Wie wollen wir leben, wonach sollen wir streben? +++ 42-Stunden-Woche +++ Rente und Ehrenamt +++ Entlastung für Rentner:innen +++ Homeoffice-Modelle | Briefing 26

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Briefing 26 vom 02.09.2022 (hier zur vorherigen Ausgabe): 

Unser 26. Briefing befasst sich mit wirtschaftlichen Themen, vor allem mit der Arbeitswelt, der Welt der Menschen, die es irgendwann geschafft haben und nicht mehr arbeiten müssen und vor allem mit Effekten aktueller Entwicklungen, die viele uns persönlich betreffen. Auch manches auf den ersten Blick eher abstrakte Sujet hat große Relevanz für unser Leben, aber heute gibt es nur einen Punkt dieser Art, den wir besprechen. Und einen gesundheitlichen, der vielen unangenehm ist, denn er zielt auf das Ende des Lebens.

Beginnen wir mit der Arbeitswelt, wie viele von uns sie, beinahe altersunabhängig, in den letzten Jahren kennengelernt haben: Wie haben sich die Zeiten durch Corona insofern verändert, als das Homeoffice eine größere Rolle spielt? Jedenfalls war das Thema in aller Munde, auch in unserem Haushalt.

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0  erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Homeoffice spielt nach wie vor eine große Rolle in der deutschen Unternehmenslandschaft. Das zeigt die Infografik auf Basis einer Statista-Recherche. So gibt es bei den befragten Unternehmen, die auf unsere Anfrage geantwortet haben, mehrheitlich eine Hybrid-Lösung. Oft wird diese nicht von der Unternehmensleitung vorgegeben, viel mehr gestalten einzelne Teams hierbei individuelle Lösungen. Vergleichsweise wenig Homeoffice bieten die Deutsche Bank und Infineon mit jeweils 40 Prozent Arbeit von zu Hause. Bürobasiertes Arbeiten mit wenig bis gar keinem Homeoffice findet bei keinem der befragten Unternehmen statt. Insgesamt wurden 22 Unternehmen aus dem DAX und TecDAX befragt, davon haben bislang 12 Unternehmen geantwortet. Sobald weitere Antworten vorliegen, aktualisieren wir diese Grafik.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil rückt offenbar von früheren Plänen ab, im Herbst zur Homeoffice-Angebots-Pflicht zurückzukehren. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Demnach wird das ursprünglich ab Oktober geplante Vorhaben zu einer Kann-Regelung abgeschwächt. Das Bundesarbeitsministerium wollte laut einem Referentenentwurf ursprünglich im Herbst zu einer Homeoffice-Angebotspflicht zurückkehren. Auch bei der Präsenzarbeit sollten wieder strengere Regeln gelten.

Unabhängig von der gesetzlichen Regelung erwarten Bewerberinnen und Bewerber von Arbeitgebern heute vor allem Flexibilität. Das zeigt diese Statista-Grafik auf Basis einer Erhebung der Jobbörse Stepstone. Flexible Arbeitszeiten, eine gute Work-Life-Balance und flexibles Arbeiten wie Homeoffice sind Faktoren, die ein Unternehmen aus Sicht eines Arbeitnehmers besonders attraktiv machen. Auch bedeutsam: sinnhafte Tätigkeiten. Weniger wichtig sind hingegen ein hohes Maß an Verantwortung, ein attraktiver Standort oder eine hohe Bekanntheit des Arbeitgebers.

Sollte die Tendenz zu mehr Homeoffice anhalten, würde in den Städten viel Büroraum frei, den man in Wohnraum umwandeln und damit den Druck aus dem Wohnungsmarkt nehmen könnte. Aber was wir oben sehen, sind auch einige Top-Arbeitgeber, die vermutlich schon vor Corona den Einstieg in Hybrid-Modelle vorgenommen haben und nach wie vor erfordern viele Jobs zwingend die Anwesenheit vor Ort. Gerade dort, wo die Belastung für Arbeitnehmende besonders hoch ist, etwa im Gesundheitswesen, ist das der Fall. Durch schlaue Kombimodelle kann man vor allem dort für mehr Work-Life-Balance sorgen, wo die Menschen ohnehin ein vergleichsweise angenehmes Arbeitsumfeld und gute Gesamtbedingungen für sich in Anspruch nehmen können. Trotzdem hat Corona einen Anstoß gegeben, auch wir haben uns in der Zeit mehr an Videokonferenzen etc. gewöhnt und erst kürzlich den letzten Homeoffice-Tag aufgegeben, weil die Inzidenz entsprechend gesunken war. Grundsätzlich, zu normalen Zeiten, ist bei uns kein Nur-Homeoffice-Tag im Programm, das hat mit der sozialen Komponente zu tun, die unsere Arbeit prinzipiell beinhaltet, weniger mit der kreativen Seite. Kreativarbeit in Ruhe zuhause erledigen zu können, wenn die Stimmung dafür perfekt ist, wenn die Kreativität gerade sprudelt, das ist ein Privileg, das man nicht unterschätzen darf, vor allem, wenn man so aufgestellt ist oder an etwas arbeitet, das dazu führt, dass die Möglichkeit zu hoher Konzentration ohne Störungsmöglichkeiten und zur Einkehr hin und wieder wichtiger erscheint als die Inspiration durch soziale Kontakte, der Austausch mit anderen im Team.

Wenn man sich ein absolut tolles Arbeitsumfeld geschaffen hat, wenn man einen Traumjob ausfüllen darf, dann wird man auch eher zustimmen, wenn die Arbeitgeber immer wieder versuchen, die Uhr zurückzudrehen und Modi zu verwirklichen, die in quasi jahrhundertelangen Arbeitskämpfen endlich ad acta gelegt wurden. Dazu zählt zum Beispiel die 42-Stunden-Woche als weiterer Dosenöffner in Richtung Totalverfügbarkeit der Arbeitenden durch das Kapital:

Dazu eine Umfrage: Civey-Umfrage: Sollte in Deutschland Ihrer Meinung nach zum Ausgleich des Fachkräftemangels eine 42-Stunden-Arbeitswoche eingeführt werden? – Civey

Teilnehmen können Sie in dem Fall nicht mehr, uns geht es nur um die Besprechung des Themas in einem sinnvollen Zusammenhang, hier der Text von Civey aus dem Newsletter, mit dem die Umfrage zu uns kam:

Angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland wird über eine Ausweitung der Regelarbeitszeit debattiert. Bereits im Juni schlug Siegfried Russwurm vor, die wöchentliche Arbeitszeit auf 42 Stunden bei vollem Lohnausgleich zu erhöhen. Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Industrie argumentiert gegenüber der Funke Mediengruppe, dass dies leichter durchzuführen sei als bspw. die Rente ab 70.

Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel spricht sich ebenfalls für eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit in Deutschland aus. Am Sonntag fragte er in der Bild: „Wollen wir Menschen nicht lieber wieder mehr verdienen lassen, indem wir etwas länger arbeiten?“ Er argumentierte, dass der Fachkräftemangel durch Zuwanderung allein nicht lösbar sei. Gabriel hält Tarifverhandlungen zur Erhöhung der Arbeitszeit daher für sinnvoll.

Sowohl Gewerkschaften als auch Linkenfraktionschef Dietmar Bartsch lehnen eine 42-Stunden-Woche ab. Im RND bezeichnet er den Vorschlag als „Klassenkampf von oben”, der den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährde. Die Folgen von Corona und Inflation sollte nicht die Bevölkerung stemmen. In Deutschland herrscht derzeit i.d.R. eine 40-Stunden-Woche. Jedoch gibt es tarifliche und betriebliche Regelungen, nach denen die wöchentliche Arbeitszeit auf 37,5 oder 38,5 Stunden verkürzt wird.

Merken Sie was? Kein Wunder, dass der Niedergang der SPD nicht mit Kanzler Schröder endete. Ist Gabriel so dumm oder muss man auch bei ihm mal etwas mehr hinschauen, welchen Lobbyinteressen er verpflichtet ist? Freiwillig oder auch wegen Pesonalmangel unfreiwillige arbeiten sowieso viele Menschen länger als 42 Stunden. Wer länger arbeitet, bekommt Überstunden bezahlt, verdient also mehr. So sollte es jedenfalls sein. Wenn das unterlaufen wird, dann muss dieser Trend endlich gestoppt werden. Auch Selbstständige behaupten oft, viel mehr als 40 Stunden pro Woche zu arbeiten. Bis auf einige Kleinbetriebe, in denen das wirklich hart ist, wird da aber alles einbezogen, was eigentlich eher Spaß macht, wie nette Geschäftstermine und Events aller Art und man wird bei einfachen Arbeiten meist komplett durch Mitarbeitende entlastet. Ein paar Befehle zu geben ist weit weniger nervenaufreiben, als sie auszuführen. Wir kennen auch diese Position und warnen deshalb vor diesem Hohelied der unendlichen Arbeitszeit bei Selbstständigen. Es ist alles zum eigenen Nutzen, das kommt hinzu und motiviert natürlich einen bestimmten Typ Mensch auch extra.

Aber in Zeiten, in denen die technische Entwicklung eher darauf hinauslaufen müsste, dass Menschen weniger arbeiten müssen, die Arbeitszeiten zu erhöhen, ist in Witz. Dass die Unternehmen keine Fachkräfte bekommen, liegt überwiegend daran, dass die Arbeitsbedingungen schlecht und die Bezahlung nicht der Rede wert ist. Außerdem wird viel zu wenig ausgebildet. Bei alldem müssen sich die Unternehmensführer endlich an die eigenen Nasen fassen und zugeben, dass sie selbst nicht gerne so arbeiten würden, wie sie das ihren Mitarbeitenden zumuten. Deswegen ist auch die Fluktuation so hoch. Wir sind uns sicher, dass sie zum Beispiel bei den Unternehmen, die wir in der obigen Grafik gesehen haben und die gleichzeitig sozial und bezüglich der Arbeits- und Arbeitsplatzgestaltung attraktiv sind, unterdurchschnittlich ist. Wenn sich das Gefühl einstellt, dass man froh um seinen Arbeitsplatz ist, dass man teilnehmen und teilhaben darf und gut integriert ist, dann macht man sich als Fachkraft auch für das Kapital nutzbar. Das Ende von allem kann auch das nicht sein, aber aktuell und nach wie vor geht es darum, im System Verbesserungen zu erzielen.

In diesem Zusammenhang: Lesen Sie auch unseren Artikel zur Rente mit 70: Rente ab 70? (Umfrage + Leitkommentar) | Wirtschaft, Gesellschaft | Rente, Renteneintrittsalter, Rentenhöhe – DER WAHLBERLINER

Auch dazu haben wir eine klare Haltung geäußert: Wer das freiwillig machen will oder sogar aufgrund der zu geringen Renten machen muss, kein Thema. Letzteres gehört allerdings endlich abgeschafft, diese Minirenten trotz lebenslanger Arbeit sind entwürdigend. Aber es muss jedem selbst überlassen sein und darf nicht zur Pflichtveranstaltung werden, ob er noch möchte oder kann. Die Folge der Pflicht wäre sowieso absehbar: Ärzt:innen, die im eigenen Job häufig mitbekommen, wie Überlastung aussieht, werden ihre Patient:innen offensiv darin unterstützen, eine Totalverfügbarkeit für das Kapital in so hohem Alter zu verhindern. Vollkommen zu Recht. Wären wir in der Position, hätte für uns der Schutz unser Patient:innen, die schon 40 oder mehr Jahre lang gearbeitet haben vor dem weiteren Zugriff der Unternehmer:innen auf jeden Fall Vorrang.

Wie bei der 42-Stunden-Woche: Richtigerweise lehnt die überwiegende Mehrheit der Befragten ein solches Rückdrehen der sozialen Verhältnisse in die Zeit vor den Erfolgen der Arbeiterbewegung ab.

Und wie sieht es aus, wenn Sie sich ehrenamtlich jahre- oder jahrzehntelang betätigt haben?

Civey-Umfrage: Sollten Personen, die ehrenamtlich tätig sind, Ihrer Meinung nach ein Jahr früher in Rente gehen dürfen? – Civey

Bundesinnenministerin Faeser (SPD) schlägt einen früheren Renteneintritt für Ehrenamtler vor. Damit will sie laut Spiegel das Engagement stärker honorieren. Wer ein Leben lang einen solchen Dienst an der Bevölkerung leistet, könne etwa ein Jahr früher abschlagsfrei in Rente gehen, sagte sie jüngst bei einer Gesprächsrunde des RND. In Deutschland sind etwa 29 Millionen Menschen ehrenamtlich tätig.

Faeser warnte vor einer Überbelastung der Freiwilligen. Angesichts zunehmender Naturkatastrophen wie Hochwasser oder Waldbrände ist der Bedarf an freiwilliger Hilfe gestiegen. Medienberichten zufolge leiden viele Freiwillige Feuerwehren hierzulande unter Personalmangel. Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt begrüßt Faesers Vorstoß in der ARD, um einen Anreiz für mehr ehrenamtliches Engagement zu schaffen.

Kritik am Vorstoß der Innenministerin gab es von FDP und Grünen. Der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, fände es laut WDR unfair, wenn Beitragszahlende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wie das Ehrenamt finanzieren. Der Grünen-Rentenexperte Markus Kurth lehnt es ebenfalls ab, ein Belohnungssystem für gesellschaftlich erwünschte Verhaltensweisen und Tätigkeiten einzuführen.

Die Grünen und die FDP mal wieder in derselben Richtung unterwegs, nur bei den Grünen geschickter verbrämt. Merken Sie wieder was? Auch dazu haben wir eine Position: Vieles, was als Ehrenamt bezeichnet wird, ist pure Ausbeutung und hält gerade deswegen diesen morschen Laden zusammen. Man muss es genau anders herum sehen als diese Herrschaften: Nur dadurch, dass manche Menschen zugunsten ihrer „ehrenamtlichen“ Aufgaben auf noch mehr für sich selbst nutzbare Zeit verzichten und für andere etwas tun, hält dieser Laden überhaupt noch zusammen. Auch dort fehlen aber mehr und mehr die Menschen, die bereit sind, für gute Worte große Belastungen auf sich zu nehmen. Empörend, wie Politiker auf den Effekt setzen, soziale Leistungen, die verpflichtend sein müssten, den Ehrenamtlichen überzuhäufen und sie dadurch kostenfrei für die übrigen zu gestalten. Auch hier: Wer das freiwillig machen will, und das war bei uns persönlich über viele Jahre der Fall, der darf immer altruistisch unterwegs sein.

Wir haben uns als junge Menschen aber riesig gefreut, dass wir für einen bestimmten Teilbereich dieser (Vereins-) Arbeit auch ein paar Euro bekommen haben, das wollen wir hier gar nicht verschweigen. Der Mix aus Verantwortung und Anerkennung hatte gestimmt und es war für die Gesellschaft wesentlich billiger, als wenn Menschen dafür hätten z. B. im Öffentlichen Dienst angestellt werden müssen. Daher ist der Vorschlag von Frau Faeser durchaus bedenkenswert und kann nicht einfach auf die übliche klassistische FDP-Grüne-Art beiseite gewischt werden. Vermutlich wird diese Idee der Innenministerin nicht umgesetzt werden, schließlich sind beide Parteien mit in der Regierung, aber der Gedanke ist nicht falsch.

Aber wie wird zu erreichen sein, dass in zehn, zwanzig, vierzig Jahren noch Geld da ist, um einen guten Lebensabend für alle zu ermöglichen? Das hat natürlich viel mit dem Wirtschaftsmodell zu tun, das die Realität in diesem Land weitgehend bestimmt. Dazu müssen endlich Reiche mehr beitragen und es muss zu einer strategischen Wirtschaftspolitik kommen, wie wir sie seit nunmehr fast zwölf Jahren fordern. Die neue Regierung zeigt erste Vorstöße in die Richtung, aber bewerten kann man diese bisher nicht, dazu sind sie zu vereinzelt, zu fragmentarisch.

Einen Haken hat der Vorschlag mit der früheren Rente allerdings: Die Bemessung der Ehrenamtsarbeit dürfte wieder einmal kompliziert werden. Wie lange, wie viele Jahre, wie viele Stunden, für welche Tätigkeit? Darüber gibt es oft keine Nachweise, anders als bei Arbeitszeiten. Das ist auch dieses Mal unser Argument: Die Praktikabilität. Viel besser wäre es, ehrenamtliche Tätigkeit direkt zu vergüten und sie dann auch nicht mehr euphemistisch als Ehre zu umschreiben, sondern als Beitrag zum Funktionieren der sozialen Systeme mit einer bescheidenen materiellen Anerkennung dafür. Auch würde gilt das Prinzip der Freiwilligkeit gelten: Wer diese Anerkennung nicht braucht, der kann sie ablehnen. Die Abstimmung zeigt ein ziemlich ausgeglichenes Bild mit einer ganz knappen Mehrheit für die Ablehnung eines solchen Modells. Wir hatten nicht abgestimmt, hätten aber mit „eher ja“ votiert. Prinzipiell und unabhängig von den Schwierigkeiten mit einer halbwegs gerechten Umsetzung.

Nehmen wir nun an, Sie hätten es schon bis  zur Rente gebracht, trotz aller Versuche, die Menschen immer länger wirtschaftlich verwertbar zu machen. Soll angesichts der erheblichen Preissteigerungen dieser Tage für Rentner:innen eine besonders hohe Entlastung beschlossen werden?

Civey-Umfrage: Sollten Rentnerinnen und Rentner Ihrer Meinung nach bei den nächsten Finanzhilfen zur Abfederung der Inflation bevorzugt berücksichtigt werden? – Civey

Hier der Begleittext:

Die Bundesregierung hat angesichts der angespannten Wirtschaftslage ein drittes Entlastungspaket in den nächsten zwei bis drei Wochen angekündigt. Momentan diskutieren die Ampelparteien noch darüber, wer genau in welchem Maße davon profitiert. Teile von CDU und Grünen fordern eine gezieltere Entlastung von Rentnerinnen und Rentnern, von denen viele etwa bei der Energiepreispauschale leer ausgegangen sind.

Bundesfinanzminister Lindner (FDP) lehnt weitere finanzielle Hilfen für Menschen in Rente derzeit ab. Laut ZDF begründete er dies mit der im Juli erfolgten Rentenerhöhung und weiteren Sonderzahlungen, die bedürftigen Rentnerinnen und Rentnern zugute kommen. Hierbei nennt er den Heizkostenzuschuss beim Wohngeld, aber auch die Abschaffung der EEG-Umlage auf die Stromrechnung.

Der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Stracke, warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft. In der Rheinischen Post kritisierte er Lindners Absage an weitere Entlastungen für Rentnerinnen und Rentner als „sozial ungerecht”. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge fordert in der Rheinischen Post eine zielgenaue Entlastung von Menschen, die unter der Inflation besonders leiden. Dazu zählen Studierende sowie Rentner und Rentnerinnen.

Sicherlich, es war nicht richtig, dass Renter:innen generell nichts gekriegt haben, als die Energiepreisentlastungen für Arbeitende und Transferleistungsempfänger beschlossen wurden. Wir haben trotzdem mit „eher nein“ gestimmt. Der gesamte Ansatz hängt schon seit dem ersten Entlastungspaket schief: Wer es nötig hat, muss entlastet werden, nicht die eine oder andere Gruppe oder gar alle, nach dem Gießkannenprinzip à la Tankrabatt. Heißt: alle, die davon profitieren, nicht alle, die es brauchen. Es gibt auch Rentner:innen und von allem Pensionär:innen mit sehr hohen Bezügen, sie zu entlasten ist genauso unsinnig wie den Porschefahrer:innen einen Tankrabatt zu spendieren.

Und haben Sie gewusst, dass im Öffentlichen Dienst grundsätzlich Corona-Entschädigungen für die dort Angestellten und die Beamt:innen gezahlt wurden? Wofür eigentlich? Dafür, dass sie damals einen sicheren Arbeitsplatz hatten und viele andere nicht? Wenn man alles genau wüsste, womit Privilegierte zulasten der übrigen immer mehr von diesen Privilegien anhäufen, würde man sich vermutlich den ganzen Tag lang darüber ärgern, dass man überhaupt noch arbeitet und irgendwie dieser Gesellschaft, wie die Politik sie immer klassenorientierter und damit rückwärts gewendet formt, dienlich ist. Deswegen bei den Rentner:innen wie bei anderen Gruppen: Die soziale Gerechtigkeit muss der Grundgedanke bei den Entlastungen sein.

Ursprünglich wollten wir noch eines oder zwei Themen mehr bearbeiten, aber aufgrund des relativ großen Umfangs dieses Artikels stoppen wir an der Stelle und hoffen, wir haben Sie wieder ein wenig zum Nachdenken anregen oder den einen oder anderen Aspekt in Ihre Betrachtungen einfließen lassen können, den Sie bisher nicht bedachten. Sie dürfen das umgekehrt übrigens gerne auch tun, wir sind für die Meinungen anderer stets offen.

TH

Briefing 25 vom 21.08.2022 (hier zur vorherigen Ausgabe: Taiwans dünnes diplomatisches Netz – Einladung zur Vorspeise für Herrn Xi Jinping? (Statistk + Leitkommentar) | Briefing 24)

In unserem letzten Briefing haben wir uns mit einer brisanten außenpolitischen Frage befasst, heute hingegen geht es um vier Kanzler:innen. Genauer, um drei Kanzler:innen und einen Vizekanzler, die Demokratie und ihre Repräsentation. Wir finden es angemessen, unser Logo „Demokraite in Gefahr“ in diesem Beitrag unterzubringen.

Kümmern wir uns zunächst um die beiden Herren, die aktuell Nr. 1 u nd Nr. 2 der Regierung sind, Olaf Scholz und Robert Habeck. Da Letzterer während Scholz‘ Urlaub die Nr. 1 war, kam es zu folgender Umfrage:

Glauben Sie, dass der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck ein guter Bundeskanzler wäre?

Der Begleittext von Civey:

Da Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) derzeit im Urlaub ist, vertritt ihn Robert Habeck (Grüne) als Vizekanzler. Am Mittwoch leitete der Wirtschafts- und Klimaschutzminister daher die Kabinettssitzung im Kanzleramt. Vor dem Hintergrund stellen sich Medien die Frage, wie Habeck sich als Kanzler schlagen würde. Aktuellen Umfragewerten zufolge gehört Habeck zu den beliebtesten Ministern der Deutschen.

„Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen.“ Das sagte Habeck im Frühjahr 2021, nachdem Annalena Baerbock zur Grünen-Kanzlerkandidatin gewählt wurde. Während der Spiegel Habeck einen dezenten Politikstil bescheinigt, schreibt das RND ihm „einen Hang zur politischen Inszenierung” zu, betitelt ihn aber zugleich als „mächtigsten Vizekanzler aller Zeiten”. Für die ARD füllt Habeck derzeit als Krisenmanager und Krisenerklärer „die Lücke, die Scholz lässt” und vermag es so, „die Menschen zu erreichen.”

Habeck steht derweil v.a. bei seiner traditionellen Wählerschaft in der Kritik. Bei Amtsantritt mahnte er noch an, dass Deutschland seinen Klimazielen weit hinterherhinkt und bei Erneuerbare Energien an Tempo zulegen muss. Als Maßnahme gegen den Gasmangel kündigte er aber nun die Reaktivierung der klimaschädlichen Kohlekraft und den Bau von Flüssiggasterminals an. Auch die Laufzeitverlängerung der Akws schließt er nicht mehr vollends aus.

Hier gibt es einen Sonderfall: Wir wissen nicht, ob die Abstimmung noch läuft, ausgewiesen ist die Laufzeit bis gestern, wir haben aber schon unsere Meinung kundgetan, als die Umfrage am 30.07. aufgesetzt wurde. Wir haben mit „eher nein“ gestimmt. Eindeutige Neinstimmen überwiegen eindeutige Jastimmen, aber „eher ja“ ist häufiger vertreten als „eher nein“. Robert Habeck macht es sich nach unserer Ansicht zu leicht. Ein flüssiger Kommunikationsstil, in dem auch Sätze wie „Nichts wolle ich mehr, als dieser Republik zu dienen“ enthalten sind, die das Zeug zu künftigen Klassikern haben, ist noch keine strategische Wirtschaftspolitik. Ob es erste Ansätze dazu gibt, jenseits des aktuellen Schocks durch Sanktionen und Gegensanktionen, werden wir aber demnächst anhand des Beispiels „Deutschland und China“ diskutieren. Wir müssen Habeck zugute halten, dass er, wie die gesamte Ampelkoalition, in eine Situation gestellt wurde, die keine Zeit zum Lerning on the Job gelassen hat.
Aber der Vizekanzler fällt auch immer wieder durch klassistische Ansätze und Aussagen auf, die womöglich mehr über seine wirkliche Haltung verraten als die geschulte Art, mit den Bürger:innen vorgeblich auf Augenhöhe zu reden.

Es geht aber nicht vorwiegend um eine einzelne Person. Die Klimaziele sind eminent wichtig, wie wir kürzlich erst hier wieder dargestellt haben, siehe auch hier, aber die Regierung ist in einer Zwickmühle. Ob sie diese Zwickmühle zwischen Krieg und Klima überhaupt hätte vermeiden können, darüber darf man weiterhin streiten. Wir sind der Ansicht, das wäre nur dann möglich gewesen, wenn Deutschland explizit eine antiwestliche, antidemokratische und putinfreundliche Politik machen würde. Was derweil eindeutig falsch läuft: Wie die Kosten der aktuellen Politik vor allem für Ärmere abgefedert werden. Hinter der Dominanz der FDP auf diesem Gebiet ist schwer zu erkennen, wie die Grünen handeln würden, gäbe es diesen Koalitionspartner nicht. Auf ihn zu verweisen, wenn es weiterhin ungleich läuft, wenn die FDP die Lage sogar ausnutzt, um Reiche verstärkt zu fördern, aber sich nicht die FDP durchzusetzen, trotz eines höheren Wahlergebnisses bei der BTW 2021, geht hingegen nicht an. Dieses Versteckspiel ist intolerabel und das gilt auch für Kanzler Scholz. Und damit zu Kanzler Scholz.

Vertritt Bundeskanzler Olaf Scholz Deutschland Ihrer Meinung nach international auf angemessene Art und Weise?

Der Begleittext von Civey:

Die außenpolitische Kommunikation von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war bisher stark durch den Russland-Ukraine-Krieg geprägt. Während er viel Lob für die eingeleitete politische Zeitenwende und die Aufrüstungspläne der Bundeswehr erhielt, kritisierte ihn die Ukraine für seine zögerliche Hilfe. Am Dienstag traf sich Scholz mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Abbas warf Israel in einer gemeinsamen Pressekonferenz mehrere „Holocausts” vor.

Scholz erntete breite Kritik, da er in der Pressekonferenz nicht darauf reagierte. CDU-Chef Friedrich Merz twitterte, der Kanzler hätte Abbas „klar und deutlich widersprechen“ müssen. Ähnlich äußert sich der Zentralrat der Juden laut Spiegel. Er kritisierte Scholz‘ Verhalten scharf und fordert die finanzielle Unterstützung für die Palästinenser seitens der Bundesregierung zu überdenken. Der israelische Ministerpräsident schrieb auf Twitter, es sei „eine moralische Schande” und „eine ungeheuerliche Lüge“ solche Worte auf deutschem Boden zu äußern.

FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff verteidigte Scholz indes. Immerhin sei dessen Empörung „klar sichtbar“ gewesen. Der Kanzler kritisierte Abbas Aussagen später in der Bild stark: „Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel“. Der Politikberater Frank Stauss nannte das Verhalten des Kanzlers im Deutschlandfunk zwar einen Fehler, in den Fokus der Kritik gehöre aber eigentlich Abbas.

Bei dieser noch ganz frischen Umfrage, deren Ergebnisse sich noch erheblich verändern können, merkt man, Scholz hat’s schwer. Sein vorsichtiger Stil wirkt antiquiert, in einer so aufgeheizten Lage, wie wir sie aktuell sehen. Was ihn zudem gerade wieder belastet: CumEx u nd CumCum. Wir haben darüber schon geschrieben, lange bevor Scholz Kanzlerkandidat war und ihn u. a. deshalb überwiegend negativ bewertet. Jetzt geht es aber darum, sich die Alternativen in Deutschland anzuschauen, und da ist uns Scholz, ehrlich geschrieben, lieber als alle anderen, die aktuell in Frage kämen oder nachfolgen könnten. Wir haben nicht mit ganzem Herzen „ja“ gesagt, sondern mit „eher ja“ gestimmt, trotz des Vorgangs bei der Pressekonferenz mit Palästinenserpräsident Abbas. Sicher hätte Scholz noch einmal antworten müssen, aber vielleicht war er nicht genug vorbereitet auf diesen unmöglichen Vergleich und es ist eben nicht seine Art, dann spontan einen rauszuhauen. Es ist auch nicht seine Art, mehr Licht in längst geschehene Vorgänge wie die es Hamburger Warburg-Skandals zu bringen, leider. Er ist, wie er ist. Selbst, wenn er öffentlich emotional wird, hat er sich diese Stiländerung vorher mit Sicherheit gut überlegt. Er ist in vieler Hinsicht das Gegenteil seines Vizes Habeck, aber auch seines Vor-Vorgängers Schröder. Schröder war für uns schon während seiner Amtszeit eine Reizfigur und warum das so war, lässt sich nicht nur an der damaligen antisozialen Bundespolitik ablesen, sondern auch an seinem jetzigen Verhalten. Kommen wir also zu Nummer drei im Kanzler:innenquartett.

Sollte Gerhard Schröder (SPD) Ihrer Meinung nach sein Sonderrecht auf ein Altkanzler-Büro inklusive Personal zurückerhalten?

Begleittext von Civey:

Der ehemalige Bundesanzler Gerhard Schröder (SPD) verklagt den Bundestag auf die Wiederherstellung seiner Sonderrechte. Im Mai wurden ihm seine Altkanzler-Anrechte auf ein Büro und Mitarbeiter aufgrund seiner Nähe zu Russland entzogen. Der Bundestags-Haushaltsausschuss begründete dies mit der fehlenden Wahrnehmung seiner „nachwirkenden Dienstpflichten“. Zuvor stand er bereits wegen seiner Tätigkeit für russische Energiefirmen in der Kritik.

Schröders Anwaltsbüro bezeichnete die Ruhestellung der Privilegien als rechtswidrig. Es wurde „nicht festgelegt, was ’nachwirkende Dienstpflichten‘ überhaupt sind”, heißt es in einer der dpa vorliegenden Erklärung der Anwaltskanzlei. Man nehme an, dass diese Begründung nur vorgeschoben wurde. Solche Entscheidungen würden Schröders Anwälten zufolge an jene eines „absolutistischen Fürstenstaates” erinnern.

Die FDP verteidigt den Entzug der Sonderrechte. Laut Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, agiert Schröder „klar gegen die Interessen Deutschlands“. Ähnlich äußerten sich auch Teile von Union und SPD. Schon im Frühjahr forderten mehrere SPD-Mitglieder seinen Parteiausschuss. Ein Schiedsgericht entschied sich Anfang August für Schröders Verbleib in der SPD, da er nicht gegen deren Parteiordnung verstoßen habe.

Aus der SPD ausgeschlossen zu werden, ist nicht so einfach, wie man am Fall Thilo Sarrazin gesehen hat, aber könnte man nicht wenigstens die alten Vorrechte des Exkanzlers endgültig schreddern? Wir haben eindeutig mit „nein“, also mit „ja“ geantwortet. Wir sind klar der Ansicht, dass man ihm nichts zurückgeben sollte und damit bei der einzigen der drei heute hier vorgestellten Umfragen im Pool der Mehrheit vertreten, in dem Fall sogar der absoluten Mehrheit. Immerhin haben aber ca. 25 Prozent mit ein „zurückgeben“ oder „eher“ zurückgeben gestimmt. Formalrechtlich lässte sich diese Ansicht vielleicht sogar begründen. Wir werden sehen, wie das Berliner Verwaltungsgericht entscheidet. Bevor Sie abstimmen, könnten Sie aber noch diesen Beitrag von Abgeordnetenwatch lesen, in ihm ist auch Angela Merkel erwähnt, und zwar, man glaubt es kaum, im Kontext ihrer Treffen mit Schröder, der ihr einst an einem legendären Wahlabend prophezeite, sie werde niemals Kanzlerin. Da hatte Schröder sich gerade verzockt und Merkel wurde Kanzlerin (2005). Doch wo Interessen im Spiel sind, müssen persönliche Belange zurückstehen. Ganz im von Habeck ins Spiel gebrachten Dienstes an der Republik. Also stellen wir die Frage, ob mit solchen Treffen der Republik gedient wird:

Da wir den Beitrag abfotografiert haben, hier der Link zur Möglichkeit, an Abgeordnetenwatch zu spenden. Das war uns heute auch ein Anliegen: Setzen Sie Ihr Geld, sofern Sie überhaupt welches übrighaben, für sinnvolle Zwecke ein. Wie zum Beispiel für Abgeordnetenwatch, das einen tollen Service bietet. Schon dadurch, dass es die Frage- und Antwortmöglichkeiten für Abgeordnete des Bundestages eingerichtet hat, aber es gibt noch mehr. Sie können z. B. bei allen namentlichen Abstimmungen des Bundestags auf übersichtliche Weise sehen, wer wie gestimmt hat, weil AW diese Recherchearbeitet leistet.

Damit wieder zum Genossen Schröder. Mag sein, dass er Putin dienlich war, als es um die Gasgeschäfte ging. Ziemlich sicher sogar. Und dass er Angela Merkel bestürmt und vermutlich auch beeinflusst hat, davon gehen wir aus. Ein Popanz war er immer schon, aber warum sollen diesem hochbezahlten Lobbyisten immer noch die Steuerzahler:innen unter die Arme greifen? Hoffentlich argumentiert er nicht mit der Gemeinnützigkeit seines Tuns, wie es viele Lobbyverbände tun, womit aber z. B. nichtkommerzielle zivilgesellschaftliche Organisationen zuweilen erhebliche Probleme haben. Das einzige, was Schröders Büro rechtfertigen könnte, wäre, dass er in der Lage ist, den Ukrainekrieg zu beenden.

Ehrlich, glauben Sie das? Für Putin war Schröder ein nützlicher Freund, von einem riesigen Ego getrieben, ein Freund spätestens seit der französische-deutsch-russischen Entscheidung, den Irakkrieg der USA nicht zu unterstützen. Da bekam das unabhängige Europa, das die USA fürchten und das Trump provoziert hatte, ohne es zu erreichen, weil die hiesigen Staaten wie Kletten an den USA hängen, da bekam es einmal kurz ein Gesicht oder drei Gesichter. Sonst wissen wir nicht, was wir Schröder zugutehalten sollten. Und Putin hat im Moment auch kein gesteigertes Interesse an dieser Person. An einer Person, die so dumm war, sich durch einen falschen Move zum falschen Zeitpunkt demokratisch abwählen zu lassen. So etwas würde Putin nie passieren, da ist er selbst auch ganz sicher.

Der Gaskrieg hingegen ist eröffnet und wenn Schröder jetzt daherkommt und sagt, wir könnten doch mal Nord Stream 2 in Betrieb nehmen, müsste sogar ihm klar sein, dass er damit die aktuelle deutsche Politik genau in die andere Ecke treiben würde. Nach unserer Ansicht würde es auch nichts nützen, sondern nur zu einer weiteren politischen Blamage Deutschlands führen. Glaubt Sie, dass Putin das Spiel, dass er jetzt mit Nord Stream 1 spielt, nicht mit Nord Stream 2 wiederholen würde? Wenn z. B. der Kanzler den russischen Angriffskrieg ernsthaft entgegentreten und der Ukraine mit Rat und Tat zur Seite stehen würde, auch ohne Sanktionen gegen Russland? Man sieht ja, wie schwer die westlichen Waffenlieferungen der russischen Armee zu schaffen machen.

