Die Wüste wächst (Georges Hallermeyer, Rubikon) – und es geht um Politik, in Mali und anderswo in Afrika / #Umwelt #Klima #Mali #MINUSMA #UNO #Bundeswehr #Auslandseinsatz #Aufforstung #Desertation #Kolonie #Frankreich

„Verwüstung“ — dieses schlimme Wort prägt Mali gleich in mehrfacher Hinsicht. Während sich die Sahara Stück für Stück weiterschiebt und die Bevölkerung ungebremst wächst, halten Aufstände und militärische Auseinandersetzungen das geplagte Land in Schach. Knapp die Hälfte der Menschen dort lebt unterhalb der Armutsschwelle. Neokoloniale Militärmissionen werden mehr und mehr abgelehnt. Europa solle Bäume pflanzen, statt Soldaten zu schicken.„, so beginnt der Artikel.

Was wissen wir eigentlich über Mali? Das Land ist doch nicht unwichtig, schon deswegen, weil seit 2013 dort ein Bundeswehreinsatz läuft – einer jener Auslandseinsätze, die von linker Seite misstrauisch beäugt werden. Dieser Einsatz verläuft sehr still, anders als der in Afghanistan, der immer wieder für Schlagzeilen sorgt und bei dem auch schon Todesfälle auf deutscher Seite zu beklagen waren. Es ist immer so, dass die Bundeswehr sich nie direkt an Kampfhandlungen beteiligt, auch nicht in Mali, aber sie leistet anderen Nationen logistische Unterstürzung und wenn wir in diesem Tagesspiegel-Beitrag aus dem April 2019 lesen, dass diese Truppen die Ordnung in einem bestimmten Gebiet aufrecht erhalten sollen, dann kann das nur geschehen, wenn sie auch bereit sind, zur Waffe zu greifen, wenn diese Ordnung in Gefahr ist oder anders gar nicht erst hergestellt werden kann. Das liegt in der Logik, auch wenn es sich um eine Mission der Friedenssicherung handelt, nicht um eine der Friedensschaffung, die immer mit Waffeneinsatz verbunden ist. Im Einen Fall ist er möglich, im anderen sicher.

Auch der Fokus der traditionellen Linken ist nicht gerade auf Mali gerichtet, sondern auf Russland und Lateinamerika, also geht es hier darum, ein wenig Basiswissen an unsere Leser weiterzugeben. Dafür ist der Beitrag von Georges Hallmeyer gut geeignet. Man sollte aber den erwähnten Tagesspiegel-Beitrag hinzunehmen, denn auch er setzt sich kritisch mit dem Einsatz auseinander. Allerdings auf der typisch verkürzten Ebene des Abgleichs von Zweck, Ziel, Ausrichtung der Mission, nicht mit den grundsätzlichen Folgen des Kolonialismus, die sich überall in Afrika, auch in Mali, zeigen. Man kann aber Regionen in Aufruhr nicht verstehen, wenn man die Geschichte nicht einbezieht.

Es handelt sich in Mali zwar um einen UN-Einsatz, anders als beispielsweise in Syrien, aber führend sind bei solchen Einsätzen immer Länder mit starken eigenen Interessen. Im Nahen Osten sind das auf westlicher Seite immer die USA, in Mali hingegen ist es Frankreich, das auch das Hauptkontingent an Truppen stellt. Wir erinnern uns daran, wie von französischer Seite die militärische Integration Europas propagiert wird und wie in der neuen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen jemand zur Verfügung steht, um diese Richtung zu unterstützen. Die Franzosen schützen die Deutschen in Mali, das lesen wir aus dem Tagesspiegel-Beitrag hinaus, der das langfristige Ziel wird sein, dass beide Länder auf gleicher Ebene agieren – und das ist eine von vielen Gefahren, die in solchen Einsätzen liegen.

