Übers Klima reden alle, aber nicht über Massenentlassungen (Matthias Weik, Marc Friedrich, Telepolis) / #Klima #Klimawandel #Klimaschutz #Wirtschaftslage #Konjunktur #Automobil #Autoindustrie #Produktionsrückgang

Wir sind also wieder zurück beim Klima, beim Auto, bei allem, was man hier langsam in eine eigene Sektion von Beiträgen ausgliedern könnte. Wir besprechen heute wieder einen Telepolis-Artikel. Dieses Mal geht es um alles: Um die Arbeitsplätze und sogar um den Länderfinanzausgleich. Übers Klima reden alle, aber nicht über Massenentlassungen„, heißt der Beitrag.

Das ist super, dann können wir nämlich das tun, was wir am liebsten tun, mit allem antworten.

Friedrich und Weik, das schicken wir voraus, sind Autoren von Wirtschaftsbüchern, Ökonomen, Berater. Sie nehmen unter den Telepolis-Autoren eine vergleichsweise wirtschaftsliberale Position ein.

Vieles in dem Beitrag erklärt sich aus dieser Position. Aber wir stehen auch für Ausgewogenheit und dafür, dass wir immer argumentieren können – außerdem reflektiert das, was die beiden schreiben, durchaus eine Ansicht, die auch bei unserer beruflichen Herkunft nahe liegen würde. Und die meisten Ökonomen sind nun einmal mit marktwirtschaftlichen Theorien geschult worden, sie sind immer noch herrschende Meinung. Anders wäre nicht denkbar, dass in Berlin Menschen immer noch behaupten,  der freie Markt könne die Wohnungskrise beheben.

Wenn die Arbeitsplätze wieder einmal in Gefahr sind, redet dann niemand mehr vom Klima?

Eine Frage, tausend Assoziationen. Bisher war es so, dass in Krisenzeiten Umweltgesichtspunkte zurückstanden. Das war auch während Rot-Grün in den frühen 2000ern der Fall. Bis auf die Atomkraftwende, die dann von Frau Merkel kassiert und wieder gewendt wurde, gab es nur wenige umweltpolitische Erfolge – weil Gerhard Schröder erstmal die offizielle Arbeitslosigkeit per Niedriglohnsektor bekämpfte.

In Wirklichkeit gibt es seit Langem einen schleichenden Verlust an Arbeitsplätzen und nicht immer mehr Arbeitsplätze, wie die offizielle Erwerbstätigenstatistik es suggeriert. Wir gehen in Deutschland den Weg aller anderen Staaten in Europa, wenn auch mit Verzögerung. Die nächste Krise wird bei uns die Industriequote deutlich verringern, die derzeit noch knapp die 20-Prozent-Vorgabe am BIP einhält, die von der EU „gewünscht“ ist. Die gesamte industrielle Produktion und Verarbeitung ist damit gemeint, nicht nur die Autoindustrie, wie Friedrich und Weik behaupten.  Innerhalb der P+V ist die Autoindustrie freilich die größte Branche und natürlich hätte ihr Niedergang weitreichende Wirkungen. Aber seit vielen Jahren verlagert die deutsche Autoindustrie sowieso immer mehr Arbeitsplätze ins Ausland. Seit 2016 überwiegt die Auslandsproduktion bereits die Produktion in Deutschland. Das hat nicht in erster Linie mit mangelnder Preiskonkurrenzfähigkeit zu tun, sondern mit politischen Vorgaben z. B. dort, wo sich mittlerweile der größte Automarkt der Welt befindet – in China. Und in vielen anderen Ländern. Vor Ort, wo die Märkte sind, ist ein Trend. Und der europäische Markt stagniert schon seit Längerem, überschlägig, mit Schwankungen.

Aber die Produktion geht in Deutschland jetzt merklich zurück.