Putin würde immer einen Grund für ein weiteres Embargo finden. So blöd es ist, im Moment sind die Fronten im Gaskrieg verhärtet und Putin nachgeben wäre ein fatales Zeichen. Manches hätte man geschickter machen können oder müssen, aber: zu spät. Wie weiter oben geschrieben: Die Bundesregierung muss jetzt die Folgen für die Bevölkerung abfedern, Geld genug ist dazu vorhanden. Wenn Scholz & Co. sich trauen würden, die Reichen endlich mehr zu besteuern, wäre noch mehr da. Erinnern Sie sich noch daran, dass Schröder es war, der Genosse der Bosse, der so viele Erleichterungen für die Oberschicht durchgesetzt hat und dafür sogar zum Wiener Opernball durfte? Und dass Angela Merkel nichts daran geändert hat, die im Namen einer „C“-Partei im Kanzleramt saß?

Vier Kanzler:innen und nicht wirklich Schönes zu berichten. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Und, ja, das ist eine Gefahr für die Demokratie. Wir bräuchten wirklich einmal jemanden, der den Dienst an der Republik als Dienst an der Bevölkerung ansieht. So dringend. Aber wer könnte es sein? Wir sehen niemanden, in keiner Partei, von dem wir sagen würden: Hier liegt ein überzeugendes politisches Angebot vor, das wir ausprobieren könnten. Also Scholz. Mit allen seinen Fehlern. Doch immerhin mit der Fähigkeit, in der Regel keine Politik der vorschnellen und nicht umsetzbaren Ankündigungen zu machen.

TH

Briefing 24 vom 07.08.2022 (hier zum Briefing 23 vom 24.07.2022)

Liebe Leser:innen,

heute wollen wir einen Blick auf den Taiwan-Konflikt werfen, der in den letzten Tagen neben dem weiterhin im Vordergrund stehenden Ukrainekrieg die außenpolitischen Schlagzeilen bestimmt hat. Wir fangen dabei mit etwas an, was uns ziemlich bedrückt. Es zeigt die internationale Eingebundenheit oder Nicht-Eingebundenheit Taiwans in die Welt der Diplomatie:

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz Creative Commons — Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International — CC BY-ND 4.0 erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Der Besuch von US-Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi in Taiwan hat für eine Verschärfung der Spannungen zwischen China und dem offiziell als Republik China bezeichneten Inselstaat gesorgt. Neben Militärmanövern vor der Insel hat die Volksrepublik verkündet, den Handel mit Taiwan in Teilen auszusetzen. So soll laut Aussage des Handelsministeriums, auf die sich das Redaktionsnetzwerk Deutschland bezieht, kein Sand mehr in den Inselstaat exportiert werden, ein für die Herstellung von Halbleitern kritischer Rohstoff. Obwohl die USA nicht erst mit dem Besuch Pelosis Taiwan ihre Unterstützung zugesichert haben, unterhält das Land offiziell nur mit wenigen Staaten diplomatische Beziehungen.

Wie unsere Grafik auf Basis von Angaben des Außenministeriums der Republik China zeigt, betreibt Taiwan hauptsächlich in anderen Inselstaaten wie Tuvalu, Palau, St. Kitts und Nevis oder St. Lucia diplomatische Vertretungen. Der einzige Ankerpunkt in Europa ist Vatikanstadt, in Lateinamerika und der Karibik finden sich die meisten offiziellen Unterstützerstaaten wie Guatemala, Honduras oder Paraguay.

Obwohl Pelosi mit ihrem Besuch unterstreichen will, dass die USA ihre „Verpflichtung gegenüber Taiwan nicht aufgeben werden“, ist unklar, inwieweit diese Unterstützung mehr als Handelsbeziehungen umfassen wird. Diese hingegen sind für die USA ein relevanter Faktor: Vier der acht umsatzstärksten Halbleiter-Foundries, die unter anderem Chips für US-Unternehmen wie Apple, Qualcomm und Nvidia herstellen, haben ihren Sitz im Inselstaat.

Grundlage der Spannungen zwischen China und Taiwan ist die bis dato ungeklärte Unabhängigkeitsfrage. Nach dem Ende des chinesischen Bürgerkriegs 1949 zogen sich die verbliebenen Anhänger:innen der unterlegenen Kuomintang auf die Insel zurück und riefen dort die Republik China aus, während die Volksrepublik die heute demokratisch regierte Insel als eigene Provinz sieht. Größtenteils unbeachtet bleibt in dieser Gleichung die Rolle der indigenen Völker Taiwans, von denen 16 offiziell als ethnische Minderheiten anerkannt sind. Nach langer Kolonisierungsgeschichte durch die Niederlande, Spanien, China und Japan machten diese 2019 noch rund 2,4 Prozent der Bevölkerung aus.

Wir können uns noch gut erinnern an die Bilder, als die USA nach der diplomatischen Annäherung an Festlandchina ihr Team aus Taiwan abzogen, an die aufgebrachte Menge, welche die US-Karossen mit Eiern bewarf. Das war 1979. Was war geschehen? Zum Verständnis sind ein paar Grundinformationen über Taiwan und auch über das amerikanisch-taiwanesische Verhältnis notwendig:

Bis Oktober 1971 gehörte die Republik China (auf Taiwan) als einziger Nachfolgestaat der ehemaligen, zwischen 1911 und 1949 bestehenden Republik China den Vereinten Nationen an. Mit der Resolution 2758 der UN-Generalversammlung vom 25. Oktober 1971 verlor sie diese Stellung an die Volksrepublik China. Seitdem wird die Republik China international nur noch von wenigen Staaten anerkannt. Viele Taiwaner wünschen sich eine stabile, internationale Stellung. Die Regierung der Volksrepublik China jedoch betrachtet Taiwan als eine „abtrünnige Provinz“[43] und droht eine militärische „Rückgewinnung“ der Insel an, falls Taiwan sich für unabhängig erklären sollte (siehe Anti-Abspaltungsgesetz), obwohl Taiwan noch nie unter der Herrschaft der Volksrepublik China stand. Die meisten westlichen Regierungen halten einerseits an der Ein-China-Politik fest und ächten andererseits jede militärische Drohung. Die USA erließen 1979 ein Gesetz (Taiwan Relations Act), durch das sie einerseits die diplomatischen Kontakte zu Taiwan abbrachen, sich aber zugleich verpflichten, Taiwan Hilfe gegen jede militärische Bedrohung zu leisten. Das schließt nicht notwendigerweise eine militärische Intervention der USA ein – gemeint ist vor allem der Verkauf von Waffen mit Defensivcharakter an Taiwan. Des Weiteren existieren die Sechs Zusicherungen der USA an Taiwan von 1982. Im März 2018 unterzeichnete US-Präsident Donald Trump eine vom Kongress verabschiedete Vorlage, die Reisen hochrangiger US-Vertreter nach Taiwan und Besuche aus Taiwan auf allen Ebenen ausdrücklich unterstützt.[44] US-Präsident Joe Biden bezeichnete es im Oktober 2021 als Verpflichtung der USA, Taiwan bei einem Angriff durch die Volksrepublik China militärisch zu verteidigen; das Weiße Haus stellte daraufhin klar, dass diese Aussage keine Abkehr von der bisherigen, auf dem Taiwan Relations Act basierenden Position bedeute.[45] Eine ähnliche Klarstellung des Weißen Hauses war bereits im August auf eine ähnliche Äußerung Bidens hin erfolgt, die neben Taiwan auch Japan und Südkorea betraf.[46] (Q1220807)

Selbstverständlich kann man die Aussagen von Joe Biden nun so sehen, ebenso wie die Reise von Nancy Pelosi, dass damit die Unklarheiten im China-Taiwan-Konflikt steigen und dass die ohnehin wieder einmal besonders gefährliche Weltlage sich dadurch nicht gerade entspannt. Über den Zeitpunkt der Reise und die damit erfolgte Zeichensetzung darf also diskutiert werden. Eine andere Sache ist das Grundsätzliche im Verhältnis zwischen beiden Ländern, deswegen auch ein Vergleich zwischen dem China-Taiwan-Konflikt und dem Russland-Ukraine-Krieg aus der Sicht gewisser Menschen, die sich, vermutlich fälschlicherweise, als „links“ bezeichnen:

  • Die Bevölkerung im Donbass, einem anerkannten Territorium des diplomatisch voll anerkannten Staates namens Ukraine, will nach Lesart der russischen Regierung lieber zu Russland gehören. Mit Referenden, denen man nicht trauen sollte, und die nur möglich waren, weil dort faktisch keine ukranische Souveränität mehr besteht und die unter äußerst zweifelhaften Umständen stattfanden, wird dieser Bevölkerungswunsch „belegt“. Ähnlich wie seinerzeit auf der Krim (2014). Nun heißt es: Also, dass der Donbass künftig zu Russland gehört, das muss drin sein, als Verhandlungsergebnis des Ukrainekriegs. Das versteht sich ja quasi von selbst und wird durch den Wunsch der Bevölkerung gerechtfertigt. Der gesamte Krieg erscheint manchen dieser Menschen dadurch als legitime „Militäroperation“ Russlands.
  • In Taiwan gibt es eine klare Bevölkerungsmehrheit gegen einen Wiederanschluss an China. Doch die VR China wurde, wie wir oben gelesen haben, aus opportunistischen Gründen völkerrechtlich privilegiert. Derselbe Cluster an Diskursteilnehmern, der Russlands Krieg in der Ukraine mehr oder weniger für richtig hält, weil: „Die Bevölkerung!“ will der taiwanesischen Bevölkerung hingegen keineswegs die Selbstbestimmung zugestehen. Die Stellung der von fast allen Ländern nicht anerkannten „Volksrepubliken“ im Donbass hat es aber allemal und es hat mehr: Es ist eine der wenigen echten Demokratien in Asien und ist technologish so fortschrittlich, dass sowohl die USA als auch China sich aus wirtschaftlichen Gründen um das Land zanken. Aber was für den Donbass gilt, gilt natürlich für die Anhänger der KPCh, auch jene in Deutschland und auf Taiwan selbst, nicht für die Mehrheit der Taiwaner:innen, das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Obwohl man davon ausgehen darf, dass die Meinungsbildung dort nicht so manipuliert und Umfrageergebnisse nicht so gefakt sind wie etwa in Russland.

Der Grund ist einfach: Den durchschnittlichen Wohlstand eines Menschen in Taiwan werden die Festlandschinesen vermutlich niemals erreichen, dazu müsste sich ihre Volkswirtschaft noch einmal glatt vervierfachen. Und Taiwan verfügt über Spitzentechnologie auf Gebieten, auf denen Festlandchina es bisher nicht geschafft hat, Anschluss zu finden, namentlich in der so wichtigen Chipindustrie bzw. in bestimmten essenziellen Bereichen davon. Mit Taiwan kann die VR nämlich etwas nicht machen, was mit dem Westen prima funktioniert: Wir lassen euch auf unseren großen, großen Markt, wir sind Partner eurer blinden Gier, dafür müsst ihr aber bei uns produzieren und uns alle eure technologischen Geheimnisse verraten. Nebenbei kaufen wir ungehindert bei euch Unternehmen, während ihr bei uns höchstens Minderheitsbeteiligungen erwerben dürft.

Die Indolenzregierung Merkel hat zum Beispiel tatenlos zugesehen, wie ca. 30 Prozent der deutschen Schlüssel-Industriebranche Maschinenbau in chinesische Hände überging oder durch Joint-Ventures an chinesische Unternehmungen angeschlossen wurde. So etwas würden die Taiwanesen, aber auch andere Länder, niemals zulassen. Industriestrategisch, nicht nur durch seine regionale Lage, ist Taiwan ein absoluter Hotspot.

Einige Zahlen belegen dies eindrucksvoll: Gleich zwei der zehn größten Chiphersteller überhaupt kommen aus Taiwan, zwei weitere aus Südkorea. Auf der gesamten Liste sind weiterhin die USA und Europa vertreten – Festlandchina hingegen kein einziges Mal (Umsätze 2021, Q2-220807). Es muss wohl etwas daran sein, dass demokratische Länder dort, wo es um Hochtechnologie geht, mit viel weniger Mitteln als das riesige China und andere Großdiktaturen wie Russland viel mehr erreichen können. Ähnliches gilt für Südkorea, das ebenfalls zu den weltweiten technologischen Spitzenländern zählt. Wenn die VR aber auf diesem Gebiet nicht bald aufschließt, wird es nichts werden mit der Welteroberung per Technologie. Dann werden z. B. die von einigen für gefährlich gehaltenen Raumfahrtprojekte der VR-Chinesen mit Chips aus den USA, Südkorea oder Taiwan betrieben werden müssen. Sehr wohl aber haben die USA ebenfalls Aktien in Taiwan, weil die dortige Chipindustrie enge Verbindungen zu den USA unterhält. Nun kommt es noch darauf an, welche Sorten von Halbleitern wo produziert werden, auf einigen Gebieten, z. B. bei Wafern, ist auch Deutschland noch einigermaßen dabei. Doch die VR hat es trotz des massiven erzwungenen Technologietransfers aus dem Westen noch nicht hinbekommen, das kleine Taiwan diesbezüglich abzuhängen. Von den USA selbst gar nicht zu reden, die immer noch die meisten der Chipgiganten beherbergen. 

Angesichts dessen liegt es für die immer offensiver auftretende festlandchinesische Führung nah, den Nicht-Atomstaat Taiwan zu bedrohen und ihn sich einzuverleiben, um an die dort vorhandene Spitzentechnologie heranzukommen. Softpower, wie die Chinesen ihre Strategie, andere Staaten von sich abhängig zu machen, nennen, hilft bei dem kleinen Nachbarn nicht, der bei diesem Zusammenschluss nur verlieren könnte. Nämlich unter anderem die Freiheit, die es seit den 1980ern gibt und die dem Land sehr gut bekommen ist. 

  • In der in Deutschland erstellten Demokratiematrix rangiert Taiwan auf Platz 26, sechs Plätze hinter Südkorea und direkt hinter Japan und ist damit auf Rang drei in Asien angekommen. Das ist für dortige Verhältnisse ein herausragendes Ergebnis (Q3-220807). Einige EU-Länder liegen deutlich schlechter. Im Democracy Index des „Economist“, dem bekanntesten Ranking dieser Art, steht Taiwan sogar auf Platz 8, Deutschland hingegen auf Platz 15 weltweit (Q4-220807). Wenn man beide Ergebnisse mittelt, stehen Deutschland und Taiwan etwa gleich. Ähnliches gilt für Wirtschaftskraft:
  • Beim BIP pro Kopf steht Taiwan (kaufkraftbereinigt) weltweit auf Platz 15, Deutschland auf Platz 18 (Q5-220807). Es hat sich schon länger abgezeichnet, dass diese dynamische Volkswirtschaft Deutschland hinsichtlich der Wirtschaftsleistung pro Person überholen wird, im Kuddelmuddel der letzten Jahre mit ihren außergewöhnlichen Einflüssen ging es dann recht schnell. In Taiwan wurde z. B. die Corona-Pandemie wesentlich besser bewältigt als hierzulande. Hingegen wird trotz hoher Impfquote in der VR jeder Corona-Ausbruch sofort mit einem rigiden Lockdown beantwortet. Das dürfte darauf hindeuten, dass die chinesischen Impfstoffe nicht die wirksamsten im weltweiten Angebot sind. Wegen BionTech-Lieferungen kam es hingegen zu einer Auseinandersetzung zwischen China und Taiwan.
  • Auch das Vermögen ist in Taiwan nicht so ungleich verteilt wie in Deutschland. Bemerkenswert ist, wie China seinen bereits sehr hohen Ungleichheitsindex von 2016 innerhalb von nur drei Jahren um über 10 Prozent gedrückt haben will. Uns ist nicht zu Ohren gekommen, dass die meisten der vielen neuen Milliardäre enteignet wurden, und das wäre für eine so große Verschiebung notwendig gewesen (Q6-220807). Wo der Staat alles unter Kontrolle hat und es keine halbwegs unabhängig erstellten Statistiken gibt, kommt es eben immer wieder zu Wundern.

Auf allen besprochenen Gebieten liegen sowohl die Ukraine als auch Russland um Längen schlechter als alle diese Länder, als Taiwan sowieso und auch als die VR, und daran sehen wir, wir wertvoll diese kleine Insel Taiwan mit ihren 23 Millionen Einwohnern ist. Es wird der KPCh-Führung nicht darum gehen, für ein paar Jahre mehr die Spitzenstellung bei der Gesamtbevölkerung zu erhalten, die es demnächst an Indien verlieren wird, sondern um die Power dieser kleinen Insel und ihrem Status als Symbol eines Wohlstands ohne Freiheitsaufgabe. Mag Taiwan soft oder hart im technologischen Sinne sein: Es ist demokratisch fundiert und bietet vielen Menschen ein angenehmes Leben. Solche sehr funktionsfähigen Länder sind Potentaten wie Wladimir Putin und Xi Jinping ein Dorn im Auge, weil sie so vieles haben, was die Menschen in ihren eigenen Ländern niemals haben werden, solange solche Charaktere dort an der Macht sind. Südkorea, Japan und Taiwan sind ein Stück Westen, und zwar vom Besten des Westens mitten in Asien und die Versuchung liegt nah, eines dieser Symbole für die Harmonie von Demokratie und Wirtschaftskraft schlicht zu eliminieren. Und was kommt danach? Südkorea oder Japan? Beide haben keine Atomwaffen.

Nach der Meinung gewisser „Linker“ müsste man die VR China, ebenso wie Russland in der Ukraine, einfach machen lassen, was der Staatsführung gerade einfällt, denn es ist ja ein Atomstaat. Da kann Verhandeln nur bedeuten: Kopf in den Sand stecken. Ist eine solche Haltung fies und peinlich zugleich, zumal, wenn man in einem Staat lebt, der einem Bündnis mit atomarem Potenzial angehört? Wir meinen, ja. Unbedingt.

Wir halten es mit John F. Kennedy: Lasst uns nie aus Furcht verhandeln. Aber lasst uns nie Verhandlungen fürchten. Damit kam er letztlich zu einer für beide Seiten tatsächlich gesichtswahrenden Einigung mit Sowjetführer Nikita Chruschtschow, die einen Atomkrieg möglicherweise verhindert hat (Kubakrise, 1962). Wie geschickt diese Lösung diplomatisch eingefädelt worden war, darüber gibt es gute Dokumentationen. Wäre das heute noch denkbar, angesichts der Politik-Dilettanten, die man sieht, wohin man schaut? Vielleicht aus der zweiten Reihe, von Namen, die nicht jeder kennt, die jedoch die tatsächliche Kompetenz auf diesem Gebiet repräsentieren.

Im Moment müsste man den in Sachen Ukrainekrieg das Zitat etwas ändern, die zweite Hälfte nach vorne stellen, aber dadurch wird es nicht weniger wahr. Der Akzent verschiebt sich etwas, und das ist allemal angesagt, angesichts der schrecklichen Spins einiger autoritär geprägter Diktatoren-Freund:innen in diesem Land. Wir wünschen der Bevölkerung auf der Insel, dass sie es schafft, sich die Unabhängigkeit zu bewahren. Dafür müssten andere Länder endlich die Angst verlieren, zu beiden chinesischen Staaten diplomatische Beziehungen zu unterhalten. Und ein eigenständiger Staat, das ist Taiwan, nach allen Kriterien der Staatslehre.

TH

Liebe Leser:innen.

Wir haben das Briefing umgestellt und das mit der neuen Bezeichnung, die nur noch auf diesen Begriff lautet und der erstmals verwendeten Headline „All you can read“ im Logo dokumentiert. Damit meinen wir nicht, dass Sie nicht in der Lage sind, noch mehr als unsere Beiträge zu lesen, sondern hebt auf das ab, was wir liefern können und dass alle es lesen dürfen. Es gibt bisher beim Wahlberliner keine Zugangsbeschränkungen.

Bisher wurde in diesem Format „Briefing“ u. E. zu wenig deutlich, was wir selbst täglich lesen, um auf dem Laufenden zu bleiben, was wir empfehlen und wo wir kritisieren oder skeptisch sind. Gleichzeitig trennen wir es vom Projekt Timeline und lassen in dem, was Sie jeweils in einem einzigen Beitrag lesen können, ältere Textbestandteile entfallen. Einige davon werden zu einzelnen Timeline-Artikeln umgewandelt werden. Das Verfahren wird damit an dasjenige bei den Corona-Reporten angepasst, bei denen wir a.) jeweils auf den vorausgehenden Beitrag verweisen und b.) einige vorausgehende Reporte angehängt lassen. 

Heute gibt es noch einmal den gesamten Bestand der bisherigen Briefing-Beiträge unterhalb der Aktualisierung zum Nachlesen.

24.07.2022 Odessa

Gestern, nach dem Einschlag von Raketen im Hafen der ukrainischen Stadt Odessa, haben wir in den sozialen Netzwerken unter anderem verfolgen können, wie behauptet wurde, die Ukraine habe sich selbst beschossen, aus propagandistischen Gründen. Mittlerweile hat Russland den Angriff zugegeben. Ob dabei auch Infrastruktur für die Lagerung und den Transport von Getreide getroffen wurde, wird von verschiedenen Medien derzeit unterschiedlich dargestellt. Wir halten uns bis auf weiteres an die aktuelle ARD-Meldung dazu, nach der das nicht der Fall ist.[1]

Hintergrund: Russland und die Ukraine haben trotz des Krieges ein Abgekommen geschlossen, aufgrund dessen die Getreideexporte wiederaufgenommen werden können. Dieses Abkommen, das die explodierenden Preise vor allem für Weizen dämpfen soll, wurde weltweit begrüßt. Deshalb ist es von großer Bedeutung, ob nun Einrichtungen getroffen wurden, die den Export behindern oder gar Lagerstätten von Getreide vernichtet werden. Selbst, wenn das nicht der Fall ist: Ein Angriff auf die wichtige Hafenstadt zum jetzigen Zeitpunkt ist eine typische Provokation, wie wir sie von Putin und seinem Regime kennen. Vielfach wird in Medien nun darauf abgehoben, die russische Glaubwürdigkeit sei in Frage gestellt. Ernsthaft erst jetzt? Dass Russland den Süden der Ukraine besetzen und sie vom Schwarzen Meer abschneiden will, haben wir bereits als vermutliches strategisches Ziel der russischen Führung benannt.[2]

Nach neuesten Darstellungen, auch durch die russische Regierung, zeigt sich das Geschehen von gestern so:

Einen Tag nach den russischen Raketeneinschlägen im Hafen der ukrainischen Schwarzmeer-Metropole Odessa hat Moskau den international kritisierten Angriff mit der Zerstörung von US-Waffen begründet. Die Raketen seien auf ein Schiffsreparaturwerk abgefeuert worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Sonntag mit. In dem Dock seien ein ukrainisches Kriegsschiff und ein Lager mit von den USA gelieferten „Harpoon“-Raketen zerstört worden, hieß es. Die Ukraine hat der russischen Kriegsmarine mit solchen Raketen schon mehrfach schwere Schläge versetzt.[3]

Derzeit gilt nach ukrainischen Angaben etwa ein Fünftel von deren Territorium als von Russland besetzt.

24.07.2022 SPD-Krise?

Es wird u. a. von INSA vermeldet, dass die SPD immer weiter in der Wählergunst zurückfällt, auf 18 Prozent, die Grünen und die Union hingegen weiter zulegen. Die FDP bliebe demnach gleich, was bedeutet, die Ampelkoalition hätte per Saldo nur einen leichten Rückgang in der Wähler:innengunst zu verzeichnen. Wir haben das bei Civey gegengecheckt, dort ist im Grunde das Bild der letzten Wochen zu sehen, das die SPD weiterhin bei über 20 Prozent zeigt.[4]

Uns scheint, diese negative Tendenz für die SPD ist eine Folge mangelnder politischer Vertiefung. Wenn man auf die Realpolitik der Bundesregierung schaut, nicht darauf, wer am flockigsten kommuniziert, kann man erkennen, dass Kanzler Scholz sehr wohl führt, zunehmend Einfluss auf die anderen Regierungsmitglieder nimmt und dass die SPD die einzige Partei innerhalb des gesamten im Bundestag vertretenen Spektrums ist, die derzeit einen der Situation angemessenen Kompass zeigt. Dieser Kompass ist auf Augenmaß im Ukrainekrieg und auf die sozialen Folgen der aktuellen Lage gerichtet ist. Insbesondere hat sich Parteichefin Saskia Esken in ihrer Rolle eingelebt und gibt zu verstehen, dass die SPD eine sozialdemokratische Partei sein soll.

24.07.2022 Weitere Sanktionen gegen Russland, Umfrage

Mittlerweile hat die EU ein siebtes Sanktionspaket gegen Russland beschlossen, dazu gibt es eine topaktuelle Umfrage von Civey:

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die neuen Wirtschafts-Sanktionen der EU gegen Russland aufgrund des Russland-Ukraine-Kriegs? – Civey

In Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine hat die EU neue Sanktionen beschlossen. Neben einem Importstopp für russisches Gold steht eine Verschärfung der Exportkontrollen für Spitzentechnologie sowie für militärisch als auch zivil nutzbare Güter im Zentrum der Maßnahmen. Des Weiteren werden zusätzliche Personen und Einrichtungen in die Sanktionsliste aufgenommen, darunter die Sberbank, Russlands größtes Geldinstitut.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte die Entscheidung. Auf Twitter erklärte sie, die EU werde „den Druck so lange aufrechterhalten, wie es nötig ist.” Der ​​EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete die Maßnahmen als einen wichtigen Schritt, um Russlands militärische Fähigkeiten einzuschränken. Man verbiete nun „effektiv Russlands wichtigste Ausfuhr nach Energie – russisches Gold.“

Die Beratungen im Vorfeld schienen indes nicht von Einigkeit geprägt zu sein. Laut Spiegel waren einige Staats- und Regierungschefs der Ansicht, frühere Strafmaßnahmen würden den Ölpreis steigen lassen und vorrangig der EU schaden. Die deutsche Europastaatsministerin Anna Lührmann (Grüne) weist die Kritik mit Blick auf vorliegende Daten zurück. „Wir sehen ganz klar, dass die russische Wirtschaft sehr stark getroffen ist von den Sanktionen”, zitiert sie der Spiegel.

Nun hätten wir noch gerne gewusst, welche Daten gemeint sind und die Quelle gecheckt, aber diese ist leider nicht im Begleittext zur Umfrage angegeben, den wir dem Civey-Newsletter entnommen haben. Wir bezweifeln, dass die neuen Sanktionen die Lage wesentlich ändern werden und haben mit „unentschieden“ gestimmt. Die Zahl der eindeutigen Befürworter:innen ist nicht mehr so groß wie zu Beginn des Krieges und liegt aktuell, auf einer noch sehr schmalen Datenbasis, bei ca. 42 Prozent. Von einem Gasimportstopp hat man bezeichnenderweise abgesehen, und damit hätte man Putin am besten treffen können.

24.07.2022 Gas fließt wieder – Stärke oder Schwäche Russlands?

 Deswegen ist es auch eine spannende Frage, ob die Tatsache, dass durch Nord Stream 1 wieder ein wenig Gas fließt, nachdem die Wartungsarbeiten abgeschlossen sind, eine Stärke oder Schwäche Russlands ausdrückt. Stellvertretend und mit der Empfehlung, weitere Artikel der Publikation zur Sache zu lesen: Wiederaufnahme der Gaslieferungen – Schwäche oder Stärke Russlands? | Telepolis (heise.de).

Am besten hat uns übrigens ein Zitat in diesem Artikel gefallen:

„Gegenstand einer ostdeutschen, sozialistischen Linken kann nur die soziale Frage für alle Lohnabhängigen jenseits ethnischer und geschlechtlicher Zuschreibungen sein. Ihre Beantwortung strebt die Zunahme materieller, d.h. sozialer Gleichheit an. Als Mehrheit der Bevölkerung haben sie gemeinsame Interessen, die durch die private Aneignung des von ihnen erwirtschafteten Mehrprodukts nicht realisiert werden.“ Autoren-Kollektiv-Ost

Abgesehen von der fragwürdigen Ostkonzentration, die dabei eine Rolle zu spielen scheint, führt diese kurze Passage alles wieder aufs Essenzielle zurück, das man in den Wirren des Krieges und der täglichen Nachrichten, die so sehr emotionalisieren, gerne vergisst. Bezüglich des Artikels selbst ein weiterer Kritikpunkt: Wie sich z. B. am Beispiel der russischen Öllieferungen nach Saudi-Arabien zeigt, profitieren vor allem andere Anbieter von den gestiegenen Energiepreisen, während die eingeschränkten Absatzmöglichen Russlands dazu führen, dass es seine Rohstoffe eben nicht zu diesen hohen Weltmarktpreisen verkaufen kann, denn die „neuen“ Abnehmer wissen natürlich um die schwierige Lage Russlands nach den Sanktionen des Westens. Notverkäufe sind immer mit Abschlägen verbunden. Die Frage, wem schaden welche Sanktionen am meisten, ist nach unserer Ansicht derzeit nicht eindeutig zu beantworten, dementsprechend haben wir bei der obigen Umfrage abgestimmt. Gerade bei diesem Thema wird es immer wieder zu Neubewertungen aufgrund Veränderungen der aktuellen Lage kommen müssen. Deswegen kann es nicht angehen und ist unseriös, jetzt so zu tun, als ob man wirklich voraussehen könnte, wie dieser Krieg mitsamt allen Folgen für uns selbst ausgeht. Das gilt für alle Beteiligten in dieser Diskussion.

Die Bundesregierung muss versuchen, mangels Vorhersehbarkeit der weiteren Entwicklung eine tragbare und tragfähige Mischung aus Verantwortungs- und Gesinnungsethik zu finden. Diesbezüglich ist die SPD derzeit am besten aufgestellt.

Hier zu den aktuellen Corona- und Affenpockendaten. Das Ukraine-Special folgt weiter unten in Interviewform.

UPDATE / BREAKING Corona-Affenpocken-Report 155/22 | Affenpocken-Notlage +++ Testpflicht für Events? (Umfrage) +++ Inzidenz sinkt | Kurzreport – DER WAHLBERLINER

16.07.2022: Ist Annalena Baerbock als Außenministerin eine gute Krisenkommunikatorin? (Civey)

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die bisherige Kommunikation von Außenministerin Annalena Baerbock mit der deutschen Bevölkerung bezüglich des Russland-Ukraine-Kriegs? – Civey

Der Civey-Begleittext dazu:

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sieht aktuell wenig Chancen dafür, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine durch Verhandlungen beendet werden könnte. Im Stern argumentierte sie, dass Russlands Präsident Wladimir Putin bisher keine Rücksicht auf Menschenleben genommen hätte und dies auch künftig nicht tun werde. Er agiere nach dem Motto „Der Angriff geht weiter, bis sich die Ukraine seinen Bedingungen unterwirft”.

Sie bezeichnete es als bedauerlich, dass die westlichen Staaten nicht militärisch in den Konflikt eingreifen können. Im Interview mit dem Spiegel erklärte Baerbock, dass sie gerne humanitäre Korridore aus der Ukraine zugesichert hätte, ein solches Versprechen aber militärisch abgesichert werden müsse. Gute Außenpolitik hieße auch, „einen kühlen Kopf zu bewahren, auch wenn das Herz brennt”.

Eine momentane Absage an Verhandlungen wurde u.a. in einem offenen Brief deutscher Prominenter in Frage gestellt. Dessen Urheber argumentieren, dass je länger die Sanktionsmaßnahmen liefen, desto unklarer werde, welches Ziel eigentlich dahinter stecke. Auch die Waffenlieferungen an die Ukraine müssten hinterfragt werden. Bei Baerbock sorgte der Brief für Unverständnis. Wäre sie Ukrainerin, empfände sie ihn als ​​naiv, verstörend und überheblich.

Es mag den einen oder die andere unserer Leser:innen verwundern: Wir haben mit „eher positiv“ gestimmt, auch wenn manche ihrer Gesten und Aktionen zu gewollt wirken, wie etwa die Barfuß-Schritte im Sand von Palau. Klar kann man vieles hinterfragen, sowohl im Detail wie grundsätzlich, was wiederum auf die Grünen im Ganzen rekurriert. Aber a.) nervt sie uns nicht fast jeden Tag mit klassistischen Energiespartipps, sie hat ja auch eine andere Zuständigkeit als Kollege Habeck und b.) hat sie dazugelernt. Pragmatismus spricht aus den Worten, die wir oben lesen, ohne, dass dabei die Orientierung verlorengeht. Wenn sie sagt, die Mittel, der Ukraine zu helfen, sind begrenzt, dann klingt das für uns anders, als wenn Menschen für den Frieden trommeln, die in Wirklichkeit Putin-Fans sind und bei denen Friedensorientierung mit einem Mal etwas furchtbar Amoralisches hat. Verantwortungsethik ist für uns seit Kriegsbeginn erkennbar das Panier von Kanzler Scholz und je mehr sich Baerbock ihm annähert, desto richtiger liegt sie.

Richtig finden wir auch, dass sie den Brief der Friedensbewegten kritisiert, auch wenn wir davon ausgehen, dass einige von ihnen dieses Schriftstück ehrlich und unbedarft mitformuliert und / oder unterzeichnet haben. Wir haben nicht unterschrieben, ebenso, wie wir auf ein Bekenntnis zum kurz darauf ausgegebenen „Gegenbrief“ verzichtet haben. Auf beiden Seiten standen uns zu viele Namen von Menschen, die sehr genau wissen, dass sie entweder Putins Aggression oder aber irgendwelchen Kriegstreibern und Kriegsgewinnlern das Wort reden oder sogar selbst welche sind. Diese Wissenden haben die Prominenz der übrigen ausgenutzt, um ein wenig Meinungsmache zu betreiben, ohne einen fairen Frieden einerseits oder das Wohlergehen der Ukraine andererseits im Sinn zu haben.

Bei Baerbock können wir beobachten, dass sie sich nach dem anfänglichen Aufregen, das uns wieder zu einseitig gewirkt hat, mehr mit dem Kanzler abstimmt und etwas vorsichtiger auftritt. Das hinterlässt bei uns einen positiven Eindruck und kündet von einem Reifungsprozess im Amt, der hoffentlich im weiteren Verlauf dazu führen wird, dass uns Interessenpolitik nicht mehr als Wertepolitik verkauft werden wird, denn kein Land und damit auch kein Außenministerium der Welt handelt vornehmlich werteorientiert. Die hiesigen Werte liegen in der Demokratie selbst begründet und werden zu außenpolitischen Interessen in dem Sinne, dass die Demokratie gegen destabilisierende Einwirkung von außen verteidigt werden muss, aber nicht, indem geostrategisch orientierte Kriegshandlungen zur Außenverteidigung der Demokratie erklärt werden.

Wir können von hier aus anderen Völkern nicht vorschreiben welche Staatsform sie sich geben und nicht bewirken, dass sie sich aus Unterdrückung durch die eigenen Regierungen befreien. Wir haben großes Glück, wenn wir verhindern können, dass die eigene Demokratie schwächer wird, das wird auch unsere ganze Kraft fordern. Das klingt isolationistisch, folgt aber der Realität: Immer mehr Staaten haben Atomwaffen, steigen wirtschaftlich auf und können nicht gezwungen werden, sich dem westlichen Modell anzuschließen. Also kann man nur noch auf kleinere und schwächere Länder einwirken, und ist das gerecht? Wir meinen, nein, das ist es nicht. Vielmehr muss faire Kooperation bewirken, dass die westliche Demokratie Strahlkraft gewinnt. Dazu gehört allerdings auch, die Verteidigungsbemühungen eines angegriffenen Landes wie der Ukraine angemessen zu unterstützen.

