Wir haben mit Tom Strohschneiders Artikel in OXI zur radikalen Arbeitszeitverkürzung als Beitrag zum Klimaschutz eine Schiene eröffnet, die wir heute weiterführen möchten, indem wir die von ihm zitierte Meinung von ATTAC zur Sache empfehlen.
„Kurze Vollzeit“ nennt sich das Modell und liegt, zumindest die 30-Stunden-Zeitvorgabe betreffend, sogar über dem „Neuen Normalarbeitsverhältnis“, das von der LINKEn vorgestellt wurde und das 28 Stunden pro Woche umfassen soll. ATTAC zieht die gewünschte Entwicklung selbstredend von seiner Herkunft als globalisierungskritisches Netzwerk auf und nennt das Ziel „ArbeitFairTeilen“.
Fair bedeutet auch, es ist ein voller Lohnausgleich vorgesehen und was man am Ende der Forderungsdarstellung sieht: Wie in den 1980ern der DGB schon für die 35-Stunden-Woche gekämpft hat und sie teilweise auch erreichte. Seitdem gab es eine kuriose Entwicklung: Offiziell wurden die Stundenzahlen wieder angehoben, aber die Arbeitszeit pro Erwerbsperson pro Jahr sinkt in Deutschland seit vielen Jahrzehnten fast kontinuierlich und liegt mittlerweile unter 1400 Stunden. Das ist die niedrigste Zahl an Arbeitsstunden pro Erwerbsperson pro Jahr aller Industrieländer. So gesehen könnte man sagen: Geht doch.
Tut es aber nicht. Weil es sich hier um einen Durchschnittswert handelt. Hieran sehen wir auch schon, dass das sogenannte Jobwunder, das immer mehr Erwerbstätige aufweist, was auf den ersten Blick tatsächlich an ein Wunder grenzt, wo doch das Gesamtarbeitsvolumen in Deutschland seit dem Jahr 2000 kaum gestiegen ist, in Wahrheit auf unfairer Verteilung von Arbeitszeit fußt.
Viele Menschen möchten mehr arbeiten und hängen in Teilzeit- und Kleinjobs fest, die typischerweise auch im Niedriglohnsektor angesiedelt sind – andere dürfen sich damit brüsten, dass sie rund um die Uhr arbeiten. Beinahe jedenfalls.
Letzteres darf nicht mehr als Ausdruck einer formidablen Mehrleister-Mentalität angesehen werden, sondern als die Art von Sucht, die es tatsächlich darstellt, denn die meisten haben nicht wirklich Spaß an ihren 15-Stunden-Arbeitstagen, die nicht mit hochgradig produktiver Zeit gefüllt sind. Nicht gefüllt ein können, weil niemand auf Dauer die Aufmerksamkeitsspanne dafür hat. Wir meinen damit nicht das zyklische Syndrom des kreativen Aus- oder Aufbruchs, das kennen wir bis zu einem gewissen Grad auch. Dieser Zustand gleicht sich aber nach ein paar Tagen Höchtkonzentration, etwa in der Endphase eines Projekts unter Zeitdruck oder bei einem Ideen-Flash, in der Regel wieder durch eine Entspannungsphase aus.
Wichtig ist also neben dem vollen Lohnausgleich, der durch ein gerechteres Steuersystem möglich wäre, der volle Personalausgleich, der Gegensatz zum bisherigen Modell, das gleiche Arbeitsvolumen auf immer weniger Menschen zu verteilen und viele andere außen vor bleiben zu lassen, die gerne mehr arbeiten würden.
Was ATTAC bisher nicht geschafft hat, ist der vorgesehene Aufbau einer gesellschaftlichen Bewegung, die auf eine faire Arbeitsverteilung hinarbeitet. Die faire Verteilung von Arbeitszeit steht im Moment ziemlich hinten oder unten auf der politischen Agenda.
Doch die Diskussion um den Klimawandel könnte auch hier helfen und diesen Ansatz hat Tom Strohschneider in dem Beitrag gewählt, dessen Spuren wir hier folgen – was uns zunächst zu ATTAC geführt hat. Und zur 35-Stunden-Woche der 1980er und dazu, wie das Wirtschaftssystem seitdem immer unfairer wurde. Der Ansatz ist dann aber nicht, vorhandene Arbeitszeit anders zu verteilen, sondern sie wirklich zu reduzieren. Im industriellen Bereich läuft diese Verminderung ohnehin, schleichend, unspektakulär, weil keine Massenentlassungen mehr stattfinden, sondern in Rente gehende Arbeitende nicht mehr im Verhältnis 1:1 ersetzte werden.
Das Gesamtarbeitsvolumen hat sich in den letzten Jahren durch die Ausweitung von Jobs im Sozialen Bereich erhalten – und die sind notabene nicht so klimaschädlich wie diejenigen in der produzierenden Industrie.
