Nachdem wir ein wenig in die emotionalen Untiefen des Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern vorgestoßen sind und in die allgemeinen heutigen Ängste – nun wieder ein knackiger Beitrag von Norbert Häring, der belegt, dass Ängste durchaus berechtigt sind. Dabei wollen wir Hilfestellung dabei geben, wovor man wirklich Angst haben könnte und – warum die wenigsten Menschen tatsächlich den Machtkampf zwischen den Mächtigen der Wirtschaft und dem Rest der Welt in den Blick nehmen.
Gerade in Berlin, wo es derzeit positive Schlagzeilen vom Häusermarkt gibt, wer sollte da noch Angst vor den Großkonzernen haben? Tatsächlich? Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gibt geschätzte 500 Millionen Euro aus bzw. lässt das Land Berlin sie ausgeben, um gerade mal 1,2 Prozent des bezirklichen Häuserbestandes zu kommunalisieren. Wie schon in den 2000ern, als in Berlin riesige staatlichen Wohnungsbestände billigst an privat verscherbelt wurden, tanzt alles nach der Pfeife der Wirtschaft- der Marktpreis bestimmt das Geschehen. Und FR-KR ist ein besonderer Bezirk, in anderen Berliner Gliederungen findet derlei Kampf mit der Wirtschaft zu Konditionen der Wirtschaft nicht einmal statt. Wir schreiben das hier nur, um einem zivilgesellschaftlichen Machbarkeitswahn nicht zu sehr das Wort zu schreiben. Wir haben noch einen sehr weiten und fordernden Weg vor uns bis zu einer echten Transformation hin zu Nachhaltigkeit und Gemeinwohl.
Wir werden sehen, was geschieht, großfläciger in die Wirtschaft eingegriffen wird. Sollte das auf dem Immobilienmarkt durchgehen, dann kann das durchaus im Sinne anderer Branchen sein. Nicht nur, weil es eine Marktkrise auslösen kann, wie sie 2008 schon dazu geführt hat, dass die Konzerne am Ende nicht schwächer, sondern stärker waren. Und weil es natürlich langsam ein Problem für den Konsum darstellt, wenn Menschen immer größere Anteile von ihrem Einkommen in die Wohnkosten stecken müssen.
Norbert Häring setzt sich in seinem Beitrag Der Griff der Großkonzerne nach der Weltherrschaft vor allem mit dem Weltwirtschaftsforum auseinander, das sich jährlich im schweizerischen Davos trifft und zu dem alles, was politisch Rang und Namen hat, hinfährt, um sich den Großkonzernen anzubiedern. Schon die blumige Selbstbeschreibung lässt einiges durchblicken:
Es wurde 1971 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat seinen Hauptsitz in Genf, Schweiz. Es ist unabhängig, unparteiisch und an keine besonderen Interessen gebunden. Das Forum ist bestrebt, Unternehmertum im globalen öffentlichen Interesse unter Wahrung höchster Governance-Standards zu demonstrieren. Moralische und intellektuelle Integrität ist das Herzstück von allem, was es tut.
Unsere Aktivitäten sind von einer einzigartigen institutionellen Kultur geprägt, die auf der Stakeholder-Theorie basiert und die besagt, dass eine Organisation gegenüber allen Teilen der Gesellschaft rechenschaftspflichtig ist. Die Institution vereint und balanciert sorgfältig das Beste aus vielen Arten von Organisationen, sowohl aus dem öffentlichen als auch dem privaten Sektor, internationalen Organisationen und akademischen Institutionen.
Die Stakeholder-Theorie ist auf den ersten Blick eine schöne Sache, weil die den Interessenausgleich aller Gruppen, auch jener, die nicht den Gewinn eines Unternehmens im Auge haben und seiner Maximierung möglicherweise entgegenstehen, berücksichtigen soll. Wenn man so will, haben wir alle Aktien an oder in dieser Sache, auch wenn wir gar keine Wertpapiere besitzen. Aber das Weltwirtschaftsforum leitet daraus ab, dass es Politik besser kann als die Politik, zumindest sieht das Norbert Häring so und belegt es anhand der Einflussnahme auf die UNO, die das Weltwirtschaftsforum nimmt: Demokratische Abläufe sind dabei eher lästig, weil sie nicht die Besten alles entscheiden, sondern die weitgehend unkundige Masse mitbestimmen lassen.
Zivilgesellschaftliche Gruppen werden vom Weltwirtschaftsforum durchaus eingebunden, aber Häring sieht das mehr als einen Ansatz an, sie einzuhegen, nicht als Anerkennung echter Partizipation – und sie sollen sich vor allem selbst ausspionieren, indem ihre eingebundenen Vertreter*innen den Konzernen berichten, was an der Basis gerade passiert und ihnen damit die Möglichkeit geben, alles frühzeitig in ihrem Sinn zu steuern.
