Babylon Berlin – die Serie | Staffel 3, Folge 5 (Gesamtfolge 21) + Quotenbetrachtung | #Crimetime 830 #BabylonBerlin #Babylon #Berlin #ARD #Sky #Quoten #Zuschauer

Crimetime 830 - Titelfoto und weitere Bilder © ARD Degeto / X-Filme / Beta Film / Sky Deutschland / Frédéric Batier

Überblick über die Situation in den Folgen 17 bis 28 (Staffel 3)

Berlin im September 1929: eine Metropole in Aufruhr. Ökonomie und Kultur, Politik und Unterwelt – alles befindet sich in radikalem Wandel. Spekulation und Inflation zehren bereits an den Grundfesten der immer noch jungen Weimarer Republik. Wachsende Armut und Arbeitslosigkeit stehen in starkem Kontrast zum Exzess und Luxus des Nachtlebens und der nach wie vor überbordenden kreativen Energie der Stadt. „Babylon Berlin“ erzählt in der neuen, dritten Staffel die Geschichte des jungen Kommissars Gereon Rath weiter, der sich in den Illusionswelten des 20er-Jahre-Stummfilmkinos zu verirren scheint, während um ihn herum der Wahnsinn herrscht: Menschen verschulden sich, die Hochfinanz spekuliert auf den Untergang, und die rechtsnationale Partei versucht, Polizei und Verwaltung sukzessive mit kaltblütigen Mitteln zu unterwandern. Doch es gibt Hoffnung: Trotz Mord und Verzweiflung findet Rath Liebe und Solidarität, und die „Roaring Twenties“ spiegeln in all ihren Facetten Lebenshunger und Leidenschaft.

Kurzfassung der Handlung von Folge 21

Rath, Charlotte und Böhm besuchen eine Séance, bei der Tristan Rot Kontakt zu seiner toten Frau aufnehmen will. Auch der Armenier ist dem Mörder auf der Spur. Gretas Urteil wird verkündet.

Alle bisherigen Rezensionen zu „Babylon Berlin“ (1)

Das Urteil von Berlin und der Zungenkontakt zum Jenseits

Exkurs: Quoten der dritten Staffel

Es hat schon die Runde gemacht, im Fernsehen liefen die Folgen 17 ff. nicht so gut, wie man es sich bei den Verantwortlichen erhofft hatte. Die ersten beiden Staffeln kamen 2019 auf 4,92 Millionen Zuschauer im Durchschnitt. Obwohl man die dritte Staffel eigens zur Sonntags-Primetime starten ließ und keinen neuen Tatort oder Polizeiruf zeigt, kam man nicht über 4,33 Millionen hinaus – die drei nächsten Folgen, die am 14.10. erstmals augestrahlt wurden, kamen sogar nur auf 3,21 Millionen Zuschauer*innen. Allerdings gilt verstärkt, was schon für die ersten beiden Staffeln berücksichtigt werden muss: Die Serie lief zunächst auf Sky und wer ganz früh bei „Babylon Berlin“ dabei sein wollte, konnte sie dort mehrere Monat vor der Free-TV-Premiere ansehen. Außerdem kommt die gesamt Serie mittlerweile auf 20 Millionen Aufrufe in der ARD-Mediathek.

Auf diesem Weg schaue ich mir die neuen Folgen ebenfalls an, denn immerhin sind sie dort immer ein paar Tage vor der Fernsehausstrahlung zu sehen.

Auch wenn am Mittwoch mehr als fünf Millionen Zuschauer das „ARD extra“ zur Corona-Lage sahen, hat „Babylon Berlin“ nicht vom starken Vorlauf profitieren können. Die Serie verlor im Vergleich zum Staffel-Auftakt vom Sonntag mehr als eine Million Zuschauer und fiel mit ihren drei am Stück gezeigten Folgen auf die niedrigste Reichweite seit dem Start. Zum Vergleich: Den Serien-Auftakt hatten vor zwei Jahren noch fast acht Millionen gesehen.