Unter folgenden Prämissen: a.) die deutsche Demokratie wird nicht im Donbass verteidigt.  B.) Die ukrainische Demokratie ist nicht so herausragend, dass sie mit allen Mitteln verteidigt werden müsste. C.) Man ist der Ukraine u. a. deswegen Unterstützung schuldig, weil man das Land dazu ermutigt hat, sich an den Westen zu binden, mit dem Höhepunkt der Promotion der Maidan-Bewegung durch die EU, die ein prorussisches Regime weggefegt hat, aber durchaus Schwächen bezüglich ihrer eigenen demokratischen Orientierung aufwies. Aus dieser Bewegung sind auch Selenskyi und sein Vorgänger Poroschenko hervorgegangen und der hatte uns z. B. den Botschafter Melnyk beschert, der es nicht schafft, sich von Nazis abzugrenzen.

Das hat Außenministerin Baerbock mittlerweile gewiss im Blick und deshalb empfiehlt sich in der Tat eine Haltung, die es vermeidet, dass die gesamte EU ein wirtschaftliches Opfer des russischen Angriffskrieges wird.

Momentan ist das Stimmungsbild bezüglich Annalena Baerbock ausgeglichen, wenn man es nach der obigen Umfrage bemisst. Das ist ein Fortschritt. Zu Beginn ihrer Amtszeit und als Folge einiger missglückter Komponenten ihres Wahlkampfs 2021 überwogen klar die negativen Meinungen über sie.

Und hier zum kürzlichen Umfragen-Marathon: Schröder, Melnyk, Last Generation, Gasstopp:

Survey-Day: Schröder raus aus SPD? ++ Melnyk raus aus Deutschland ++ Russisches Gas raus aus den Pipelines? ++ Raus auf die Autobahn wegen des Klimas? | Umfragen, Civey | Wirtschaft, Geopolitik , Gesellschaft – DER WAHLBERLINER

Ukraine-Special

Beginnen wir mit aktuellen militärstrategischen Aspekten: Der russische Außenminister Lawrow hat folgendes gesagt: „Die Waffenlieferungen westlicher Staaten, die Kiew unter anderem Himars-Raketenwerfer zur Verfügung gestellt haben, hätten Russland dazu veranlasst, seine Pläne zu überdenken, sagte Lawrow. Die „geografischen Ziele“ Moskaus würden sich noch weiter von der derzeitigen Front entfernen, wenn der Westen die Ukraine weiterhin mit Waffen „vollpumpt“.  „Wir können nicht zulassen, dass der Teil der Ukraine, den (Präsident Wolodymyr, Anm. d. Red.) Selenskyj kontrollieren wird, oder wer auch immer ihn ersetzen wird, über Waffen verfügt, die eine direkte Bedrohung für unser Territorium und das Territorium der Republiken darstellen, die ihre Unabhängigkeit erklärt haben“, sagte der russische Außenminister. Nach Darstellung von Lawrow erhält die Ukraine Waffen vom Westen mit immer größerer Reichweite von inzwischen bis zu 300 Kilometern. Entsprechend würden die ukrainischen Truppen immer weiter zurückgedrängt, damit für die „Volksrepubliken“ oder Russland keine Bedrohung entstehe. Lawrow betonte, dass die Entmilitarisierung der Ukraine eines der Hauptziele Russlands in diesem Konflikt sei.“[5]Was ist davon zu halten?

Als ich das gelesen habe, dachte ich sofort daran, dass Russland zunächst sofort auf Kiew marschiert ist, es steht auch weiter unten im Artikel, aber aufgehalten wurde. Erst danach wurde massiert im Osten angegriffen. Eine weitere wichtige Erwähnung: Dass russische Militärs schon früh gesagt haben, sie wollen den gesamten Süden der Ukraine erobern und das Land vom Meer abschneiden. Zu dem Zeitpunkt kannte ich diese Statements nicht, aber schrieb schon im April, es wäre logisch, bis nach Odessa zu marschieren und die gesamte Schwarzmeerküste der Ukraine zu erobern.

Mit Entmilitarisierung hat das nichts zu tun. Klar ärgert das russische Regime sich darüber, dass die Ukraine Waffenhilfe erhält und bastelt daraus einen Umkehr-Spin: Die russische Strategie erweitert sich wegen dieser Waffenlieferungen, wird von Lawrow behauptet. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt. Am liebsten hätte man schon zu Beginn der Invasion die Ukraine im Handstreich oder Blitzkrieg genommen, indem man die Hauptstadt unter Kontrolle gebracht hätte. Die westlichen Waffenlieferungen waren nur möglich, weil das nicht funktioniert hat und mehr Zeit ins Land ging. Die Himars-Raketenwerfer sind übrigens nach den Angaben, die ich kenne, mit Geschossen bestückt, die nur etwa 80 Kilometer weit kommen. Genug, um die Invasoren zu beschießen, aber selbstverständlich auch, um in Gebieten niederzugehen, die für die ukrainische Regierung immer noch zur Ukraine gehören.

Diese Reichweitendiskussion finde ich ohnehin nicht sehr glücklich. Nach meiner Ansicht hat der Angegriffene sehr wohl das Recht, das Gebiet des Angreifers zu beschießen. In der Ukraine gibt es bereits unzählige zivile Opfer des russischen Angriffs, während es auf der anderen Seite weitgehend ruhig geblieben ist.

Und die Gefahr einer atomaren Eskalation?

Die westlichen Länder befürchten das und deswegen wird diese Reichweitendiskussion geführt. Immer wieder wird dabei die russische Doktrin zitiert, dass man Atomwaffen nur einsetze, wenn Russland selbst in Gefahr sei. Aber nun müssen wir uns doch fragen: Kann das gelten, wenn Russland andere Länder angreift? Ich glaube, das Ganze würde sich im aktuellen Fall schnell als Papiertigerstrategie herausstellen, denn wenn Russland die Ukraine atomar beschießt, ist der Krieg mit der NATO wirklich da.

In Sachen Energielieferungen ist Russland allerdings kein Papiertiger. Ab heute soll wieder Gas durch Nordstream 1 fließen.

So war es geplant, Reparatur vom 11. bis 21. Juli. Niemand kann im Moment voraussagen, wie sich die russischen Gaslieferungen künftig gestalten. Die Energieabhängigkeit insbesondere Deutschlands von Russland ist eine so offene Flanke, sie lädt Putin & Co. zu Erpressungsversuchen geradezu ein. Jeder andere Diktatur würde ebenso vorgehen, wenn er die Möglichkeiten wie Putin hätte, um den Westen am Nasenring durch die Manege zu ziehen. Wir haben oft genug über die versemmelte Energiewende geschrieben.

Kommt die Atomkraft wieder?

Ich würde das für besser halten, als weiter von fossilen Rohstoffen, dazu noch aus nichtdemokratischen Ländern, abhängig zu sein. Man kann nicht alles auf einmal haben und strategisch würde ich erst einmal so entscheiden. Außerdem muss die Grundlastfähigkeit des Stromnetzes auch dann gesichert sein, wenn Wind und Sonne mal keine Lust haben, uns hinreichend zu beliefern. Ob man dafür Atomstrom aus Frankreich kauft oder ein paar eigene, hochgradig sichere Kraftwerke betreibt, wo ist der Unterschied? Denn genau das wird kommen, dass wir eben bei den Partnern im Westen zukaufen müssen, wenn die vom Wetter abhängigen Erneuerbaren zu wenig Strom liefern.

Die Bedingung wird dann gewiss nicht sein, dass nur grüner Strom aus Renewables bestellt wird, zumal die Atomkraft von der EU gerade als „grün“ eingestuft wurde. Wenn man die Kernkraft als Risikotechnologie ansieht, verlagert man also das Risiko ins benachbarte Ausland und bildet sich ein, man sei hier besonders echt grün. Unabhängig von den Fossilen und von Kernkraft können sich vorerst nur Länder wie zum Beispiel Österreich stellen, das sehr viel Wasserkraft einsetzt. Für diese Methode der Energiegewinnung ist Deutschland aber schlicht zu flach. Auf lange Sicht bin ich dafür, dass alles erneuerbar ist, dass eine echte Kreislaufwirtschaft entsteht, aber alles gleichzeitig ist nicht möglich, schon gar nicht, wenn man auch noch einen Krieg gegen Russland gewinnen will, mit dem vor einem halben Jahr  niemand gerechnet hat. Sogar, als die russischen Truppen schon an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen wurden, haben viele hier gerufen: Alles US-Propaganda!

Der CO2-Ausstoß soll ja auch noch sinken, das tut er im Moment aber nicht, weil wieder mehr Kohle verfeuert wird. Etwas Realismus ist ganz wichtig, gerade in diesen Zeiten. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, die Prioritäten schon kurz nach Amtsantritt anders zu setzen, seit russisches Militär in die Ukraine einmarschiert ist, das muss sie jetzt den Bürger:innen gegenüber auch ehrlich zugeben, anstatt den lockeren Habeck zu machen, der ihnen verkaufen will, alles geht auf einmal, sofern man sich nur persönlich genug einschränkt. Das ging bei der sprichwörtlichen hiesigen Langsamkeit von Beschluss & Umsetzung schon in besseren Zeiten nicht. Nun werden bei immer mehr Menschen die persönlichen Ressourcen knapp und auch das behindert ein schnelles Beseitigen früherer Politikfehler. Es sei denn, man will einen Teil der Bevölkerung bewusst gegen die Wand fahren, dann soll man aber auch das ehrlich zugeben.

Briefing vom 14.07.2022

Bisher haben wir bestimmte Begriffe immer vermieden, aber die Politik überschreitet immer weitere Grenzen zulasten der Menschen. Wir überschreiten Grenzen mit viel mehr Überlegung als die Politik, nicht mit dieser Ruchlosigkeit und eher aus einem Gefühl ohnmächtiger Wut heraus und niemals, weil wir klassistisch denken würden. Gestern haben wir erstmals das, was uns in der deutschen Wirtschaftspolitik vorgeführt wird, als Ramsch bezeichnet. In diesem Artikel:

So viel geben Firmen für EU-Lobbyismus aus (Statista + Kommentar) | Wirtschaft, Demokratie in Gefahr | Lobbyismus, EU – DER WAHLBERLINER

Da waren wir noch nicht einkaufen gewesen, das haben wir erst am späten Abend gemacht. Als wir vor dem Milchregal standen, dachten wir, wir hätten ein Kognitionsproblem, vulgo „etwas mit den Augen“. Die Biomilch, die wir bisher gekauft haben, hat sich auf einen Schlag um 33 Prozent verteuert. Seit Jahren gibt es in diesem Bereich starke Preisaufschläge. Die Milchbauern müssen ja auch leben, hieß es. Haben wir mitgetragen, dieses Narrativ. Doch was sich jetzt abspielt, schlägt alles Dagewesene um Längen und hat nichts mehr mit der Überlebensfähigkeit der Landwirtschaft zu tun. Das sind politische Preise, die uns um die Ohren fliegen. Da wir mit einem Haushaltsbudget arbeiten, werden wir nun die billigere Milch kaufen, mit der unser Hauptlebensmittelhändler wirbt: „In jedem … steckt auch ein Discounter.“ Dass sie anders schmeckt, nehmen wir buchstäblich in Kauf. Wir hören schon Herrn Habeck raunen: Warum überhaupt noch tierische Produkte? Nehmen Sie Hafermilch. Wir diskutieren dann nicht darüber, was der komplette Ersatz kosten würde, sondern denken uns: Habeck eben, der eiskalte Klassist.

Schon am 05.07.2022 gab es eine Meldung zu den Milchpreisen, die haben wir damals aber nicht gelesen und wurden notabene kalt erwischt: Aldi erhöht die Preise: Milch wird bis zu 47 Prozent teurer – Business Insider. Das gilt natürlich auch für andere Lebensmittelhändler, denn die Milchpreise sind abgesprochen, ein Kartell, wenn man so will. Da gibt es kein Ausweichen zu einem anderen Händler und Milch ist auch sehr selten im Angebot. Wäre das anders, wäre es wiederum bei Frischmilch wenig nützlich, weil man ein Angebot mangels Lagerfähigkeit des Produkts nicht zum Kauf auf Vorrat nutzen kann. Die Alternative wäre H-Milch. Oder Mineralwasser. Wir schreiben das gar nicht gerne, denn wenn es die Mineralwasserproduzenten lesen, werden sie denken: Warum nutzen alle, nur wir nicht, die Möglichkeit zur Abzocke? Die Kunden verlieren doch sowieso gerade den Überblick. Wir werden das Budget nächstes Jahr doch um 10 Prozent erhöhen, nicht um die geplanten 5 Prozent, wohl wissen, dass sich das nicht durch Mehreinkommen auffangen lassen wird.

Was ebenfalls zu berücksichtigen ist: Dass diese 10 Prozent nicht ausreichen werden, um die tatsächliche Inflation aufzufangen. Die 8 Prozent, die gegenwärtig vom Bundesamt für Statistik ausgewiesen werden, werden überdies durch günstiger werdende Technikprodukte verfälscht, die im Warenkorb der meisten Menschen eine weitaus geringere Bedeutung haben als für die Berechnung angenommen wird. Vor allem, wenn es immer enger wird, verlieren sie an Bedeutung. Essen, Wohnen, Heizen, das muss jeder, jeden Tag oder in jedem Winter. Einen neuen Fernseher hingegen kann man auch mal in etwas größeren Abständen kaufen als alle drei Jahre.

So weit, so schlecht. Das erste, was wir am heutigen Morgen als fette Schlagzeile lesen:

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat vor einer Verdreifachung der Gaspreise für Verbraucher oder einem sogar noch stärkeren Preisanstieg gewarnt. „Bei denen, die jetzt ihre Heizkostenabrechnung bekommen, verdoppeln sich die Abschläge bereits – und da sind die Folgen des Ukraine-Krieges noch gar nicht berücksichtigt“, sagte Müller den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) vom Donnerstag. „Ab 2023 müssen sich Gaskunden auf eine Verdreifachung der Abschläge einstellen, mindestens.“

Raten Sie mal, mit was bei uns geheizt wird. Wir haben es uns nicht ausgesucht, sondern der Vermieter hat es gemacht. Der super Tip von Herrn Müller: Gas sparen durch bessere Einstellung der Kessel. Woher will Herr Müller wissen, ob das bei uns nicht längst optimiert ist? Vermieter haben eine Verpflichtung, die Anlagen so zu warten, dass keine unnötigen Mehrkosten entstehen. Tun nicht alle und bei uns ist der Verdacht durchaus begründet, dass da noch Spielraum sein könnte, aber prinzipiell ist diese Aufforderung eine Frechheit. Und was nützen 15 Prozent Einsparung, wenn sich die Preise verdreifachen? In Deutschland werden übrigens aktuell schon 15 Prozent Gas gegenüber dem letzten Jahr weniger verbraucht, wussten Sie das? Die Menschen und wohl auch die Industrie tun schon, was geht. Nicht aus Einsicht, in der Regel, sondern eben der explodierenden Preise wegen. Für manche Wirtschaftseinheit und manchen Privathaushalt ist bereits existenzbedrohend, was gerade abläuft. Ach ja, und ein Sonderkonto für die Gasnachzahlungen sollen wir einrichten. Der Herr Habeck, falls er mit Gas heizt, wird das können, die meisten Menschen aber können über solche nur noch verzweifelt lachen, weil sie das Konto nicht hinreichend befüllen können, um solche Aufschläge auszugleichen.

Und was wird aus dem Konsum, den die Wirtschaft benötigt, um am Leben zu bleiben, wenn alle nur noch Rücklagen für die Energiekosten bilden?

Wir haben es mit einem Haufen unfassbarer Dilettanten zu tun, die uns regieren, mit schwachsinnigen Tipps vesorgen, anstatt solche Situationen zu vermeiden, wie wir sie jetzt sehen, und damit auch die Wirtschaft beeinflussen. Solange alles einigermaßen von selbst lief, während andere Länder längst strategische Wirtschaftspolitik betrieben haben, fiel das nicht so auf. Aber jetzt fällt es uns auf den Kopf und mancher Kopf wird sich vielleicht der Panik und der Schmerzen durch einen Fenstersturz entledigen. Liberale so: Dieser Kopf war wirtschaftlich gewiss nicht mehr verwertbar und nicht weiter finanzialisierbar, passt schon. Die Grünen so: werteorientierte Politik! Kanzler so: Was ist zu erwarten, bei den Koalitionspartnern, die ich mir ausgesucht habe?

Zu allem Überfluss schreiben Journalisten Dinge, bei denen man sich nur noch an den (ätsch!) noch nicht fenstersturzreifen eigenen Kopf fassen kann, obwohl der nicht daran schuld ist:

Gas-Krise: Deutschland auf dem Weg in die Mega-Katastrophe – oder? (t-online.de)

Natürlich nicht. Alles halb so schlimm. Wir sollen doch bitte Menschen fragen, die den Hungerwinter 1946/47 noch erlebt haben. So schlimm wird es nicht werden! Im Gegenteil. Es ist schon so schlimm. Damals gab es nämlich keine Journalisten, die geschrieben haben: Dafür ist der Krieg doch wenigstens vorbei, die Leute sterben nicht mehr wie die Fliegen an der Front oder durch Bombenangriffe, sondern nur noch durch so ein bisschen Hunger und Kälte. Damals wurden die Menschen nicht auch noch für blöd gehalten. Das kam wohl daher, weil auch Journalisten frieren mussten, während sie im Moment glauben, sie wird’s schon nicht treffen.

Wir haben tatsächlich unsere Großeltern befragt, und wissen Sie, was die uns gesagt haben? Wir werden es einmal schwerer haben als sie. Wirklich wahr. Und es stimmt schon wieder. Denn wir müssen uns mit journalistischen Vergleichen auf Deppen-Niveau herumschlagen, während sich damals die meisten Menschen damals einig waren: Die Fehler, die wir alle gemacht haben und die Politik, die wir uns dadurch eingebrockt haben, das Leid, das wir erfahren und anderen zugefügt haben, das alles wird sich nicht wiederholen.

Sollen wir uns ernsthaft darüber freuen, dass die Politik uns gerade an die Wand fährt, nachdem die Nachkriegsgenerationen mit so viel Einsatz so viel Wohlstand aufgebaut haben? Nachdem sie sagten: Nie wieder!, als sie zittern und hungern mussten? Sie wollten, dass wir es einmal besser haben als sie, obwohl sie es schon deutlich besser hatten als die Zwischenkriegsgeneration, nach dem Hungerwinter, freilich und nur die Überlebenden.

Und genau das ist der richtige Vergleich: Was ist in einem wirtschaftlich weitgehend intakten, industriell immer noch starken Land für alle möglich und wie stehen wir in Relation dazu gerade da? Wer wird immer reicher und wer wird mit Hungerwintervergleichen verarscht? Der Spin mit dem Zusammenbruch durch den und nach dem Zweiten Weltkrieg ist dermaßen abartig, dass wir, wie gestern mit „Ramsch“, einen Begriff in den aktiven Wortschatz übernehmen, die wir bisher vermieden haben: „abartig“. Uns gehen nur langsam die gepflegten Formulierungen aus, bei der Abscheu, die wir mittlerweile gegenüber der Politik und den geistigen Tieffliegern von Meinungsmachern in diesem Land empfinden.

Müssen wir’s wirklich noch erklären? Es ist doch verständlich, dass die Menschen hierzulande aufgrund der Traumata des 20. Jahrhunderts ein gewisses Mehr an Sicherheitsbedürfnis haben gegenüber Menschen in Ländern, die eine andere Historie vorweisen können, bei denen es nicht so radikale Brüche und Einschläge gab. Wenn man bedenkt, wie diese Traumata uns heute noch belasten, sind wir eigentlich schon wieder recht risikofreudig und viele sind leider auch recht unbedarft. Zum Beispiel, wenn sie sich von der Politik und den Hofschreiber:innen vor Tatsachen stellen und mit Texten abspeisen lassen, die an Unverschämtheit kaum zu überbieten sind. Wir hoffen, dass es bald zu ernsthaftem Protest, zu größeren Demonstrationen gegen diese Politik kommen wird. Wir werden dabei sein und wieder mehr „von vor Ort“ berichten, so viel ist sicher.

Um auch dies noch einmal klarzustellen: Wir sind nicht dafür, die Ukraine hängen zu lassen. Aber schauen Sie mal, was ein paar moderne Raketenwerfer aus den USA offenbar hinsichtlich des Kriegsverlaufs ausmachen im Vergleich zu dem verrückten Sanktionsregime, das wir uns hier eingehandelt haben. So ist das, wenn Profis am Werk sind, im Vergleich zu hiesigen Amateuren. Es sind Profis des Krieges, stimmt. Das ist schrecklich, aber im Fall der Abwehr des russischen Angriffs auf die Ukraine für die Welt besser als das Vernichtungswerk des Wohlstands seitens der Generaldilettanten, die den meisten von uns Probleme machen, welche nach oder noch während Corona nicht auch noch sein müssten. Diese Probleme werden von einer niveaulosen Journaille (wieder ein Wort, das wir bisher vermieden haben) im Verein mit einer gewissenlosen Politik auch noch als quasi unvermeidbar dargestellt. Nichts war je eine größere Lüge als dies. Und kaum eine Lüge war je so plump, so leicht durchschaubar die versuchte Manipulation.

Wir haben, als der Ukrainekrieg begann, nicht so scharf geschrieben, das müssen wir auch ehrlich zugeben. Aber wir waren immer schon eher für Waffenhilfe als für Sanktionen und schrieben, als hierzulande noch über einen Gasboykott schwadroniert wurde: Was ist, wenn Putin einfach von sich aus das Gas abdreht? Dann ist er doch das Arschloch, oder? Nicht unbedingt, wenn diese Sanktionen nur eine Reaktion aus der Sicht des Gegensanktionierenden eben nur eine Reaktion sind. Denn aus seiner Sicht ist Putin moralisch genauso im Recht, wie wir glauben, dass wir moralisch im Recht sind. Da gibt es also keine Sanktionen, die ein Aggressor sozusagen selbstkritisch als gerechte Strafe empfinden wird. Das war nicht einmal bei den Nazis der Fall, wie grausam ihre Taten auch immer waren. Ihre Propaganda rechtfertigte jedes Mittel, das nach ihrer Darstellung ja nur ein Gegenmittel war. Das Narrativ, dass man Deutschland quasi in den Krieg hineingezwungen habe, war damals weit verbreitet. Auch darüber haben wir die Menschen, die es noch aus eigenem Erleben wissen, befragt. Es stimmt ebenfalls. Und es belegt, wie hoch gefährlich es ist, wenn Medien und Politik gemeinsame Sache gegen das Wohl der Allgemeinheit machen.

Liebe Leser:innen, wir dürfen uns nicht mehr gefallen lassen, was gerade mit uns veranstaltet wird.

Wenn wir das nämlich tun, wen wir uns nicht endlich wehren, wird die Politik immer so weitermachen, bis wir wirklich bei Zuständen wie 1946/47 angekommen sind. Der Milchpreis, das werden Sie verstanden haben, ist bloß ein pars pro toto für eine allgemeine Entwicklung, die unheimliche Formen annimmt. Der Gaspreis ist sowieso in aller Munde. Niemals wird uns die Politik auch nur annähernd ersetzen, was sie uns gerade mit voller Absicht wegnimmt. Dabei ist das Wegnehmen an sich nicht so übel wie die mehr als zweifelhaften Gründe. Was die Menschen erarbeiten, stecken sich Profiteure in die Tasche und die Politik hilft ihnen dabei und Journalisten wagen es, diese Schweinerei* mit der furchtbaren Situation im Winter 1946/47 zu vergleichen. *Schon das dritte Wort in diesem Text, das wir bisher aus Gründen der demonstrativen Contenance niemals verwendet haben, weil wir ja sprachlich doch gut erzogen und mit moderner, diskriminierungsfreier Begrifflichkeit im Laufe unseres Lebens vertraut gemacht wurden. Daher ist uns auch klar, dass eine Schweinerei im Grunde nur von Schweinen begangen werden kann und selbst der Vergleich hinkt auch deswegen, weil Schweine nicht bewusst die Bevölkerung schädigen, was immer sie auch tun mögen. Doch hat die gegenwärtige Politik nicht auch einen Hinkefuß? Aber ja. Es zeigt sich seit vielen Jahren, spätestens seit der Bankenkrise, dass es nicht die Gesellschaft ist, die keine echten Krisen mehr bewältigen kann, sondern dass es die Politik ist, die uns eine künstliche Krise nach der anderen einbrockt. Die Menschen erkennen diesen Unterschied und sind zu Recht stinkesauer. Sie müssen aber auch endlich konsequent sein und diese Politik absetzen. Wer nicht aktiv dagegen ankämpft, macht sich mitschuldig am Untergang vieler und auch am eigenen.

Anders oder gar nicht wählen reicht natürlich als Aktivität nicht aus, aber wir werden als Konsequenz dessen, was sich hierzulande Politik schimpft, künftig keiner der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien unsere Stimme(n) geben.

TH

Das heutige Briefing ist nur dem obigen Kommentar gewidmet, weitere Artikel werden wir in Nr. 23 vorstellen.

09./10.07.2022: Die Hochzeit des …

Figaro? Des Jahres? Des Jahrzehnts? Des Jahrhunderts? Wir finden kaum die passenden Worte für das, was sich gegenwärtig auf Sylt abspielt. Ein mehrtätiger Verheiratungsmarathon mit einem riesigen öffentlichen Rummel und Promis zählen ohne Ende. Hat irgendein britischer Royal plötzlich die deutsche It-Insel der 1970er als Austragungsort seiner privaten Ereignisse entdeckt?

Nein. Es ist Finanzminister Christian Lindner von der FDP, der sich die Ehre gibt und die üblichen Verdächtigen kommen auf die übliche Weise, um seiner neuen Frau zu kondolieren. Im Flugzeug u. a. Oppositionsfrührer Friedrich Merz und Herbert Diess, der Chef des Volkswagen-Konzerns. Es ist aber kein Jet, was wir bei Merz sehen, wie immer behauptet wird, vielleicht hat er die zweimotorige kleine Maschine auch gemietet, damit es nicht zu fett wirkt. Falls Diess hingegen das Teil, das auf dem Foto zu sehen ist, für sein Privatvergnügen verwendet, falls es ein Vergnügen ist, zuzuschauen, wie ein ehemals Pleite gegangener Politiker eine weitgehend unbekannte Journalistin ehelicht, dann gehört es nicht ihm, sondern der Volkswagen AG.

Spätestens ab dem Moment ist dieser Termin neufeudalistisch und damit politisch. Und kommt Kanzler Scholz wirklich, ausgerechnet dort? Klar, Lindner ist Regierungsmitglied und man muss ihn sich warmhalten, falls echte Entlastungspakete geschnürt werden müssen, damit die Armut in Deutschland nicht geradezu explodiert, sondern sich  höchstens doppelt so schnell steigert wie zuletzt. Aber dass man die FDP neben den Grünen braucht, um überhaupt eine weitere GroKo, dieses Mal eine GroKo verkehrt mit Blackrock-Merz als Co-Pilot, zu verhindern, sagt einiges über die SPD aus und die aktuell miserablen Umfragen für Scholz tragen nicht dazu bei, dass der Kanzler den Eindruck erwecken sollte, er habe in diesen äußerst fordernden Zeiten nichts Besseres zu tun, als sich auf Sylt zu vergnügen, falls es denn ein Vergnügen ist … aber das hatten wir schon. Wir hingegen haben das Vergnügen, für Sie ein wenig zu recherchiert zu haben:

„Zunächst muss festgestellt werden: Christian Lindner ist eine gute Partie. Nicht unbedingt wegen seines mit 16.815 Euro eher überschaubaren Monatsgehalts als Bundesminister, sondern eher, weil er offensichtlich eine Art langfristiger Win-Win-Vereinbarung mit dem Axel-Springer-Verlag hat und daher seine Partnerinnen regelmäßig bei der einstmals zu den wichtigsten Tageszeitungen des Landes gehörenden „Welt“ unterbringt. Schon Lindners Ex-Frau Dagmar Rosenfeld (Scheidung 2018 „heimlich im verflixten siebten Ehejahr“, wie „Bunte“ wusste) heuerte einst bei der „Welt“ an. Lehrfeldt ist dort inzwischen „Chefreporterin Politik“.“[6]

Die Reporterin von Web.de, die das kenntnisreich und mit Einbindung weiterer Zitate geschrieben hat, verdient sicher keine 16.815 Euro im Monat, außerdem darf man bei Lindner die Nebeneinkünfte nicht vergessen, die er partout im Sinne der kompletten neofeudalistischen Intransparenz nicht offenlegen will, aber das mit dem Springer-Konzern wollten wir Ihnen nicht vorenthalten. Noch Fragen, wie die Republik funktioniert? So witzig ist das eigentlich gar nicht, aber ganz ohne Ironie wäre es nicht mehr zum Aushalten und eine revolutionäre Situation würde entstehen. Wer weiß, wer danach an die Macht käme? Unser Verdacht: Es wären wieder die Falschen. So viel zu unserem Vertrauen in Politiker:innen, unabhängig von den Farben, die sie tragen.

Lesen Sie aber mal ruhig den von uns verlinkten Artikel ganz, der ist ganz witzig geschrieben, bis auf den letzten Absatz, wo dann doch die Hosen klamm wurden, weil man möglicherweise Gefahr laufen könnte, es sich zu verscherzen. Dass wir überhaupt dieses semigesellschaftliche Event zu einem Aufmacher fürs Briefing werden lassen, ist allerhöchstens die zweitbeste Lösung nach Totschweigen wegen der Peinlichkeit des Auftriebs. Oder? Nicht unbedingt, denn die Sache ist eben in einer Situation, in der es so vielen Menschen immer schlechter geht, auf eine andere Weise relevant, als es die selbstverliebten Protagonisten wahrhaben wollen. Die Instinktlosigkeit, mit der hier ein mittelmäßiger Politiker eine vermutlich mittelmäßige Journalistin mit einem Pomp heiratet, als wären die 1970er noch Realität, in denen immerhin jeder Spießbürger zumindest von einem Urlaub, mit etwas Geschick und Ruchlosigkeit sogar von einer Wohnung oder einem Haus auf Sylt träumen durfte, diese Instinktlosigkeit ist atemberaubend.

Was noch? Wie könnte man das Ereignis von Sylt steigern? Vielleicht mit dem nächsten Ehejubiläum von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine im Kreml, am langen Tisch von Wladimir Putin. Dieses Mal die Tafel aber feudal besetzt, und zwar außer mit ihm und natürlich dem Einpeitscher Dimitri Medwedew mit allen relevanten Zombies von Stalin bis Berija und mit riesigen Portionen Borschtsch. Allerdings: Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, ist nicht erschienen und auch Karl Marx ist in der Waagerechten geblieben. Warum bloß? Wir verstehen das nicht. Es ist beinahe ein Affront, so, als hätte Kanzler Scholz etwas Besseres zu tun gehabt, als auf Sylt den Grüß-August zu geben. Da wird wohl doch die Lindner-Hochzeit das Event des Jahrhunderts bleiben, aus deutscher Sicht zumindest.

09.07.2022: Abberufung von Andrij Melynk als Botschafter der Ukraine in Deutschland und die Wahl zum Großkommunikator des Jahres

Selbst Melnyk muss hinter Lindner zurückstehen, denn letztlich ist der Finanzminister für uns in Deutschland doch die genauer zu beobachtende Person. Ein wenig schade ist es schon, dass Präsident Selenskyi Melnyk aus dem Land abzieht, das er beinahe zu einem politischen Anhängsel der Ukraine gemacht hätte. Zugegeben, es ist leicht, die Deutschen vorzuführen, die Traumata des 20. Jahrhunderts sind unübersehbar nicht bewältigt. Aber Melnyk! Nie werden wir seine Talkshow-Auftritte vergessen, in der dieser Mensch wirkte wie ein vom Gewissen geplagter Kirchenrenegat des 16. Jahrhunderts, getrieben von den Ereignissen und dem Schicksal: Hier steh ich nun und kann nicht anders. Als euch ständig in den Sack hauen, damit ihr endlich nicht mehr bloß die größte humanitäre Hilfe für die Ukraine leistet, sondern auch noch mit eurem Verhalten provoziert, dass Putin endlich Krieg gegen die NATO spielen kann. Vielleicht haben die Deutschen vom Endkampf aber die Nase endlich für immer voll, jedenfalls wäre es zu wünschen.

Es war eine große Show, die Melnyk geliefert hat. Wenn wir uns zwischen den Großkommunikatoren unserer Zeit entscheiden sollen: Ganz klar, Selenskyi, der Mann im ewig gleichen T-Shirt, immer an der Front, auch im Arbeitszimmer von Kiew, ist die Nummer eins. Schon deshalb, weil er die Nummer zwei im Alleingang schlägt. Diese ist: Putins Propaganda-Apparat, inklusive Dimitri Medwedew, dem neuen Mini-Goebbels, inklusive der deutschen Ableger, die nicht unbedingt RT heißen müssen.

Dann kommt aber schon Andrij Melnyk. Ein bisschen gehandicapt dadurch, dass sein Wirkungskreis weitgehend auf Deutschland beschränkt ist, während Putin-Propagandapparat-Mitarbeiter Lawrow sogar die G20 bespielen und effektvoll einen vorzeitigen Abgang hinlegen darf.

Trotzdem, wir finden, für seine einmalige Penetranz hat Melnyk sich eine Beförderung zum Vize-Außenminister verdient, dann kann er diesen Wirkungskreis nämlich ausdehnen und ein paar Freunde mehr beschimpfen. Es passt nicht so schlecht zu den anderen, die in der Ukraine das Sagen haben. Mal ehrlich: Sind sie nicht alle ein bisschen Stepan Bandera? Jedenfalls mehr dies als künftige waschechte EU-Europäer von altem Schrot und Korn, wie zum Beispiel die Polen und Ungarn. Erstere haben sich über Melnyk erst eine Art Echauffierung gegönnt, als er doch zu sehr auf diesen Bandera stand oder auf seiner Verehrung bestand. Nicht wegen des Antisemitismus, der dabei zum Vorschein kam, sondern wegen der Polenfeindlichkeit, selbstverständlich. Wir finden ja auch, jeder soll erst einmal vor seiner Haustür kehren, bevor er den stinkenden Müllhaufen der Weltgeschichte immer wieder auf die Straße kippt. Wenn die BSR erst einmal streikt, weil ihre Mitarbeitenden die Beseitigung dieses Riesenhaufens als Zumutung empfinden, haben wir den verfaulten Salat, dann werden wir jeden Tag mittendrin herumstapfen und uns krätzig ekeln.

Leider nicht aufs Treppchen kommt Robert Habeck, der uns in seiner einmalig aufgeräumten Art, die sogar das richtige Tragen von Anzügen ausschließt, hochoffiziell Tipps zukommen lässt, wie wir es anders machen können als sein Kollege Lindner, nämlich richtig, richtig in der Krise für die noch größere Krise sparen, bis die Pfunde unter einen BMI von 18 purzeln – und die Leute finden es auch noch toll und honorieren es mit hohen Umfragewerten für die Grünen. Das ist eine Leistung, ohne Frage. Das ist hochmoderner Propagandastil, der bereits berücksichtigt, dass in der Wählerschaft immer mehr Sozialpädagog:innen vorhanden sind. Als bester Deutscher auf Rang vier, das ist außerdem schon etwas, angesichts einer Welt voller Großkommunikatoren, da muss sich die neue Bundesregierung gar nicht verstecken.

Die Wahrheit: Melnyk war recht lange als Botschafter in Berlin, sechs Jahre. Im Grunde handelt es sich nach üblichen diplomatischen Gepflogenheiten um einen turnusmäßigen Austausch. So könnte man es auch als Großkommunikator, wie Selenskyi und Melnyk welche sind, darstellen, um die Diskussion über einen Gesichtsverlust gar nicht erst aufkommen zu lassen.