Wir haben uns die Langversion des Reports „Everybody’s Business“, den Norbert Häring dankenswerterweise wieder aufgespürt hat, heruntergeladen. Leider kommen wir nicht häufig dazu, uns in solche Riesenstudien (hier 700 Seiten) zu vertiefen, aber der Inhalt scheint brisant bzw. entlarvend zu sein, denn das Weltwirtschaftsforum selbst hat dieses Dokument mittlerweile gelöscht.
Koalitionen der Willigen und Fähigen sollten die Führungsrolle bei der Bewältigung ungelöster globaler Probleme übernehmen, zitiert Norbert Häring aus dem Dokument. Solche Koalitionen kennen wir schon aus Kriegen, die nichts als Zerstörung und keinerlei Lösungen mit sich bringen, das ist die erste Assoziation, die uns dazu eingefallen ist. Die zweite: Der Ansatz ist faschistisch, weil nicht demokratische Prozesse, sondern Eliten die Welt steuern sollen. Selbstverständlich muss es Menschen geben, die für größere Aufgaben geeignet sind, aber was hier gemeint ist, ist alles andere als Neutralität, wie sie in der Selbstdarstellung des Weltwirtschaftsforums verkauft werden soll, sondern massive Beeinflussung im Sinne der kapitalistischen Verwertung.
Probleme können schneller angegangen werden, ohne zögerliche Regierungen und abweichende Meinungen in der Zivilgesellschaft, heißt es dann auch in der Folge. Das ist genau das Gegenteil von dem, was beispielsweise in Berlin als mühevoller, aber lohnender Prozess immerhin in kleinen Bereichen zwischen Administration und Bürger*innen etabliert wird bzw. werden soll. Es liest sich so, wie es ist: Ratzfatz und ohne irgendwelche störenden Meinungsbildungen der Mehrheit soll umgesetzt werden können, was Unternehmen für richtig halten. Diese Geschwindigkeit wird besonders dann wichtig werden, wenn der hybride Finanzkapitalismus wieder einmal über sich selbst stolpert, wie 2008. Dann möchten seine Apologeten geren bestimmen, wie sie auf Kosten der Steuerzahler*innen erneut gerettet werden können, und zwar ohne hinderliche Einschränkungen und Auflagen, wie sie 2008 immerhin noch als Suggestion regierungsseitiger Handlungsfähigkeit in kleinem Umfang verwirklicht wurden.
Wenn man Manager Multinationaler Konzerne in die Führung globaler Institutionen aufnimmt, steigert das die Legitimität und Effektivität dieser Organisationen, wird wiederum zitiert. Heißt: Der Durchgriff im Sinn der Unternehmen verbessert sich, aber mit Legitimation ist nicht demokratische Legitimation gemeint, sondern Legitimation im Sinn derer, die tatsächlich nach eigener Ansicht schon mehr Macht haben als die UNO und die nationalen Regierungen – die Großkonzerne. Erinnert uns das an etwas, was gerade auf EU-Ebene abläuft? Wie mit der demokratischen Europawahl 2019 umgegangen wird, wenn es um den wichtigsten Posten im Club der 28, bald 27, geht? Nein? Uns schon.
Multis würden als gleiche oder gar mehr als gleiche Partner in ein transformiertes UN-System eintreten und die UNO muss das quasi akzeptieren, weil sie von der Finanzierung durch Staaten abhängig ist, die wiederum vor allem die Interessen der Wirtschaft propagieren, insonbesondere den USA. Präsident Trump nimmt die Beitragszahlungen der USA bekanntlich als Faustpfand, um eigene Interessen durchsetzen zu können.
Wer dazu, wie weit die UNO-Steuerung durch Wirtschaftsfinanzierung als notwendiger Ersatz staatlicher Zuwendungen bereits vorangeschritten ist, eine weitere, nicht ganz so umfangreiche Analyse lesen will, für den hat Häring eine entsprechende Empfehlung.
„Beim Thema Finanzierung von Entwicklung und anderem wird zum Beispiel nie erwähnt, dass die Multis dazu übergehen sollten, Steuern zu zahlen, anstatt ihre Gewinne in karibische Steueroasen zu verschieben. Sie werden lediglich eingeladen, ein bisschen was von den nicht gezahlten Steuern zweckgebunden der UN zu überlassen, damit sie einige der Aufgaben erledigt, für die den künstlich knapp gehaltenen Entwicklungsländern das Geld fehlt„, schreibt Häring selbst. Es ist das gleiche Prinzip, wie es derzeit von Stiftungsgebern massiv propagiert und als soziale Wohltat dargestellt wird, die in Wahrheit Ansprüche durch frei wählbare Mildtätigkeit ersetzen soll – das Gates-Syndrom auf Konzernebene.