Quellen: Rolling Stone, DWDL.de

Die beiden ersten Staffeln waren nicht vorab in der Mediathek zu sehen, aber ich würde nicht ausschließen, dass es auch an den Filmen selbst liegt, dass das Interesse nachlässt. In den Rezensionen zu den Folgen 17 bis 20 hatte ich mehrfach erwähnt, dass die dritte Staffel bei weitem nicht mehr so spektakulär bezüglich ihrer Handlungselemente ist wie die ersten beiden, sondern ruhiger, einfacher konstruiert und gefühlt mit einem kleineren Personaltableau gefilmt. Damit nähert sich „Babylon Berlin“ konventionellen Fernsehkrimis an, auch wenn es weiterhin deutlich aufwendiger ist, in den Dekors und mit Kostümen des Jahres 1929 zu filmen. Dass am 14.10. ZDF-Vorabendkrimis und andere Standardware mehr Zuschauer hatten als „Babylon Berlin“ ist auch für mich überraschend gewesen.

Hier ist noch nicht der Platz für soziokulturelle Betrachtungen, aber auch von den Tatorten kenne ich den Effekt, dass traditionelle Spannungskrimis die Zuschauer mehr überzeugen als da Außergewöhnliche. Wie es mit einer Serie steht, die das mehr und mehr zum Gewöhnlichen tendierende auf außergewöhnliche Art einkleidet, darüber werde ich nach dem Abschluss der Sichtung hier ein paar Zeilen schreiben (nach der Rezesion zu Folge 28).

Folge 21

Wiederholt wird kurz, wie die „Soko Dämonen der Leidenschaft“ oder „Filmmorde“ zusammengestellt wird, dass die Akten der Mordsache Bender nicht mehr ohne Weiteres einsehbar sind, aber der Polizeifotograf Gräf hilft aus. Auf einer Liste, die in diesen Akten enthalten ist, taucht der Journalist Katelbach auf. Die „Fraterna Saturnii“ werden in Folge 21 wohl eine wichtige Rolle spielen, denn mit ihnen, den Verbindungen des toten Oberbeleuchters und von Tristan Rot zu diesem okkulten Zirkel endet die Zusammenfassung.

Eine getanzte Séance just for Show?

2020-10-16 Babylon Berlin Folge 21 Staffel 3 Folge 5 Foto 01

Die okkultistische Sitzung des Grauens, die mehr im Stehen und Liegen ausgeführt wird.

Böhm und Rath können sich nicht über das Vorgehen bei den Ermittlungen bei den Okkulten einigen, Charlotte hat als Tänzerin für eine Veranstaltung angeheuert und damit die Tür geöffnet. Dialog der Sequenz: „Dass passt doch gut. Sie trauen mir nicht und ich Ihnen noch viel weniger.“ Diese beiden Kommissare werden voerst keine Freunde. Gut, dass Rath mittlerweile so stabil ist, denn der Druck, der auf ihm lastet, ist doch erheblich. Charlotte bekommt von Rath das bereits in Folge 19 beschriebene Medaillon umgehängt. Was folgt, ist keine Séance im klassischen Sinn, bei der alle um einen Tisch herum sitzen, sondern eher eine vampokultistische Performance – aber ich kann mir nicht helfen, irgendwie wirkt das zwar hinreichend stylisch, inklusive Umgebung mit echten Flammen in Lampenschalen, Masken, Kutten in grauschwarz gefleckt oder weiß, Ekstase und Pein auf dem Boden, aber auch wie in ähnlicher, manchmal auch parodistischer Form oft gesehen und bis auf einige Details nicht innovativ oder mit einem großen Drive ausgestattet. Vor allem meldet sich die verblichene Betty Winter gar nicht auf eine weiterführende Art und Weise. Der Erfolg für die Kriminaler ist lediglich, dass man Tristan Rot dingfest machen kann und das wurde vor dem Eintritt ins Haus umfänglich vorbereitet und zum Glück trinkt Rot nicht wirklich Curare, sonst würde er schnell aus dem Kreis der Verdächtigen ausscheiden. Bei der gesamten Szene hatte ich den Eindruck, erstmals gleitet „Babylon Berlin“ in Hokuspokus ab, verlässt den interessanten Pfad der Möglichkeiten von 1929, die mit Elementen heutiger Populärkultur verbunden werden – inklusive Zungenpiercing-Vorbereitung für die Performerin, die Betty Winters Seele ins Diesseits treten lassen sollte.

Eine Überraschung gibt es allerdings: Anno Rath ist da, alias Dr. Schmidt. Und der setzt sich klar von seinem früheren Ich ab („Anno ist gestorben auf den flandrischen Schlachtfeldern“), was er bisher so nicht getan hat, wenn er mit seinem Bruder sprach. Danach Pause Vorspann, Nachdenken über die vielen Klischees, die mittlerweile in der Serie abgehandelt und nett designt werden.

