Am 19. Juli 2019 war „Steuerzahler-Gedenktag“. Bis zu diesem Tag, so die Rechnung des Bundes der Steuerzahler, gehen die Menschen ausschließlich für den Staat arbeiten, erst dann kommen sie selbst mal dran. Alles Quatsch, rechnet Stefan Bach vor, in einem Gastbeitrag für DIE ZEIT mit dem Titel „Die Tea Party lässt grüßen„. Stefan Bach forscht am Deutschen Institut für Wirtschaft in Berlin.
Der Begriff Gedenktag suggeriert außerdem, dass die Steuerzahler gar nicht mehr unter uns weilen, sondern von einem gefräßigen Staat verspeist wurden.
Nachdem wir gestern darüber gelesen haben, wie jemand mit permanentem Druck durch Schulden lebt, die er in einem Land, das vielen hierzulande immer noch als Vorbild dienlich ist, fast zwangsläufig machen muss, wenn er eine gute Ausbildung haben will, wir also einmal mehr feststellen durften, was ein degenerierter Staat den Menschen aufbürdet, wenden wir uns heute den Menschen zu, die ebenfalls viel zahlen müssen. Den Steuerzahlern. Der Unterschied: Wer Schulden macht, hat wenigstens eine Gegenleistung, der Staat hingegen zieht das Meiste vom Einkommen weg und verschwendet es. Wir haben kürzlich sogar einen Beitrag in einem öffentlichrechtlichen Sender darüber gesehen, wie der Bund der Steuerzahler Bustouren für Menschen organisiert, die sich dann einen Staatsfail nach dem anderen anschauen dürfen.
Die Steuerzahler leben also noch, das ist die frohe Kunde.
Keine Frage, es gibt den „Reibungsverlust“, man kann ihn in Berlin an manchen Orten besichtigen, vor allem, wenn man rüber nach Brandenburg fährt und in Schönefeld ankommt, wo der niemals öffnende Flughafen BER anzutreffen ist. Aber spätestens seit der Finanzkrise 2008 sollte jedem klar geworden sein, dass der Staat nicht perfekt ist, die private Wirtschaft aber nicht besser. Allein die Bankenrettung verschlang Summen, die jeden profilierten Steuerverschwender vor Neid erblassen ließen. Der Unterschied: Hier ging es wirklich nur darum, im Finanzkapitalismus gefangene Unternehmen vor dem Untergang zu bewahren, die Steuerzahler hatten dadurch nicht einen Cent mehr als zuvor in der Tasche. Das ist bei den Steuern anders, denn sie werden zur Erstellung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Infrastruktur verwendet. Man könnte da mehr investieren, aber wie hoch subventioniert manche Leistungen sind, das sollte jeder mal überlegen, der zum Beispiel in einem öffentlichen Park feiert und dort seinen Dreck hinterlässt, der eine Autobahn benutzt oder ins Theater geht.
Und, um auf den vorherigen Beitrag zurückzukommen: Die Bildung wird in Deutschland grundsätzlich aus Steuermitteln finanziert. Wir rechnen kurz mit, wie Herr Bach in der Zeit die wirkliche Steuer- und Abgabenbelastung des durchschnittlichen Bürgers darstellt, die
- nach dem Berechungsmodell des Bundes der Steuerzahler stolze 54,6 Prozent beträgt,
- aber, wenn man gemäß Bach richtigerweise nicht das Volkseinkommen, sondern das Nettonationaleinkommen zugrundelegt, sich bereits auf 48,3 Prozent ermäßigt,
- nimmt man Abgaben vereinfachend zur Hälfte heraus, die vielfach Versicherungsleistungen sind, wie die Einzahlungen in die Rentenkasse, kommt man nur noch auf 38,1 Prozent,
- ein bisschen was geht noch ab, wenn man richtigerweise die Steuern abzieht, der der Staat selbst mit seinen Unternehmungen zahlt, verbleiben noch 37,1 Prozent
Und wenn man dann noch die oben angesprochenen Leistungen in Form von öffentlicher Infrastruktur abzieht, käme man wohl dabei heraus, so Bach, dass der Steuerzahlertag irgendwann im Februar sein müsste, zur Karnevalszeit – und Helau und Alaaf! Oder Alleh hopp!, der Narrenruf dort lautet, wo wir herstammen.
Auf Bustouren mit Steuerzahlen werden wir eine Spezies ganz sicher nicht antreffen: Die Reichen und Superreichen. Deren Steuerbelastung dürfte netto sogar negativ sein, wenn man dem Modell von Stefan Bach als Grundlage nimmt. Wenn sie nicht illegal unterwegs sind, zahlen sie pro Person selbstverständlich mehr ein, als sie an staatlicher Infrastruktur persönlich in Anspruch nehmen, aber sie profitieren zusätzlich mit ihren Unternehmungen von Standortfaktoren, die wiederum mit Steuergeldern eingerichtet wurden und nicht zuletzt von einem System, das ihnen unbegrenzten Profit erlaubt.
Dafür müssen Mittelständler erheblich mitbezahlen – aber nicht in erster Linie durch überhöhte Steuern und Abgaben, sondern, indem sie seit vielen Jahren kaum noch reale Einkommenszuwächse haben, wie Bach richtig anmerkt – trotz ständiger Fortschritte bei der Produktivität. So kommt es, dass die Profite der Reichen wesentlich schneller wachsen und die Umverteilung von unten nach oben anhält – obwohl gerade wieder ein neoliberaler Ökonom ein Buch geschrieben hat, das uns vom Gegenteil überzeugen will.
Kann es aber nicht, denn allein die Vermögensberechnung nach deutschem Muster enthält erhebliche blinde Flecke und sonstige Schwachstellen, wie so viele Statistiken hierzulande. Die gängigste Variante beruht auf einer Befragung und wir dürfen getrost davon ausgehen, dass die Reichsten sich nicht vermögender rechnen, als sie sind. Der ohnehin für eine sogenannte soziale Marktwirtschaft viel zu hohe Gini-Koeffizient für Vermögen in Deutschland, der die Ungleichheit misst, dürfte in Wirklichkeit noch höher liegen. Und er nahm zwischen 2000 und 2016 erheblich zu und es liegt nicht an zu hohen Abgaben, dass die Deutschen ein lächerlich geringes Medianvermögen von ca. 43.000 Euro haben – in Frankreich beispielsweise, das angeblich ökonomisch schlechter dasteht, liegt es mehr als doppelt so hoch (2016).
Erzählt dies alles eine Lobbyorganisation wie der Bund der Steuerzahler den Menschen auch, denen er weismacht, sie würden quasi bis zum 19. Juli Sklavenarbeit für den Staat verrichten? Oder ist dies eine Propagndamaßnahme mehr, die auf neoliberalen Egoismus setzt und verhindern will, dass endlich wieder erkannt wird, worum es wirklich geht: Oben gegen Unten.
TH
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