Ziemlich überraschend erfahren wir dann, dass es es sich hier nicht um Absichten handelt, sondern dass bereits ein Memorandum zwischen UNO und Weltwirtschaftsforum existiert, das die Umsetzung der Ziele des Forums zum Inhalt hat. Immer wieder fällt dabei auch der Begriff der PPP, der Privat-Öffentlichen-Partnerschaft, die nicht zu Unrecht in Deutschland heftig in der Diskussion steht, weil sie den Staat weiterer Handlungsmöglichkeiten beraubt und weil sie unmöglich besser sein kann als staatliche Daseinsvorsorge: Weil die privaten Partner immer noch zusätzlichen Profit für ihre – sic! – Stake Holder generieren müssen. Höhere Effizienz als Ausgleich erweist sich in vielen Fällen als Chimäre, die der Theorie zu verdanken ist, dass Profitgier alles besser, schneller und hochwertiger macht.
Wir schauen wieder auf Berlin. Ist das wirklich so? Sollten wir unter massivem Verwertungsdruck stehenden multinationalen Konzernen unsere Geschicke überlassen? Unternehmen sollen über uns alle bestimmen, die das Gemeinwohl mit Füßen treten, indem sie nicht nur z. B. die Mieter*innen immer mehr auspressen, sondern die Gewinne aus dieser Ausbeutung auch noch in Steuervermeidungsterritorien verbringen, anstatt sie wenigstens teilweise wieder in Form von Steuern an die Allgemeinheit zurückfließen zu lassen?
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
EBA 46
Kritisch schauen und immer wieder Beiträge außerhalb des Mainstreams und vor allem jenseits unserer aktuellen Zentralthemen lesen, über die wir selbst schreiben – das ist eine Aufgabe, die der Wahlberliner sich gestellt hat.
Wir empfehlen. in der Regel kommentieren wir die Empfehlungen kurz oder versuchen, die darin geäußerten Gedanken weiterzuführen. Unsere bisherigen Empfehlungsbeiträge der Serie „Jeden Tag ein Blick nach draußen“. Ab dem 42. Empfehlungsbeitrag haben wir eine erste Gliederung vorgenommen und stellen die Artikel „Dossier USA“ besonders heraus, eine weitere Aufteilung erfolgt ab EBA 45 mit dem Thema Kinder, Bildung, Erziehung.
Dossier Kinder, Bildung, Erziehung
- Sicher ist sicher nicht – Eltern verfolgt heute eine fundamentale Angst … (Ursula Wesseler, Rubikon)
Dossier USA
- Werden die USA sozialistisch? (Florian Rötzer, Gesellschaft, Telepolis)
Andere Beiträge
- Vollversorgt und überbezahlt (Interview mit Hans Herbert von Arnim, Telepolis)
- SUVs: Botschaft von Rücksichtslosigkeit, Herrschsucht und vermeintlicher Überlegenheit (Detlef zum Winkle, Telepolis)
- Werden die USA sozialistisch? (Florian Rötzer, Gesellschaft, Telepolis)
- A Tectonic Shift in German Politics (Matthew D. Rose, Politik / Gesellschaft, Brave New Europe)
- „Alle gegen Alle“, aber bloß nicht: „Arm gegen Reich“ – Wie manche Medien die Gesellschaft aufteilen (Tobias Rieger, Gesellschaft, Nachdenkseiten)
- Vollbremsung – das Auto muss weg (Klaus Gietinger, Umwelt / Wirtschaft, Telepolis)
- Zum Wegwerfen. Warum das Geschäftsmodell der großen Textilkonzerne in die Mülltüte gehört. (Ralf Wurzbacher, Umwelt / Wirtschaft, Nachdenkseiten)
- Was kostet krieg wirklich? (USA: Die Kosten der Kriege gegen den Terror auf Schulden kommen erst noch), Florian Rötzer, Wirtschaft / Krieg und Frieden, Telepolis
- Lehren der Geschichte und Sorgen der Zukunft „Die EU sollte sich ehrlich machen“ (Kiran Klaus Patel, Gesellschaft, Politik, DER SPIEGEL)
- Es gibt keine Klimarettung aus der Portokasse (Norbert Häring, Umwelt, Wirtschaft, Blog Geld und mehr)
- Der Rüstungsrekord (Fred Schmid, Krieg und Frieden, Rubikon)
- Vermögensbegrenzung oder Oligarchie (Jörg Gastmann, Wirtschaft, Telepolis)