Zurück in die Welt: Rath trifft sich mit Katelbach, der ist jedoch sauer. Erstens, weil Nichtschwimmer, zweitens, weil Rath in der Sache Zörrgiebel gelogen hat. Wir erinnern uns: Auch Rath hat schon dem Schutz seiner Truppe den Vorzug vor der Wahrheit gegeben, nämlich, als es  um die Polizeigewalt am 1. Mai 1929 ging, dem „Blutmai“. Polizeipräsident Zörrgiebel hatte die Einsatztaktik bestimmt. „Auf die Seite meiner Institution gestellt“, nennt Rath das. Klingt nicht viel anders, als wenn Wendt zu Greta Overbeck sagt, man müsse die Fakten anpassen, sprich, Kommunisten beschuldigen, wenn Nazis ein Attentat verübt haben. Was Greta davon hat, dass sie diesem Druck nachgibt, werden wir noch sehen. Dass Rath aber so schnell Karriere macht, könnte auch damit zu tun haben, dass er sich in jener Sache „kameradschaftlich“ verhalten hat. Allerdings sollte Kollege Böhm das wissen und nicht von geheimnisvoller Protektion reden. Weitere Aspekte: Die diskrete Lösung des Falls Pornofilm und natürlich der elegante Swing in der Sache „Goldzug aus Russland“. Das kann man natürlich nicht wissen, wenn man die beiden vorherigen Staffeln nicht gesehen hat.

Im Nichtschwimmer-Café

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Gefährliches Wissen, Teil 1: Kann man in einem Nichtschwimmerbecken ertrinken?

Rath legt Katelbach die von Gräf abfotografierte Liste vor. Das sei eine „Liste mit den Guten“, antwortet Katelbach, das sehe man darauf, dass ein gewisser Litten aufgeführt sei. Rath mahnt Katelbach zur Vorsicht, der berichtet ihm von seiner Lufthansa-Reichswehr-Investigation (2). An der Stelle passt ein Dialog nicht, als Katelbach zu erkennen gibt, dass er Rath noch nicht maximal vertraut: Wer keinen Vorteil von etwas hat und es deshalb unterlässt, ist gerade nicht selbstlos. Katelbach pflanzt den Rath ein wenig, damit kommt auch mal ein wenig Humor rein, aber weite Teile der Szene sind recht sinnfrei und wirken vom Duktus elaborierter, als sie sind. Ich habe mich gefragt, was Rath von diesem Treffen wohl an Erkenntnissen mitnehmen soll, aber immerhin wurde er auf den Namen Litten aufmerksam gemacht. Derweil pfeifen die Kollegen Polizisten Charlotte Ritter nach, während sie über den Hof der Burg geht. Die Sensation der Saison ist sie dort ganz sicher. Die Ernüchterung kommt schnell, denn Böhm beauftragt sie mit Abtippaufgaben. Das erinnert an ihre Anfänge in der Burg. Sie protestiert, aber ohne wesentlichen Erfolg. Die beiden mit anwesenden Kriminaler sind betreten. Diskriminierungen, wohin man schaut. Dieser Mann hat es verdient, in den Strudel des kommenden Börsencrashs hineingezogen zu werden.

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Der Schauspieler Tristan Rot im Verhörraum.

Aber wer ist der nun zu verhörende Herbert Plumpe? Tristan Rot. Wir müssen uns den wirklichen Namen bitte merken. Rath beauftragt Charlotte jedoch damit, die Adressen und Telefonnummern zu den Namen auf der vorhin besprochenen Liste zu ermitteln. Rath erzählt Charlotte, seine Familie sei in Köln, Assistent Henning gibt kurz darauf kund, dass Helga nicht auffindbar ist (Rath hatte ihn in F 19 damit betraut, diskret nach seiner Frau zu forschen). Derweil wird eine Verhörsituation dargestellt, die technisch schon fast auf heutigem Stand ist, Mithörmöglichkeit unauffällig von außen per Kopfhörer – für Rath, während Böhme den Rot / Plumpe verhört. Gab es sowas wirklich schon oder ist es wieder ein rückwärts denken heutiger Technik, abzüglich Bildschirmen und Aufzeichnungsmöglichkeit natürlich. Plumpe erklärt Böhm, wie man Verbindung zu Toten herstellt: Kerzen überall an vertrauten Orten der / des Verstorbenen plus Bild. Nach drei Tagen Kontakt (Auferstehung!?). Komisch, dass diese Erkenntnisse nie Eingang ins Standardrepertoire der Ermittlungstechnik gefunden haben.