08.07.2022: Rücktritt Boris Johnson II, Wirtschaftsvergleich

„Wie sehr sich die Regierung von der Bevölkerung entkoppelt hat, zeigt eine Umfrage des Instituts Yougov von vor einigen Monaten: Mehr als 60 Prozent denken, dass Politiker vorrangig für sich selbst handeln, etwas weniger als 20 Prozent glauben, sie handelten vor allem für ihre Partei. Und nur fünf Prozent sind der Meinung, dass die britischen Politiker dem Land die höchste Priorität einräumen.“[7]

Umfragen der letzten Jahre zeigen aber auch ein sehr schwankendes Bild, die Meinung zu Boris Johnson betreffend, eine Grafik dazu ist in dem zitierten Artikel enthalten. Auch Briten sind offenbar sehr von aktuellen Stimmungen abhängig, obwohl man meinen sollte, ihr Humor sichert ihnen eine Art distanzierte Kontinuität. Vielleicht konnten sie auch Boris Johnson und seine erratische Art genauso wenig einschätzen wie viele andere Menschen auf der Welt und er war immer wieder in der Lage, auf gelungene Ansprachen desaströse Handlungen folgen zu lassen. Aber wie geht es dem Land nach dem Brexit? Niedrige Arbeitslosigkeit, aber die Armutsquote erreicht immer neue Höhen.

Kommt uns das, ohne Dexit, bekannt vor? Ein Phänomen, wie man die offizielle Arbeitslosenquote so kleinrechnen kann, dass es fast wirkt, als gäbe es in den meisten führenden westlichen Ländern keine Unterbeschäftigung, dazu noch das Klagelied vom Fachkräftemangel, den die Wirtschaft leider selbst verschuldet. Außerdem: Was hat man noch von einem Job, wenn man sich vom Gehalt immer weniger leisten kann? In Deutschland ist eine Antwort darauf die Anhebung des Mindestlohns. Großbritannien hat ebenfalls einen Mindestlohn, das hat uns beinahe verwundert. Es ist aber schon länger der Fall als in Deutschland. Er liegt aktuell bei 9,63 Euro, in Deutschland bei 9,81 Euro und wird demnächst auf 10,45 Euro angehoben.

Wenn man auf das BIP pro Kopf schaut, lagen Deutschland und England im Jahr 2020 nominal nicht so weit auseinander (46.000 gegenüber 40.000 Dollar), aber kaufkraftbereinigt ist der Unterschied schon größer: 55.000 gegenüber 44.000 US-$. Auch die deutsche Wirtschaft wurde 2020 durch Corona erheblich in Mitleidenschaft gezogen, das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf ging um 3,5 Prozent zurück – in Großbritannien waren es jedoch 9,1 Prozent, und ein solcher Rückgang wirkt sich unweigerlich auf die Lebensqualität aus. Allerdings soll es nach bisherigen Schätzungen 2021 einen sehr starken Anstieg auf 47.000 US-$ gegeben haben (um ca. 15 Prozent, in Deutschland betrug der Anstieg ca. 8 Prozent). Vergleichen Sie aber die Zeitleisten miteinander, sehen Sie ein Problem. Seit dem Höchststand Mitte der 2000er hat sich das reale BIP pro Kopf in Großbritannien nicht mehr erhöht, in Deutschland hingegen schon, das damals trotz eines massiven Anstiegs zuvor vergleichsweise schwach dastand. Wenn auch nur in geringem Maße, wie in vielen größeren westlichen Ländern und vom erstaunlich gleichmäßigen Wachstum in den USA abgesehen.[8]

Wie oben erwähnt: Das BIP pro Kopf ist, ebenso wie die durchschnittliche Größe eines Privatvermögens, für sich genommen nicht ausreichend, um den Wohlstand der Menschen einzuschätzen, da in allen drei besprochenen Ländern der Anteil an Superreichen vergleichsweise hoch ist und dadurch die Werte nach oben gedrückt werden. Die Medianvermögen hingegen liegen wesentlich niedriger. Einen Vorteil hat Großbritannien in dieser Hinsicht. Trotz seiner offensichtlichen Klassengesellschaft ist es viel weniger ein Ungleichland als Deutschland (Vermögens-Gini 77 Prozent) oder gar die USA (Vermögens-Gini 85 Prozent), denn mit 71 Prozent liegt es im westlichen Vergleich recht günstig. Demgemäß ist das Medianvermögen mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland (131.000 gegenüber 65.000 Dollar) und das federt insofern einiges ab, als die Menschen dort mehr Reserven für schlechte Zeiten haben.

Das Dilemma kann man gut anhand der USA sehen: Beim Durchschnittsvermögen stehen sie  hinter der Schweiz auf Platz zwei weltweit, beim Medianvermögen jedoch nur auf Platz 25. Großbritannien hingegen liegt in beiden Kategorien auf Platz 15. Deutschland kommt beim Medianvermögen sogar nur auf Platz 28 weltweit, beim Durchschnittsvermögen erreicht es Platz 18. In Deutschland spielt das immer noch sehr geringe Vermögen der Ostdeutschen eine Sonderrolle, aber es ist alles andere als befriedigend, dass es in mehr als 30 Jahren seit der Einheit nicht möglich war, eine Angleichung an den Westen zu erzielen.

Worüber wir sonst seit dem Briefing Nr. 20 geschrieben haben:

Wie lange hält Johnson durch? | Newsroom | Geopolitik | UK, GB Vereinigtes Königreich, Rücktritt des Premierministers – DER WAHLBERLINER

09.07.2022 Corona-Affenpocken-Report 144/22 | Der Kampf ist gewonnen – 700, Teil 2 +++ Neue Diskussion um die Impf-Nebenwirkungen +++ Weltinfektionszahl erstmals seit über 3 Monaten wieder bei über 1 Million pro Tag | Kurzreport – DER WAHLBERLINER

Sturzflut Bernd (2021) versenkt 8 Milliarden Euro | Umwelt, Klima | Flutkatastrophe, Ahrtal – DER WAHLBERLINER

Sollten die Sanktionen gegen Russland wegen der Energiekrise aufgehoben werden?  (Umfrage) | Geopolitik | Ukrainekrieg, Energiekrise – DER WAHLBERLINER

„DIE VIELFALT UNSERER GESELLSCHAFT IST REALITÄT!“ | Interview mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Reem Alabali-Radovan (Gesichter der Demokratie) | Politik, Personen, Parteien | Bundesregierung, Gesellschaft – DER WAHLBERLINER

07.07.2022: Boris Johnson, der britische Premierminister, tritt zurück

Boris Johnson has resigned following a revolt within his Conservative Party, saying in an address to the nation that the process of choosing a new prime minister „should begin now.“

„It is clearly now the will of the parliamentary Conservative Party that there should be a new leader of that party and therefore, a new prime minister,“ said Johnson.

„The process of choosing that new leader should begin now,“ he added, saying the timeline will be announced next week.[9]

Im Folgenden wird nachvollzogen, was den Rücktritt ausgelöst hat: Die Kulmination von Skandalen und Ungereimtheiten, die zumindest für uns auf dem Kontinent einmalig in der Geschichte britischer Regierungschefs wirken. Auch, als Johnson seinen famosen Wahlsieg im Jahr 2019 errang, war außerhalb des UK schon bekannt, dass er ein ziemlich schräger Vogel ist, aber gerade die Briten schienen sein kurioses Gepräge zu lieben. Er ist einer von uns, anders eben, schien die Losung zu sein. Anders als die andern und wie wir, weil er schon immer ein Brexit-Verfechter war und sich relativ wenig darum kümmert, was andere für moralisch halten. Das hat CNN trotz eines relativ langen Beitrags nicht erwähnt: Er war von jeher, bereits als Bürgermeister von London, eine der Hauptfiguren in diesem morbiden Spiel mit den Ängsten der Menschen und hat auf diese Weise seine wesentlich moderatere Vorgängerin Theresa May an Popularität klar überflügelt.

Sein politischer Stil und seine politischen Haltungen passten sehr gut zu dem, was Donald Trump zu der Zeit verkörperte, als Boris Johnson Premierminister wurde, es entstand eine Art besondere Variante des traditionellen britisch-amerikanischen Special Relationship, die vor allem darauf gründete, dass beide Führer der angloamerikanischen Welt den zielsicheren Niedergang des Westens anführten und mit ihren Persönlichkeiten verkörperten. Nach Trumps Wahlniederlage 2020 empfand man Johnson schon beinahe wie ein liebenswertes Relikt aus einer sehr seltsamen Zeit, in der überall Populisten wie er an die Macht kamen. Schon zuvor hatte man begonnen, auf Angela Merkel aus Deutschland zu schauen, sich auf sie zu verlassen, wenn es darum ging, traditionelle westliche Führungskultur aufrechtzuerhalten. Bezüglich ihrer politischen Statur war es eine fragwürdige Rolle, die ihr angedient wurde, aber sie wurde tatsächlich mehr oder weniger dort hineingetrieben, als innerwestliche Opposition, weil sie selbst Zielscheibe von Trump war und weil die Regierungen in vielen Staaten der Welt ratlos darüber waren, was sie mit rücksichtslosen und nationalistisch-egoistischen Leadertypen wie Trump und Johnson anfangen sollten.

Ob Johnson trotz all seiner Skandale, Skandälchen und wenig hilfreichen Statements, wie Merkel es ausgedrückt hätte, im Amt hätte bleiben dürfen, wenn die Wirtschaft im Vereinigten Königreich gerade gegen den Trend sehr prosperieren würde? Der Erfolg heiligt bekanntlich viele Mittel, manchmal sogar alle. Der Erfolg steht aktuell aber in Zweifel und viele Briten sind durchaus nicht sicher, ob es eine gute Idee war, sich aus dem größten europäischen Projekt aller Zeiten auszuklinken. Dieses Projekt hat, anders als von Johnson dargestellt, wenig mit den Feldzügen von Napoleon und Hitler zu tun und eine starke britische Stimme fehlt jetzt, ohne dass Großbritannien selbst bisher merklich von seinem Austritt profitieren würde. Wenn sich daraus eine dauerhafte Lose-Lose-Situation entwickelt, wird man dieses teuflische Werk der europäischen Desintegration für immer mit Boris Johnsons nicht geringem Beitrag dazu verknüpfen.

04.07.2022: Mehrere Schießereien am Tag der amerikanischen Unabhängigkeit

A gunman perched on a rooftop opened fire on families waving flags and children riding bikes at a Fourth of July parade, killing six and wounding more than 36 in the Chicago suburb of Highland Park. An elderly man from Mexico and a synagogue teacher were among the dead.

Two Philadelphia police officers were shot near the Benjamin Franklin Parkway as thousands of people celebrated a Fourth of July concert and fireworks show with the crowd scattering in panic when shots were fired.

The Ohio city of Akron declared a state of emergency, setting a curfew and canceling Independence Day fireworks, after protests over the police killing of an unarmed Black man turned unruly on Sunday night.

President Joe Biden said freedoms in America were under assault and urged citizens to engage in „principled patriotism“ while the country faced economic challenges and national divisions. „From the deepest depths of our worst crises, we’ve always risen to our higher heights,“ Biden said in remarks at the White House.

After thirteen states passed laws that aimed to trigger full or partial bans to abortion, we look at how worries have been heightened for unauthorized immigrants in the U.S.

So die gestrigen Nachrichten aus den USA gemäß dieser Quelle.[10] Darunter geht es weiter mit dem brutalen Ukrainekrieg, mit Hitzewellen in Nordchina und Italien, mit wirtschaftlichen Problemen wie einem 20-Jahres-Tief des Euro, was quasi einem Allzeittief gleichkommt, mit Rezessionstendenzen in den USA  und wie die Notenbanken besser kooperieren könnten, um die Situation in den Griff zu bekommen. Vermutlich wird sich die nächste Schuldenrunde nicht aufhalten lassen, aber in Deutschland tut die FDP, als ob man die Armen bloß nicht mit ein paar Euro mehr unterstützen dürfte.

Glauben Sie das Zitat von Joe Biden im vorletzten Absatz? Klar, er hat es sicher so gesagt, man wird ihn richtig zitiert haben. Aber glauben Sie an den Inhalt? Mir fällt nur eine Krise ein, nach der die USA besser wurden als je zuvor, das war die Weltwirtschaftkrise zu Beginn der 1930er. Damals entstand in der Tat ein neues Gemeinschaftsgefühl, befeuert von einem begnadeten Präsidenten und der Einsicht, dass alle etwas beitragen müssen, auch die Reichen, um die Nation zu retten. Die Spitzensteuersätze jener Jahre waren legendär hoch und doch ging es nach dieser Krise niemandem schlecht. Aber seit den 1960ern geht es in Wellen bergab, moralisch und im Grunde auch ökonomisch. Das hohe Pro-Kopf-BIP in den USA darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie extrem ungleich der Reichtum verteilt ist. Schon die 1960er waren überschattet von politischen Morden, die lange nachhallten, die 1970er vom Ende des Vietnamkrieges, die 1980er zeigten eine Scheinblüte, die in Wirklichkeit mit riesigen Schuldenbergen und mit einer rapiden Deindustrialisierung verbunden waren. Die Internet-Ära hat neue, große US-Konzerne geschaffen, aber welche Wertschöpfung leisten sie wirklich? Und überall auf der Welt muss die Politik ihnen nachrennen, damit sie überhaupt etwas von ihren gigantischen Gewinnen abgeben. Die USA sind maßgeblich daran beteiligt, dass ein gewalttätiges und korruptes System diese Welt durchschüttelt, anstatt sie besser zu machen. Dieses Versprechen „Wohlstand für alle“ ist längst obsolet und doch werden die USA von Menschen beherrscht, die von der Brutalisierung und Spaltung der Gesellschaft profitieren und sie nach Kräften fördern. Wenn wir in unsere eigene Zukunft blicken wollen, müssen wir uns nur anschauen, wie sich diese Gesellschaft selbst zerstört.

All das ist Ausdruck einer jahrzehntelangen Haltung, die nicht auf Kooperation, sondern auf Überlegenheitsdenken, wirtschaftlicher und militärischer Beherrschung anderer gründet. Es kann nicht verwundern, dass es im Inneren ähnlich aussieht. Auch bei uns fordern mittlerweile einige Spinner ganz offen ein Waffenrecht à la USA und das Verbrechen wird mehr oder weniger laufen gelassen.

Schon im 19. Jahrhundert lag offen zutage, wie die USA wirklich gestrickt sind. Hätte nicht Präsident Lincoln einen höchst brutalen Krieg gegen die abtrünnigen Südstaaten geführt, hätten wir heute mindestens ein Land mehr in Nordamerika und das wäre das letzte Land der Welt, in dem die Sklaverei erlaubt wäre. Glauben Sie nicht? Die Südstaaten sind so tief rassistisch, dass auch die Bürgerrechte, die 1964 endlich allen Amerikaner:innen zuteil wurden, nicht viel an den realen Zuständen geändert haben. Schon vor 30 Jahren kam es zu Unruhen, die belegen, dass die 1990er nicht so golden waren, wie wir sie vielleicht aus der Perspektive von Einwohnern des gerade wiedervereinigten Deutschlands und der Perspektive der aufgelösten Blöcke in Erinnerung haben mögen.

Vor allem die faszinierenden Chancen einer weltweiten finanzkapitalistischen Wirtschaft führten damals zu einem Hochgefühl, das viele Warnsignale wie die zunehmende Brutalisierung der amerikanischen Zivilgesellschaft als Randerscheinungen verdrängen konnte. Begonnen hat das alles schon viel früher, denn diese Gesellschaft war von Anbeginn an auf einer massiven persönlichen Gewalt aufgebaut, gegen die Ureinwohner und der Weißen untereinander. Einer Gewalt, die in Hollywood gefeiert wird, seit es besteht und die dank dessen Einflusses auch bei uns ihre negativen Wirkungen zeigt. Einer Gewalt, die systemimmanent ist, sonst würde nicht eine auf die Verbreitung von Gewalt ausgerichtete Organisation wie die NRA die Politik beherrschen können.

Wäre es in Deutschland nicht zum Zusammenbruch der Zivilisation durch die Herrschaft der Nazis gekommen, hätte sich niemand hierzulande, der einigermaßen ethisch denkt, ausgerechnet die USA zum Vorbild genommen. Allerhöchstens ein einziges Mal, als sie jene höchsten Höhen erreicht hatten, von denen Biden spricht und die wir als rückwirkende Periode ansehen, die niemals wiederkehren wird.

Ein redlich dekolonisiertes Europa hätte auch heute viele Vorzüge gegenüber den USA, aber seine Zerstrittenheit ist neben dem immer rascheren Niedergang der Vereinigten Staaten ein weiterer Stein im Gebäude des Systems, der nicht mehr festsitzt. Nicht einmal der Ukrainekrieg kann diese Risse verbergen. Anderswo auf der Welt ist es nicht viel besser oder gar nicht besser, aber dies festzustellen, macht es auch nicht besser, sondern lässt die Wolken am Horizont, die auf diese Zivilisation zustreben, umso bedrohlicher wirken.

07.07.2022 Zur aktuellen Situation in Deutschland bezüglich Corona und der Affenpocken

Corona-Affenpocken-Report 142/22 | Der Kampf um die 700 | Kurzreport – DER WAHLBERLINER

Zu welchen politischen und wirtschaftlichen Themen haben wir zwischen den beiden Briefings 19 und 20 geschrieben?

06.07.2022: Beliebte Ausbildungsberufe – gestern und heute +++ Ausbildungmarkt leidet unter Pandemie | Newsroom | Wirtschaft | Ausbildungsberufe im Wandel der Zeit – DER WAHLBERLINER

 05.07.2022: Keine Entlastungen mehr vor 2023? (Umfrage) | Frontpage | Gesellschaft, Wirtschaft | Krise, Inflation, Entlastung – DER WAHLBERLINER

04.07.2022: Der Armuts-Skandal in Deutschland | Frontpage | Gesellschaft | Paritätischer Wohlfahrtsverband – DER WAHLBERLINER

03.07.2022: UPDATE +++ Wer bezahlt unsere Abgeordneten? +++ Mehr Geld für Bundestagsabgeordnete? (Umfrage) | Frontpage | PPP, Umfrage | Diätenerhöhung 2022 – DER WAHLBERLINER

01.07.2022: Wassermenge pro Haushalt deckeln? (Umfrage) | Frontpage | Umwelt, Klima | Wasserrationierung als Zwang? – DER WAHLBERLINER

01.07.2022: Alles in den Städten! | Frontpage | Wirtschaft, Gesellschaft | Urbanisierung schreitet voran +++ Top Business Cities 2022 – DER WAHLBERLINER

28.06.2022: Wo Schwangerschaftsabbrüche (nicht) erlaubt sind | Frontpage | Gesellschaft | Abtreibungsrecht weltweit – DER WAHLBERLINER

27.06.2022: G7 repräsentieren nur 10% der Welt +++ Kommentar | Frontpage | Geopolitik | G7-Gipfel Elmau – DER WAHLBERLINER

27.06.2022: Habeck: Guter Krisenmanager? | Umfrage | Geopolitik, Wirtschaft | Gaskrise – DER WAHLBERLINER

26.06.2022: Fernverkehr verpasst den Anschluss | Newsroom | Wirtschaft, Wandel | Bahnverkehr, Deutsche Bahn – DER WAHLBERLINER

25.06.2022: „Manche fragen: Dürfen wir Dich denn jetzt noch duzen?“ +++ Systemkrise? +++ Dmeokratie in Gefahr | Interview mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) | Politik, Personen, Parteien | Gesichter der Demokratie – DER WAHLBERLINER

24.06.2022: Wohin Menschen aus der Ukraine fliehen | Frontpage | Geopolitik | Ukraine-Krieg – DER WAHLBERLINER

 24.06.2022 Eine Woche ist seit unserem letzten Briefing vergangen. Die Ukraine ist erwartungsgemäß EU-Aspirantin geworden, nebenbei auch der kleine Staat Moldau, ein Nachbar der Ukraine. Bosnien-Herzegowina könnte diesen Status demnächst ebenfalls erlangen.

Derweil wird in der Ukraine weiter gekämpft, die Regierung hat nun eine Räumung der letzten Verteidigungspositionen in der strategisch wichtigen Stadt

„Die umkämpfte Stadt fällt damit an Russland. Die Vereinigten Staaten schnüren ein neues Waffenpaket. In Deutschland dreht sich alles ums Gas – und um die drohende Hungerkrise in Teilen der Welt.“ [11] Die Frage nach weiteren Sanktionen gegen Russland bleibt aktuell, wie diese Umfrage belegt, an der Sie seit heute teilnehmen können:

Civey-Umfrage: Sollte sich Deutschland Ihrer Meinung nach für weitere EU-Sanktionen gegen Russland einsetzen? – Civey

Wir haben mit „eindeutig nein“ gestimmt, eine absolute Mehrheit ist aber dafür (ca. 53 Prozent, aktuell). Wir sind vor allem dagegen, weil nicht klar ist, um was es sich handeln soll. Russland leitet von sich aus bereits weniger Gas nach Deutschland, wir wüssten nicht, was da noch groß sanktioniert werden soll, am Ölembargo hingegen nimmt Deutschland freiwillig in vollem Umfang teil, obwohl das im ohnehin strukturschwachen Osten des Landes für einige Unruhe sorgt. Die Merhheit soll uns also bitte erklären, was jetzt weiter sanktioniert werden soll, dann reden wir anhand konkreter Maßnahmen weiter. Die gehen nämlich aus dem Erklärungstext von Civey nicht hervor:

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat von mehreren Europäischen Staaten gefordert, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen. „Russland muss den wachsenden Druck infolge des Kriegs und seiner aggressiven antieuropäischen Politik spüren“, sagte der ukrainische Staatschef in einer Videobotschaft in der Nacht zum Mittwoch.

Die EU hat bereits sechs Sanktionspakete gegen Russland wegen der Invasion der Ukraine beschlossen. Dazu zählen etwa der Ausschluss russischer Banken vom SWIFT-System, Importverbote für russische Kohle oder Exportverbote für Chemikalien. Zudem wurde das Vermögen einflussreicher Personen eingefroren. Die EU prüft laut Ursula von der Leyen derzeit Möglichkeiten, dieses Geld später zum Wiederaufbau der Ukraine zu nutzen.

Einige EU-Länder betrachten Sanktionen kritisch wegen ihrer Abhängigkeit von russischer Rohstofflieferungen. Linken-Politiker Gregor Gysi warnt in der FR zudem vor weiteren finanziellen Sanktionen gegen Russland, die das Land in ein Bündnis mit China zwingen könnten. Ihm nach könnte so ein vom Westen unbeherrschbarer „Machtfaktor” entstehen. Zudem werde die weltweite Lebensmittelkrise verstärkt, u.a. da Russland und die Ukraine zu den wichtigsten Weizen-Exporteuren zählen.

Immerhin haben einige in der Linken nach vielen Jahren die Gefahr erkannt, die von China ausgeht, das kann man aus dieser Erklärung mitnehmen. Dass dieser Machtfaktor vom Westen „beherrscht“ werden könnte, wirkt hingegen, als ob man sich in der Linken in Teilen die Sicht des Westens zu eigen machen würde, wir sind sehr erstaunt. Kein Machtfaktor sollte den anderen „beherrschen“ müssen, damit auf der Welt einigermaßen Sicherheit und Frieden herrschen. Gerade der Beherrschungsgedanke ist die Ursache für unendlich viel Unruhe.

Auf der einen Seite haben wir also immer noch den Impetus der Gesinnungsethik, die nicht auf Folgen ausgerichtet ist, auf der anderen Erkenntnisse, die leider nicht weiterführen. Russland muss sich ohnehin an China halten, wenn es weiterhin eine so aggressive Politik durchführen will wie im Moment, unabhängig davon, ob es noch mehr sanktioniert wird oder nicht. Der Weg zu einer Partnerschaft mit dem Westen ist vorerst versperrt. Auch hier steht, die Zukunft betreffend, gesinnungsethisches wieder im Kontrast zu strategisch verantwortlichem Denken, leider.

Wir sehen das aber getrennt von Sanktionen, die den EU-Ländern und der Welt mehr schaden als Russland, das längst auf Kriegswirtschaft eingestellt ist und dessen Staatschef sich damit brüstet, wie leidensfähig die Menschen in seinem Land sind. Ja, das trifft wohl zu und lässt tief blicken, besonders darauf, wie wenig dort von der Politik erwartet wird. (National-) Stolz ist wichtiger als Wohlstand, als persönliches Wohlergehen und als gute Beziehungen zu anderen Staaten. Damit haben Diktaturen immer schon versucht, ihre Bevölkerung zu manipulieren.

Wir lesen hingegen, wenn wir den Computer hochfahren und kurz die MSN-Übersicht checken das Folgende:

Usw. usw. Aber die Mehrheit will diese Entwicklungen mit weiteren Sanktionen anheizen. Davon wird ihr im Winter aber nicht warm werden, das ist eine typisch deutsche Milchmädchenrechnung. Wir hoffen, dass im Verlauf des Nachmittags und der nächsten Tage es noch zu ein paar Prozent Verschiebung zugunsten der Vernunft kommt.

Wir haben uns von Beginn an eher für Waffenhilfe für die Ukraine als für Sanktionen unter den Bedingungen ausgesprochen, welche die deutsche Politik in den letzten Jahrzehnten nun einmal geschaffen hat. Zu diesen Bedingungen deutschen Wirtschaftens und Lebens zählt auch eine erhebliche Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. Man muss sich nun nicht darüber totärgern, dass man zu naiv war und trotzdem viel Geld für Energie zahlen musste, im Vergleich zu den Bürger:innen anderer EU-Länder, aber man muss diese nicht von heute auf morgen komplett veränderbaren Bedingungen seitens der aktuell politisch Verantwortlichen berücksichtigen. Es ist ohnehin interessant, zu beobachten, wie robust die Industrie hierzulande im Vergleich zu den Privathaushalten durch die Krisen kommt. Aber es gibt eben meist auch Gewinner, wenn die Mehrheit negativ betroffen ist.

Womit wir uns in den nächsten Tagen beschäftigen werden: Wer kommt da eigentlich in die EU und was bedeutet es für die Gemeinschaft, ein Land wie die Ukraine aufzunehmen, mit 40 Millionen Einwohnern, fast so viele wie Spanien oder Polen aufweisen, aber einer Wirtschaftskraft, die schon vor dem Krieg nicht größer war als die der Stadt Berlin, sowie einer grassierenden Korruption, die bisher die wirtschaftliche Entwicklung immer wieder gebremst hat?

Womit wir uns sonst in den letzten Tagen u. a. beschäftigt haben:

23.06.2022 Armutsrisiko alleinerziehend | Frontpage | Gesellschaft, Wirtschaft | Statista-Grafik, Kurzkommentar – DER WAHLBERLINER

22.06.2022 Wie vermeidbar sind Waldbrände / Rekordjahr 2021 | Wirtschaft, Wandel | Ökologie, Umwelt #ClimateChange – DER WAHLBERLINER

20.06.2022 Ukraine: EU-Beitritt? (Umfrage) | Frontpage | Geopolitik | Umfrage, Ergebnis – DER WAHLBERLINER

18.06.2022 Sommerwelle: Maske tragen? (Umfrage) | Frontpage | Corona | Sommerwelle – DER WAHLBERLINER

17.06.2022 Briefing-Timeline 18 (hier zu Nr. 17 von gestern)

Gescheiterte Blitzkriege, Imperialism from and by all Sides und über uns der Himmel, der Wind vom Norden und die Nordstrom-Leitungen

Die westlichen Sanktionen gegen Russland haben nach Darstellung von Kremlchef Wladimir Putin ihre Wirkung verfehlt. „Der wirtschaftliche Blitzkrieg hatte von Anfang an keine Chancen auf Erfolg“, sagte Putin am Freitag beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. „Wir sind starke Leute, und wir kommen mit jeder Herausforderung klar.“ Die Sanktionen, die westliche Staaten als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine verhängt haben, bezeichnete Putin als „wahnsinnig“ und „gedankenlos“. Die Strafmaßnahmen träfen die EU ebenfalls hart. Er bezifferte den Schaden für Europa mit 400 Milliarden Dollar. Putin kritisierte in seiner Rede vor Wirtschaftsvertretern den Westen auch darüber hinaus. Die USA führten sich wie der „Bote Gottes auf Erden“ auf, meinte er. Der Westen wolle andere Teile der Welt kolonialisieren.

Was sind schon 400 Milliarden für die Freiheit, oder? Zumal die BRD alleine ein BIP von mehr als 4 Billionen Euro jährlich hat, die gesamte EU mehr als 15 Billionen. Trotzdem hat Putin in diesem Fall recht: Man hatte überhaupt nicht im Blick, a.) dass der Krieg länger dauern könnte und b.), die vielen Abhängigkeiten einer weltweit verflochtenen Wirtschaft, die wir zuletzt hier (Gasexporte) dargestellt haben. Allerdings ist Russlands Blitzkrieg gegen die Ukraine ebenso gescheitert. Erinnern Sie sich noch an den höchst aufwendigen Marsch auf Kiew, der abgeblasen werden musste? Damals hätte man schon merken können, dass Putins Ziel nicht die Aktion „Heim ins Reich“ bezüglich der Ostukraine mit ihrer überwiegend russischsprachigen Bevölkerung war, sondern das Ganze im Handstreich zu regeln.

Auch die Adressierung der USA in ihrer Rolle der Auserwählten, die sich besonders eng mit anderen Auserwählten verbünden und damit anderen Staaten keine Partnerschaft zugunsten der gesamten Menschheit zubilligen, ist nicht falsch, das muss man aus antiimperialistischer Sicht klarstellen, aber mit Putin sagt das der Politiker, der aktuell am meisten imperialistisch handelt. Russland wird nichts   übrigbleiben, als sich China als kleiner Partner anzudienen, wenn es gegen diesen imperialistischen Westen bestehen will, daran ändert die Lage in der Ukraine nichts, selbst wenn Russland das Land komplett unterwerfen sollte.

Im Gegenteil, strategisch nimmt Putin seinem Land gerade viele Optionen, zumal er es bisher eben nicht geschafft hat, es über die Rolle als Rohstofflieferant hinaus zu entwickeln. Darüber sollte er sich nach 20 Jahren an der Macht mehr Gedanken machen als über die Schäden der EU. Die EU hat nämlich eine EZB, die einfach Geld druckt, wenn die Schulden zu hoch werden. Putin und seine Strategen setzen übrigens erkennbar darauf, dass das jetzt nicht mehr so funktionieren wird wie seit nunmehr gut 12 Jahren. Mario Draghi, der gestern mit Scholz und Macron in Kiew war, war übrigens einer der Architekten dieser unseriösen Politik, als er noch EZB-Chef war.

Wir schreiben seit Jahren, dass diese Art von Voodoo-Wirtschaft irgendwann an ihre Grenzen stoßen wird. Dass das gerade jetzt passieren könnte, ist misslich, aber sind die meisten von uns nicht sowieso ziemlich arm und können bei einem kompletten währungspolitischen Neuanfang nicht viel verlieren? Die Industriesubstanz ist ja nach wie vor da, besonders in Deutschland. „Wir fangen alle von vorne an“, am besten zu Dumpinglöhnen, damit hatte die BRD in ihren ersten Jahren schon viel Erfolg, die meisten werden das gar nicht mehr wissen.

Kennen Sie die kursiv zitierte Zeile? Klingt banal, stammt in diesem Fall aber aus einem Lied. Es ist aus dem Jahr 1947 und Hans Albers singt es in dem Streifen „Und über uns der Himmel“.

Es weht der Wind von Norden
Er weht uns hin und her
Was ist aus uns geworden?
Ein Häufchen Sand am Meer
Der Sturm jagt das Sandkorn weiter
Dem unser Leben gleicht
Er fegt uns von der Leiter
Wir sind wie Staub so leicht
Was soll nun werden?
Es muss doch weitergehn
Noch bleibt ja Hoffnung für uns genug bestehn
Wir fangen alle von vorne an
Weil dieses Dasein auch schön sein kann
Der Wind weht von allen Seiten
So lass den Wind doch wehn
Denn über uns der Himmel
Lässt uns nicht untergehn
Lässt uns nicht untergehn.

Schön, oder? Und so passend für die damalige Zeit. Bis auf das Wörtchen „alle“. Es gilt natürlich in dieser Radikalität, dieser existenziellen Totalität nicht für alle. Es gilt insbesondere nicht für rüde Kapitalisten, die aus jeder Krise ihren Honig saugen und nicht für Sesselhengste, Experten und Politiker, die unsäglichen Mist anrichten, aber vom Staat und damit von jenen, die den Laden am Laufen halten, durch alle Krisen und Zeiten geschleppt werden. So wie damals, als viele Nazis und Bürokraten des Todes einfach weitermachen konnten. Diejenigen, welche die jetzigen Krisen verursachen, werden auch nicht diejenigen sein, welche die Folgen für sie übernehmen müssen.

Es werden die einfachen Bürger:innen sein und dieses Mal, ohne dass viele von ihnen Nazis gewählt hätten und insofern auch selbst schuld wären. Denn aktuell ist es so, dass man, egal, wen man wählt, zu hohe Ansprüche, Selbstüberschätzung im Vergleich zur vorhandenen Kompetenz bekommt, und das kann ebenfalls massive Probleme verursachen. Probleme, die auf diejenigen obenauf kommen, welche die Generation Merkel & Co. hinterlassen hat, anstatt auch nur ein einziges davon ordentlich zu lösen. Der Westen, besonders die EU, ist nicht krisenfest und auch das hätte man realistisch abwägen müssen, bevor man sich auf den Wirtschaftskrieg mit Russland einließ, anstatt der Ukraine massiver militärisch zu helfen. Die Assoziationen bleiben natürlich nie stehen, sie halten nie an, weil das Leben ja immer weitergeht: Hätte sich das, was sich jetzt abzeichnet, bei dieser Vorgehensweise nicht ebenfalls ergeben? Nämlich, dass Russland seine Stellung als Rohstofflieferant ausnutzt, auch ohne Sanktionen?

Womit wir wieder bei der versemmelten Energiewende wären. Noch in den 2010ern wurde in fast jedem privaten Neubau eine simple Gasheizung installiert, sogar die Typen waren alle gleich, bis auf die dem Haus angepasste Größe der Anlage, und stammten von einer bestimmten Firma. Wärmepumpen, die Kombination mit Solarvoltaik und andere fortgeschrittenere Technikansätze waren hingegen die Ausnahme.

17.06.2022 Russland, Ukraine, EU. Die Gasversorgung als politisches Objekt. Da hat Bundeskanzler Scholz sich gründlich geirrt. Als er sagte, Nord Stream 2 sei ein wirtschaftliches, kein politisches Projekt. Und unsere Vorhersagen werden immer besser. Gestern schrieben wir, dass Russland die niedrigeren Durchflussmengen durch Nord Stream 1 auch benutzen könnte, um Nord Stream 2 „freizupressen“, also seine Inbetriebnahme zu erzwingen. Und so sieht es heute aus:

Gazprom nimmt für sich in Anspruch, bei Gaslieferungen an andere Staaten nach seinen eigenen Regeln zu spielen. „Unser Produkt, unsere Regeln“, sagte Unternehmenschef Alexej Miller am Donnerstag am Rande des Wirtschaftsforums in St. Petersburg. „Wir spielen nicht nach Regeln, die wir nicht gemacht haben.“ Gazprom nimmt für sich in Anspruch, bei Gaslieferungen an andere Staaten nach seinen eigenen Regeln zu spielen. „Unser Produkt, unsere Regeln“, sagte Unternehmenschef Alexej Miller in St. Petersburg.  Gazprom nimmt für sich in Anspruch, bei Gaslieferungen an andere Staaten nach seinen eigenen Regeln zu spielen. „Unser Produkt, unsere Regeln“, sagte Unternehmenschef Alexej Miller in St. Petersburg. Miller wies damit Kritik an den Kürzungen von Gaslieferungen durch Gazprom an Deutschland und mehrere weitere EU-Staaten zurück. Diese werden von dem russischen Konzern mit Problemen bei Wartungsarbeiten an einer Verdichterstation für die Pipeline Nord Stream 1 durch Siemens begründet, die auf westliche Sanktionen zurückzuführen seien. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält dies für vorgeschoben. Miller bekräftigte die Zuverlässigkeit seines Unternehmens bei Energielieferungen. Er fügte aber hinzu, dies gelte „für die Freunde Russlands“.