Frankreich hat in Mali klare Interessen: Es ist eine frühere Kolonie und nach Definition Frankreichs weiterhin in dessen Einflussphäre gelegen – und dort wird Uran für die französischen Atomkraftwerke abgebaut, dieser Abbau soll selbstredend durch den Einsatz französischer Truppen in diesem unruhigen Land gesichert werden. Solche Verbindungen zu Mali hat Deutschland nicht, es geht lediglich darum, internationale Solidarität unter westlichen Ländern zu beweisen und dass man in Europa politisch mehr führen möchte. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Einflechtung in Interessen, die nicht im Sinne eines afrikanischen Landes und auch nicht in deutschem Sinne sein können – sie sind geostrategische Aktionen anderer Staaten.

Die für die Industrie Frankreichs interessantesten Rohstoffe, vor allem Uranerz und Erdöl, sind noch nicht genügend exploriert. Die Sicherung des Zugangs zu den Bodenschätzen als alleinige Erklärung für das militärische Eingreifen Frankreichs im Nordmalikonflikt greift somit zu kurz; vielmehr ging es darum, keinen dauernden Krisenherd in der Sahelzone entstehen zu lassen.[156], heißt es in der Wikipedia, aber gerade die Tatsache, dass hier noch Reserven liegen, belegt sehr wohl die Möglichkeit eines strategischen Interesses. Und das Hauptanliegen, einen Unruheherd in der Sahelzone zu verhindern, wie dort weiter ausgeführt wird, hat auch das Ziel, das Vordringen islamistischer Gruppen zu verhindern als das Wohl der Bevölkerung im Blick.

Die innerstaatlichen ethnischen Konflikte in vielen afrikanischen Ländern sind Nachwirkungen einer Grenzziehung, die von den europäischen Kolonialstaaten ohne Rücksicht auf Stammesgebiete vorgenommen wurde. Im Grunde müsste man alle diese Grenzen neu ordnen und den Verbreitungsgebieten der Stämme angepasste Staaten oder daran orientierte autonome Gebiete innerhalb einer echten Afrikanischen Union schaffen. Eine solche Union hätte weitaus mehr Möglichkeiten, sich dem Einfluss anderer Länder, speziell den alten Einflüssen Europas und den neuen Chinas, zu entziehen und gezielte Maßnahmen zur Förderung von Bevölkerungsgruppen und zur Umsetzung ökologischer Nachhaltigkeit zu betreiben, als das bei den heutigen heterogenen Kunstgebilden der Fall ist. Es ist kein Wunder, dass es immer wieder zu Abspaltungstendenzen kommt.

Schon in der Schule haben wir die Deseratation, das Voranschreiten der Wüste in Afrika, als wichtiges Thema kennengelernt und treffen es jetzt in Mali wieder. Während also die Kämpfe andauern, wächst die Wüste weiter, und das immer schneller. Ob man daraus den Schluss ziehen kann, dass Bäume not tun, nicht Soldaten, damit befasst sich der Beitrag von Georges Hallermeyer.

In Mali ist seit 1968 der Regenfall übers Jahr gerechnet um 30 Prozent gesunken, anstatt drei Monate Regenzeit nur noch im Juli und August. In den ersten fünf Jahren kostete die Trockenheit in Folge des Klimawechsels 250.000 Menschen und 3,5 Millionen Stück Vieh das Leben. Dabei sind nur 3,8 Prozent des Landes fruchtbares Ackerland. Und das gibt zu 90 Prozent den Familien kleiner Bauern in Subsistenzwirtschaft nur das Nötigste zum Leben (2). Die Ausbeute an Fisch sank um ein Fünftel, Ernteerträge von Reis und Hirse gingen zwischen 40 bis 50 Prozent zurück.