In der Unterwelt

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Der Armenier Kabasian bestellt den Mob ein, denn es ist Sand im Unterweltgetriebe.

Rath meint allerdings, Plumpe habe die Wahrheit gesagt, unabhängig davon, ob er nun seltsamerweise den Schlüssel zum Innenhof des Studios hat. Böhm will Plumpe/ Rot dennoch weiter bearbeiten. Nun erweitert sich der Raum. In einer Lagerhalle o. dgl. haben die Mobster ein Meeting. Weintraub, Kapasian und einige Gangstervisagen. Kapasian, bekannt aus Staffel 1 und 2 als „der Armenier“, hält eine Ansprache: Das System! Immobilien, Genussmittel (Drogen), Glücksspiel, Gastronomie, Frauen, Unterhaltung (Filmproduktionen). Wenn man von der Unterhaltungsindustrie absieht, die heute in Europa mehr ein Zuschaussgeschäft ist, das immer gefördert werden muss (wie auch Babylon Berlin), dann klingt das wie eine Chiffre für die Zustände im Berlin des Jahres 2020. Nun stellt sich die Frage: „Cui bono?“. Wem nützt es, dass die Mobster sich gegenseitig an die Karre fahren (Sabotage am Set der Universum-Studios, drei Morde). Die folgenden Erklärungen zur Zusammenarbeit sind leider etwas dürftig, aber man kann glaubhaft machen, dass man zusammen dafür sorgen möchte, die Schuldigen zu ermitteln.

Einerseit erinnert die Szene an „M“, als sich die Unterwelt entschließt, in die Ermittlungen gegen den Kindermörder einzusteigen, damit wieder Ruhe ins Geschäft kommt, natürlich ist diese Szene auch eine Reminiszenz an amerikanische Gangsterfilme. Nur wird in denen viel besser erklärt, wie das Geschäft funktioniert, sprich, welche Motive die Beteiligten antreiben, auch wenn sie eben nicht im Business begründet sind. Das Ungefähre ist hier auf jeden Fall ein Nachteil. Man kann die Statik der OK-Strukturen nicht quasi nebenbei abhandeln, wenn sie eine Handlung so mitbestimmen, wie es hier seit Folge 17 wirkt. Aber der Judas muss gefunden werden, schon klar. Kasabian hat offenbar doch Weintraub im Verdacht, wie sich aus einer weiteren Szene im Auto erschließt, als die beiden sich unter vier Augen unterhalten, da erklärt Kasabian ein wenig die vermuteten Hintergründe der Geschichte von Jesus und Judas Ischariot: „Derjenige, der am lautesten Treue bekundet, ist der Verräter, der Judas.“

Ah ja. Das könnte ja dann wirklich nur Weintraub sein – niemals dieser Typ, der eben auftrat und den wenig lukrativen Norden der Stadt Berlin „bearbeitet“, während Kasabian die goldene Mitte (inklusive dem Superclub „Moka Efti“) als Revier erobert hat. Judas wird sich selbst richten, sagt Kasabian. Sein Name ist verdammt für alle Zeiten, wie er daran erkennt, dass der Herr am Kreuz stirbt – und richtet sich selbst. Wir werden es sehen. Bleiben wir in der Familie Kasabian: Esther lässt sich das gedrehte Filmmaterial mit Betty Winter zeigen und denkt sich in das Gothic-Musical „Dämonen der Leidenschaft“ hinein. Seltsamerweise sieht die Betty auf dem Zelluloid nun schon aus wie sie selbst, damit bewahrheitet sich, dass sie wohl die Rolle haben will, um ein Karriere-Comeback zu erreichen. Bisher hat man von Betty keine Nahaufnahme gesehen. Frauen und ihre Träume, da machst du nix.

Traum des anderen Ich

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Der magische Moment, der alles ändert?