Zu den von Gazprom angeführten Problemen bei der Verdichterstation sagte der Unternehmenschef, dafür gebe es derzeit keine Lösung. Das deutsche Unternehmen Siemens, das für die Wartung zuständig ist, schweige bisher, versuche aber wohl, eine Lösung zu finden. Allerdings seien sofort mehr Lieferungen möglich, wenn die wegen des Ukraine-Konflikts auf Eis gelegte Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb genommen werde, fügte Miller noch hinzu.[12]

Freunde und Vertragspartner sind eben zwei verschiedene Kategorien von Staaten. Als wir uns, wie viele andere, dahingehend geäußert hatten, dass Russland als Gaslieferant gar kein Interesse daran habe, andere politisch zu erpressen, war der Ukrainekrieg noch nicht im Gange, ergo nicht die mit ihm verbundenen Sanktionen und nicht die vom Westen gelieferten Waffen in der Ukraine, die gegen Russland eingesetzt werden. Selbstverständlich verändert das die Parameter, wenn man glaubt, sich das Zudrehen des Gashahns leisten zu können. Wir schrieben aber schon wenige Wochen nach Kriegsausbruch, weil das Thema Gas seitdem ein besonderes Reizthema darstellt: Das wäre natürlich eine krasse Wendung, wenn nun Russland seinerseits das Gas abdreht, während in der EU noch angestrengt über einen Gasimportstopp nachgedacht wird bzw. wir waren der Meinung, man solle tatsächlich lieber abwarten, ob Russland sich damit weiterhin isoliert.

Jeder Staat, der von Russland beliefert wird, muss damit rechnen, bei Unbotmäßigkeit kein „Produkt“ mehr zu erhalten. Mit einer wichtigen Ausnahme: China. Denn wo China dabei ist, wird nach chinesischen Regeln gespielt, diese Art von Freundschaft Russland gegenüber wird Putin noch richtig zu spüren bekommen, wenn er sich im Westen komplett aus dem Geschäft bringt.

Seit heute wird übrigens auch kein russisches Gas mehr nach Frankreich geliefert, was uns auf den nächsten Punkt bringt: Den Besuch der Staatschefs Draghi, Macron und Scholz in der Ukraine. Selbstverständlich ist das aktuelle russische Verhalten auch eine Antwort darauf, dass die drei sich für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine einsetzen und in einem ersten Schritt den Kandidatenstatus erreichen wollen. Auch die EU-Kommission will das so zügig wie möglch auf den Weg bringen. Vor allem Dimitri Medwedew, der wohl die Goebbels-Rolle in Russland ausfülle möchte, fällt durch seine geradezu lyrischen Tweets auf: (2) Medvedev frogs – Twitter Suche / Twitter

Wenn man es aus seiner Sicht sieht, könnte er aber auch darauf verweisen, dass das Versprechen des EU-Kandidatenstatus die drei Staatschefs nicht viel gekostet haben dürfte, denn die Ukraine wird es, wie wir gestern erwähnt haben, nach seiner Ansicht sowieso bald nicht mehr geben. Wir hoffen mal, dass diese Überlegung nicht wirklich der Hintergrund eines Angebots war, das keineswegs einen Expresszug für die Ukraine zur EU-Mitgliedschaft bedeutet. Eine positive Auswirkung auf die Wiederaufbauhilfe seitens der EU im Falle der Erhaltung der Ukraine als selbstständiger Staat dürfte allerdings gegeben sein.

TH

16.06.2022 Die Ukraine hat schon wieder verloren! Gestern ein Déjavu bei Maischberger. Wieder hat ein Experte geäußert, dass die Ukraine den Krieg verloren hat. Dieses Mal war es der Journalist und Publizist Wolfram Weimer. Nach seiner politischen Ausrichtung müsste er eher die harte Linie der FDP, der Grünen und von weiten Teilen der CDU gegenüber Russland verteidigen, andererseits ist es interessant, dass jedes Thema unterschiedliche Allianzen und Dissonanzen hervorbringt. In dem Fall liegt Weimer mit den Putinisten unter den Linken ziemlich auf einem Kurs.

„Wir müssen uns eine unangenehme Wahrheit eingestehen und die heißt, dass Russland diesen Krieg gewonnen hat“, sagte Journalist Weimer. Maischberger reagierte überrascht: „Jetzt?“, hakte sie nach. Weimar bejahte: „Faktisch hat Russland den Donbass praktisch jetzt erobert“, sagte er. Die Flächengewinne seien riesig, die Landverbindung zur Krim sei da.

Wir hatten bereits vor einiger Zeit bei der Betrachtung der aktuellen Ukraine-Karte inklusive der von Russland eroberte Gebiete gedacht: Es wäre strategisch ein logisches Ziel, auch Odessa zu erobern und die Ukraine komplett vom Schwarzen Meer abzuschneiden, zumal Odessa eine sehr symbolträchtige Stadt ist. Ohne Zugang zum Meer mit eigenen Häfen ist die Ukraine nur noch die Hälfte wert.

Daher ist uns eines nicht klar: Wie soll der Ruf nach Verhandlungen über einen Frieden, in dem Russland den Donbass behalten darf und die Ukraine ansonsten selbständig bleibt, aussehen, wenn Russland sowieso gewinnen wird? Wir haben doch jüngst a.) wieder von Dimitri Medwedew, der jetzt den Scharfmacher gibt, gehört, dass er der Ukraine das Recht auf Eigenstaatlichkeit abspricht; b.) warum sollte Putin nach den massiven Verlusten, welche die russischen Angreifer zu verzeichnen hatten, stoppen, wenn er sich mit einigermaßen kalkulierbarem Risiko die ganze Ukraine unter den Nagel reißen kann?

In der Ostukraine liefern sich ukrainische und russische Truppen weiter schwere Kämpfe in den Gebieten Luhansk und Donezk. In Richtung der Stadt Bachmut gebe es russische Angriffe „zur Verbesserung der taktischen Lage“, teilte der ukrainische Generalstab am Donnerstag bei Facebook mit. Unter Artilleriebeschuss stünden die Orte Wessele, Soledar, Berestowe und Wowtschojariwka. Schwere Kämpfe gebe es auch bei der Separatistenhochburg Donezk. Auch in Richtung von Slowjansk gebe es Angriffsbemühungen der Russen. Im benachbarten Luhansker Gebiet sei weiter die Stadt Sjewjerodonezk besonders hart umkämpft. Ein Teil der Industriestadt stehe dabei weiter unter ukrainischer Kontrolle. Artilleriebeschuss gebe es auch an Frontabschnitten in den Gebieten Charkiw, Saporischschja, Cherson und Mykolajiw.[13]

Die Verluste ließen sich doch viel besser rechtfertigen, wenn die gesamte Ukraine an Russland fällt und der Nationalismus, den Putin & Co. schüren, würde dem Machthaber im Kreml bei einem vollständigen Sieg helfen, diese Macht zu behalten und an einen ihm genehmen Nachfolger zu übergeben. Zum Beispiel an Dimitri Medwedew, seinen politischen Ziehsohn, mit dem er schon einmal eine Postenrochade durchgeführt hat.

Falls es so kommt, muss unbedingt sichergestellt werden, dass dies der letzte Fall jener Art von Eroberungspolitik ist, der in Europa funktioniert. Alle Länder, bei denen es logistisch und ideologisch halbwegs passt und die es wollen, sollten der NATO beitreten dürfen. Außerdem ist es sehr wohl möglich, auf russische Rohstoffe zu verzichten. Es gibt dort nichts, was andere Länder nicht auch hätten oder was in einer ökologisch sinnvoll transfomierten Wirtschaft noch gebraucht würde. Da Russland, anders als China, auch nicht über für den Westen mittlerweile unerlässliche Schlüsseltechnologien oder Produktionskapazitäten verfügt, wird man eben Russland aus europäischer Sicht preisgeben müssen.

Wir hatten lange Zeit für eine andere Politik plädiert, aber eine solche haben sich im Laufe der letzten Jahre alle gegenseitig verunmöglicht. Kaum vorstellbar und nicht hinnehmbar, dass es in nächster Zeit zu einem Status quo ante zwischen Russland und dem Westen kommen wird.

Langfristig ist sowieso nichts sicher, das lehrt uns die Geschichte immer wieder und für uns ist es sehr schade, dass Russland offenbar nach der Ansicht seiner Machthaber nicht zu Europa gehören möchte. Zumindest nicht zu einem demokratischen Europa einigermaßen Gleichberechtigter, in dem es sogar üblich ist, dass kleinere Staaten politisch mehr Einfluss haben, als es ihrer Bevölkerung oder ihrer Wirtschaftskraft entspricht. Im imperialen Russland, das in einer erweiterten europäischen Gemeinschaft ohnehin z. B. mehr Abgeordnete im Parlament stellen würde als jedes andere Land, scheint diese Position aber nicht auszureichen. Wie wir gestern schreiben: Ginge es nach Wirtschaftskraft, und es gibt gute Argumente dafür, diese ebenfalls als Maßstab heranzuziehen,  müsste Russland sich aktuell auf Rang vier hinter Deutschland, Frankreich und auch hinter Italien einreihen. Die imperiale Überdehnung und der daraus resultierende Sonderanspruch eines wirtschaftlich zweitrangigen Landes kann also nicht der Maßstab für das Gepräge eines friedlichen Europas sein.

Über den Sinn von Sanktionen. Die nach dem Überfall auf die Krim im Jahr 2014 beschlossenen Sanktionen gegen Russland wirken übrigens durchaus, das Wirtschaftswachstum hat sich in den letzten Jahren deutlicher abgeschwächt als das der Weltwirtschaft insgesamt. Würde man das anders sehen, müsste man sagen: Es der klassistische, innovationsfeindliche Oligarchismus, der ziemlich schnell an seine Grenzen gestoßen ist, auch, weil zu viel Geld aus dem Land abgezogen wird und / oder der Mehrheitsbevölkerung nicht zugutekommt. Oder auch: Die Abhängigkeit Russlands von Rohstoffexporten ist so eklatant, dass niedrige Marktpreise fast 1:1 auf dessen Wirtschaftsleistung durchschlagen. Sie können sich das Argument aussuchen, die Wahrheit wird aus einer Kombination der genannten mit ein paar weiteren Aspekten bestehen.

Es reicht aber, wie bei so vielen sanktionierten Ländern nicht, um eine Veränderung herbeizuführen, eher verkrusten die Verhältnisse unter solchen Bedingungen (wie im Iran, wie in Kuba, Venezuela etc.), weil es für die Machthaber sehr einfach ist, alle wirtschaftlichen Probleme auf das sanktionierende Ausland zu schieben, auch die hausgemachten, den Nationalismus anzufachen und die Opposition kleinzuhalten. Außerdem gibt es immer wieder Länder, die helfen, Sanktionen zu durchbrechen, das ist eine weitere wichtige Schwäche dieses Instruments der „Zähmung“.

Die Idee, dass so etwas funktionieren kann, folgt vermutlich immer noch den Lehren des Ersten Weltkriegs, als die Seeblockade gegen Deutschland ziemlich erfolgreich war, das Land in eine Hungersnot gestürzt und die Kampfmoral wichtiger Teile der Streitkräfte beschädigt hat. Sicher war Letzteres besser so, weil es noch mehr Opfer verhindert hat, aber diese Lage ist nicht mit derjenigen  Russlands im Jahr 2022 vergleichbar, das keineswegs von der Welt abgeschnitten ist.

Direkte physische Sanktionierung, keine lebenswichtigen Waren mehr in ein Land zu lassen, das von Kriegsgegnern umgeben ist und dessen Seewege man relativ einfach kontrollieren kann, weil sie durch ein paar Nadelöhre führen, entspricht nicht den heutigen Bedingungen. Damals war z. B. noch keine Versorgung aus der Luft möglich, wie schon 30 Jahre später bei der Berlin-Blockade für ein begrenztes Stadtgebiet. Handelsbarrieren heutiger Art lassen sich immer umgehen oder aufweichen, zumal Russland seinerseits die von ihm mitverursachte Getreideknappheit als Erpressungsmittel nutzt.

Die Lage bleibt schwierig, der Krieg könnte länger dauern. Besonders dann, wenn im Westen die Mehrheit nicht so denkt wie Wolfgang Weimer und ein anderer Experte bereits gestern (siehe Briefing 15) und die Ukraine mit mehr schweren Waffen unterstützten möchte. Civey hat die passende Umfrage gestartet und wir geben diese an Sie weiter:

Civey-Umfrage: Sollte Deutschland die Ukraine Ihrer Meinung nach stärker militärisch unterstützen? – Civey

Es ist uns nicht leichtgefallen, aber wir haben mit „eindeutig ja“ gestimmt. „Russland kann“ oder „Russland darf“ diesen Krieg nicht gewinnen? Ob das geschieht, liegt außerhalb unserer Prognosemöglichkeiten und dass der Preis hoch sein wird, falls immer mehr Waffen ins Kriegsgebiet finden, egal, wie das Ergebnis sein wird, ist leider klar. Aber die Logik, dass die Ukraine sich von russischen Truppen überrennen lassen muss, um das zu vermeiden, ist für die künftige Geopolitik von sehr großer Bedeutung. Nicht, weil dort unsere Freiheit verteidigt wird, das sollten wir uns nicht einreden lassen, aber wegen des sehr negativen Signals, das davon ausgehen würde, wenn Russland mit seiner Politik den totalen Sieg erzielen würde und aus Solidarität mit jenen in der Ukraine, die um ihre Unabhängigkeit kämpfen wollen, sollten wir sie unterstützen.

Das Szenario eines russischen Sieges würde hingegen durchaus an den Einstieg in den Zweiten Weltkrieg erinnern, nur, dass es damals noch keine Atomwaffen gab. Man muss sich, um die Situation besser zu verstehen, folgendes vergegenwärtigen: England und Frankreich hatten Deutschland 1939 sogar offen den Krieg erklärt, als Polen überfallen wurde. Aber was wäre passiert, wenn Deutschland im Westen einfach nichts getan hätte als eine Verteidigungsstellung einzurichten und sich ansonsten Polen in aller Ruhe mit Russland geteilt hätte? Die Westmächte hätten mit ihren Schutzgarantieren für Polen ziemlich blamiert dagestanden, denn einen Angriff auf Deutschland, um Polen zu befreien, hätten sie nicht gewagt. Falls doch, wäre er von einer vollständigen intakten Wehrmacht mit großer Sicherheit zurückgeschlagen worden. Die Propaganda hätte dann sogar von einem Verteidigungskrieg sprechen können und angesichts der Popularität Hitlers zu jenem Zeitpunkt hätte die Bevölkerung mindestens so sehr hinter ihm gestanden wie jetzt die russische hinter Putin, falls er in der Ukraine siegt.

Erst die Bewegung deutscher Truppen in westliche Richtung ab 1940 hat den Erfolg des Revisionismus gestoppt und den Niedergang des Naziregimes eingeleitet, der später durch den Zweifrontenkrieg beschleunigt wurde. Man hätte Deutschland auch sanktionieren können, wegen des Überfalls auf Polen, wegen des immer offener zutage tretenden aktiven Antisemitismus, aber das Regime hatte sowieso auf mehr Autarkie und einige befreundete Staaten gesetzt, weil es aufgrund seiner Aufrüstung zunehmend Devisenprobleme hatte. Wirtschaftlich wäre es irgendwann implodiert, wenn es keinen Wechsel der aggressiven Politik, einhergehend mit zu viel Rüstung, hin zu mehr Entspannung gegeben hätte, aber Polen wäre verschwunden gewesen und die Landkarte von Anfang 1940 hätte Bestand gehabt. Das hätte die Weltgemeinschaft irgendwann akzeptiert, zumal, weil auch die Sowjetunion an Polens Verschwinden beteiligt war und die Atombombe einige Jahre später das Führen von Landeroberungskriegen erschwerte. Auch Deutschland hätte spätestens ab ca. 1950 zu den Atomstaaten gehört oder man hätte generell mit der Entwicklung langsamer gemacht, weil die USA gar nicht erst in einen Krieg eingetreten wären, der Ende 1941 wohl schon sein Ende gefunden hätte. Die Japaner mussten der US-Regierung erst den Gefallen tun, Pearl Harbour anzugreifen, damit die Bevölkerung bereit war, sich auch in Europa offen zu engagieren.

Das damalige Schicksal Polens weist durchaus Parallelen zu dem der Ukraine auf, das jetzt möglicherweise zu beklagen sein wird, auch daher ist zu verstehen, warum die beiden Länder jetzt so eng miteinander sind, aber Putin wird nicht den Fehler machen, den Westen offen anzugreifen und der Westen wird nicht Russland wegen der Ukraine den Krieg erklären, sondern sich so verhalten, wie es die USA im Fall Großbritanniens im später als Zweiter Weltkrieg bezeichneten Konflikt gemacht hat: sie materiell großzügig unterstützen. Die USA war damit noch kein Kriegsgegner Deutschlands, so wenig, wie aktuell der Westen durch seine Unterstützung der Ukraine Kriegsgegner Russlands ist. Ob die Unterstützung ausreichen kann, um die Ukraine als selbstständigen Staat zu bewahren, wird sich zeigen.

Wenn man ein wenig den Werdegang der russischen Politik unter Wladimir Putin verfolgen will, hier gibt es eine übersichtliche Darstellung des  ZDF.[14] Warum der am Ende angesprochene Paradigmenwechsel, dass Putin plötzlich viele eigene Verluste an Menschen und Material in Kauf nimmt? Es ergibt sich aus dem Text selbst, falls die Ansicht, er habe eine Ukraine-Obsession entwickelt, richtig ist.

Weil wir uns inklusive historischer Vergleiche relativ ausgiebig mit dem Ukrainekrieg beschäftigt haben, enthält das Briefing von heute nur dieses Thema.

TH

15.06.2022 Corona und Affenpocken: Weiterer Inzidenzanstieg, unsere neue Grafik zu den Affenpocken. Hier zum heutigen Report:

Corona-Affenpocken-Report 124/22 | Weiterer Inzidenzanstieg, Affenpockenfälle auf 263 gestiegen | Kurzreport – DER WAHLBERLINER

Die Ukraine ist sowieso verloren! Bei der Wiedergabe von Meinungen anderer sind wir ja recht pluralistisch, deswegen hier etwas von „Maischberger“ am gestrigen Abend:

Maischberger ging sichtlich schockiert dazwischen: „Bei allem Respekt, aber es hören uns auch Ukrainerinnen und Ukrainer zu, das ist ein bisschen schwierig gerade“, sagte sie. Varwick hatte direkt eine Antwort parat: „Das ist nicht schwierig, das ist die bittere Wahrheit“. Hier hätte Maischberger ruhig noch einmal nachsetzen können[15].

Was war passiert? Politikwissenschaftler Johannes Varwick und Ex-Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) verhakten sich im Grundsätzlichen: Kämpft die Ukraine auch für unsere Freiheit und hat sie eine Chance? Ja, hat sie, wenn man genug Waffen liefert, sagt die Ex-Justizministerin, nein, hat sie auf keinen Fall, so der Politikwissenschaftler. Und da „musste“ Maischbeger nach Ansicht des Protokollanten dazwischen gehen. Musste sie nach unserer Ansicht nicht, es sind eben konträre Ansichten, und wenn eine Ansicht nicht ins Konzept passt, darf man nur noch Menschen einladen, die die Gegenansicht vertreten. Maischberger ist sicher eine der besten Talkerinnen im Land, aber eben auch eine Transatlantikerin, das darf man nicht vergessen.

Will jemand aber ernsthaft behaupten, dass er jetzt vorhersagen kann, wie der Konflikt ausgeht? Bisher hatte Putin keinen Blitzsieg zu verzeichnen und wir halten weiterhin das Übergreifen des Konflikts auf NATO-Länder für unwahrscheinlich, es sei denn, Putin wolle wirklich testen, ob die NATO dann ihre Beistandszusagen einhält. Das muss sie tun, sonst ist sie als Verteidigungsbündnis wertlos, und das ist wohl auch allen klar. Oder etwa nicht? Die baltischen Staaten machen sich vor allem Sorgen, weil man sie so schnell überrennen könnte, wofür die Ukraine offensichtlich zu groß ist. Ob diese Angst berechtigt ist, hängt aber von Faktoren ab, die wir im Moment hier im Westen nicht sehr gut einschätzen können.

Vielleicht ein paar Worte zu Johannes Varwick aus der Wikipedia:

Zu Beginn einer erhitzten Phase des Russland-Ukraine-Konflikts Ende 2021 war Varwick der Initiator eines Appells zur Deeskalation von Dutzenden Militärs, Sicherheits- und Friedensforschern sowie Diplomaten. Die mehrheitlich als Transatlantiker eingeschätzten Unterzeichner sahen eine sicherheitspolitische Lage, in der ein Krieg in den Bereich des Möglichen rücke.Deswegen formulierte der Appell einige realpolitische Schritte, um kurzfristig möglichen Schaden für Europa und die Weltgemeinschaft zu begrenzen und schrittweise die Gefährdung durch einen gewaltsamen Konflikt zu reduzieren. Varwick plädierte auch für einen Neutralitätsstatus der Ukraine, was von anderer Seite kritisch als de facto Finnlandisierung der Ukraine bezeichnet wird. Varwick warb für ein längeres und nachhaltiges Gesprächsformat zwischen den Staaten, das er mit dem Prozess der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) verglich.

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ab Februar 2022 plädierte Varwick dafür, die unterstützenden Waffenlieferungen des Westens und der osteuropäischen Staaten an die Ukraine einzustellen, die Ukraine zu demilitarisieren, das Land sowohl politisch als auch wirtschaftlich in einem neutralen Status zu halten und die unmittelbare Herrschaft über das ukrainische Territorium an Russland abzugeben und stattdessen eine ukrainische Exilregierung im Ausland zu bilden. In der Talkshow Maischberger setzte er eine Begründung oben drauf: „Die Ukraine ist sowieso verloren“.[16]

In der Wikipedia hat man also sehr schnell auf den gestrigen Talk reagiert. Nun ist Varwick nicht irgendein Politikwissenschaftler, sondern war von 2019 bis 2021 Gesellschaft der GSP, der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, also fürs Militärische in Deutschland, die auch die Bundesregierung berät. Offenbar sind viele dort aktuell der Ansicht, man solle eher deeskalierend unterwegs sein. Auch einige Militärs haben sich ja schon in diese Richtung geäußert. Varwick war während des Studiums auch Stipendiat der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, teilt aber im gegenwärtigen Konflikt deren Positionen offenbar nicht.

In einem hat Varwick auf jeden Fall Recht: Die Interessen der Ukraine sind nicht die unseren.

Vielmehr handelt es sich um einen Akt überragender Solidarität, von der wir niemals wissen, ob wir sie zurückbekommen werden, wann auch immer, wenn Länder wie Deutschland jetzt der Ukraine bei der Selbstverteidigung helfen, obwohl sie mit Russland wirtschaftlich verflochten sind. So wird ein Schuh daraus, nicht durch eine Interessengleichheit, die nicht existiert. Es existiert vielleicht eine geostrategische Gleichgerichtetheit zwischen dem Westen und der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt und bis zu einem gewissen Grad, aber das soll man dann auch offen sagen und die Ukraine nicht als stellvertretende Verteidigerin der Freiheit des Westens darstellen. In dieser Position war sie nie, wie man daran sieht, dass weit überwiegend noch einen weiten Demokratisierungsweg der Ukraine gesehen wird, bis sie EU-Mitglied werden kann.

Dieses Argumentieren mit gezinkten Gründen ist immer den Menschen gegenüber unehrenhaft und manipulativ, egal, ob es durch Wladimir Putin oder durch westliche Politiker:innen stattfindet, die keinerlei persönliche Konsequenzen zu fürchten haben, wenn die Dinge sich anders enwickeln, als sie sie sozusagen herbeipropagieren möchten. Die FDP soll einfach zugeben, dass dies ein geostrategischer Kampf zwischen Russland-Oligarchismus und West-Kapitalismus ist und dass beide Seiten wenig Rücksicht auf Menschenleben nehmen. Dahinter kommt das Selbstverteidigungsargument, das wir gelten lassen und wichtig finden, zum Vorschein. Mehr ist aus dieser Lage nicht zu konstruieren. Ebenso wenig, wie die Freiheit des Westens am Hindukusch, im Irak, in Syrien, Libyen, in Afrika etc. zu verteidigen war oder ist, ist sie es in der Ukraine. Selbst, wenn man die Ukraine also unterstützt, was wir nach wie vor befürworten, muss man aufpassen, dass die Menschen dort nicht zu Bauernopfern im geostrategischen Schachspiel werden. Ob diejenigen, die an der Front kämpfen, die mitten im Getümmel stecken, das so gut beurteilen können, ist ohnehin die Frage. Auf den Willen dieser Menschen und auch der russischen Soldaten kommt es aber letztlich an, wenn es darum geht, ob der Westen weitermachen soll mit seinem Support. Das ist das eigentliche Dilemma, in dem wir alle Beteiligten und ihre Unterstützer sehen. 

15.06.2022: BVerfG sagt, Angela Merkel habe die Rechte der AfD verletzt, als sie im Fall „Thüringen“ ihre Meinung äußerte:

Im Februar 2020 nannte Angela Merkel (CDU) es »unverzeihlich«, dass der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten in Thüringen gewählt worden war. Damit verletzte die damalige Kanzlerin ihre Neutralitätspflicht, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Merkel habe gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verstoßen, befanden die Richterinnen und Richter in einem nun verkündeten Urteil.

Zum „Fall Thüringen“ haben wir uns seinerzeit in einem mehrteiligen Bericht geäußert. Es kam sogar in Berlin zu Demonstrationen gegen diesen Pakt der FDP und der CDU mit der AfD, über die wir geschrieben haben:

#b0802 #Nichtmituns #KeinSchrittnachrechts wird zu #WirhabenPlatz || UPDATE 2: @HeimatNeue: Rückkehr der Demo für die Kinder von Lesbos zum Reichstag + Nachrichtenlage 2 #Lesbos #Thueringen #Hirte #Kemmerichruecktritt #fckAFD #FCKNZS #AFDP #NieMehrCDU – DER WAHLBERLINER

Das Votum gegen Merkel ging denkbar knapp aus, sogar der konservative 2. Senat des BVerfG urteilte nur mit 5 zu 3 Stimmen und es gab ein Minderheitsvotum mit Begründung. Nach unserer Ansicht erweist der Senat, der zuletzt auch den Berliner Mietendeckel gekippt hat, der Demokratie einen Bärendienst.

Merkel war damals nicht mehr CDU-Vorsitzende, sprach aber sozusagen aufgrund ihrer immer noch vorhandenen Autorität ein Machtwort. Wäre das Urteil anders ausgefallen, wenn sie noch Parteivorsitzende gewesen wäre? Und als was hätte sie sich äußern sollen, als Privatperson? Oder vielleicht doch als Repräsentantin eines Staates, der die deutlichen Rechtstendenzen, die damals auf ihren vorläufigen Höhepunkt zusteuern, doch noch bremsen will, wenn auch viel zu spät und der aus historischen Gründen unbedingt angehalten ist, genau dies zu tun. Interessanterweise ging es weiteren Politiker:innen der CDU/CSU ähnlich, die sich von ganz rechts abgrenzen wollten und dazu auch die Autorität ihrer Posiitonen einsetzten.

15.06.2022: Soll sich Merkel für Ihre Russlandpolitik entschuldigen? Da wir schon bei der Exkanzlerin sind, die kürzlich wieder ein Interview gegeben hat und gleich wieder einen Bogen zum Ukrainekrieg schlagen können, empfehlen wir Ihnen das Mitmachen bei dieser Civey-Umfrage, die vor vier Tagen aufgesetzt wurde:

Civey-Umfrage: Sollte sich Altkanzlerin Angela Merkel Ihrer Meinung nach für ihre Russland-Politik entschuldigen? – CiveyDazu der Begleittext von Civey:

Seit der russischen Invasion der Ukraine werden CDU und SPD mit der Forderung konfrontiert, ihre verfehlte Russland-Politik aufzuarbeiten. Diese kommen etwa von Grünen-Politiker Anton Hofreiter oder CDU-Parteichef Friedrich Merz selbst. Auch Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) und die von ihr geführte Große Koalition werden wegen außenpolitischer Fehlentscheidungen kritisiert.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirft Merkel vor, durch ihre ablehnende Haltung zum Nato-Beitritt der Ukraine mitverantwortlich am derzeitigen Krieg zu sein. Auch Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki kritisierte jüngst, Merkels Politik hätte Russlands Stärke herbeigeführt, die auf dem Monopol des Verkaufs von Rohstoffen basiert. Sie reagierte vorerst nicht auf die Vorwürfe, verurteilte jedoch den Krieg und die „Barbarei” Russlands in der Ukraine.

Am Dienstag hatte die Altkanzlerin ihren ersten größeren Auftritt seit Amtsabtritt im Dezember. In einem Interview wurde sie in Berlin u.a. zum Krieg in der Ukraine befragt. Merkel äußerte sich teils selbstkritisch, etwa bezüglich der Reaktion auf die Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014. Insgesamt könne man ihr aber nicht vorwerfen, dass sie zu wenig versucht hätte. Eine Entschuldigung für ihre Russland-Politik hält sie daher für unnötig.

Wir haben mit „unentschieden“ gestimmt. Es kommt nämlich darauf an, ob die Ex-Kanzlerin „mehr wusste“. Das heißt, ob sie, um den Parteifrieden mit vielen Unionspolitiker:innen, die eng mit Wirtschaftslobbys verbandelt sind, einem Handeln nach bestem Wissen und Gewissen vorgezogen hat. Bekannt ist beispielsweise, dass ihr Wirtschaftsminister Peter Altmaier die Erneuerbaren so gut wie möglich zugunsten der Lieferanten und Hersteller fossiler Energieträger ausgebremst hat. Außerdem wird von Experten wie „Abgeordnetenwatch“ davon ausgegangen, dass an Kanzlerin Merkel kaum etwas in der CDU vorbeilief. Zumindest nicht, als sie noch deren Vorsitzende war. Wie weit ging aber die Kooperation innerhalb der CDU zugunsten nicht demokratisch abgesicherter Interessen und zulasten einer an bereits vorhandenen Erkenntnissen über Putins Russland orientierten Handlungsweise seitens der früheren Kanzlerin?

Vielleicht wird das noch aufgearbeitet werden, wenn zum Beispiel Medien oder recherchestarke NGOen etwas finden, das zu tieferen Nachforschungen einlädt. Bei Merkel schwierig, weil sie nach dem Prinzip so wenig Dokumentation wie möglich gearbeitet hat, um den Stand ihrer Involvierung möglichst nicht zu deutlich werden zu lassen. In der DDR sozialisiert ist ist eben gelernt, aber auch bei anderen CDU-Politiker:innen verschwanden immer wieder mal auswertbare Beweise, wie etwa Handyprotokolle.  Und damit wieder eine fast nahtlose Überleitung zum nächste Thema:

15.06.2022 / 02.06.2022: Recherche-Erfolg: Lobbyverband ist raus aus dem FDP-Parteivorstand (Lobbycontrol) | Frontpage | Demokratie in Gefahr | Lobbyismus, Liberale, FDP, AfD, Amazon – DER WAHLBERLINER

TH

14.06.2022: Jobcenter wollen die Ersparnis durch das 9-Euro-Ticket, die arme Menschen haben, in manchen Fällen auf die Bezüge anrechnen. Ist das krass oder ist das krass? Daher heute auch von uns, jetzt zum zweiten Mal, der Hashtag #IchbinArmutsbetroffen.

Mehrere Bundesländer planen Medienberichten zufolge, das Neun-Euro-Ticket bei Kindern aus sogenannten Hartz-IV-Haushalten mit Sozialleistungen zu verrechnen. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) unter Berufung auf das Portal hartziv.org und die „Westfälische Allgemeine Zeitung“ (WAZ) berichtet, geht es konkret um Kinder und Jugendliche, die das für Juni, Juli und August erhältliche Ticket als Schülerfahrkarte nutzen.

Baden-Württemberg, Bayern, Thüringen,und Niedersachsen planen den Angaben zufolge, die Differenz zum normalerweise teureren Ticket in den genannten Fällen zurückzufordern. Das RND schreibt: „Am Ende entscheide jedoch die Verwaltungspraxis vor Ort, heißt es in Niedersachsen. Demnach entscheidet das Jobcenter, ob die (…) Familie den Differenzbetrag behalten oder zurückzahlen müsse.“[17]

Das Arbeitsministerium in Baden-Württemberg spricht sogar von ungerechtfertigter Bereicherung, weil Kinder für ein paar Monate ein paar Euro günstiger fahren können. Was uns dazu einfällt? Nicht mehr viel. Vielleicht, dass grüne Politiker:innen, die erkennbar nicht von Armut betroffen sind, mit diesem Hashtag vorsichtig sein sollten, wenn sie schon von den Amtsschimmeln und ihren klassistischen Finten wieder einmal überrascht wurden.

(3) Ricarda Lang auf Twitter: „@wasbringtuns @ARD_BaB @tagesschau Wie gestern in der Sendung: das war mir bisher nicht bekannt. Ich werde dem nachgehen und mich bei Ihnen melden. Danke für die Frage! #IchBinArmutsbetroffen“ / Twitter

14.06.2022: Der Ukrainekrieg als Folge der Geschichte oder nicht? Seit Wladimir Putin offengelegt hat, was er wirklich will, nämlich eine Revision der Geschichte in großem Umfang, liegt es in der Tat nah, dass kein Land sich mehr sicher fühlen darf, das irgendwann zum russischen Reich oder gar zur Einflusszone der Sowjetunion gehört hat. Nicht nur der Krieg selbst hat diejenigen überrascht, die glaubten, sie verstünden mehr von Wladimir Putin, sie sind anschließend trotzdem jedem Narrativ gefolgt, welches er in die Welt gesetzt hat. Nachdenken in jenen Kreisen, ob da etwas vielleicht nicht stimmt und Propaganda von Fakten trennen, wie es ja im Westen selbst dann gemacht wird, wenn es sich gar nicht um Propaganda, sondern eben um Fakten handelt? Fehlanzeige.

Jetzt ist Putin seinen Freund:innen in Deutschland mit seinem offenen Bekenntnis zu imperialer Machtpolitik sozusagen erneut in den Rücken gefallen. Ebenso wie jenen, die ihm Goodies wie Nordstream 2 zukommen lassen wollten. Was wir immer schon geschrieben haben: Das Bedrohungsszenario Russland gegenüber ist faktisch nicht vorhanden, denn die NATO hätte niemals Russland angegriffen. Aber da gibt es ja noch die Erzählung von der permanenten Demütigung seit 1990 durch den Westen und Putin, der kein Demokrat ist und keine Niederlage ertragen kann, sondern ein KGB-Mann, der konspirativ und geostrategisch in, wie wir jetzt wissen, epischen Dimensionen denkt, ist da besonders empfindlich und impft es auch seinen Landsleuten ein, sich möglichst verarscht zu fühlen. Möglichst schon dann, wenn Russland nicht mehr die Macht hat wie zur Zeit der Sowjetunion. Die wird es aber niemals wiedererlangen.