Das stimmt. Aber das kann man nicht auf den Klimawandel oder die Angst vor dem Klimawandel schieben. Jener mittlerweile wichtigste Auslandsmarkt China strauchelt gerade etwas, in den USA wird auch weniger abgesetzt, es gibt weitere Märkte, die nach vielen Jahren des Wachstums eine Pause oder auch eine kleine Rezession sehen. Die deutsche Klimadiskussion kratzt Kunden deutscher Autos im Ausland nicht so sehr, selbst der VW-Dieselskandal hat nicht dafür gesorgt, dass VW seine gerade errungene Stellung als weltgrößter Produzent wieder verlor. Vielleicht liegen sie jetzt wieder knapp hinter Toyota, aber auch dieses Jahr wird VW wieder etwa 10 Millionen Fahrzeuge absetzen und damit 10 Prozent des Weltumsatzes. Ob das auf Dauer überhaupt so weitergehen darf, ist die Frage, die man sich stellen muss. Und wenn es bei der deutschen Autoindustrie negative Sondereffekte geben solle, dann sind sie weitgehend selbst verschuldet, durch eine zu konservative Produktpolitik. Dafür kann das Klima nichts. Es beeinflusst natürlich die Diskussion um die Zukunft des Autos, aber darauf muss man sich dann als Produzent eben einstellen. Andere tun das ja auch, Toyota oder Renault beispielsweise. Aber wenn die sogenannten Premiummarken bei uns mit E-Autos um die Ecke kommen, dann sind sie so lächerlich überdimensioniert, dass sie eher problematischer sind als ein Benzinfahrzeug mit vernünftigen Ausmaßen, vernünftigem Gewicht und vernünftiger Motorisierung. Ein Markt-Fail hat schon viele Hersteller vernichtet.

Die deutsche Autoindustrie steht aber auch deshalb so gut da, weil sie diese eher teuren Autos baut, die hohe Gewinnmargen aufweisen.

Besonders die SUVs. Da ist den Autobauern was gelungen. Für 5 Prozent mehr Produktionskosten wegen etwas höherem Materialverbrauch nehmen sie den Kunden 20 Prozent mehr Geld ab als bei einer klassenmäßig vergleichbaren Limousine. Das ist ein wenig pointiert, aber so funktioniert’s bei Produkten, deren Kauf einen hohen Anteil an Irrationalität aufweist. In einer Form, die man uns bald verbieten wird, wenn wir nicht freiwillig bereit sind, auf solchen Fuppes zu verzichten. Das hält die stärkste Erde nicht aus. Gerade der Autosektor zeigt auch, dass Menschen gegen sich selbst arbeiten und daher Arbeitsplätze eine schwierige Angelegenheit sind. In anderen Ländern, die ihre Autoproduktion schon weitgehend verloren haben oder wo sie bei weitem weniger wichtig ist, wie in Frankreich, funktioniert das Leben interessanterweise auch noch. Sogar in manchen Dingen wie eben dem Lebensstil besser als bei uns, was man so hört.

Aber mit höheren Schulden.

Dem stehen ja auch höhere Vermögen gegenüber. Das ist eine der interessantesten Sachen überhaupt. Da regen sich Friedrich und Weik darüber auf,  dass die EZB-Niedrigzinspolitik die deutschen Sparguthaben vernichtet, aber diese Niedrigzinsen gibt es ja überall in Europa und woanders sorgen sie nicht dafür, dass die Medianvermögen so lächerlich niedrig sind wie bei uns. Die Menschen dort haben schlicht mehr Substanz aufbauen können als in unserem Export-Wunderland. Darüber sollte man mal nachdenken, weshalb ein Wirtschaftsmodell, auf das viele bei uns immer noch stolz sind, die Menschen im Land so wenig bringt.

Vor allem in Berlin bringt es nicht viel, hier hat die Hälfte aller Einwohner*innen gar kein Vermögen.

