Die Umverteilung von Arm nach Reich durch Zinsen (Jörg Gastmann, Telepolis) #Oben #Unten #Ungleichland #Vermögen #Zinsen #Profite #Vermögensteuer #Superreiche

Nachdem wir vorgestern den ersten Teil von Jörg Gastmanns Beitrag über die Vermögensungleichheit in Telepolis vorgestellt haben („Warum keine Vermögensstatistik stimmt„), kommen wir heute dazu, wie Vermögen entsteht. Durch Zinsen und Profite.

Einiges an dem Beitrag hat uns durchaus überrascht. Zum Beispiel, dass Gastmann bei der Betrachtung von Enteignung durch Niedrigzinsen die Inflation komplett außen vor lässt. Ist es nicht eine schleichende Enteignung, wenn die Zinsen auf Geldeinlagen unterhalb der Inflationsrate liegen? Vielleicht ist Gastmann das auch nicht so wichtig, weil er die gegenwärtige Niedrigzinspolitik nicht so schlecht findet.

Lehrbuchmäßig müsste sie ja auch zu viel höherer Inflation führen, als wir sie im Moment sehen – was bedeutet, dass wir uns in einer nicht lehrbuchmäßigen Situation befinden. Was wiederum bedeutet, dass Volkswirtschaftslehre keine Wissenschaft ist. Was wiederum bedeutet, dass wir uns bei allem, was wir diesbezüglich denken und vertreten, im Bereich von Annahmen bewegen und zum besseren Verständnis mit vereinfachten und von subjektiv und oftmals stark ideologisch denkenden Individuen erstellten Modellen, nicht mit naturgesetzlichen Wahrheiten unterwegs sind.  Manchmal hilft aber die Beobachtung des Verhaltens von Menschen, um etwas klarer zu sehen – und kulturpessimistisch zu werden. Den vorherigen Satz meinen wir freilich nicht ernst, sonst könnten wir das Schreiben hier sein lassen. Oder?

Wir folgen Gastmann und unterscheiden vier Arten von Zinsen, die sich aber alle unter „Vergütung für die Überlassung von Kapital“ subsumieren lassen:

  1. Kreditzinsen,
  2. Mietzinsen,
  3. Spekulationszinsen,
  4. Eigenkapitalzinsen.

Nach Gastmann kann Nr. 3 weg, alles andere ist notwendig, damit die Wirtschaft funktioniert. Er geht dabei davon aus, dass es immer Menschen mit viel Kapital geben wird, die anderen aushelfen, damit sie irgendwas anschaffen können. Eine genossenschaftliche Kapitalverwaltung, die interne Zinsen überflüssig machen kann, wird beispielsweise schlicht als kommunistisch und das im negativen Sinn dargestellt. Es funktioniert aber bei Clans, meint Gastmann, und wie Recht er damit hat, sieht man daran, wie gut sie funktionieren und wie viel Reichtum die Tätigkeit der Clanmitglieder im Vergleich zu stoisch legaler Arbeit erzeugt.

Dem Problem mit den davonschießenden Zinsen nach Nr. 2 will Gastmann politisch beikommen, darüber werden wir in Teil drei noch einiges lesen. Wir vermuten, es wird durchaus auf das hinauslaufen, was wir in Berlin sehen: Nämlich, wie man einem in allen Fugen knirschenden System den Rest gibt, indem man seine derzeit äußerst immobilienlastigen Kapitalströme stört.

Das ist auch der tiefere Grund, warum diejenigen, die für immer höhere Mietzinsen lobbyieren, so panisch sind. Immerhin erkennt Gastmann diese Schieflage, die durch den mittlerweile seit zehn Jahren andauernden Niedrigzins-Zyklus entstanden ist.

Auf den Teil mit den Lebensversicherung gehen wir hier nicht ein, weil nach unserer Ansicht damit ein Phänomen deutscher Sparkultur herausgegriffen wird, das in anderen Ländern nicht in dem Maße existiert und die eher durch ein weiter als hierzulande verbreitetes Kleinaktionärs- und Fondsanteileigner-Wesen geprägt sind. Mit dramatischen Folgen, sollten sich die Märkte einmal nicht binnen weniger Jahre von einer Krise erholen.

Kern der Überlegungen, die in Teil drei folgen werden, ist aber, dass die Umverteilung von Arm nach Reich dem gegenwärtigen System ganz schlicht immanent ist, denn wer hat, dem wird gegeben.

Allerdings mehr noch durch Profite (aus dem Verkauf von Gütern) als durch Zinsen, denn nur, wer Massenprodukte an die Massen verkauft, kann superreich werden. Wie das in Deutschland funktioniert, haben die Gebrüder Aldi (Albrecht) beispielhaft exerziert: Innerhalb von wenigen Jahrzehnten wurden sie zu Milliardären. Und das bei den doch so günstigen Preisen für die Lebensmittel in ihren Läden. Daran kann man sehen, was Masse ausmacht und auch, was die Lebensmittel wirklich wert sind, die Aldi-Kunden essen. Es gibt noch eine weitere Möglichkeit. Produkten ein Image zu verpassen, das überteuerte Preise zulässt.

Diejenigen, die sich nicht ohne Computer mit angebissenem Apfel drauf in der Öffentlichkeit sehen lassen, ihn auf dem Podium aufklappen, wobei der Apfel dann psychedelisch in den Raum hinein leuchtet und dann ungerührt über Nachhaltigkeit vortragen, finden wir ein bisschen abgespalten und auch irgendwie putzig, aber es gibt Schlimmeres: Zum Beispiel die deutschen Premium-Autos, die einen überschaubaren Gebrauchs-Mehrwert gegenüber Konkurrenzprodukten haben und angesichts ihrer Größe und Verbrauchswerte ökologisch ein besonders großes Desaster sind. Sie bringen den sie herstellenden Kapitalisten pro Stück aber viel mehr Profit ein als einem koreanischen Kapitalisten ein koreanischer Kleinwagen.

EBA 32

Kritisch schauen und immer wieder Beiträge außerhalb des Mainstreams und vor allem jenseits unserer aktuellen Zentralthemen lesen, über die wir selbst schreiben – das ist eine Aufgabe, die der Wahlberliner sich gestellt hat. 

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