Die ethnischen Konflikte sind auch ein Kampf um sehr knappe Ressourcen, ein Kampf, der einen langen Schatten auch auf Europa wirft, falls die Verwüstung unbegremst weitergeht und immer mehr Menschen in ihrer Heimat nicht mehr leben können, weil die Böden keinen Ertrag mehr einbringen. Viele davon werden zu uns kommen und wir werden zusammenrücken müssen, daran besteht kein Zweifel. Wir sind also in der Zange: Einerseits muss unsere Wirtschaft ökologisch transformiert und niedertouriger werden, andererseits wird sie mehr Menschen zu versorgen haben als heute. Das lässt sich nicht mehr ändern, auch wenn der imperiale Duktus von EU-Handelsabkommen mit afrikanischen Staaten doch eines Tages als kontraproduktiv erkannt werden sollte. Bäume pflanzen ist wichtig, aber kleinbäuerliche Strukturen und kleine Gewerbe nicht durch eine Schwemme an subventionierten EU-Produkten zu vernichten, ist auch wichtig, sonst ist auch alle Entwicklungshilfe oder -zusammenarbeit, wie es jetzt heißt, in einem Paradoxon gefangen.

Es wird also enger werden, wenn nicht endlich massiv in die Ökologie und in eine Wirtschaftsordnung unter Gleichen investiert wird – es gibt keine Solidarität wie auch keinen Klimaschutz zum Nulltarif.

Es sei denn, wir halten die Menschen, die sich auf den Weg machen, mit Gewalt zurück. Auch dafür steht das neue Kommissionsregime: Frontex, die EU-Grenzüberwachung und -sicherung zu stärken. Dass auch die ungerechten Dublin-Regelungen geändert werden sollen, womit sich von der Leyen insbesondere Stimmen in Südeuropa gesichert hat, ist demgegenüber nach unserer Auffassung nachrangig, denn eine weniger einseitige Verteilung lässt sich natürlich leichter bewerkstelligen, wenn insgesamt viel weniger Menschen, die in Not sind, nach Europa gelangen.

Wenn wir bedenken, dass die Bevölkerung Malis rapide wächst, sich innerhalb von 30 Jahren verdoppelt bei einer Geburtenrate von 6,06 Kindern pro Frau (2016), dann wird verständlich, dass die seit Jahrhunderten geltenden Regeln des Zusammenlebens im Zentrum des Landes zwischen ackerbebauenden Dogons und viehzüchtenden Peuls in Turbulenzen gerieten, wie selbst Präsident Ibrahim Boubacar Keita (IBK) im Exklusiv-Interview mit jeune afrique am 17. Juni einräumte.

Wir wollen auch einen Absatz wie diesen nicht verschweigen. Es führt nichts daran vorbei, dass endlich eine wirksame Geburtenkontrolle eingerichtet wird, denn offensichtlich reichen die Ressourcen vorerst doch aus, um immer mehr Menschen zu ernähren – jedenfalls steigt die Bevölkerung weitaus schneller, als es Tote durch klimabedingte Probleme oder durch Kriege gibt. Dass wirtschaftlicher Aufschwung zu niedrigeren Geburtenraten führt, ist bisher gut statistisch abzusichern. Das CIA-Factbook stützt die Darstellung und nennt ein paar Gründe:

Mali’s total population is expected to double by 2035; its capital Bamako is one of the fastest-growing cities in Africa. A young age structure, a declining mortality rate, and a sustained high total fertility rate of 6 children per woman – the third highest in the world – ensure continued rapid population growth for the foreseeable future. Significant outmigration only marginally tempers this growth. Despite decreases, Mali’s infant, child, and maternal mortality rates remain among the highest in sub-Saharan Africa because of limited access to and adoption of family planning, early childbearing, short birth intervals, the prevalence of female genital cutting, infrequent use of skilled birth attendants, and a lack of emergency obstetrical and neonatal care.

Das heißt, die Bevölkerung, die gegenwärtig mit rasanten 3 Prozent pro Jahr wächst, würde schon Ende der 2030er die 40-Millionen-Marke überschreiten. An Mali kann man ablesen, wie eine mehr als nur intakte Bevölkerungspyramide aussieht. Der Auswanderungsdruck wird also auch wegen der starken Bevölkerungsvermehrung wachsen.