Und wir werden von den Bayern durchgefüttert. Das habe ich gelesen. Je nach Zusammenhang, wenn mir die hiesige Großkotzigkeit etwas zu sehr auf die Nerven geht, weise ich gerne mal auf diesen Umstand hin. Aber es gibt auch eine andere Sichtweise. Die Art, wie Bayern sich sogar an Baden-Württemberg vorbei zur reichsten Region entwickelt hat, ist alles andere als fair gewesen – dort wurde und wird massiv Standortpolitik mit politischen Geschenken und Verflechtungen gemacht, die man als Amigo-System bezeichnet. Die Bildung ist dort allerdings auch besser als in Berlin, darüber würde ich auch nicht streiten wollen.

Es kommt aber zu einer weiteren Überlegung: Natürlich ist das, was gegenwärtig in Berlin läuft, ökonomisch nach wie vor defizitär, aber – es ist auch ein Versuch, die Welt nach dem klassischen Industriestaat zu denken und in kleinen Teilen bereits umzusetzen. Von dem, was hier entwickelt wird, werden auch andere Bundesländer profitieren, wenn ihre konservativen Ansätze nicht mehr weiterführen. Berlin muss noch viel progressiver und in der Vertretung der Transformation hin zur Nachhaltigkeit offensiver werden, dann haben wir hier auch das Recht zu sagen: Das muss es wert sein, was wir tun. Da läuft zu wenig und nicht zu viel.

Außerdem arbeiten die Autoren mit Halbwahrheiten, wie schon beim BIP: Berlin hat Sonderfunktionen,  als Hauptstadt. Die müssen auch bezahlt werden. Was allein die Sicherheit bei Staatsbesuchen, die Durchführung von Großveranstaltungen und die Bereithaltung von Räumen kostet, die für alle in der wachsenden Stadt da sind, ist nicht zu unterschätzen.  Die Infrastruktur wurde jahrelang kaputtgespart, jetzt wird in Maßen mehr Geld in die Hand genommen.

Wir folgen den Autoren, obwohl sie ganz schön weit ausgreifen.

Kein Problem. Wir würden das übrigens nicht tun, wenn wir nicht auch besorgt wären. Natürlich muss man aufpasen, dass die Wirtschaft nicht zusammenbricht und Deutschland hat eine dermaßen beschissene, strategielose Zukunftspolitik, die das Potenzial des Landes verkümmern lässt, dass man wirklich besorgt sein kann. Ich denke da nur an die Exzellenzinitiative. Manchmal glaube ich, die Redakteure unserer Tagespresse beschäftigen sich überhaupt nicht mir Zahlen, sondern nur damit, nachzubeten, was andere schon vorgekaut haben und dabei schön systemaffin zu sein. Diejenigen, die sich zuletzt um die Aufbereitung von Daten der Immobilienwirtschaft verdient gemacht haben, nehme ich mal aus; dazu haben wir hier aber auch nicht die Recherchemöglichkeiten. Hingegen kann sich jeder im Internet anschauen, dass eine einzige amerikanische Spitzenuniversität einen mehrfach höheren Forschungsetat hat als die gesamte deutsche Exzellenzinitiative umfasst.

Harvard & Co., jede der zehn größten US-Unis, haben jedes Jahr weit mehr als eine Milliarde Dollar zur Verfügung,  um ordentlich Druck bei der Innovation zu machen, die gesamte ES bringt mal gerade 385 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr. Der Etat von zwei amerikanischen Spitzenunis im Jahr, aber die ES bringt 2,7 Milliarden Euro in sieben Jahren. Die Berliner freuen sich wie verrückt, dass sie auch – 45 Millionen? – abbekommen. Dafür kann man gegenwärtig, wenn’s hoch kommt, fünf kleine Mietshäuser rekommunalisieren. Ist das etwas klein gedacht oder ist das lächerlich? Der Rüstungsetat steigt innerhalb eines Jahres von 2018 auf 2019 um fast 5 Milliarden, nur diese Steigerung ist das Zwölffache dessen, was die ES pro Jahr allen deutschen Unis bringt, die das Glück haben, dazuzugehören.