Weil das zu beweisen ist, wechselt das Bild über zu Helga Rath, die im Appartement Nr. 12 des „Rheingold“ zugange ist und wer kommt da rein? Der Herr Alfred Nüssen. Das war allerdings vorauszusehen. „Sind Sie der Klärung Ihrer unsicheren Situation nähergekommen?“ „Ich glaube, ich habe bereits einen unumkehrbaren Schritt getan.“ „Wohin?“ Aber Herr Nüssen! „Weg. Weg von allem, was war.“ Schön zuhören, liebe Lieblingsleserin, das ist eine wichtige Stelle! „Aber warum tue ich das alles? (…) Sie treffen – hier.“ Langer, nachdenklicher Blick auf Nüssen. Frauen und ihre Manipulationen, da machst du nix. „Wir nehmen doch nur eine leichte Mahlzeit ein. Unterhalten uns.“ Sagt er, aber er kann ja gut gegenhalten, weil er selbst versiert im Denken um die Ecke ist. „Warum riskiere ich, alles zu verlieren?“, fragt sie mit brüchig-lasziver Stimme. Jetzt mal nicht übertreiben, Frau Rath. „Du willst das Unbekannte kennenlernen. Das Unbekannte in dir! Von dem du immer schon wusstest, dass es da ist. Das du immer zurückgedrängt hast. Die dunkle Kammer, in der du all das aufbewahrst, was du nicht begreifen kannst und vor dem du dich fürchtest. Ich blicke in deine Augen und ich sehe eine Verwundung. Alles scheint fremd. Jeder Moment eines Tages, wie das Leben einer anderen Person. Aber du bist sie selbst, diese Person.“ Jaja, da guckt sie ihn an. „Wir haben selten Momente, in denen wir die Kraft haben, eine neue Stufe zu erklimmen. Eine andere Wahl zu treffen …“ So, gut jetzt. Warum habe ich das alles wörtlich dargestellt? Fragen Sie die oben erwähnte Lieblingsleserin, die ist schuld daran.

Lars Eidinger spielt das so gut, dass es nicht lächerlich wirkt, mir fallen nur wenige Schauspieler ein, die es drauf hätten, so verfürhrerisch-verschlagen auf jemanden einzuwirken, obwohl man gerade nicht weiß, wer da wen mehr in den Griff nimmt.

Neues im Babylon Berlin

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Ausruhen vom harten Leben und wo hört die Solidarität auf und die Liebe beginnt?

Tristan Rot kommt als Verdächtiger in die Öffentlichkeit, wie Rath es vorausgesagt hat, als er nicht wollte, dass Böhm zu offensiv vorgeht. Charlotte ermittelt inzwischen einen Schlosser Horst Kessler in Friedrichshain, der auf der ominösen Liste steht. Dieser Kessler ist gerade dabei, einem gefallenen Mädchen aufzuhelfen und sich als Retter und Ritter zu erweisen, womit wieder zwei neue Figuren eingeführt werden. Kessler kauft die betrunkene Prostituierte ihrem Zuhälter quasi für ca. 48 Stunden ab, damit sie sich bei ihm etwas erholen kann. Endlich wieder ein rudimentäres Milieu, das hatte ich bereits vermisst, nachdem die Trash-Familie Ritter, wie sie ursprünglich zusammengelebt hat, sich durch den Tod der Mutter und durch den Auszug von Charlotte und ihrer jüngeren Schwester aufgelöst und die jetzige Kriminalassistentin sich damit freigemacht hat. Das wird Erna, das Love Interest von Kessler, nicht schaffen, deshalb will er sie freikaufen. Ihr Leben ist so anstrengend, dass sie bei diesen wunderbar altruistischen Ausführungen mitten am Tag einschläft. Ich muss diesen famosen Kessler finden, der könnte auch gegen meine nicht so seltenen Schlafstörungen die letzte Rettung sein. Gut, dass die taffe Charlotte seine Adresse schon rausgekriegt hat. Damit wir nicht den Fokus verlieren: Der Schlosser Kessler hat also mit Anwalt Litten von der Roten Hilfe Kontakt. Cut.

Das Urteil

Greta wird in einen Gefängniswagen gesetzt. Die bedrückendste Sequenz von Folge 21 startet. Das Urteil gegen sie in der Sache Benda ergeht. Todesstrafe. Sie wird also als Mitttäterin bestraft. Ihr wird Arglist und Heimtücke unterstellt. Leider ist das juristisch nach meiner Auffassung nicht zu beanstanden, denn alles stimmt: Die Absicht der Tötung, die heimtückische Ausführung, das „Tatobjekt“ ist ebenfalls das richtige, nämlich Benda. Dass sie getäuscht wurde, würde allerhöchstens auf der Ebene der Schuldzurechnung relevant werden, wenn sie klarstellen würde, dass die Nazis sich als Kommunisten ausgegeben und sie reingelegt haben, indem sie einen Mord vortäuschten. Wäre dieser Mord tatsächlich geschehen, würde Rachsucht in Rede stehen. Außerdem hat sie diese der Wahrheit entsprechende Einlassung hat sie zurückgenommen. Greta sagt ihrem Verteidiger, dass sie auf weitere Rechtsmittel verzichtet. Die Sitzung ist geschlossen. Die Hoffnung gestorben.