Natürlich ist seit 1990 nicht alles perfekt gelaufen, aber heute haben wir eine gute, teilweise gut geschriebene Analyse dazu gelesen, die etwa so gipfelt: Wenn jeder Staat jede Niederlage, die er jemals erfahren hat, heute zum Anlass nähme, revanchistisch zu handeln, wäre die Welt ein einziger Brandherd.[18] Wir haben das zum Beispiel nach dem Ersten Weltkrieg gesehen, hier in Deutschland. Was alles passieren kann, wenn Revanchismus eine Rolle spielt. Sogar dann, wenn er sachlich nicht ganz unberechtigt ist, wie etwa die Wut über den Versailler Vertrag. Trotzdem war Hitlers Angriffskrieg der größte Völkerrechtsbruch der bisherigen Geschichte. Ohne Beispiel auch deswegen, weil er zuvor auf friedlichem Weg, wenn auch mit einigem Säbelrasseln, so viel an Revision erreicht hatte, wie man normalerweise als besiegtes Land nie erreicht. Das war möglich, weil die anderen Völker nicht schon wieder einen neuen Krieg wollten.

Heute wissen wir, was dann geschah. Deswegen sind die Lehren Deutschlands nicht einfach, Frieden um jeden Preis zu halten, sondern auch hinzuschauen, was für ein Frieden es ist und Länder, die sich gegen Angriffskriege verteidigen, angemessen zu unterstützen. Angemessen, nicht am forschesten von allen.

Das Völkerrecht wird jedes Mal neu gebrochen, wenn ein Angriffskrieg stattfindet. Putin rechtfertigt diesen Bruch jetzt ganz offen mit der Historie und der einstigen Glorie Russlands. Das hat den Vorteil, dass die Spiegelfechterei endlich weg ist: Hier eine Bedrohung durch die NATO, dort das ukrainische Brudervolk, das von den Nazis befreit werden muss. Das alles kann nun endlich weg und muss nicht mehr diskutiert werden.

Nun ist es Putin, der andere in den Krieg zwingt, obwohl ihm unzählige Wege offenstehen würden, näher an Europa heranzurücken. Doch unser Eindruck hat sich leider bestätigt, dass Putin imperialistisch denkt, nicht egalitär. Das war vor längerer Zeit schon daran zu erkennen, dass er für die Annäherung an den Westen anders behandelt werden wollte als die Vertreter „irgendwelcher nachrangiger Länder“, sinngemäß wiedergegeben. Nein, eben nicht, sondern genau so wie alle anderen, was den Zustand der Demokratie angeht. Dies nicht zu akzeptieren wegen der „Größe Russlands“ ist das Undemokratische an dieser Person. Ganz viele „Putinversteher:innen“ ticken genauso und fallen auf die Knie wegen der großen Ausdehnung dieses Landes und seiner geschichtlichen Bedeutung –  wegen einer Historie zumal, die von extrem vielen Grausamkeiten durchzogen ist. Wenn wir aber schon historisieren, dann bitte über 1989 hinaus rückwärts.

Wirtschaftlich steht Russland nicht einmal auf einem vorderen Rang in Europa, von den USA wollen wir gar nicht erst reden. So gesehen wäre es eher logisch, wenn auch nicht sehr die feine Art, Russland in der Tat nicht als gleichranging, sondern als nachrangig zu betrachten. Und, nein, wir werden nicht für alle Zeiten auf dessen Rohstoffe angewiesen sein, worauf die Putinist:innen ja hoffen. Lediglich eine untrennbare Allianz zwischen Russland und China würde dem Westen ernsthaft Schaden zufügen können. Sich auf diese Weise dem ehrenwerten Herrn Xi auszuliefern, kann aber nicht im Interesse von „Wir sind ein eigenes Imperium“-Putin sein. Die gegenwärtigen Sanktionen sind hingegen eher eine Selbstschädigung, soweit sie die Folgen für Deutschland betreffen.

13.06.2022 Das Märchen vom Wohlstand (Finanzwende) | Frontpage | Wirtschaft | Finanzindustrie für Menschen möglich? – DER WAHLBERLINER

13.06.2022 Ukraine: der nächste offene Brief an Kanzler Olaf Scholz in Form einer Petition ist geschrieben. Wir haben seinerzeit den Brief der „Vorsichtigen“ an Scholz nicht unterzeichnet, wir tun dies jetzt auch nicht mit dem Brief der „Ofensiven“. Vor allem deshalb nicht, weil weitere Sanktionen gefordert werden, die sich vielleicht die Erstunterzeichner:innen leisten können, nicht aber die Mehrheitsbevölkerung in Deutschland.

Auch wenn wir die Waffenlieferungen an die Ukraine grundsätzlich unterstützen, gilt das nicht für einige Argumente, die in dem Brief genannt sind und in denen so getan wird, als stünde mit dem Ausgang des Ukraine-Krieges die Freiheit der westlichen Welt auf dem Spiel. Das tut sie höchstens dann, wenn die Demokratien von innen zerfallen, denn hochgerüstet genug ist die NATO ganz sicher, um Russland standhalten zu können, falls es Mitgliedsländer der NATO angreifen sollte. Auf die internen Probleme der Demokratien sollten vor allem die Liberalen unter den Unterzeichnern etwas mehr achten, die ja einst auch Angehörige einer Partei waren, die sich als den Bürgerrechten verpflichtet verstand.

Diese Partei hat sich leider zu einem neoliberalen, Klassenkampf-von-oben-Cluster zurückentwickelt, der unter Freiheit nur noch die Freiheit des Kapitalverkehrs versteht, und wirkt deshalb bei dem, was wir als Freiheit für alle bezeichnen, bei der Werteverteidigung, nicht so recht glaubwürdig. Manche der alten FDP-Politiker:innen, wie Gerhard Baum, die mitunterzeichnet haben, sollten sich fragen, ob sie die richtigen Akzente setzen, denn sie müssten es noch wissen, wie es einmal war, als die FDP   eine breitere ideologische Basis hatte.

Wenn Sie sich vom Inhalt der Petition repräsentiert fühlen, unterzeichnen Sie bitte. Wir sprechen  lediglich unsere Meinung aus.[19]

Die Ukraine wird leider von allen möglichen Seiten für alles Mögliche in Bezug genommen und  instrumentalisiert, genau wie Russland auf der anderen Seite. Davor warnen wir ausdrücklich. Zumal die ukrainischen Politiker sich immer wieder Entgleisungen leisten, die uns mittlerweile massiv auf den Zeiger gehen, wie, wer sonst, wieder einmal der Herr Melnyk.[20]/[21] Wir wussten bisher z. B. nicht, dass Flucht etwas mit Lust zu tun hat. Zum Glück ist die Hilfsbereitschaft vieler Menschen in Deutschland nicht von der Meinung dieses Mannes über dieses Land abhängig. Hier haben wir einen Satz gecancelt, der sich auf erste persönliche Erfahrungen mit Geflüchteten aus der Ukraine bezieht. Wir sind ja nicht der Herr Melnyk.

Noch nie wurde für einen einzelnen Anlass so viel gespendet wie jetzt für die Ukraine, noch nie wurden politische Grundsätze so rasch über den Haufen geworfen, seit der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen ist, nie haben wir so viele ökonomische Nachteile in Kauf nehmen müssen, für ein Ziel, das eben nicht unseres ist, zumindest nicht die Sanktionen betreffend. Was uns hier von Privilegierten verkauft wird, sollte uns eher zu denken geben, denn das „wir“ wird wieder einmal an der falschen Stelle bemüht. Besonders von Menschen, deren Denken im Allgemeinen nicht auf deutlich sichtbare Weise von sozialen Aspekten und Gemeinsinn geleitet ist.

Schon die Waffenlieferungen sind kein Kinderspiel und wir können verstehen, dass Kanzler Scholz sich nicht an die Spitze der Fordernden stellt. Das folgende aktuelle Beispiel zeigt das Problem deutlich:

13.06.2022 Ukraine II: die spanische Panzerfalle? Aus innenpolitischen Gründen vollzieht ein EU-Land, das sich bisher zurückgehalten hat, einen harschen Schwenk und plötzlich steht die Lieferung moderner Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 auf der Agenda.[22] Bisher habe kein Land westliche Technik dieser Art an die Ukraine herausgegeben, heißt es von Kanzler Scholz. Damit wird auf jeden Fall, was deutsche Waffenlieferungen angeht, eine weitere Grenze gerissen, und das muss überlegt sein. Denn was wird als Nächstes kommen?

Es liegt auf der Hand, und das wissen die ukrainischen Forderungspolitiker und ihre hiesigen Brüder und Schwestern im Geiste auch: Es ist im Grunde egal, ob Leopard-Panzer aus Spanien den Weg in die Ukraine finden, oder ob sie direkt von hier aus dorthin geliefert werden. Für den einen wie den anderen Weg muss die Bundesregierung eine Genehmigung erteilen und steht damit in der Verantwortung. Der Druck auf Kanzler Scholz wird nicht nachlassen, gleich, wie weit er geht, deshalb halten wir ihm hier zugute, dass er zuletzt unpopulär, dafür aber so verantwortungsbewusst verhalten hat, wie es bei derlei Schelte von teilweise unberufener, aber einflussreicher Seite möglich ist.

Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass deutsche Panzer wieder in der Ukraine rollen. Nicht für den Sieg der Nazis, sondern für den Sieg der Freiheit? Klar gibt es erkennbar einen Unterschied zu 1941, das sehen wir auch so, trotzdem ist es richtig, über die Historie nachzudenken und keinesfalls über den NATO-Comment hinauszugehen. Dass deutsches Kriegsgerät das erste seiner Art aus dem Westen ist, das die Ukraine erreicht, muss nicht sein. Lieber sollten wir die Schimpfkanonaden von Melnyk & Co. aushalten, als an einer so sensiblen Stelle als erstes Land die Grenzen weiter zu verschieben.

12.06.2022 Briefing-Timeline 13 (hier zu Nr. 12 vom 11.06.2022)

Ukraine, EU-Beitritt: Nicht überall löst das Drängen auf den Kandidatenstatus seitens der ukrainischen Regierung Begeisterung aus.[23] Auch wir haben uns mehrfach dagegen ausgesprochen, ein so großes, wirtschaftlich schwaches und demokratisch nicht gefestigtes Land im Expresstempo in die EU zu schleusen. Die Türkei hat seit 23 Jahren einen Kandidatenstatus und es gibt keine vorgeschriebene Geschwindigkeit der Aufnahme, was in diesem Fall wichtig und richtig ist. Was man konkret tut, um die Moral der Ukrainer:innen im Abwehrkampf gegen Russland zu stützen? Wir sind selbst gespannt, was die EU-Kommission sich einfallen lässt, nachdem deren Chefin Ursula von der Leyen schon im April gesagt hat, die Ukraine gehöre zum „europäischen Haus“. Dass die osteuropäischen Staaten, vor allem diejenigen mit wackeligen Demokratien, Feuer und Flamme für einen Ukraine-Beitritt sind, versteht sich von selbst. Siehe dazu auch unser Briefing von gestern.

Am Rande von Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj lobte die deutsche Spitzenpolitikerin [von der Leyen in ihrer Funktion als Kommissionspräsidentin] am Samstag die gut funktionierende Verwaltung des Landes. Zugleich mahnte sie weitere Reformen an. Grundsätzlich würdigte sie die „enormen Anstrengungen und die Entschlossenheit“ der Ukraine auf dem Weg in die EU.[24]

In einer Umfrage, die Sie unterhalb des verlinkten Artikels finden, sprechen sich gegenwärtig 78 Prozent der Abstimmenden dafür aus, die üblichen Regeln für einen EU-Beitritt der Ukraine einzuhalten, also gegen eine Art Kriegsexpress. Zwischen Solidarität für die Ukraine und der Gefahr, dass die ohnehin überdehnte und kaum noch steuerbare EU mit diesem Land noch mehr Probleme bekommen wird, wird also sehr wohl unterschieden. Hilfe für die Ukraine wird grundsätzlich von einer Mehrheit befürwortet, das zeigt sich an einer breiten Zustimmung zur Lieferung schwerer Waffen. Hingegen halten die wenigsten immer weitere Sanktionen für eine gute Idee, besonders das Ölembargo steht hierbei in der Diskussion.[25] Die Linie, lieber Waffen, wenn die Ukrainer:innen kämpfen wollen als der eigenen Wirtschaft schaden, haben wir von Beginn an vertreten.

12.06.2022 Schützenpanzer Marder fertig renoviert. Derweil sind die ersten schweren Geräte fertig geworden zum Versand in die Ukraine. Vielleicht nimmt Scholz sie ja als Geschenk mit, wenn er Kiew besucht?[26]

12.06.2022 Reist er oder reist er nicht? Nach anderen europäischen Spitzenpolitikern steht nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz laut einem Medienbericht erstmals seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor einer Reise nach Kiew. Der SPD-Politiker wolle vor dem G7-Gipfel Ende Juni die Ukraine besuchen, berichtete die „Bild am Sonntag“. Derweil gehen im Osten des Landes die Kämpfe weiter, in denen die russische Armee ihre Überlegenheit bei Artillerie und Munition für Landgewinne nutzen will.[27] Der Bildzeitung würden wir auch zutrauen, Scholz quasi nach Kiew schreiben zu wollen, denn Wirkung ist wichtiger als Wahrheit. Die Spannungen zwischen Kiew und Berlin sind vielleicht aber so besser abzubauen, unsere Haltung dazu ist: wenn es Sinn ergibt, sollte Scholz hinfahren, aber sicherstellen, dass das nicht als eine Art Sieg gegen seinen Widerstand oder gar gegen die hiesige Regierungszögerlichkeit ausgeschlachtet wird, egal von wem.

12.06.2022 Schlachtfeldsieg oder Verhandlungen? Reicht das Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro? Nur bei den FDP-Anhänger:innen gibt es eine relativ große Minderheit, die an einen Sieg der Ukraine auf dem Schlachtfeld glaubt. Die FDP-Anhänger:innen glauben auch an einen Endsieg des Raubtierkapitalismus über die weit überwiegende Mehrheit der Menschen. Außerdem sind sie mehr als die Sympathisant:innen aller anderen Parteien der Meinung, das „Sondervermögen“ (der Sonderschuldenberg) von 100 Milliarden Euro reiche nicht aus, um die Bundeswehr fit zu machen. Das sind dieselben Leute, die die Ärmeren im Land am liebsten verhungern lassen würden. Wir dürfen nie vergessen, dass diese klassistisch-neoliberale Partei die Regierungspolitik in Berlin mitbestimmt. (Quelle a. a. O.) Wichtig ist aber auch hier: den meisten Menschen, auch uns, ist klar, dass eine Befürwortung der militärischen Unterstützung der Ukraine nicht bedeuten muss, dass der Stand vor dem 24.02. wieder erreichbar ist oder gar der Stand von vor 2014, bevor also Russland die Krim besetzte, sondern dass damit erreicht werden soll, dass Russland sich überhaupt zu Verhandlungen bereitfinden wird, bei denen die Ukraine als selbstständiger Staat gesichert werden kann.

12.06.2022 China will Russland nicht materiell unterstützen. Im Zusammenhang damit, wie ein Frieden letztlich aussehen könnte, die vielleicht wichtigste Meldung des Tages.

China hat seine offiziell neutrale Position im Krieg gegen die Ukraine bekräftigt. Der chinesische Verteidigungsminister Wei Fenghe sagte auf einer Sicherheitskonferenz in Singapur, sein Land habe Russland im Zusammenhang mit der „Ukraine-Krise niemals irgendeine Art von materieller Unterstützung geliefert“. Peking unterstütze „Friedensverhandlungen“ zwischen den Kriegsparteien und hoffe, dass „die NATO Gespräche mit Russland führen wird“, fügte Wei hinzu.

Ganz wichtig ist, ob diese Aussage wirklich zutrifft und nicht hintenrum doch anders agiert wird, selbst Unternehmen in der EU umgehen ja die Sanktionen gegen Russland auf zuweilen recht trickreiche Weise (Umverladen von russischem Öl mithilfe griechischer Tanker etc.). Würde China Russland helfen, würde dieser Krieg episch werden. Die Frage ist, ob China daran ein Interesse hat und nicht lieber in Ruhe abwartet, denn eine wirtschaftliche Stärkung Russlands bedeutet der Krieg per se ganz gewiss nicht, auch wenn einige das Gegenteil behaupten. Deswegen ist die Frage ja auch, wer den größeren Sanktionsschaden hat, Rusland oder die EU, und nicht, ob Russlands Wirtschaft vom Krieg profitiert und schneller wächst. Im Gegenteil, der große Switch hin zu neuen Abnehmern von Rohstoffen kostet Geld in Form von niedrigeren Preisen, weil diese neuen Abnehmer ihrerseits aus der Lage Profit schlagen möchten (siehe Indien, dort wird nicht der aktuell hohe Börsenpreis für russisches Öl bezahlt, sondern zu Sonderkonditionen eingekauft).

12.06.2022 Zar Wladimir I. Viel diskutiert wird derzeit Putins Selbstvergleich mit Peter dem Großen, der nach Meinung von Experten seine wirklichen Ziele offenlegt und nebenbei klarstellt, dass man sich auf einen längeren Krieg einzustellen hat.

Moskau – Bei einem öffentlichen Auftritt hat der russische Machthaber Wladimir Putin die Invasion Russlands in der Ukraine mit den Geschehnissen im Großen Nordischen Krieg Anfang des 18. Jahrhunderts und sich selbst mit Zar Peter dem Großen verglichen. Das gibt laut einer Analyse des US-Senders CNN einen Einblick in die tatsächlichen Hintergründe des russischen Angriffskriegs und Putins eigene Motive hinter der so genannten „Sonderoperation“.

So erklärte Putin vergangene Woche bei einem öffentlich inszenierten Treffen mit jungen Vertreter:innen russischer Unternehmen und Start-ups, auch Peter der Große hätte Schweden seinerzeit „nicht erobert“, sondern „nur zurückgenommen, was Russland rechtmäßig gehörte“. Mit der Erklärung, dass genau dieselbe Rolle im Ukraine-Krieg nun auch Russland zufalle, räumte Putin indirekt ein, dass es bei der Invasion nicht wie seit Kriegsbeginn behauptet darum gehe, zum Schutze Russlands eine militärisch neutrale Ukraine zu sichern.

Vor allem Spins wie die Entnazifizierung haben wir von Beginn an nicht als glaubwürdiges Kriegsmotiv erachtet, denn Putin hat normalerweise keine Abneigungen gegen rechte Regierungen. Im Grunde trifft eine Faschisierung in den letzten Jahren auch auf Russland selbst zu. Ob die militärische Neutralität der Ukraine jetzt noch eine Option ist, wenn zu befürchten steht, dass ein weiterer Krieg bevorsteht, wenn Russland es erst einmal mit dem Donbass gut sein lässt und die Ukraine das akzeptieren muss? Wir melden Zweifel an. Deswegen: Je weniger Widerstand der weitere Vormarsch verursacht, desto schwieriger wird ein fairer Verhandlungsfrieden werden.

Zar Peter der Große hat Russland übrigens seinerzeit, Kriege hin oder her, an Europa herangeführt und modernisiert. Eine solche Leistung ist bisher von Wladimir Putin nicht zu vermelden, vielmehr stützt er sich auf ein PfründeSystem, in dem er quasi als Lehnsherr fungiert und das noch weiter hinter der Zeit zurückliegt als der westliche Finanzkapitalismus mit teil- oder scheindemokratischem Unterbau.

12.06.2022 Höhere Lebensmittelpreise und die Agrarwende: Wieder nicht in Zusammenhängen gedacht. Die Preise für Lebensmittel werden weiter steigen, das wurde auch auf dem gerade stattfindenden deutschen Bauerntag betont. Man könnte ein wenig zusätzliches Getreide produzieren, auch in andern EU-Ländern, um den Preisauftrieb zu mildern, heißt es, aber sehr viele Maßnahmen, die kurzfristig Entlastung bringen würden, laufen der dringend politisch gewünschten Agrarwende hin zu mehr Tierwohl, Artenschutz und besseren Lebensmittelpodukten zuwider.

Das kommt davon, dass in Deutschland Politiker:innen für die Wirtschaft verantwortlich sind, die nichts von deren Zusammenhängen verstehen. Unmöglich, das Getreide aus der Ukraine oder aus Russland sofort durch Mehrproduktion hierzulande zu ersetzen. Hinzu kommt noch das Dilemma: Was ist mit den Menschen in den armen Ländern, die jetzt besonders von der Getreidekrise betroffen sind? Eine eventuelle Mehrproduktion müsste eigentlich dorthin ausgeführt und nicht in Deutschland verwendet werden.

Wir müssen mal anfangen, unsere Artikel, die sich mit der Inflation beschäftigen, durchzunummeriern, um klarzumachen, welch gefährliches Spiel die Politik hier spielt, denn von der Preisfront gibt es fast täglich neue negative Nachrichten, über die wir schreiben könnten und sollten. In unserem gestrigen Briefing haben wir einige frühere Artikel dazu verlinkt, scrollen Sie bitte noch ein wenig.

11.06. 2022 US-Inflation erreicht 8,6 Prozent. Wenige Staaten des Westens haben derzeit eine höhere Inflation als Deutschland (7,9 Prozent im Mai) auf Jahresbasis. Die USA gehören dazu. Preistreiber sind vor allem die enorm anziehenden Preise für Rohöl und in der Folge für Kraftstoff. Nun haben die USA als erstes Land den Import von russischem Erdöl gestoppt, wohl wissend, dass sie relativ wenig davon verwenden. Aber die Weltwirtschaft ist miteinander verwoben, wie dieses Beispiel zeigt:

Während die Vereinigten Staaten nie nennenswerte Mengen an Öl aus Russland importiert haben, wird der Rohstoff auf den Weltmärkten gehandelt, und Europa war stark von russischen Exporten abhängig. Die jüngste Entscheidung der EU, den Transport von Öl mit Tankern aus Russland zu verbieten, ließ die Ölpreise auf diesen globalen Märkten in die Höhe schnellen.[28]

Wie in Deutschland steigen aber auch die Lebensmittelpreise überdurchschnittlich stark an, in beiden Ländern liegt die jährliche Steigerung derzeit über 10 Prozent, und das trifft vor allem ärmere Haushalte.[29] Im ersten der beiden Artikel kommt aber auch zum Ausdruck, dass die Amerikaner wohl lieber hungern als auf das Autofahren verzichten würden. In den Städten wäre das ein Witz, aber wer die Weiten dieses Landes kennt und wie sehr dort das Leben on Wheels eine essentielle Bedeutung hat, der kann auch die Angstwut verstehen, die in einer Bevölkerung herrscht, in der sehr viele Menschen so gut wie keine Reserven haben, um Lagen wie diese auszusitzen. Der Reichtum an der Spitze des Landes und das damit verbundene hohe BIP pro Kopf verdeckt nach außen die Tatsache, dass viele mehr oder weniger von der Hand in den Mund leben und tatsächlich aufs Auto angewiesen sind. Ob man trotzdem sogenannte Minitrucks fahren muss, die noch einmal um 50 Prozent größer sind als die hier üblichen SUVs und die sich in immer höherem Tempo zu wahren PS-Monstern entwickeln, ist eine andere Frage. Der Lifestyle gründet sich auf der Fähigkeit, irgendwie konsumieren zu können, auch wenn es nicht exakt dieselben Güter sind wie bei uns, die einen mittelständischen Status suggerieren, welcher für viele immer schwieriger aufrechtzuerhalten ist.

Derweil versuchen die Republikaner, die aktuelle Regierung für die Preissteigerungen verantwortlich zu machen und politisch Kapital aus einer Entwicklung zu schlagen, die keinen Deut anders ausfallen würde, wenn sie den Präsidenten stellen würden.

Zur Inflation siehe auch diese Beiträge von uns aus den letzten Tagen:

UPDATE: EZB plant erste Leitzinserhöhung seit 2011 +++ Anleihekaufprogramm wird beendet (Statistik, Kommentar, Erklärquelle) | Frontpage | Wirtschaft | EZB, Leitzins – DER WAHLBERLINER

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11.06.2022 Fußball: Einstehen gegen Rassismus, auch wenn es unangenehm wird? Für großen Unmut sorgt derzeit die Tatsache, dass der DFB vor dem Nations-League-Spiel gegen Ungarn, anders als zuletzt gegen England im München, nicht gegen Rassismus auf die Knie gehen wird, so scheint es jedenfalls im Moment. Das Stadion von Budapest, in dem das Spiel ausgetragen werden soll, ist bekannt als rassistischer und homophober Hexenkessel.

Die Engländer haben sich dort selbst von Schulkindern ein Pfeifkonzert abgeholt, als sie die Geste bei ihrem Nations-League-Spiel wagten. Ungarn ist ein EU-Land, das muss uns immer bewusst sein. Wir haben spätestens seit dem Beitritt der „Konversionsstaaten“ jedoch keine Union, die auf Werten basiert (die Werteunion ist etwas anderes) und jeder kann nur persönlich tun, was er tun kann. Das wäre zum Beispiel im Falle der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, heute Abend Mut zu zeigen und gegen Rassismus die mittlerweile weltbekannte Geste.[30]

11.06.2022 Deutschland: SPD-Chefin droht mit dem Energiesicherungsgesetz von 1975, das nach der allerersten Ölkrise beschlossen worden war. Tempolimit, Sonntagsfahrverbote? Wir finden sowieso, morgen sollte man in Berlin nicht Autofahren, morgen gehört die Stadt den Radfahrer:innen, die ihre jährliche Sternfahrt machen. Schade, dass wir im Moment etwas gehandicapt sind, sonst wären wir dieses Mal dabei.[31]

Die Politik beschwert sich, dass die Ölkonzerne die aktuellen Steuerleichterungen nicht vollständig an die Benzinkunden weitergeben. Wir haben uns von Beginn an skeptisch zum Tankrabatt geäußert, vor allem, weil er keine positive Steuerungsfunktion hat und nicht nachhaltig ist. Das wäre die Gelegenheit, um endlich ein generelles Tempolimit von 130 auf Autobahnen und 30 in Innenstädten einzuführen. Vielleicht wird dann wenigstens in Berlin 50 gefahren.

11.06.2022 Ukrainekrieg: Es fehlt an Nachschub. Der mittlerweile durch den Ukrainekrieg ziemlich bekannt gewordene Militärexperte Gustav Gressel, der keine Gelegenheit auslässt, die deutsche Regierung zu mehr Waffenexporten an die Ukraine aufzufordern, schildert, dass es, wie sollte es anders sein, vor allem ein Mangel an Nachschub und Waffen ist, der die Ukraine in eine immer schwierigere Lage bringt.[32] Wir meinen: Wenn man Waffen zusagt, sollte man sich mit dem Liefern auch etwas beeilen und nicht hoffen, dass sich das Problem auf die eine oder andere Weise von selbst erledigt. Deutschland steht, wenn man alles, was hierzulande geleistet wird, inklusive dem Preisdruck auf die Bevölkerung, nicht so schlecht da, die Solidarität mit der Ukraine betreffend, wie einige es unter Verwendung einer isolierten Betrachtungsweise gerne darstellen, aber wenn man etwas zusagt, muss man es auch bereit und in der Lage sein, es so zu liefern, dass es noch sinnvoll eingesetzt werden kann. Der Krieg wird viel blutiger werden und viel länger dauern, wenn die Ukraine erst eine Wende erzwingen kann, wenn die russischen Truppen vor Kiew stehen.

11.06.2022 Ukraine II. EU-Beitritt als Motivationsmittel für die Bevölkerung? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist überraschend nach Kiew geflogen um die maßgeblichen Politiker zu treffen, insbesondere Wolodymir Selenskyi. Welche Bedingungen für einen Beitritt soll es geben und wie schnell soll es gehen? Die Bedingungen aufzuweichen, die an Rechtsstaatlichkeit, an Grundzüge der Demokratie und der Korruptionsarmut gestellt werden, aufzuweichen, halten wir nicht für eine gute Idee, trotz des Krieges. Vielmehr ist die ukrainische Regierung gefordert, Reformen vorzunehmen, die einen EU-Beitritt auch in normalen Zeiten ermöglicht hätte. Dann muss es eben ein wenig schneller gehen mit den Reformen, wie eben alles im Moment schneller gehen muss, als wir es aus vielen ruhigen Jahren gewöhnt sind. Eine Garantie für irgendetwas sind sie sowieso nicht.

Wer wagt, es als sicher darzustellen, dass die Ukraine nicht, wenn sie in der EU ist, sich wieder rückwärts entwickelt? Das tun ja alle Demokratien mehr oder weniger seit Jahren und von unterschiedlichen Ausgangspositionen aus. Die Beispiele Polen und Ungarn zeigen, dass im Grunde manche Länder die EU wieder verlassen müssten, wenn man ernsthaft hohe Maßstäbe an die demokratische Verfasstheit anlegen wollte. Den rechten Regierungen dieser Länder damit auch nur zu drohen, geht aber aus geostrategischen Gründen überhaupt nicht.

Was noch fehlen würde, wäre, wenn auch die Türkei von Freund Erdogan mitmachen dürfte. Dann kann sich die EU endgültig von dem Narrativ verabschieden, sie sei (auch) eine werteorientierte Gemeinschaft. Auch die Beitritte weiterer Balkanländer lassen nichts Gutes ahnen, man denke an Serbien und die Republik Kosovo. Das eine Land hat das andere nicht einmal als unabhängigen Staat anerkannt. Ähnlich sieht es mit Nordmazedonien aus, dessen Beitritt von Bulgarien überhaupt nicht gewünscht wird. Kanzler Scholz ist diesbezüglich gerade in Vermittlungsmission unterwegs.[33] Da sieht man, dass der Kanzler sich nicht nur um Waffenlieferungen zu kümmern hat. Das ist nämlich Sache des Wirtschaftsministeriums und des Verteidigungsministeriums. Da darf sich auch der erklärungssichere und den kriegserprobten Grünen angehörende Herr Habeck gerne als Manager beweisen.

Bisher hat es noch keinen Krieg zwischen EU-Ländern oder zwischen NATO-Ländern gegeben, aber auch das ist nicht für alle Zeiten festgeschrieben, wie man am Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland in der Ägäis sieht. Vielleicht ist es die gemeinsame Mitgliedschaft in der NATO, die bisher einen Kriegsausbruch im Südosten Europas verhindert hat.

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07.06.2022 Ukrainekrieg: Die Sicht des europäischen Ostens, des Westens und derer, die schauen müssen, wie sie klarkommen und vernünftig handeln.

Heute Nacht gab es heftige Kämpfe in einer Stadt im Osten der Ukraine, der Krieg hört nicht auf, das sogenannte Schlachtenglück wogt hin und her. Es versteht sich von selbst, dass hierzulande täglich neue Analysen geschrieben werden. Eine davon beschäftigt sich speziell mit der Sicht der osteuropäischen Staaten, aus deren Sicht wiederum Deutschland zu wenig zu Unterstützung der Ukraine tut.[34]

Zunächst einmal: tut Deutschland wirklich zu wenig und gibt es dadurch ein Ende der deutschen Führung in Europa?

Das ist die Einleitung, aber natürlich stimmt das so nicht. Leider ist die letzte Information, welches Land wie viel in bestimmten Bereichen tut, vom 10.05.2022. Ich habe aber kürzlich schon darauf hingewiesen, dass allein die humanitäre Hilfe, die Deutschland leistet, die Gesamthilfe der meisten anderen Länder übersteigen dürfte. Dazu gibt es natürlich auch Hintergedanken, auf die kommen wir noch zu sprechen.

Außerdem schrieb ich kürzlich, noch kein Land habe Panzer an die Ukraine geliefert; vielleicht sollte ich konkretisieren, noch kein westliches Land. Ob Polen tatsächlich schon hunderte von Panzern geliefert haben kann, wage ich zur bezweifeln, weil der Ringtausch nicht so schnell gehen kann, dass dadurch nicht dessen eigene Verteidigungsfähigkeit gefährdet würde. Polen hat auch die meisten Geflüchteten aufgenommen. Es heißt in der Analyse, dafür habe Polen sozusagen eigens seine Einstellung gegenüber Geflüchteten, oder, besser, gegenüber Fremden, geändert.

Ja, genau das ist ein vortreffliches Beispiel, um bestimmte Narrative zu analysieren. Es ist z. B. auffällig, und das wird in der Analyse auch erwähnt dass Ungarn aus dieser anti-russischen osteuropäischen Einheitsfront ausgeschert ist. Das wird damit begründet, dass es gewisse ideologische Nähe zwischen dem Putin-Regime und dem von Viktor Orban in Ungarn gibt.

Das allein ist nicht der Schlüssel, denn genau das trifft auf die polnische Regierung auch zu. Auch sie macht der EU ständig Stress mit der Idee, mehr autoritäre und nicht rechtsstaatliche Strukturen zu etablieren. Eine große Nähe zur Ukraine hingegen besteht traditionell, und man darf dabei nicht vergessen, dass beide Regierungen rechts gerichtet sind. Es gibt aber auch noch ein ganz schlagkräftiges Argument, dass überhaupt nicht in der Analyse vorkommt. Polen hat in den letzten Jahrzehnten eine schrumpfende Bevölkerung zu verzeichnen gehabt, unter anderem sind, wie wir ja hier in Berlin gut wissen, viele Arbeitskräfte nach Deutschland ausgewandert oder pendeln nach Deutschland. Schon vor dem Krieg wurden diese in Teilen durch ukrainische Arbeitskräfte ersetzt. Jetzt zieht Polen die einmalige Chance, seine Bevölkerung wieder aufzufüllen.

In einem bestimmten Clustern linker PolitikerInnen trifft das wiederum auf die These, das unbegrenzte Arbeitsmigration schädlich ist, weil die reicheren Länder immer das Potenzial aus ärmeren Ländern abziehen.

So kann man es deuten, was Deutschland und Polen angeht, so ist es aber in der anderen Richtung auch, was Polen und die Ukraine angeht. Man darf nicht vergessen, dass die Ukraine eines der ärmsten Länder Europas ist. Da Pol:innen und Ukrainer:innen sich mental näher stehen als viele andere Völker in Europa, ist eine Ansiedlung relativ unproblematisch, während sich Polen noch immer gegen jede Zuwanderung von außerhalb der EU sperrt. Das ist ein ganz utilitaristisches und zudem der Selbstähnlichkeit verpflichtetes Denken. Ich finde es nicht sehr sinnvoll, diese Hintergründe zu verschweigen. Wir erinnern uns auch daran, dass die dortige Regierung gerne in der EU mehr Einfluss hätte unter Verwendung des Arguments, dass Polen viel mehr Einwohner hätte, wenn die Deutschen im Zweiten Weltkrieg nicht so viele Pol:innen getötet hätten und wollte sogar bestimmte Ansprüche aus dieser hypothetisch höheren Zahl ableiten. Die Polen haben also sehr wohl im Blick, das Bevölkerung auch Macht bedeutet. Z. B. bestimmt ihre Größe, wenn auch n nicht im Maßstab 1:1, darüber, wie viele Abgeordnete ein Land ins EU-Parlament entsendet.

Wenn man es zusammenfassen will, kann man auch schreiben, dass der große Zugang aus der Ukraine für das überalterte Polen eine Frischzellenkur darstellt?

Diese Art von Bevölkerungspolitik kennt man in Deutschland auch, und eines sollten wir im Blick behalten: wenn es noch ein paar Wochen so weitergeht, werden wir im Jahr 2022 so viele Menschen aus der Ukraine hier aufgenommen haben wie im berühmten Herbst 2015 aus dem Nahen Osten. Die meisten der Ukraine-Kriegsgeflüchteten werden sich nach meiner Ansicht relativ gut hier zurechtfinden. Die Mehrheit wird vermutlich bleiben und nicht in die zerstörten Gebiete der Ukraine zurückkehren, vor allem die Frauen, die ihre Männer verloren haben, oder deren Besitz zerstört wurde, deren Männer jedoch nach dem Krieg nachkommen könnten. Für Männer gilt, soweit mir bekannt ist, immer noch, dass sie im Alter zwischen 18 und 60 Jahren nicht ausreisen dürfen.