TH
EBA 28
Kritisch schauen und immer wieder Beiträge außerhalb des Mainstreams und vor allem jenseits unserer aktuellen Zentralthemen lesen, über die wir selbst schreiben – das ist eine Aufgabe, die der Wahlberliner sich gestellt hat.
Wir empfehlen. in der Regel kommentieren wir die Empfehlungen kurz oder versuchen, die darin geäußerten Gedanken weiterzuführen. Unsere bisherigen Beiträge der Serie „Jeden Tag ein Blick nach draußen“:
- Wasserstoff als politisch verfemter Energiespender (Originaltitel: „Wir werden verarscht, was das Zeug hält“) (Marcus Klöckner interviewt Timm Koch, Wirtschaft, Nachdenkseiten)
- Elektromobilität hat blutige Hände (Bärbel Weisshaupt, Wirtschaft / Gesellschaft, Blog Haimart)
- Warum Tesla die Welt nicht retten wird (Angelika Seliger, Wirtschaft, Telepolis)
- Was ist Sozialismus (Ludger Eversmann, Gesellschaft, Telepolis)
- Radikale Verkürzung der Arbeitszeit als Beitrag zum Klimaschutz (Tom Strohschneider, Wirtschaft / Gesellschaft, OXI)
- Haben Menschen ein natürliches Gefühl für Fairness? (Andreas von Westphalen, Gesellschaft, Telepolis)
- Rezo und die Relativierung der Ungleichheit (Julian Bank, Gesellschaft / Wirtschaft, Makronom)
- Mythos Europa (Régis Debray, Gesellschaft, Le Monde diplomatique)
- Entwicklung durch Auswanderung? (Alexander King, Gesellschaft / Wirtschaft, Nachdenkseiten)
- Tag der Lebensmitelverschwendung (Ökologie, Blog Campogeno)
-
Der Grund-Konflikt – Enteignungen würden soziales Unrecht bei einer seiner Wurzeln packen (Roland Rottenfußer, Wirtschaft / Gesellschaft, via Rubikon)
- Update: „Der Siegeszug der Wohltätigkeit“ – Bill Gates greift dem SPIEGEL unter die schwachen Arme (Norbert Häring + meedia)
- Der Siegeszug der Wohltätigkeit: Egal ob im globalen Norden oder Süden – private Stiftungen sind Teil des Problems, nicht der Lösung (Linsey McGoey, Wirtschaft / Gesellschaft, Adamag)
- Es geht ums Ganze! Nicht nur Assanges Leben steht auf dem Spiel — auch der Fortbestand der Pressefreiheit und damit ein Grundpfeiler der Demokratie (Jake Johnson, Pressefreiheit, Rubikon)
- Für Irrlichter sich ausbrennen lassen (Bärbel Weisshaupt, Gesellschaft / Arbeit / Wirtschaft, Blog Heimart)
- Linke Kontroverse um Repression in der DDR (Sebastian Bär, Gesellschaft, nd)
- Ein Plädoyer für den gepflegten Streit (Gerhard Kugler, Gesellschaft, Neue Debatte)
- Manning / Assange – Erklärung der ILANA (Gesellschaft, via Augen auf! Und durch …)
- Die soziale Rutschbahn – als Folge falscher globaler Weichenstellungen geht es mit … (Werner Voß, Wirtschaft / Gesellschaft, Rubikon)
- Unternehmen werden zur Sparbüchse der Aktionäre (Norbert Häring, Wirtschaft, Blog Geld und mehr)
- Neues aus den Unterklassen: Panik vor Karlsruher Hartz-IV-Urteil? (Susan Bonath, Gesellschaft, RT Deutsch)
- 21th Century Victorians (Jason Tebbe, Gesellschaft, Jacobin)
- Wider die Mär vom Humankapital (Norbert Häring, Wirtschaft, Blog Geld und mehr)
- 100 Jahre Faschismus: „Mussolinis Terrorschwadronen – vor 100 Jahren wurde mit der Gründung der Fasci di combattimento die Keimzelle des italienischen Faschismus gelegt“ (Gerhard Feldbauer, Geschichte, Junge Welt)
- „Klimareligion – Das erste Buch Greta“ (Jan Fleischhauer, Umwelt & Klima, Der Spiegel)
- „Atlantisch bleiben, europäischer werden“ (Sevim Dagdelen, deutsch-französische Militärpolitik, Spiegel online)
- Gelenkte Kritik: Die Eliten manipulieren unser Denken und Handeln zum Umweltschutz (Susan Bonath, Umwelt & Klima, Telepolis)
- „Instrumentalisierte Ökologie“ (Bärbel Weisshaupt, Umwelt & Klima – Blog Heimart)
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