- Die Umverteilung von Arm nach Reich durch Zinsen (und Profite) (Jörg Gastmann, Wirtschaft, Telepolis)
- Zivilgesellschaftliche Erklärung zur Nachhaltigkeit (Umweltforum)
- Warum keine Vermögensstatistik stimmt (Jörg Gastmann, Wirtschaft, Telepolis)
- Mehr Demokratie wagen! („Die Pseudo-Demokratie“, Christian Fischer, Gesellschaft, Rubikon)
- „Kurze Vollzeit“ (ATTAC, Wirtschaft / Gesellschaft)
- Wasserstoff als politisch verfemter Energiespender (Originaltitel: „Wir werden verarscht, was das Zeug hält“) (Marcus Klöckner interviewt Timm Koch, Wirtschaft, Nachdenkseiten)
- Elektromobilität hat blutige Hände (Bärbel Weisshaupt, Wirtschaft / Gesellschaft, Blog Haimart)
- Warum Tesla die Welt nicht retten wird (Angelika Seliger, Wirtschaft, Telepolis)
- Was ist Sozialismus? (Ludger Eversmann, Gesellschaft, Telepolis)
- Radikale Verkürzung der Arbeitszeit als Beitrag zum Klimaschutz (Tom Strohschneider, Wirtschaft / Gesellschaft, OXI)
- Haben Menschen ein natürliches Gefühl für Fairness? (Andreas von Westphalen, Gesellschaft, Telepolis)
- Rezo und die Relativierung der Ungleichheit (Julian Bank, Gesellschaft / Wirtschaft, Makronom)
- Mythos Europa (Régis Debray, Gesellschaft, Le Monde diplomatique)
- Entwicklung durch Auswanderung? (Alexander King, Gesellschaft / Wirtschaft, Nachdenkseiten)
- Tag der Lebensmitelverschwendung (Ökologie, Blog Campogeno)
- Der Grund-Konflikt – Enteignungen würden soziales Unrecht bei einer seiner Wurzeln packen (Roland Rottenfußer, Wirtschaft / Gesellschaft, via Rubikon)
- Update: „Der Siegeszug der Wohltätigkeit“ – Bill Gates greift dem SPIEGEL unter die schwachen Arme (Norbert Häring + meedia)
- Der Siegeszug der Wohltätigkeit: Egal ob im globalen Norden oder Süden – private Stiftungen sind Teil des Problems, nicht der Lösung (Linsey McGoey, Wirtschaft / Gesellschaft, Adamag)
- Es geht ums Ganze! Nicht nur Assanges Leben steht auf dem Spiel — auch der Fortbestand der Pressefreiheit und damit ein Grundpfeiler der Demokratie (Jake Johnson, Pressefreiheit, Rubikon)
- Für Irrlichter sich ausbrennen lassen (Bärbel Weisshaupt, Gesellschaft / Arbeit / Wirtschaft, Blog Heimart)
- Linke Kontroverse um Repression in der DDR (Sebastian Bär, Gesellschaft, nd)
- Ein Plädoyer für den gepflegten Streit (Gerhard Kugler, Gesellschaft, Neue Debatte)
- Manning / Assange – Erklärung der ILANA (Gesellschaft, via Augen auf! Und durch …)
- Die soziale Rutschbahn – als Folge falscher globaler Weichenstellungen geht es mit … (Werner Voß, Wirtschaft / Gesellschaft, Rubikon)
- Unternehmen werden zur Sparbüchse der Aktionäre (Norbert Häring, Wirtschaft, Blog Geld und mehr)
- Neues aus den Unterklassen: Panik vor Karlsruher Hartz-IV-Urteil? (Susan Bonath, Gesellschaft, RT Deutsch)
- 21th Century Victorians (Jason Tebbe, Gesellschaft, Jacobin)
- Wider die Mär vom Humankapital (Norbert Häring, Wirtschaft, Blog Geld und mehr)
- 100 Jahre Faschismus: „Mussolinis Terrorschwadronen – vor 100 Jahren wurde mit der Gründung der Fasci di combattimento die Keimzelle des italienischen Faschismus gelegt“ (Gerhard Feldbauer, Geschichte, Junge Welt)
- „Klimareligion – Das erste Buch Greta“ (Jan Fleischhauer, Umwelt & Klima, Der Spiegel)
- „Atlantisch bleiben, europäischer werden“ (Sevim Dagdelen, deutsch-französische Militärpolitik, Spiegel online)
- Gelenkte Kritik: Die Eliten manipulieren unser Denken und Handeln zum Umweltschutz (Susan Bonath, Umwelt & Klima, Telepolis)
- „Instrumentalisierte Ökologie“ (Bärbel Weisshaupt, Umwelt & Klima – Blog Heimart)
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