Kommen wir zu den baltischen Staaten, was ist mit Ihnen, haben sie zurecht Angst?

Den Teil der Analyse finde ich so insofern richtig, als die baltischen Staaten schon lange vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine Sorge hatten, dass das Putin-Regime immer aggressiver werden könnte. Auch, dass man die russisch sprechende Bevölkerung dort gegen die Regierungen aufhetzen könnte, das haben wir schon einmal angesprochen. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied zur Ukraine. Alle diese Länder haben sich geradezu mustergültig in die EU integriert, gehören zu den stärksten unter den neuen EU-Ländern, der Lebensstandard dort ist höher als in der Ukraine und auch höher als in Russland. Die russisch sprechenden Menschen in den baltischen Staaten werden sich überlegen, ob sie das aufs Spiel setzen. Die baltischen Staaten sind auch nie dadurch aufgefallen, dass sie ihre eigenen Demokratien rückwärts entwickeln, wie das in Polen und in Ungarn der Fall ist. Ich glaube deshalb auch, dass die Sorge unberechtigt ist, dass die NATO diese Länder als nicht für wert erachten könnte, sie tatsächlich gemäß Artikel 5 des Nordatlantikverstrages zu verteidigen. Für berechtigt halte ich allerdings die Sorge darüber, dass diese Länder wissen, dass sie relativ klein sind und schnell zu überrennen wären, dass die NATO sie also quasi erst einmal zurückerobern müsste, wenn Russland ernsthaft dort zum Krieg ansetzen würde. Das ist ein Faktor den man nicht außer Acht lassen darf. Ob sich Freund Putin nun dadurch provoziert fühlt oder nicht, es ist richtig, dass die NATO im Nordosten stärkere Militärpräsenz zeigt. Das ist keine historische Betrachtung, sondern ganz auf die aktuelle Lage bezogen.

Also, es geht um die Schachzüge von heute, nicht um die Versäumnisse von gestern oder vorgestern, zum Beispiel Russland gegenüber. Die USA, heißt es auch in der Analyse, haben da ein anderes Selbstverständnis als globale Ordnungsmacht.

Ja, ich zitiere: „Während die USA in den vergangenen Jahrzehnten weltweit dafür die militärischen und diplomatischen Strukturen geschaffen haben, wollen die Briten auch nach dem Brexit ihren Einfluss auf dem europäischen Festland bewahren“, sagt der interviewte Experte. Es geht dabei um die Akteure die die liberale Weltordnung bewahren wollen.

Ist diese Beschreibung so richtig?

Mir wäre es ganz neu, dass Deutschland und Frankreich keine Interessen in dieser Sache hätten oder ganz andere, wie quasi behauptet wird. Die neoliberalkapitalistische Weltordnung wird von ihnen genauso verteidigt, das geht aber nicht ohne die USA. Jeder wie er kann, und Deutschland gemäß den Problemen, die aus seiner Geschichte herrühren. Ein eigenständiger Imperialismus der sich als wertebasiert ausgibt, den nimmt Deutschland niemand ab, und das ist auch gut so. Also versteckt man sich hinter den USA, was in Fall von Kanzler Olaf Scholz bedeutet, dass er immer nur genau so weit geht, wie er es mit Joe Biden absprechen kann und wie Biden auch geht oder gehen würde, wenn er in der hiesigen Position wäre.

Ganz typisch ist aber wieder dieser komplett unkritische Ansatz gegenüber der sogenannten liberalen Weltordnung, die ich deswegen auch etwas mehr in diesen Begriff mit „neo“ hinein eingegrenzt habe. Hätte der Westen sich nicht über Jahrzehnte hinweg bei fast jedem Auslandseinsatz blamiert oder moralisch selbst diskreditiert, sich wirtschaftlich nicht durch seine Überdehnungen des Finanzkapitalismus geschwächt, wäre das in der Ukraine jetzt vielleicht alles nicht geschehen. Neben der Tatsache, dass man auch Russland zu sehr unter imperialistischen Gesichtspunkten betrachtet hat, verlietete diese Serie von Pleiten Putin zu der Einschätzung, dass der Westen nun auch nicht einig genug und stark sei, um die Ukraine so massiv zu unterstützen, dass sie im Kampf bestehen kann.

Von moralischer Überlegenheit ebenso wenig eine Spur wie von Einigkeit?

Ob es nun Donald Trump war, der diesem idealisierten Bild am meisten geschadet hat, oder ob vorher schon über Jahrzehnte hinweg die falschen Zeichen gesetzt wurden, im Irak, in Syrien, in Libyen, in Afghanistan, und wo immer es galt, eine Region zu destabilisieren, anstatt sie vorgeblich demokratisieren zu wollen: Die Ukraine plötzlich unter ganz anderen Vorzeichen zu betrachten als all diese Länder, das wird, wenn es wieder etwas ruhiger geworden ist, aufgearbeitet werden müssen.

Von wem,  angesichts mehrerer Parteien, die in dieser Sache so ähnlich ticken?

Da erwarten wir uns von linken Politiker:innen unter äquidistanten und realistischen Vorzeichen weit mehr, als sie bisher leisten können, weil sie sich ständig in Widersprüche verstricken.

Stimmt die schlussendliche Analyse, dass man in Deutschland darauf abstellt, Russland nicht zu demütigen, weil man es noch braucht?

Grundsätzlich wird kein Land „nicht gebraucht“, so etwas, auch im Umkehrschluss, zu suggerieren, das ist imperialistisch-überhebliches Denken. Davon auszugehen, Länder seien obsolet, ist sehr entlarvend. Bis auf einige parasitäre Steuer-„Oasen“ vielleicht. Da würde ich Ausnahmen zulassen. Das Argument, das zu lesen ist, mit der strukturellen Abhängigkeit von Russland, läuft ja eigentlich dem danach vorgebrachten Klimaschutzargument zuwider. Das sehen wir an den aufgeregten Diskussionen über die Energieversorgung und strategische Fehler bei der Ausrichtung derselben. Je geringer die strukturelle Abhängigkeit, desto unabhängiger ist das eigene Klimawandel-Management hierzulande auch.

Ob man unter „brauchen“ in Wirklichkeit verstehen sollte, dass man Russland zu einem bestimmten Verhalten drängen will?

Das geht aus dem Text nicht hervor, aber ich wäre da zurückhaltend. Russland wird weiterhin vor allem fossile Rohstoffe verkaufen, mit allen Vorteilen und Nachteilen, die das ökologisch und ökonomisch bedeutet. Es gibt aber einen weiteren Grund, der hier, nach meiner Ansicht vielleicht auch wissentlich, nicht genannt wird. Es geht darum, wie dieses große Land im Systemkonflikt zwischen dem Westen und China aufgestellt sein wird. Je mehr man jetzt Russland zusammenfalten möchte, desto mehr treibt man es in die Arme des werten Herrn Xi Jinping. Das würde ich trotz all des berechtigten Entsetzens über den russischen Angriffskrieg nicht außer Acht lassen wollen.

Die frühere deutsche Regierung hat diesen Systemkampf gegen China komplett versemmelt, sich von der Wirtschaft am Nasenring durch die Manege führen lassen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass gerade der kriegstreibende Teil der Ampel in der Hinsicht sogar realistischer ist, und damit auch vielleicht mal etwas Gutes für die strategische Aufstellung des Landes tut. Leider ist genau dieser Teil aber auch rhetorisch zu sehr auf Kriegseskalation im Fall Ukraine gepolt. Geostrategisch und wirtschaftlich wäre es jedenfalls dringend geboten, diese  gigantische Auseinandersetzung im Blick zu behalten. Auf die osteuropäischen Länder können wir uns dabei wiederum nicht verlassen, sondern eher auf Länder wie Frankreich. Nicht, weil wir einander tatsächlich so sehr ähnlich sind, sondern, weil Frankreich immer schon eine strategischere Wirtschaftspolitik betrieben hat, auch Deutschland gegenüber, man weiß dort also eher, wie es funktioniert. Jetzt muss Frankreich nur noch überzeugt werden, dass es in Europa nur gleichberechtigt gemeinsam geht.

Und Osteuropa ist dabei nicht im „Inner Circle“?

Das war es in weiten Teilen nie, die EU wurde zu schnell erweitert, das ist keine neue Ansicht von mir. In Osteuropa liebäugeln einige, auch der Freund Orban, sehr damit, die EU an der Nase herumzuführen, indem sie mit der chinesischen Karte winken. Wenn diese wirklich zum Einsatz kommt, dann wird das auch die EU weiter auseinandertreiben. Es gibt also aus deutscher Sicht  genug Gründe, nicht jedem Wunsch von Ländern wie Polen einerseits oder Ungarn andererseits zu folgen, sondern sich eine gesunde Distanz zu bewahren und einen kerneuropäischen Weg zu verfolgen. Dass Polen aus historischen Gründen berechtigterweise sowohl antideutsch als auch antirussisch sind, lässt sich gut nachvollziehen, aber es darf nicht das aktuelle geostrategische Handeln In Deutschland bestimmen.

Sondern?

Es muss so ausgerichtet sein, dass die Demokratien tatsächlich gewinnen, auch von innen heraus, indem sie nicht ökonomischen Druck gegen die eigene Bevölkerung erzeugen, den die Regierungen dann wieder verwenden, um Bürgerrechte abzubauen, es muss darauf zielen, die Demorkatie nicht weiter beschädigen durch Unglaubwürdigkeit nach innen und durch chaotische und destruktive Außenpolitik. Es geht um die Ausstrahlung der Freiheit, die erhalten werden muss, und um einen friedlichen Wettbewerb der Systeme.

Also im Rahmen der imperialen Ordnung und mit Soft Power statt diesen hässlichen russischen Panzern?

Mir wäre eine gleichgeordnete, multipolare Welt am liebsten, die uns alle ruhig schlafen lassen würde, aber das ist überhaupt nicht abzusehen. Es ist Regierungen mächtiger Staaten leider eigen, den Nationalismus zu schüren, sich für überlegen zu halten und ihr System gleich mit. Der Westen ist zwar dringend reformbedürtig, aber am Ende des Tages ziehe ich eine Verfasstheit, die ein Mitwirken der Zivilgesellschaft zumindest generell noch erlaubt, einer solchen vor, bei der Veränderung nur dann erfolgt, wenn das System implodiert, wie die Sowjetunion, oder explodiert, wie Dritte Reich der Nazis, und dabei zig Millionen von Toten die Folge sind. Daher ist es wichtig, das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker jetzt mit der Ukraine zu verteidigen, aber die langfristigen Folgen muss man im Blick behalten und auf einen vernünftigen Ausgleich hinwirken.

Was ist ein vernünftiger Ausgleich?

Kein Diktatfrieden à la Putin jedenfalls, keine Vernichtung der Ukraine, aber vermutlich auch kein Stand von vor 2014, als Russland die Krim annektiert hat. Einen wirklichen Ausgleich erreichen wir  auch nicht dadurch, dass wir die eigene Wirtshaft ruinieren, nur, weil einige Regierungen in Osteuropa es gerne so hätten. Deren Ökonomien können die deutsche nicht ersetzen, wenn es darum geht, die EU einigermaßen am Ball zu halten. Das ist jetzt schon schwierig genug, nach den Erschütterungen, welche die Bankenkrise und Corona hervorgerufen haben, angesichts der Tatsache, dass aus Asien jetzt schon Druck auf die zu sehr von dort abhängigen Lieferketten ausgeübt wird, angesichts der Rohstoffprobleme, der Getreidekrise etc., aber jede weitere Schwächung hilft nur Putin und vor allem China.

Ich beneide die deutsche Regierung nicht. Je klüger sie handelt, desto schwerer lässt sich das angesichts der großen Simplifizierer verkaufen, die nur auf Schlagzeilen aus sind oder nach alter Gewohnheit Sündenböcke suchen. Wir brauchen nach diesem Krieg eine Ordnung, die endlich Sicherheit aus Friedfertigkeit und Interessenausgleich heraus bietet, und nicht, weil jeder Angst vor dem Waffenpotenzial der anderen hat. Wir waren da nach der Auflösung der Blöcke des Kalten Krieges schon so viel weiter, aber es wurde mutwillig fast alles kaputtgemacht. Federführend vom Westen, wo man glaubte, man habe den Endsieg schon in der Tasche und könne die ganze übrige Welt nach schlechter alter Gewohnheit kolonialistisch betrachten und behandeln.

TH

07.06.2022: Verbraucherstimmung in Deutschland (bleibt) im Keller[35]  

02.06.2022 Affenpocken und Corona: Siehe unseren aktuellen Report von heute.

02.06.2022 Deutschlandtrend der ARD: Sonntagsfrage, Ukraine, Russland

Heute hat die ARD ihren neuen Deutschlandtrend herausgegeben. Die SPD verliert deutlich an Zuspruch, die Grünen steigen ebenso deutlich und haben den größeren Koalitionspartner nun eingeholt. Die Union „setzt sich ab“ und gewinnt ebenfalls ein Prozent hinzu.

ARD-DeutschlandTrend: Fast jeder Zweite muss sich einschränken | tagesschau.de

21 Prozent für die SPD und die Grünen, 27 Prozent für die Union. Die guten Ergebnisse bei den letzten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW sowie Friedrich Merz‘ Kalkül, die Regierung in der Ukrainefrage vor sich herzutreiben, obwohl noch kein anderes Land Panzer oder gar Kampfflugzeuge in die Ukraine geliefert hat, scheint deutliche Wirkung auf den Bundestrend auszuüben. Kanzler Scholz wird wohl eher in einem Vierjahreszeitraum denken und man kann froh sein, dass er derzeit Verantwortung vor Rhetorik stellt, aber uns würde die Außenwahrnehmung interessieren: Glaubt man in anderen Ländern wirklich, Deutschland tue für die Ukraine wenig? Abgesehen von den USA mit ihren anderen Möglichkeiten und ihren erheblichen geostrategischen Interessen ist das nämlich nicht so.

Allenfalls die Liefergeschwindigkeit ist typisch deutsch, nämlich bescheiden. Dabei ist das, was man hinter all dem Sperrfeuer der Politik sieht, doch ziemlich klar: Deutschland will nun in dem Moment moderne Flugabwehrsysteme liefern, in dem die USA vorangegangen sind. Das ist wohl das abgestimmte Handeln, das Olaf Scholz betont, anstatt, wie die Außenministerin, einen Sieg der Ukraine als Kriegsergebnis verbal klar festzulegen und daran gemessen zu werden, wenn es am Ende doch darauf hinausläuft, dass Russland einen Teil der eroberten Gebiete behalten wird. Aber das Geschwätz von heute, das sich von dem von gestern stark unterscheiden mag, ist in dieser Medienlandschaft allemal mehr gefragt als eine Position, die versucht, seriös zu wirken. Wir bevorzugen die seriöse Kommunikation, aber wir wissen auch, wie Menschen, wie Wähler:innen gestrickt sind. Die Ankündigungsrhetoriker werden als die stärkeren Kommunikator:innen wahrgenommen werden.

Das mag bei politischen Forderungen auf vielen Gebieten einen Grund haben: Aktivist:in sein zum Beispiel erfordert eine fordernde Haltung und einen Auftritt, der Aufmerksamkeit erzeugen sollte. Für die deutsche Außenpolitik in Kriegszeiten ist die Gefahr groß, sich mit zu viel Kampfeslust lächerlich zu machen und Wladimir Putin mehr Genugtuung zukommen zu lassen, als er verdient hat, wenn es doch auf einen Teilerfolg für ihn in der Ukraine hinauslaufen sollte. Welchen Preis Russland und auch der Westen durch die Sanktionen dafür zu zahlen haben? Das wird hierzulande vor allem dann ein Thema sein, wenn es bei uns schlecht läuft und wir die Nachwirkungen noch jahrelang spüren werden. Es wird ein Thema sein, wenn in Russland hübsch inszenierte und propagandistisch bestens unterlegte Siegesparaden den Menschen ihre Entbehrungen versüßen sollen, während Deutschland und die NATO ja offiziell keine Kriegsparteien sind.

Sicherlich kann sich das Kriegsblatt wieder wenden und es ist nach unserer Ansicht nach wie vor an der Ukraine, ihre Kriegsziele selbst zu definieren. Doch es sind die Ziele der Ukraine, bei deren Errichtung kann man ihr helfen. Doch wir haben uns hierzulande davon fernzuhalten, zu tun, als seien sie die unsrigen. Das gilt für den Westen insgesamt. Der Westen muss auch mit der Option leben können, dass die russischen Truppen nicht komplett auf den Stand vom 23.02. zurückgedrängt werden können und dass die Krim nicht zur Ukraine zurückkehren wird. Schließlich hat der Westen Letzteres bereits acht Jahre lang akzeptiert und auch dem Kampf im Donbass vor dem russischen Einmarsch eher zugeschaut, wenn man von ein paar der üblichen nicht so an die große Glocke gehängten Hilfen absieht, die es für die Ukraine vor allem seitens der USA schon länger gibt.

Bezüglich der Lieferung schwerer Waffen sind die Befragten in Deutschland gespalten und es gibt dabei, wie zu erwarten, Unterschiede je nach politischer und regionaler Zugehörigkeit:

Der deutsche Kurs im Umgang mit diesem Krieg wird in der Bevölkerung sehr unterschiedlich bewertet. Jeder Zweite (50 Prozent) vertritt die Haltung, Deutschland solle dabei entschlossen agieren und Härte gegenüber Russland zeigen. 43 Prozent indes sagen, die Bundesregierung sollte eher zurückhaltend sein, um Russland nicht zu provozieren. Während die Mehrheit der Anhänger von Grünen (74 Prozent), FDP (60 Prozent) und Union (59 Prozent) ein entschlossenes Auftreten Deutschlands unterstützen und in den AfD-Reihen ein zurückhaltendes Agieren (71 Prozent) favorisiert wird, sind die Anhänger der SPD in dieser Frage gespalten.

Darüber hinaus bestehen massive Unterschiede zwischen West und Ost. 53 Prozent der Westdeutschen halten ein entschlossenes Handeln und Härte gegenüber Russland für angebracht, im Osten sagen das jedoch lediglich 35 Prozent. Für Zurückhaltung hingegen plädieren im Westen 40 Prozent, unter Ostdeutschen sind es 58 Prozent. Die bestehende Unterstützung der Ukraine mit Waffen halten vier von zehn Befragten (42 Prozent) für angemessen (+7 im Vgl. zu Ende April). 29 Prozent geht sie nicht weit genug (-2), knapp jedem Vierten (23 Prozent) geht sie zu weit (-4). Hierbei ist wichtig zu wissen: Am Mittwoch, dem letzten Tag der Befragung, hatte die Bundesregierung weitere Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt, darunter unter anderem ein modernes Flugabwehrsystem.

Die deutschen Sanktionsmaßnahmen gegen Russland halten derzeit 37 Prozent für angemessen (+3). Einer relativen Mehrheit von 41 Prozent gehen sie nicht weit genug (-4). Für 15 Prozent gehen sie zu weit (+1). Die diplomatischen Anstrengungen Deutschlands zur Beilegung des Krieges halten 43 Prozent für angemessen (+2); fast ebenso vielen Befragten gehen sie allerdings nicht weit genug (-1). Für 8 Prozent gehen sie zu weit (+2).

Es geht nichts oder nur wenig über Sozialisierung. So ist vollkommen klar, dass die Skepsis im Osten stärker ausgeprägt ist, wo die Erzählung vom Brudervolk der Russen ebenso stark verankert ist wie im Westen die jahrzehntelange Verankerung im gegnerischen Block. So gesehen, hätten die Unterschiede sogar noch stärker ausfallen können, denn solche Haltungen enden nicht plötzlich mit einer Wende, sondern werden tradiert. Mehr, als vielen bewusst ist. Es geht in der aktuellen Konfrontation wieder um eine Erzählung und damit um die eigene Biografie. Für die Ostdeutschen ist die gegenwärtige Lage deshalb nach unserer Ansicht eine stärkere Belastung als für uns Westler, die noch die früheren Narrative der Blockgegnerschaft aus der Mottenkiste holen und aufpolieren können.

Dass besonders die einst so fancy friedensbewegten Grünen ganz vorne dabei sind, wenn es darum geht, so zu tun, als würde man nun am liebsten olivgrün gesprenkelt tragen und an die Front gehen, lässt allerdings tief, sehr tief blicken. Die Substanzlosigkeit und mangelnde Hinterlegung der politischen Ansichten dieses Clusters, die uns nicht erst durch den Ukrainekrieg aufgefallen ist, erreicht neue Höhen oder eher Tiefen. Die meisten Grünen-Anhänger haben nie „gedient“, also keinerlei Ahnung davon, wie es sein könnte, wirklich in den Krieg ziehen zu müssen, sie sind nie auf die Gefahren trainiert worden, die damit verbunden sind und selbstverständlich war keiner von ihnen dabei, als die Bundeswehr in den letzten Jahren in Auslandseinsätze geschickt wurde. Afghanistan ist längst vergessen, die fragwürdige Beteiligung am Kosovo-Krieg von 1999, der nur durch eine grüne Wende möglich war, sowieso. Ach Gott, ist das lange her.

Das merkt man der Bedenkenlosigkeit, mit der sie auf Kriegskurs gehen, eindeutig an. Vielleicht wäre eine Art Gegenkurs zum Besuch vom Hofreiter Toni, dem obersten Kriegstreiber bei den Grünen, wären ein paar Wochen Echteinsatz im Donbass, eine gute Maßnahme, um deren Mütchen etwas zu kühlen.

Aber dass Frontrhetorik seitens grüner Spitzenpolitiker:innen in diesem politisch wenig elaborierten  Spektrum gut ankommt, versteht sich anhand der Umfragen von selbst. Wir wünschen normalerweise niemandem, dass es ihm mal so richtig dreckig geht, ökonomisch oder gar Leib und Leben betreffend, aber bei diesen Umfragewerten sind wir beinahe am Ende der Contenance angelangt. Das hat nichts mit Ängstlichkeit zu tun, wir erwarten zum Beispiel keine atomare Eskalation, zumal diese nur von Russland ausgehen könnte. Der Westen wird Kriegsziele sicher nicht auf diese Weise durchsetzen und Russland ist gemäß eigener Doktrin nicht aufgerufen zu einem Atomschlag, wenn seine Truppen auf fremdem Territorium vorstoßen – aber etwas mehr Maß halten im grünen Spektrum wäre wirklich eine gute Idee, denn täglich sterben Menschen in diesem Krieg auf eine grausame Weise.

Was sich anhand der Umfragen wieder zeigt: Strukturell und mental passen die Grünen wirklich gut zu FDP und Union – und sie sind weit überwiegend im Westen zuhause, wo generell eine härtere Haltung bevorzugt wird.

Aber glaubt jemand ernsthaft, die Union, wäre sie unter Kanzlerin Merkel an der Regierung, würde deutlich anders handeln als jetzt Kanzler Scholz? Nein, das würde sie nicht, Frau Merkel würde ebenso bedacht sprechen wie Scholz und vor allem nie über das hinausgehen, was andere Länder für die Ukraine tun. Heute hat sie sich erstmals zum Ukraine-Krieg geäußert und das Erwartbare gesagt, ohne der Regierung wohlfeile Tipps zu geben oder gar Kriegsziele zu benennen. Soweit man hört, telefoniert der aktuelle Kanzler ohnehin mit seiner erfahrenen Vorgängerin, um die Lage zu besprechen.

Und wie ist unsere Haltung? Ja. Der Ukraine muss geholfen werden, sofern sie selbst noch Chancen sieht, den Krieg in ihrem Sinne zu gestalten. Für die Opfer in diesem Kampf muss dann deren Regierung geradestehen, wenn sie umsont gewesen sein sollten. Aber, Deutschland betreffend, im Verbund mit den anderen NATO-Ländern, aus guter neuerer Tradition nicht vorneweg, angesichts der deutschen Geschichte, und nicht die Rhetorik von Johnson, Baerbock, Merz & Co. übernehmen, sondern schön scholzig bleiben. Das gilt auch für Scholz selbst. Der Kampf um die Ukraine ist kein deutscher Krieg und niemals ein deutscher Sieg.

TH

26.05.2022, Briefing-Timeline 10 (hier zu Nr. 9 vom 25.05.2022)

Finnland und Schweden in der NATO

Kürzlich hat eine im Auftrag von Welt-TV erstellte Umfrage von Civey ergeben, dass fast 70 Prozent der Bundesbürger:innen Schweden und Finnland gerne in der NATO hätten, und zwar auf jeden Fall. Weitere 11 Prozent sind überwiegend dafür. Ob die Umfrage exakt repräsentativ ist, muss nicht geklärt werden, sie gibt mit ziemlicher Sicherheit das Stimmungsbild einigermaßen wieder. Wir waren etwas spät dran, aber wir hätten mit der weit überwiegenden Mehrheit gestimmt. Der NATO kann nichts Besseres passieren, als dass zwei der letzten vollständigen Demokratien ihr beitreten. Pessimistisch könnte man nun konstatieren, dass sich das wohl eher negativ auf diese Demokratien auswirken wird als positiv auf die NATO, aber wir sehen es derzeit eher umgekehrt.

Dafür kann Freund Erdogan, der versucht, die NATO und die Beitrittsländer ein wenig zu erpressen, gerne gehen. Die Türkei liegt sowieso sehr weit weg vom Nordatlantik und die Gefahr, dass Erdogan mit seinen Übergriffen auf andere Länder, zum Beispiel seinen „Militäroperationen“, so würde Freund Putin es nennen, in Nordsyrien, die NATO in einen weiteren Konflikt hineinziehen wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Das ist freilich nur eine persönliche Haltung von uns, realistisch ist es nicht, denn die NATO hat ein großes Interesse daran, dass das große und wichtige Land am Bosporus nicht dem Gegenblock unter Führung Chinas anheimfällt.

Man wird sich also auf einen Kompromiss einigen, der den wilden Mann von ebenjenem Bosporus irgendwie so aussehen lässt, als habe er etwas erreicht. Die Schweden sind aufgrund ihrer vieljährigen Neutralität als Top-Diplomaten bekannt und werden das Problem mit Hilfe einigen Drucks aus den USA schon wuppen. Es zeigt sich aber wieder einmal, dass ganz unterschiedlich aufgestellte Staaten keine optimalen Bündnispartner sind, wenn es um einen Comment in Sachen Umgang miteinander geht, denn der Umgang miteinander und der Umgang dieser Politiker mit den Bürger:innen ihrer Länder ist oftmals sehr ähnlich. Pompöses, großspuriges Auftreten nach außen und autoritäres Regime im Inneren entsprechen einander.

Im Grunde ist es nicht vorwiegend eine Frage der Region, der die Türkei angehört, sondern ihres zunehmend diktatorischen Gepräges, dass sie nicht in ein Bündnis passt, das von sich behauptet, die Freiheit verteidigen zu wollen. Nur die Tatsache, dass einige ihrer Mitglieder es damit traditionell gar nicht so genau nehmen, macht in Wahrheit die Anwesenheit eines Landes wie der Türkei im Bündnis zu einer für die Anführer des Bündnisses sinnvollen Sache: Alles ist Geostrategie, nicht Wertepolitik.

25.05.2022 Das Schulmassaker von Uvalde, Texas, USA

A gunman murdered 19 children and two teachers in the deadliest U.S. school shooting for nearly a decade, prompting President Joe Biden to urge Americans to confront the country’s gun lobby and pressure Congress to tighten gun laws. Authorities said Salvador Ramos, 18, shot his grandmother, who survived, before fleeing and crashing his car near Robb Elementary School in Uvalde, Texas, and opening fire before being killed, apparently shot by police.[36]

Erst kürzlich haben wir uns zu den hohen Todesfallzahlen in den USA durch Schusswaffengebrauch geäußert und sie mit 40.000 beziffert. Offenbar sind das aber die Opferzahlen von Gewaltverbrechen insgesamt, durch Schusswaffengebrauch kommen etwa 32.000 Menschen pro Jahr ums Leben, Selbstmorde mit Feuerwaffen allerdings inkludiert. Zum Vergleich: Die Zahl aller Tötungsdelikte in Deutschland liegt bei etwa 2.000 pro Jahr. In Deutschland sterben insgesamt ca. 10.000 Menschen pro Jahr an Selbsttötung, alle Begehungsweisen zusammengerechnet.

Das gestrige Grundschul-Massaker mit bisher gezählten 21 Toten in Texas war das folgenreichste seit dem berüchtigten Sandy-Hook-Elementary-School-Massaker in Connecticut im Jahr 2012, bei dem es zu 26 gewaltsamen Todesfällen kam.

Um unser Entsetzen über diese Bluttat von Texas zu kanalisieren, haben wir auf Twitter nach ein paar Gedanken gesucht. Damit es gleich klar ist. Auch in Deutschland gibt es tatsächlich Menschen, Rechte und Ultraliberale, die gerne weniger strenge Waffengesetze hätten:

(1) Libertäre Deutsche Jugend auf Twitter: „Nicht das einzige. https://t.co/WAq9APtMfv“ / Twitter

(1) Mare Tranquillitatis auf Twitter: „@SZ_Panorama @POTUS Und jetzt ratet mal, welche Position die AfD zum Waffengesetz hat. https://t.co/9u3q5OORug“ / Twitter

Und wie man doch alte Propagandabilder missbrauchen kann, nicht? Zum Glück ist nicht zu erwarten, dass solche Ansichten bei uns in nächster Zeit mehrheitsfähig werden. Trotzdem ist der letzte Todesschuss auf einer Kirmes gerade mal ein paar Tage her und in Berlin kommt es recht häufig zu Schusswechseln, in der Regel werden auf diese Weise Clanstreitigkeiten ausgetragen. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis dabei auch Unschuldige verletzt oder getötet werden, ein weiteres Problem ist hier die Polizeigewalt, hier kann man immer wieder auch von einem missbräuchlich angewendete Gewaltmonopol sprechen.

(1) Prof auf Twitter: „Aber da besteht sicher kein Zusammenhang. Sind halt 22 (01/22 – 05/22) „bedauernswerte“ Einzeltäter mit ’ner „schweren Kindheit“, die „um Hilfe“ riefen. 💁 #schoolshooting https://t.co/Pdkrcm2AyG“ / Twitter

In diesem Tweet hat sich jemand Gedanken gemacht, was wohl das massive Sponsoring er NRA, der National Rifle Association, mit dem Verhalten der republikanischen Politiker zu tun hat, die jede Verschärfung des Waffenrechts blockieren. Es ist nicht so, dass wir in Deutschland kein Problem mit dem Einfluss von Lobbyist:innen auf die Politik hätten, aber die Summen, um die es in dem Tweet geht, sind atemberaubend und stellen Fragen an die Demokratie in den USA und ihren  Zustand.

(1) 💙💛 Cruelli deVil 💛💙 auf Twitter: „Das „nicht Waffen töten, sondern Menschen“ ist der amerikanische „Fuck you Greta“-Aufkleber auf SUVs der Deutschen. #schoolshooting“ / Twitter

Ganz klar eine ähnliche Haltung? Vielleicht. Aber es sind immer dieselben Typen, die sich rücksichtslos über alles und jeden hinwegsetzen und von denen gibt es in den USA besonders viele, weil in dieser Gesellschaft Menschen von klein auf zur Gewaltausübung erzogen werden. Oder auch: Direkt vom Bethaus zum Schießplatz. Oder auch: Schutz des ungeborenen Lebens um jeden Preis, aber Schutz der bereits Lebenden? Quatsch.

(1) 💙💛✊🏼 Jasmin Schreiber auf Twitter: „Pro life: In Texas kannst du legal keine Abtreibung kriegen, dein Kind kann aber jederzeit in der Schule erschossen werden. Nie wird irgendetwas schlimm genug sein, dass sich die Waffengesetze in den USA ändern. Thoughts and prayers, dann ab auf den Schießstand. #schoolshooting“ / Twitter

So gesehen ist es fast wieder logisch, dass dieselben Radikalen, die für das freie Waffentragen plädieren, auch oft bei den „Lebensschützern“ zu finden sind. Aufgrund der hohen Anzahl von Toten durch Schusswaffen (und Drogen) in den USA muss irgendetwas getan werden, um die Geburtenrate hochzukriegen, damit mehr Futter für die Amokschützen dieses Landes durch die Gegend läuft. Die USA sind das einzige westliche Land, in dem schon vor Corona das Durchschnittsalter der Menschen nicht mehr gestiegen ist, diese Tendenz wird sich wohl fortsetzen.

(1) Schwarzwaldmädle auf Twitter: „Kein feindliches Land muss die USA angreifen. Die USA führen Krieg gegen die eigene Bevölkerung. #schoolshooting“ / Twitter

Das ist richtig, aber bei uns wird der Krieg auf andere Weise geführt: In dem immer mehr Menschen in die Armut getrieben werden. Beiden Phänomenen liegt eine radikal menschenfeindliche Einstellung auch seitens der Politik zugrunde. Hätte jemand geglaubt, dass die Zivilisation so schnell geschliffen, die Demokratie von so vielen Seiten angegriffen werden kann, wie wir das jetzt sehen?

(1) MeiMey auf Twitter: „Der Gouverneur von Texas findet das jüngste #schoolshooting in seinem Bundesstaat „unbegreiflich“. Ach, urteilt doch selbst. Thoughts and prayers fürn Arsch, ihr verlogenen Wi***er. Grundschulkinder, verdammt! 🖤🖤🖤😢🤬 https://t.co/T2a2WnevAp“ / Twitter

In einem Tweet aus dem Jahr 2015, damals wohl noch als Kandidat, twittert Abbott, der Gouverneur von Texas, sinngemäß: „Wie, wir in Texas sind nur die Nr. 2 bei den nationalen Waffenkäufen hinter KALIFORNIEN? Nehmt Geschwindigkeit auf, Texaner!“ Kalifornien vermutlich in großen Lettern, weil es einem aufrechten Bewohner des Lone Star State wohl als ein Landstrich, bevölkert von unheimlichen Linken und Progressiven gilt, die an der falschen Küste wohnen und in einem weiteren Tweet will er das offene Tragen von Waffen in Texas durch Zivilisten unterstützen. Zurück zu den alten Pioniertagen ohne Gesetz und Ordnung. Aber er kann ja anlässlich des aktuellen Schulmassakers gut nicht schreiben, das kommt eben davon. Ein weiterer Gedanke schließt sich unweigerlich an.

Wenn man die Bilder von weinenden Eltern sieht, deren Kinder in der betroffenen Grundschule umgebracht wurden: Wie viele von ihnen haben diesen Abbott gewählt und wie viele davon haben selbst Schusswaffen zuhause? Was wir wirklich unheimlich finden, ist, wie rudimentär und abgespalten Menschen oft sind. Und der Eindruck, dass es immer schlimmer wird, mag daran liegen, dass wir uns in den letzten Jahren immer mehr für alle diese Vorfälle interessieren, aber das macht es nicht besser. Hier mal etwas Medienoffizielles, wenn man es so bezeichnen kann:

(1) SZ Panorama auf Twitter: „Nachdem ein Täter an einer Grundschule in Uvalde mindestens 19 Kinder getötet hat, zeigen sich Politiker und Politikerinnen erschüttert. @POTUS fordert, wie viele andere, schärfere Waffengesetze. #schoolshooting #texas https://t.co/KfLHaF51GE“ / Twitter

Glauben Sie, in den USA wird sich etwas ändern? Im Grunde sind es zwei verschiedene Paar Schuhe, sollte man meinen. Aber schauen Sie auch mal auf die Außenpolitik der USA. Momentan stürzen sich alle auf Russland, aber seit dem Ende des zweiten Weltkrieges haben die USA vermutlich mehr als 10 Millionen Menschen in anderen Ländern umgebracht. Auch die Demokraten,  zuletzt gerade sie.