Oder, wenn wir schon bei der Autoindustrie sind: VW und Daimler-Benz haben Jahresumsätze, die jeweils auf die 200 Milliarden Euro zusteuern. Deren F & E-Etats betragen mehrere Milliarden Euro pro Jahr. Pro Unternehmen.

Und dann kommen noch einzelne  Länder wie Bayern daher und wollen ganz allein bei der KI vorne mitmischen. Deutsche Politik und wie sie sich und auch das Denken der meisten Rezipienten ihrer Mediendarstellung verzwergt, ist nichts für schwache Nerven. Wir wollen damit nicht sagen, dass die Art, wie und an was in anderen Ländern geforscht wird, immer richtig ist, vieles lässt sich hinterfragen. Aber es gibt bei uns keine Vision, wo das Ganze hingehen soll. Das kommt davon, wen die Politik von Menschen gesteuert wird, die vor allem Flickschusterei gelernt haben.

Mit einer guten Strategie kann man auch was reißen, wenn man etwas weniger Mittel zur Verfügung hat – etwas, damit ist nicht ein Zehntel gemeint. Der Aufstieg Chinas ist ein Sieg der Strategie fast aus dem Nichts heraus. Wenn auch mit sehr vielen Menschen und mit einer Ausrichtung, die weit mehr Probleme schafft, als sie löst. Die EU müsste sich mal zusammensetzen und eine gemeinsame Nachhaltigkeitsstrategie definieren, die den Namen verdient. Man kann von CO²-Einsparzielen reden, aber was kommt dann, falls man sie tatsächlich schafft? Vieles, wie die EU-Agrarpolitik ist nicht nachhaltig und zu sehr auf – sic! – Kuhhandel hin organisiert. Die Industriepolitik hingegen fällt unterschiedlich aus und für mich ist nicht ausgemacht, wer da in zehn, fünfzehn Jahren gut dasteht. Länder, die sich verdienstleistet haben, Länder, die durch Niedrigsteuertarife Unternehmen an- und aus anderen EU-Ländern abziehen oder solche, die es noch klassisch mit Güterherstellung versuchen. Aber eines ist klar. Die Produkte, die hergestellt und ge- und verbraucht werden, müssen bezüglich ihrer Ökobilanz den Erfordernissen angepasst werden, das schließt auch die Verwendungshäufigkeit bzw. die Gebrauchsdauer ein.

Wenn es nach Friedrich und Weik geht, müssen wir in Deutschland sowieso alle bald weniger essen, weil die Arbeitsplätze flöten gehen, die Steuereinnahmen ebenfalls usw.

Die Zukunft ist noch nicht geschrieben, aber dass wir uns etwas mehr anstrengen müssen, wenn wir eine Welt wollen, in der die Balance zwischen Natur und uns wieder stimmt, ist evident. Darauf müssen die Menschen eingestimmt werden. Es gibt kein Mimimi und es gibt das Gute nicht umsonst, aber das, was es immer geben wird, die Substanz, die nicht einfach verschwindet, muss anders verteilt werden. Dann reicht es auch für alle.

Jeder kleine Sieg gemeinwohlorientierter Politik ist deshalb enorm wichtig. Diesbezüglich ist Berlin die einzige Stadt in Deutschland, die wenigstens versucht, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren. Dass das wichtig und richtig ist, dürfen wir überall anbringen, wenn man gerade uns vorwirft, wir seien weltfremd oder in einer Großstadtblase gefangen. Als wenn wir nie nach Brandenburg rausfahren würden. Da kennen uns Friedrich und Weik aber schlecht. Wir sehen dort Windräder. Und zu viele SUVs. Und zu wenige kollektiv betriebene Ökohöfe. In diesem Land liegen viele Arbeitsplätze voraus, die gute Tradition haben und zukunftsorientiert zugleich sind.  

TH

Dossier Kinder, Bildung, Erziehung

Dossier USA

Andere Beiträge

Hinterlasse einen Kommentar