Widerstand aus dem Wagenknecht-Flügel. Für eine Über-fünf-Prozent-Kraft links davon ist locker Platz, aber wer macht sich auf den Weg? Vermutlich niemand von denen, welche die beschriebenen ideologischen Grabenkämpfe führen.
TH
Medienspiegel 349, EBA 13
Kritisch schauen und immer wieder Beiträge außerhalb des Mainstreams lesen, das ist eine Aufgabe, die der Wahlberliner sich gestellt hat.
Wir empfehlen. Manchmal kommentieren wir die Empfehlungen auch oder versuchen, die darin geäußerten Gedanken weiterzuführen. Unsere bisherigen Beiträge der Serie „Jeden Tag ein Blick nach draußen“:
Bisher empfohlene Beiträge
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- Wider die Mär vom Humankapital (Norbert Häring, Wirtschaft, Blog Geld und mehr)
- 100 Jahre Faschismus: „Mussolinis Terrorschwadronen – vor 100 Jahren wurde mit der Gründung der Fasci di combattimento die Keimzelle des italienischen Faschismus gelegt“ (Gerhard Feldbauer, Geschichte, Junge Welt)
- „Klimareligion – Das erste Buch Greta“ (Jan Fleischhauer, Umwelt & Klima, Der Spiegel)
- „Atlantisch bleiben, europäischer werden“ (Sevim Dagdelen, deutsch-französische Militärpolitik, Spiegel online)
- „Gelenkte Kritik: Die Eliten manipulieren unser Denken und Handeln zum Umweltschutz“ (Susan Bonath, Umwelt & Klima, Telepolis)
- „Instrumentalisierte Ökologie“ (Bärbel Weisshaupt, Umwelt & Klima – Blog Heimart)
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