Die Spur der erloschenen Liebe

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Gereon Rath forscht und findet und begreift noch nicht, für wen sein Herz wirklich schlägt.

Charlotte und Gereon Rath im Café. Nur der Reichspräsident könnte Greta begnadigen. Rath kennt aber niemanden, der diesen kennt, wir sind ja nicht im Saarland. Doch, Zörrgiebel. Und Wendt. Das sind wohl nicht die richtigen Mittelsmänner, obwohl Zörrgiebel doch Rath noch etwas schuldig ist, siehe oben, Blutmai. Charlotte ist aufgelöst und will unbedingt etwas tun. Rath gibt ihr den Rat, zu Litten zu gehen, dem Anwalt von der Roten Hilfe. Rath meint, das Urteil sei hart, aber Greta hat die Bombe gelegt (was sie nicht getan, sondern ermöglicht hat). Charlotte argumentiert (an Femi-Punkten Interessierte bitte dies überlesen), sie sei benutzt worden und keine Mördern. Rath: doch. Und ich fürchte, da liegt er zumindest bei den Aspekten der Tat, die vor Gericht nach ihrer Aussageänderung verhandelt worden sind, richtig. Charlotte ärgert sich darüber und drückt ihm rein, dass seine Frau nicht in Köln ist (in Folge 19 hat sie Helga, in der Bahn sitzend, gesehen, wie sie ins „Rheingold“ gegangen ist). Er kommt auch darauf, dass sie unter ihrem Mädchennamen Schwarzbach abgestiegen sein könnte. Das hätte er aber schon berücksichtigen können, als er seinen Mitarbeiter mit der Ausforschung ihres Aufenthalts beauftragt hat. Umgehend begibt sich Rath ins App. 12. Dort findet er in einem Rosenstrauß einen Brief und der Brief stammt von einem / einer A. Was stand da nochmal drin? Kurz zurückspulen und nun kommt der Moritz auch noch rein. „Danke für das Leuchten, das du in unsere Seelen bringst.“ A. steht für Alfred Nüssen. Das war jetzt klug kombiniert, wa? Nun trifft also Junior auf Senior. Ooooh! Ich hätte eher eine Konfrontation vermutet als eine herzliche Umarmung, denn Moritz war bisher nicht so begeistert davon, dass Gereon sein Vater ist. Gereon will wissen, wer A. ist, der war ja, anders als wir Zuschauer, nicht beim philosophischen Nachmittagskaffee dabei.

Gereon packt den Jungen am Kragen, weil der nicht sagen will, wer A. ist, lässt ihn los und die beiden lachen einander an. Süß.

Vertrauen geht durch den Magen

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Dieses Mal viele Belder von zwei Personen an Esstischen. Gut durchgezogenes Saftgulasch stärkt die Bereitschaft, Geheimnisse zu verraten.

Katelbach isst bei der Witwe Behnke und diese dient sich als Hüterin von Katelsbachs beruflichen Geheimnissen an. Sie liest sogar seine politischen Artikel und findet es richtig, was Katelbach anprangert. Da tun sich ganz neue Seiten bei ihr auf, stellt er fest. Dass sie sich für die geheimen Machenschaften des Militärs interessiert! Das hätte er nicht gedacht. Ja,  hätten Sie mal gefragt, antwortet sie. Nicht ganz logisch, aber nice. Und plötzlich schmeckt ihm das Essen, das er erschon verschmähen wollte. Saftgulasch, zieht seit gestern Nachmittag! Ich kenne diesen Effekt, plötzlich verstanden zu werden, deshalb muss ich auch wieder auf mein Gewicht mehr aufpassen. Nun tippt er wieder, Gottseidank. Der Katelbach aus Wien.