Anders als in den meisten Ländern der Welt verharrt die Fertilität von 1960 bis heute auf dem sehr hohen Niveau von über sechs Kindern pro Frau.[69] Sie ist in den vergangenen Jahren nur leicht gesunken, von 6,8 Kindern pro Frau im Jahr 2001 über 6,6 im Jahr 2006 auf zuletzt 6,1 im Jahr 2012/13.[70] Im gleichen Zeitraum ist die Lebenserwartung bei Geburt von 29,7 Jahren (1950) auf 56,2 Jahre (2015) gestiegen.[71][72] Diese beiden Faktoren zusammengenommen bescheren dem Land ein Bevölkerungswachstum, für das kein Abklingen in Aussicht steht, das jedoch in seiner Höhe nicht mehr lange aufrechterhalten werden kann. Rein rechnerisch hätte Mali bei konstant bleibendem Wachstum im Jahre 2050 61,3 Millionen Einwohner,[68] was angesichts der ökologischen Voraussetzungen undenkbar ist. Somit befindet sich das Land auf dem Weg „in ein Desaster“[73] von größeren sozialen, demographischen und ökologischen Krisen. (Wikipedia, a. a. O.)

So gesehen, ist es nachvollziehbar, dass Hallermeyer, der sich, in Frankreich lebend, vor allem auf französische Literatur zu Mali bezieht, die Ansicht vertritt, die gegenwärtigen Kämpfe seien nicht vor allem in der „ethnischen Wundmatrix“ angesiedelt, sondern Verteilungskämpfe um Ressourcen. Dabei bringt er das schwedische Friedensinstitut SIPRI ins Spiel, das die zunehmende Gewalt in manchen Regionen auch als Ausdruck des Klimawandels beschreibt.

Über die Geschichte und Politik Malis gibt die Wikipedia umfassend Auskunft, das Verdienst des Artikels von Georges Hallermeyer wiederum liegt darin, dass er jüngste Entwicklungen heraushebt und mehr aufschlüsselt. Quintessenz der Darstellungen ist, dass die Menschen sich mehr wegen der herrschenden Armut erregen als wegen mangelnder Sicherheit – unsicher aber ist auch nach dieser Darstellung, ob der Staat tatsächlich in der Lage sein kann, den explosiven Norden zu befrieden. Angesichts der Ausführungen zur aktuellen Politik ist es nach unserer Ansicht verkürzt, zu behaupten, die malische Regierung oder die Menschen dort schaffen das schon – oder aber die heutige Ausformung des UN-Einsatzes MINUSMA als richtig zu definieren. Auch der Tagesspiegel kritisiert, dass dieser nicht genug eingegrenzt wurde. Aber verlängert wird er auch nach 2020 mit einiger Sicherheit und wer weiß, ob nicht statt weniger Soldaten und mehr Bäumen es so kommen wird: Mehr Soldaten und immer noch keine Bäume.

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

EBA 51

Kritisch schauen und immer wieder Beiträge außerhalb des Mainstreams und vor allem jenseits unserer aktuellen Zentralthemen lesen, über die wir selbst schreiben – das ist eine Aufgabe, die der Wahlberliner sich gestellt hat. 

Wir empfehlen. in der Regel kommentieren wir die Empfehlungen kurz oder versuchen, die darin geäußerten Gedanken weiterzuführen. Unsere bisherigen Empfehlungsbeiträge der Serie „Jeden Tag ein Blick nach draußen“. Ab dem 42. Empfehlungsbeitrag haben wir eine erste Gliederung vorgenommen und stellen die Artikel „Dossier USA“ besonders heraus, eine weitere Aufteilung erfolgt ab EBA 45 mit dem Thema Kinder, Bildung, Erziehung.

Dossier Kinder, Bildung, Erziehung

Dossier USA

Andere Beiträg

Hinterlasse einen Kommentar