Esther K. vertieft sich indes weiter in das Skript von „Dämonen der Leidenschaft“. Dabei fällt ihr ein Cover mit einem Bild aus „Metropolis“ ins Auge und sie spinnt eine Stelle weiter: „Sie weigert sich, zu ihm zurückzukommen“, heißt es dort. „… und er will sie durch eine Menschmaschine ersetzen“, spinnt sie den Gang der Dinge weiter. War das wirklich ein Metropolis-Cover oder soll es darauf hinauslaufen, dass sie die Idee zu dem Film hat? Nein, das wäre zu abenteuerlich und die Historie der Entstehung des Films zu sehr verbogen und banalisiert. Rath sitzt in einem Café und erinnert sich an innige Momente mit Helga dort, als sie noch nicht in Berlin wohnte. Jaja. Es muss nicht immer so laufen! Das Mädchen hinter dem Tresen erkenne ich wieder. Sie macht einen Trick mit brennender Zigarette. Er grinst.

Doch die letzte Szene gilt Greta. Sie erhält eine neue Zellengenossin. Die kommunistische Ärztin. Wir wissen ja, dass eine der Wärterinnen mit den Linken im Gefängnis im Bund ist. Damit ist wohl auch der Link, die Verbindung zur Roten Hilfe hergestellt. Hope at last?

***

(2) In Staffel 2 spielte der geheime Militärflugplatz Lipezk in der Sowjetunion eine wichtige Rolle, den es tatsächlich gab. In der Tat waren 1929 schon Kontakte zwischen Lufthansa-Chef Erhard Milch und den Nazis vorhanden, aber über ein Ergebnis in Form geheimer Rüstung auf deutschem Boden habe ich bisher nichts gefunden, was für die weitere Fiktionalisierung bzw. zunehmende Entfernung des Plots von „Babylon Berlin“ von der Realität in dem Sinne spricht, dass man vorhandene Tatbestände nicht mehr vorwiegend einflicht, wie den Blutmai oder die Fliegerschule Lipezk, sondern auch ausdehnt und es damit schwieriger macht, herauszufinden, wie die Lage wirklich war – die atmosphärisch durchaus gelungene Verdichtung des Eindrucks, dass die Nazis schon vor ihrer Machtübernahme überall die Finger im Spiel hatten, war den Machern von „Babylon Berlin“ offenbar besonders wichtig.

© 2020 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1) Unsere bisherigen Rezensionen zu „Babylon Berlin“

Folge 20 (Staffel 3)
Folge 19 (Staffel 3)
Folge 18 (Staffel 3)
Folge 17 (Staffel 3)

Folge 16 (Staffel 2)
Folge 15 (Staffel 2)
Folge 14 (Staffel 2)
Folge 13 (Staffel 2)
Folge 12 (Staffel 2)
Folge 11 (Staffel 2)
Folge 10 (Staffel 2)
Folge 09 (Staffel 2)

Folge 8 (Staffel 1)
Folge 7 (Staffel 1)
Folge 6 (Staffel 1)
Folge 5 (Staffel 1)
Folge 4 (Staffel 1)
Folge 3 (Staffel 1)
Folge 2 (Staffel 1)
Folge 1 (Staffel 1)

Rolle Darsteller
Gereon Rath Volker Bruch
Charlotte Ritter Liv Lisa Fries
Greta Overbeck Leonie Benesch
Alfred Nyssen Lars Eidinger
Günter Wendt Benno Fürmann
Helga Rath Hannah Herzsprung
Armenier Misel Maticevic
Walter Weintraub Ronald Zehrfeld
Esther Kasabian Meret Becker
Dr. Schmidt „Anno“ Jens Harzer
Elisabeth Behnke Fritzi Haberlandt
Dr. Völcker Jördis Triebel
Katelbach Karl Markovics
Ernst Gennat Udo Samel
Reinhold Gräf Christian Friedel
Zörgiebel Thomas Thieme
Ullrich Luc Feit
Litten Trystan W. Pütter
Henning Thorsten Merten
Wilhelm Böhm Godehard Giese
Czerwinski Rüdiger Klink
Malu Seegers Saskia Rosendahl
Tristan Rot Sabin Tambrea
Fritz Jacob Matschenz
Otto Julius Feldmeier
Musik: Johnny Klimek
  Tom Tykwer
Kamera: Bernd Fischer
  Christian Almesberger
  Philipp Haberlandt
Buch: Tom Tykwer
  Hendrik Handloegten
  Achim von Borries
Regie: Tom Tykwer
  Achim von Borries
  Hendrik Handloegten

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