Außerdem hat der Demokrat Joe Biden im Moment gerade ein Umfragetief durchzustehen. Das heißt auch, dieser Vorfall in Texas kam zu einem ganz ungünstigen Zeitpunkt und vielleicht kurz vor einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse in Senat und Abgeordnetenhaus bei den „Midterms“. Mit republikanischen Mehrheiten, wie sie danach zu befürchten sind, wird es keine Verschärfung der Waffengesetze geben. Warum auch. Was weltweit für Schlagzeilen sorgt, ist in den USA Alltag.

Wir können nur dringend wiederholen, was wir kürzlich schon aus geopolitischen Überlegungen heraus geschrieben haben: Wir müssen uns in Europa von den USA mehr distanzieren, unabhängiger stellen, die Alltagskultur nicht mehr ausschließlich an diesem Land orientieren. Das führt nur zu mehr Hass, mehr Rassismus, mehr ermordeten Menschen. Es führt letztlich zum Untergang eines freien Europas oder trägt zumindest dazu bei, denn es gibt weitere hochgefährliche Faktoren, die seit Jahren teilweise fast unbemerkt gegen die Demokratie wirken. Denn es hört ja nicht auf:

(1) Myriam Frank 🔯 Mutterwurm auf Twitter: „Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, bietet der US-Waffenhersteller WEE 1 Tactical nun auch ein speziell für Kinder entwickeltes halb automatisches Gewehr an, das an das AR-15 angelehnt ist. #SchoolShooting #MassShooting #NRA https://t.co/r053sJ5fx0“ / Twitter

Es gibt keinen Stillstand. Kürzlich hat ein Hersteller in den USA tatsächlich eine Schnellfeuerwaffe für Jugendliche entwickelt, die leichter und kleiner ist als das „Erwachsenenmodell“ AR-15, das sich bei Amokschützen besonderer Beliebtheit erfreut. Ist das noch Zivilisation, wie wir sie kennen, oder schon Dystopie? Als nächstes müssen sich wohl die Grundschüler:innen bewaffnen und mit schusssicheren Westen ausstatten, wenn sie das Elternhaus verlassen, damit nicht die ein paar Jahre älteren Kinder sie mit dem JR-15 (so heißt das Waffenmodell wirklich) über den Haufen schießen. Aber die Corona-Maske, die ist natürlich eine Einschränkung der Freiheit ohnegleichen.

(1) Herr Pan Tau. auf Twitter: „Wären nur alle Kinder ordentlich bewaffnet gewesen… #Uvalde #schoolshooting #Texas Es macht mich mal wieder fassungslos und so unendlich traurig.“ / Twitter

Genau diesen Gedanken hatten wir auch und sahen, jemand war schneller. Zum Glück, weil wir nicht gerne außerhalb der Bewerbung unserer Artikel herumtwittern. Aber genau das war es und so werden einige auch argumentieren. Man kann sich auch die Dimensionen der US-Waffen- und Kriegsindustrie hierzulande kaum vorstellen und damit auch nicht deren Einfluss. Nach innen und nach außen ist der Kriegszustand geradezu notwendig, damit dieses Geschäft weiter floriert.

Wir haben das heutige Briefing ausschließlich diesem Ereignis in Texas gewidmet.

Woanders auf der Welt sind an diesem gestrigen Tag wohl mehr Menschen ums Leben gekommen, durch Gewalt. In der Ukraine zum Beispiel. Aber hier geht es um die Zerstörung der Zivilisation gerade in einem Land, das uns vor Zerstörern der Zivilisation schützen soll. Wem dabei nicht mulmig wird, der versteht nicht, worum es bei dem Begriff Freiheit wirklich geht: nämlich friedlich, angstfrei, gleichberechtigt und solidarisch nebeneinander leben zu können. Davon entfernen wir uns alle immer weiter und die USA sind, wie meistens, das Land, in dem man sich anschauen kann, wie es bei uns wird, wenn die Brutaliserten sich durchsetzen. Als nächstes wird wohl das Abtreibungsrecht kippen, während die Waffengesetze bleiben werden, wie sie sind – oder noch lockerer werden.

TH

22.05.2022 9-Euro-Ticket

Morgen kommt es und wir werden es aufgrund besonderer persönlicher Umstände dankbar annehmen. Normalerweise wären wir, 9-Euro-Ticket hin oder her, weiter überwiegend mit dem Rad gefahren, aber im Moment geht das nicht so wie gewünscht. Argumente für und gegen das Tickt gibt es zuhauf.[37] Wir betonen deshalb, dass wir das Ticket zwar als zusätzliche Maßnahme zur Kostendämpfung in diesen inflationären Zeiten begrüßen, aber es selbstverständlich nicht als Ersatz für einen besser ausgebauten ÖPNV ansehen.

Woran wir bisher gar nicht gedacht hatten: Dass die BVG-Verkehrsmittel noch mehr überfüllt sein könnten als zu manchen Tageszeiten schon jetzt. Bei einer Inzidenz von immer noch ca. 280 in Berlin und Sommerhitze keine erfreuliche Aussicht, auch nicht das möglicherweise warten müssen auf die nächste Bahn, die dann hoffentlich nicht ganz so voll ist. Doch vor allem ist wichtig: ÖPNV und Radwegenetz müssen besser ausgebaut werden. In Berlin heißt das bezüglich der BVG vor allem: Mehr einsatzfähige Wagen für die U-Bahn und dadurch kürzere Taktung in Stoßzeiten.

Service: hier finden Sie alles Wichtige zum 9-Euro-Ticket: Verkaufsstart des 9-Euro-Tickets: Was Fahrgäste nun wissen müssen | WEB.DE

Auch passend zum Thema Bewegung in der Stadt: Mit dem Fiets* zur Arbeit | Newsroom | Wirtschaft, Ökologie, Verkehrswende | Radfahren – DER WAHLBERLINER

22.05.2022 Aus der Linken

 „Berlins Kultursenator Klaus Lederer hat ausgeschlossen, beim Linke-Bundesparteitag Ende Juni fürein Amt an der Parteispitze zu kandidieren. „Ich habe eine Aufgabe und jeden Tag wirklich gut zu tun, um genau daran zu arbeiten“, sagte Lederer der „Berliner Zeitung“ (Sonntag). „Das heißt aber nicht, dass ich mich aus der Verantwortung nehme, was die inhaltlichen Debatten angeht“, sagte Lederer. „Ich bin aber auch lange genug dabei, kenne meine Grenzen und meine, es braucht da einen neuen Aufbruch. Die Partei muss jünger und diverser werden, da helfe ich gern mit voller Kraft mit. Aber nicht in der ersten Reihe.“[38]

Wenn wir richtig liegen, hat man als Senator und Vizebürgermeister auch ein höheres Einkommen, als ein stino Bundestagsabgeordneter an Diäten erhält, während der Parteivorsitz kein dotiertes Amt ist, sondern eine Ehre. Sollte man jedenfalls meinen. In der Linken hat nur kaum noch jemand Lust, auf diesem Schleudersitz Platz zu nehmen, ganz so, wie es über Jahre hinweg bei der SPD der Fall war. Der SPD als Volkspartei schadete es aber mehr, wenn kein Mensch außerhalb eines begrenzten regionalen Raums die Namen neuer Vorsitzender kennt, wie zuletzt bei Esken / Walter-Borjans. Die Linke hingegen kann ruhig mal etwas wagen, noch viel schlimmer wird es allein dadurch nicht. Höchstens dann, wenn sich dadurch auch eine qualitative Abwärtsspirale ergibt, was einige jedoch bereits seit Jahren als gegeben ansehen.

Zumindest während der ersten Berliner R2G-Koalition ab 2017 war Lederer meist einer der beliebtesten Politiker der Regierung, aber damals erlebte die Linke einen zwischenzeitlich Umfragen-Aufschwung auf bis zu 20 Prozent. Wie es im Moment aussieht, wissen wir nicht, uns liegt kein aktuelles Ranking vor. Janine Wissler hingegen, die, anders als ihre Kollegin Susanne Hennig-Wellsow.nach den jüngsten Problemen in der Linken nicht hingeworfen hatte, wird auf dem Parteitag im Juni wohl erneut kandidieren.

Zur Linken siehe zuletzt im Briefing vom 19.05 „ Links wirkt nicht, sondern blamiert sich weiter.“[39]

Affenpocken statt Corona? ++ SPD-Fail, Güne-Hype beim Politbarometer ++ Ukraine: Azovstal ++ Putinknechte und Sorgenmenschen ++| Briefing 6 – DER WAHLBERLINER

22.05.2022 Affenpocken II

Warum trenden heute die Affenpocken im Zusammenhang mit #LGBT #LGBTIQ auf Twitter? Weil Menschen sich bei einem LGBT-Festival auf Gran Canaria infiziert haben könnten. Hier etwas mehr, auch  um hervorzuheben, dass der Vergleich mit AIDS unsinnig ist und der Vorgang keinen Grund zur Diskriminierung darstellt.[40]

»Es war nur eine Frage der Zeit, bis Affenpocken auch in Deutschland nachgewiesen werden«, teilte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu dem Fall mit. Durch die Meldungen aus anderen Ländern seien Ärzte und Patienten in Deutschland sensibilisiert. »Auf Grund der bisher vorliegenden Erkenntnisse gehen wir davon aus, dass das Virus nicht so leicht übertragbar ist und dass dieser Ausbruch eingegrenzt werden kann.« Dafür sei aber schnelles Handeln nötig. »Wir werden jetzt das Virus genauer analysieren und prüfen, ob es sich um eine ansteckendere Variante handelt.«[41]

21.05.2022 Ukraine: Werk Azovstal in Mariupol eingenommen

Die Evakuierungsmaßnahmen der letzten Tage ließen diese Ahnung zu: Azovstal wird fallen und das ist nun offenbar passiert. Derzeit noch unter dem Vorbehalt, dass die Angaben von russischer Seite stammen:[42]

Alle Kämpfer hätten sich ergeben, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Freitagabend in Moskau. Es seien insgesamt 2439 ukrainische Soldaten seit dem 16. Mai in russische Gefangenschaft gekommen. Das Werk war das letzte Stück der strategisch wichtigen Stadt im Südosten der Ukraine, das noch nicht komplett unter russische Kontrolle gewesen war.

Da diesem Widerstand von manchen eine geradezu stalingradsche Dimension angedichtet worden war, passt diese Meldung zu einer Nachdenklichkeit, die sich dort Bahn bricht, wo die Meinung der westlichen Welt zuhause ist.

21.05.2022 Ukraine, Wirtschaft, die NYT: Tag der Erkenntnis, Tag des Wandels? Leitkommentar

So könnte man das, was heute nachrichtlich läuft, gut überschreiben. Vor allem hat ein Artikel des Editorial Boards der New York Times für Furore gesorgt, in dem die Herausgeber fordern, die US-Regierung möge ihre Haltung zum Ukraine-Krieg überdenken, einen Verhandlungsfrieden ins Auge fassen und dem ukrainischen Regierungschef Wolodymir Selenskyj Grenzen setzen. Wir haben nicht deswegen eigens ein NYT-Abo eingerichtet, sondern folgen der Zusammenfassung der Berliner Zeitung zu diesem Artikel, unter dem Vorbehalt, dass diese nichts Wichtiges auslässt.[43] Die Berliner Zeitung hat ihrerseits einen Social-Media-Knaller gelandet, indem sie ihren Beitrag mit „Die NYT klingt plötzlich wie Sahra Wagenknecht“ überschrieben hat. Lesen Sie bitte selbst und urteilen Sie dann, ob das, was die NYT in der Wiedergabe der Berliner Zeitung schreibt, wirklich dem entspricht, was Sahra Wagenknecht in Talkshows und in Medien äußert. Nach unserer Ansicht gibt es da sehr wohl einen Unterschied: Die Perspektive. Die NYT schreibt im Interesse der „Ostküsten-Elite“ der USA, was weitgehend stimmt, Sahra Wagenknecht argumentiert aus russischer Sicht, was man hierzulande angesichts der Aufstellung des Putin-Regimes und der Tatsache, dass dies auf einen ungehinderten Durchmarsch in der Ukraine, der eben keinen Verhandlungsfrieden, sondern einen russischen Diktatfrieden nach sich ziehen würde, nicht tun sollte.

Glauben wir nun und würden wir es für richtig halten, dass es für die Ukraine eine Ganz-so-oder-so-Lösung geben wird? Richtig ist eine Sache für sich, aber realistisch: Nein. Die Ukraine so aufzurüsten, dass sie alle von Russland besetzten Gebiete inklusive der Krim wird zurückerobern könnte, ohne dass Russland „schmutzige Waffen“ inklusive kleinerer Atomwaffen einsetzen wird, ist beinahe undenkbar, auch wenn das russische Militär sich angesichts seiner Größe und technischen Überlegenheit derzeit ziemlich blamiert.

Also wird es etwas wie einen echten Verhandlungsfrieden geben müssen. Die Frage ist eher schon, was im Anschluss passiert. Die Ukraine oder Restukraine wird Sicherheitsgarantien erhalten müssen, damit es nicht zu neuen russischen Übergriffen kommt, der jetzige Fall darf sich nicht wiederholen. Deswegen ist es folgerichtig, dass die skandinavischen Staaten Schweden und Finnland sich der NATO anschließen. Diese ist, wenn sie sich ein inklusiveres Gepräge gibt und eine künftige paneuropäische Sicherheitsarchitektur ins Auge fasst, auch nicht überholt, nicht obsolet. Langfristig wird dieses Bündnis auch Russland einschließen müssen. Das russische Interesse liegt auf der Hand: nicht zum chinesischen Vorhof degradiert werden. Gerade deshalb wäre Augenhöhe wichtig. Ob das mit Putin noch möglich ist, ob die USA irgendwann wieder dahin kommen werden, auf Augenhöhe mit anderen zu verhandeln, ist erneut eine andere Frage.

Oder will jemand ernsthaft behaupten, Russland hätte nicht z. B. auch auf dem Baltikum ebenfalls dieses Muster angewendet oder könnte es noch tun, militärische „Spezialoperationen“ durchzuführen, wenn die Ex-Sowjetrepubliken dort nicht Mitglieder der NATO wären? Auch dort gibt es russische Minderheiten, die man instrumentalisieren kann, indem man sie für schutzbedürftig erklärt. Es handelt sich um rein geostrategische Operationen und der wirtschaftliche Schaden wird für Russland groß sein, auch das ist keine Frage. Man kann eben nicht die Gaslieferungen einfach mal nach China umleiten, das bisher auch mit weniger russischem Gas ganz gut ausgekommen ist. Falls sich China und Indien doch bereiterklären, mehr russische Energie zu beziehen, wird der Preis dafür hoch sein: Russland als energieliefernder Vorhof des wirtschaftlich mächtigen Reichs der Mitte, das ist es, was die Menschen in Russland, die sich überwiegend als Europäer:innen begreifen, zu erwarten haben und auch Indien entdeckt gerade, was man mit dem Druck einer 1,4-Milliarden-Bevölkerung im Rücken politisch alles bewirken kann, gerade, wenn man sich nicht strikt neutral gibt. Derweil setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass wir uns bewegen müssen:

Selten war Deutschland, war die Europäische Union mit so vielen gewaltigen Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert: Krieg, Klimakrise, Artensterben, Pandemie, Armutsmigration, galoppierende Energiepreise, Inflation, gesellschaftliche Konflikte.

Was wir seit Jahren fordern, nämlich eine größere strategische Unabhängigkeit Europas von „zwei Diktaturen“, Russland und China und einer „wackeligen Demokratie“, den USA, hat nun auch T-Online in seinem heutigen Morgenbriefing entdeckt.

Unsere Energieversorgung haben wir nach Russland ausgelagert, die Wirtschaftsmärkte nach China, die Sicherheit kommt aus den USA. Zwei Diktaturen und eine wackelige Demokratie sind bisher die Garanten für Deutschlands Wohlstand und Sicherheit gewesen.[44]

Man könne jedoch die erheblichen Umstellungen, die mit einer Aufgabe dieser Sicherheiten verbunden sind, nicht den Politikern allein überlassen, Verzicht und Umdenken sei bei uns allen angesagt:

Man kann nicht gleichzeitig für den Klimaschutz sein und T-Shirts für fünf Euro aus China kaufen. Man kann nicht gleichzeitig Putins Erdöl verweigern und SUV fahren. Man kann nicht gleichzeitig die Vermüllung der Weltmeere beklagen und im Supermarkt Plastikverpackungen shoppen. Die Zeit des ungehemmten Konsums und der leichtsinnigen Was-geht-das-wird-gemacht-Mentalität ist vorbei. Jede und jeder in unserem Land, auf unserem Kontinent trägt eine Mitverantwortung.

Richtig bis zu dem Punkt, an dem die Komponente der sozialen Verantwortung der Politik dafür, dass die Menschen sich auch gute Ware leisten können, komplett weggelassen wird. Zum Beispiel lassen sämtliche Sportartikelhersteller in Südostasien produzieren, nicht nur in China, wir merken das immer, wenn wir auf die Etiketten schauen. Und das nicht nur für fünf Euro, sondern mit hohen Gewinnen der Markenhersteller auch für das Mehrfache.

Es gibt kaum noch einigermaßen bezahlbare Alternativen hiesiger oder wenigstens europäischer Fertigung, aber von gerechter Umverteilung, die Industrien zurückholen würde, weil sich dann mehr Menschen die höheren Herstellungskosten in Europa leisten könnten, im T-Online-Artikel kein Wort, dabei wäre das wirtschaftsstrategisch und ökologisch eine Win-Win-Situation. Natürlich nicht, wenn man den Neoliberalen mit ihrer ressourcenverschleudernden Freihandelsideologie folgt, die werden nie verstehen, dass wir so nicht weiterwirtschaften können. Wir tragen gerne die Mitverantwortung und verbessern uns auf diesem Gebiet, so gut es geht, auch unter den jetzigen, sehr ungünstigen Bedingungen, aber es muss dabei fairer zugehen als bisher, wenn wir alle oder wenigstens die Mehrheit mit in das Boot nehmen wollen, das wir Richtung Nachhaltigkeit rudern wollen.

In der Folge wird noch die Verantwortung für die Verantwortung bei der Informationsbeschaffung angesprochen, mit erheblicher Eigenwerbung. Die klare Trennung von Information und Meinung funktioniert meist nicht so, wie man es sich wünscht, sonst darf man Information wirklich nur strikt neutral herunterrattern und selbst dann ist man nicht „neutral“, weil man zwangsläufig eine Auswahl vornehmen muss, die wiederum zwangsläufig subjektiv ist. Bei uns ist es sehr klar: Wir verwenden Informationen verschiedener Quellen und bauen darauf unsere Meinung auf, die wir in Artikeln wie diesem kundtun. Das ist transparent und ehrlich. Und wir geben unsere Quellen ebenfalls an, von einigen sehr allgemeinen und weit verbreiteten Nachrichten, die man fast wortgleich aus unzähligen Medien beziehen kann, abgesehen.

Ja, es muss sich etwas ändern. Aber nicht so, wie die herrschende Klasse es sich vorstellt, inklusive der ihr zuarbeitenden Medien. Es ist durchaus möglich, den Wohlstand der Mehrheit zu bewahren, aber ihn anders zu organisieren und auch an dessen Definition zu arbeiten. Dabei dürfen immaterielle Aspekte gerne eine größere Rolle spielen, aber nicht zulasten der Grundversorgung, nicht zulasten der Daseinsvorsorge. Das ist wirklich zu billig, der Mehrheit jeden Tag Konsumverzicht nahezulegen, während diejenigen, die einen wirklich riesigen ökologischen Fußabdruck haben, weitermachen wie bisher und sich natürlich auch alle High-End-Ökolabels dieser Welt leisten können, um damit auf ihren Jachten in der Sonne zu sitzen, die einen Energieverbrauch wie eine mittlere Kleinstadt haben.

Wir haben schon vor ca. 10 Jahren vorgerechnet, was es bringen würde, Produkte teurer, aber nachhaltiger und langlebiger zu gestalten, was wir aber unbedingt ergänzen müssen: Die ökonomisch immer mehr in Bedrängnis kommenden Menschen müssen sich diese teurere Anschaffung trotzdem erst einmal leisten können. Es ist die neoliberale Erziehung, welche die heutige Wegwerfgesellschaft maßgeblich befördert hat, diese Mentalität bezieht sich sogar auf Menschen: Wer nicht mehr maximal finanzialisierbar ist, kann weg. Dass es ausgerechnet ein SPD-Kanzler war, der sich dabei am meisten hervorgetan hat, ist symptomatisch, aber nicht entscheidend. Dieser Ungeist sitzt in fast allen Politikern und auch in den meisten Redaktionen und ist dort mittlerweile so tief verwurzelt, dass Einschränkungsforderungen fast ausschließlich ohne soziale Gerechtigkeit gedacht und niedergeschrieben werden.

Nun noch ein Wort zur deutschen Rolle im Ukraine-Krieg. Glauben Sie nicht Kriegshetzern, die so tun, als hinge daran, ob Deutschland etwas vorsichtiger oder etwas offensiver agiert, die Entscheidung im Ukraine-Krieg. Das ist definitiv nicht der Fall. Was die USA tun werden, das ist entscheidend, siehe oben, strategische Abhängigkeit. Und in Europa haben die beiden Atommächte Großbritannien und Frankreich, die auch ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrats der UNO sind, geopolitisch immer noch die dickere Hose an, im Vergleich zu unserem Land mit seiner ganz anderen Geschichte.

Wenn also Boris Johnson mit seinem draufgängerischen Gepräge zumindest so wirkt, als sei er härter Russland gegenüber, ist das seine Sache, nicht die unsere, nicht die Haltung, der die deutsche Regierung 1:1 folgen muss.

 Wenn also ein Ex-NATO-Generalsekretär, wie tausend andere zuvor, versucht, Olaf Scholz unter Druck zu setzen, dann schreiben wir: Je weniger er sich von der aktuellen bellizistischen Stimmungsmache beeindrucken lässt, die immer noch klingt wie im März-Schock und mit fehlerhafter Folgeneinschätzung einhergeht,[45] desto mehr ist er in Sachen Ukraine-Krieg unser Mann am richtigen Platz, nämlich jemand, der eigenständig denken, handeln und von gesicherten Ergebnissen her kommunizieren kann. Man muss es eben mal aushalten können, dass er nicht jeden Tag irgendwelche Meldungen in die Welt setzt, die zumeist sehr schlecht altern.

20.05.2022 Corona

Die 7-Tage-Inzidenz sanj in den letzten Tagen in Schritten von ca. 5 bis 6 Prozent, das ist eine gute Rate, wenn im Sommer Entspannung herrschen und weitere Corona-Maßnahmen aufgehoben werden sollen, wie etwa die Maskenpflicht im ÖPNV. Heut steht die Inzidenz bundesweit bei 342, gestern waren es 362. Mehr im Corona-Report von vorgestern (108/22).[46]  

20.05.2022 Affenpocken

Dafür ist das nächste Virus schon im Anmarsch, es trägt den Erreger für die sogenannten Affenpocken.

Seit Anfang Mai wurden in mehreren europäischen und nordamerikanischen Ländern dutzende Verdachtsfälle und bestätigte Infektionen mit Affenpocken gemeldet. Nach ersten Fällen in Großbritannien meldeten auch Spanien, Portugal, Italien, Schweden und Frankreich sowie die USA und Kanada bestätigte Fälle und Verdachtsfälle.[47]

Zu den Symptomen der Affenpocken beim Menschen gehören Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen und ein Ausschlag, der oft im Gesicht beginnt und dann auf andere Körperteile übergreift. Die meisten Menschen erholen sich innerhalb mehrerer Wochen von der Krankheit, ein tödlicher Verlauf ist selten, heißt es in dem Beitrag weiter. Mal sehe, ob das Ganze wieder ein ziemlicher Affenzirkus wird.

19.05.2022 Die Regierungskoalition im Politbarometer: SPD-Schlappe, Grünen-Hype

Gemäß ZDF-Politbarometer steht die SPD mit 22 derzeit so niedrig wie seit Umfragen nicht mehr, die der Bundestagswahl am 26. September 2021 vorausgingen.[48] Die Grünen hingegen kommen auf 24 Prozent und liegen damit 2 Prozent hinter der CDU. Die FDP verliert 2 Prozentpunkte und kommt auf 7 Prozent. Viele wundern sich gerade, dass die sehr dezidiert kriegsorientierten Grünen dermaßen hochgehen, während die kaum anders aufgestellte FDP verliert. Kanzler Scholz wird derzeit von Medien niedergeschrieben, die von ihm gerne ein bellizistische Rhetorik hätten, ohne dass sich dadurch faktisch viel ändern würde. Deutschland hilft der Ukraine auf unspektakuläre Weise relativ viel und Panzer hat bisher auch noch kein anderes westliches Land dorthin gegeben, um den russischen Angriffsfeldzug zu stoppen. Nun könnte man sagen, vor zwei, drei Jahren stand die SPD in Umfragen auch schon bei 14, 15 Prozent, was soll’s. Vermutlich wird Kanzler Scholz auch in etwa so denken, denn bis zur nächsten Wahl ist es noch lange hin.

Insofern gut, dass der Krieg nicht mitten in den Bundestagswahlkampf 2021 fiel, dann wären die Töne der hiesigen Politik noch um einiges schriller gewesen. Interessanterweise sind in Umfragen die Menschen mehrheitlich der Meinung, dass Scholz richtig, also einigermaßen umsichtig und vorsichtig agiert, derzeit etwa mit Anteilen von etwas über 50 Prozent Zustimmung und ca. 35 Prozent Ablehnung. Passt das zusammen mit dem Absturz der SPD im Politbarometer? Kommt wohl auch darauf an, wie man fragt und nach welcher Methode man Umfragen erstellt. Den Grünen hingegen fällt die Stimmungslage geradezu in den Schoß, denn das deren Wähler:innen besonders friedensorientiert sind, gilt schon lange nicht mehr. Besonders, dass der Spin der allgemein zu erwartenden Einschränkungen des Krieges wegen so gut ankommt, ist schon krass. Das wird wohl als Ehrlichkeit angesehen, in Wirklichkeit ist es der Aufgalopp zur nächsten Runde der sozialen Verwüstung in diesem Land, die Reichen natürlich ausgenommen, wie immer. Es ist nicht unsere Schuld, dass die Menschen so grottennaiv sind. Wir versuchen, für die zu schreiben, die sich ein wenig mehr eigenes Kombinieren und Analysieren erlauben.

19.05.2022 Ukraine-Krieg

Die Evakuierung aus dem lange Zeit heiß umkämpften Azov-Stahlwerk von Mariupol dauern an, jetzt geht es um die Rettung von Zivilisten und die Bergung von Toten,[49] vor zwei Tagen war von 959 Kämpfern die Rede, die sich ergeben haben, mittlerweile sollen es ca. 2000 sein.

Derweil ist es in Deutschland jetzt möglich, Energieunternehmen unter Staatskontrolle zu stellen. So schnell geht’s mit der Enteignung, wenn der politische Wille vorhanden ist. Ziel sind vor allem Einheiten, die zu russischen Konzernen gehören. Um wirtschaftliche Aspekte mit großem humanem Impact geht es auch hier:

US-Außenminister Antony Blinken appelliert vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an Russland, die Blockade der ukrainischen Häfen zu beenden, damit Lebensmittel ausgeführt werden könnten. „Die Lebensmittelversorgung von Millionen von Ukrainern und Millionen weiterer Menschen auf der ganzen Welt ist buchstäblich in Geiselhaft genommen worden“, sagt er. Ein hochrangiger Beamter in Moskau weist die Vorwürfe zurück und erklärt, die Russen seien „keine Idioten“ und würden keine Lebensmittel exportieren, solange gegen sie strenge Sanktionen verhängt seien.[50]

Die New York Times hat nun Bilder geliefert, die Erschießungen im Wege des Massakers von Butscha belegen sollen.[51] Das ist deren journalistische Aufgabe und Freiheit und wir hoffen, alles stimmt wie gezeigt. Nicht, weil es schöne Bilder sind, sondern weil in Bezug auf Kriegsverbrechen die Wahrheit besonders wichtig ist und nicht der Propaganda irgendeiner Seite geopfert werden darf. Die USA jedoch wollen eigene Untersuchungen in der Ukraine anstellen, was ganz sicher keine gute Idee ist. Sie sind quasi Partei und außerdem nicht dafür bekannt, niemals Menschenrechtverletzungen in Kriegen zu begehen. Nur ein international besetztes Gremium, dem man eine gewisse Neutralität unterstellen darf, kann diese Verbrechen so aufarbeiten, dass der Verdacht auf Manipulation gering bleibt.

19.05.2022 Links wirkt nicht, sondern blamiert sich weiter

Derweil hat Sahra Wagenknecht das Hashtag #Putinknecht auf sich gezogen, nebst einigen anderen linken und AfD-Abgeordneten, auch wenn deren Nachname nicht so schön passt. Wir werden weiterhin dabeibleiben, wenn sie etwas Richtiges sagt, zum Beispiel die sozialen Folgen des Krieges betreffend, aber nicht mitgehen, wenn sie der Ansicht ist, Putin dürfe die Ukraine quasi ungehindert erobern. Ein Auftritt von Wagenknecht bei Markus Lanz in der laufenden Woche hatte wieder einmal für Wellen gesorgt. Immerhin, wie auf Twitter richtig kommentiert wird: Hier herrscht Meinungsfreiheit und die Orientierung an Quoten kann man im deutschen Fernsehen nicht übersehen. Deswegen sind wir auch der Meinung, man soll das Internet nicht zu sehr deckeln, das führt nur dazu, dass dieselben Menschen, die es bisher öffentlich taten, im Untergrund weiterhin ihre Bubble pflegen. Mit dem Nachteil, dass wir fast alle denken, es sei ruhig geworden und dann umso überraschter sind, wenn es zu Gewalttaten kommt.

Die Linke im Ganzen geht äußerst schweren Zeiten entgegen, weil zwischen zu kapitalismusaffinen und hervorgehobenen identitätspolitischen Positionen einerseits sowie Steinzeit-Ideologie auf der anderen Seite offensichtlich keinen Raum für ein modernes, solidarisches, die Selbstermächtigung förderndes Links im strikt klassenkämpferische Sinne zu existieren scheint. Wir haben sogar mitbekommen, dass Trotzkisten von offensichtlichen Stalinisten als „gekauft“ bezeichnet werden, weil sie Antiimperialismus nicht einseitig, sondern allseitig verstehen. Das muss man sich im Jahr 2022 erst einmal vorstellen, welche Kämpfe in diesem Cluster ausgefochten werden.

Wer zudem das System Putin verteidigt, ist selbst ein Fan von autokratisch-kapitalistischen Systemen und versagt als Kommunist, Sozialist und auch als Internationalist komplett.

19.05.2022 Die Ärmeren leiden am meisten unter dem Krieg und den mit ihm verbundenen hohen Preisen

Nicht überraschend, dass die Entlastungspakete der Bundesregierung nicht ausreichen, um die Mehrkosten auf dem Energiesektor abzudecken, die Privathaushalten durch den Ukraine-Krieg entstehen. Während aber Haushalte mit hohem Einkommen kein Problem damit haben, die für sie geringen Mehrkosten zu decken, empfehlen wir den Ärmeren ausdrücklich, sich nicht auf „Sparen für die Ukraine“ einstimmen zu lassen. Das wäre angesichts der Tatsachenlage vollkommen fehl am Platze. Mehr dazu in unserem grafisch unterlegten Artikel von heute: Kriegsführung zulasten der Ärmeren: Die Energiepreise belegen es +++ BGE +++ Grundsicherung +++ Gießkanne | Frontpage | Wirtschaft | Grafik Statista – DER WAHLBERLINER.

18.05.2022 Thema des Tages: Schwangerschaftsabbruch

„Mein Bauch gehört mir!“. Wenn man mit Demo-Bildern und darauf zu sehenden Transparenten mit jenem oft sehr aggressiv vorgetragenen Slogan gegen § 218 StGB großgeworden ist und zumindest formalchristlich erzogen wurde, ist es gar nicht so leicht, diese Re- und Deklamation nicht als etwas plump zu empfinden. Uns war das damals zu sachlich-eigentumslastig, denn ein Leben ist ein Leben und, inklusive seinem Entstehungsort, kein Eigentum einer dritten Person, auch nicht in seiner frühen Entwicklungsform. Es nicht zuzulassen und warum nicht, darüber sollte mit etwas mehr Empathie geredet werden, dachten wir seinerzeit. Es war also weniger das „ob“ als das „wie“ der Diskussionsführung, das uns abgestoßen hat. Das Selbstbestimmungsrecht war gerade in dieser Sache für uns kein taugliches gesellchaftspolitisches Kampfmittel und nichts Progressives.

Und wir mögen Kinder, bei uns ist der tatsächliche Status nicht durch eine tiefverwurzelte und u. E. durchaus psychologischer Betrachtung zugängliche, grundsätzliche Feindschaft Kindern gegenüber bedingt, wie man sie in Deutschland häufig antrifft, auch als Nachwirkung der Traumata des 20. Jahrhunderts und einer leider sehr deutschen Unkultur der mangelnden Zugewandtheit anderen Menschen gegenüber, um für den psychologischen Aspekt etwas wie einen Umriss zu skizzieren. Unzählige Sozialfachmenschen versuchen, diese Schäden zu reparieren, der Erfolg ist, sagen wir mal, mittelmäßig. Es gibt ihn, aber der Weg dorthin gestaltet sich offenbar sehr, sehr mühsam und ebenso oft ist ein Scheitern zu beobachten.

Nichtsdestotrotz hat sich die Welt in vieler Hinsicht, insbesondere gesellschaftspolitisch, weiterentwickelt, und wir finden die heute global überwiegend geltenden Fristenlösungen zum Schwangerschaftsabbruch angemessen, ebenso sollte das „Werbeverbot“ des § 219a StGB in Deutschland entfallen. Er macht zwar Einschränkungen auf der Motivebene („Vermögensvorteil“, „anstößige Weise“), aber diese sind u. E. schwierig zu definieren und können dazu führen, dass an sich legale Angebote zu Kriminalisierung führen und es für Frauen schwieriger wird, sich kompetent und unabhängig beraten zu lassen. Die Zahl der Arztpraxen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, ist ohnehin (leicht) rückläufig.

Ganz anders aber geht es derzeit in den USA zu, die aktuell ebenfalls eine Fristenregelung zum Schwangerschaftsabbruch haben. Dort treibt eine radikalfundamentalitistische „christliche“ Minderheit die Mehrheit vor sich her und wird es möglicherweise schaffen, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch generell zu kippen.

Zwar haben in den USA die Bundesstaaten mehr Befugnisse als die hiesigen Bundesländer, aber nicht in dieser grundlegenden Sache das letzte Wort, deswegen wird derzeit mit großer Spannung und Anspannung ein Urteil des Supreme Court zu ebenjener Sache erwartet. In vielen konservativen Staaten wurden bereits rigide Gesetze erlassen, die nur noch auf Bundesebene bestätigt werden müssen, um in Kraft treten zu können. Dank der mittlerweile überwiegenden Anzahl an konservativen Richter:innen am US Supreme Court ist zu befürchten, dass die USA hinter den Stand von 1973 zurückfallen werden, als die Abtreibung bzw. der Schwangerschaftsabbruch nach langen Kämpfen generell erlaubt wurde. Dies im Jahr 2022 und, wohlgemerkt, obwohl eine Mehrheit von über 70 Prozent im Land das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bejaht.

Wenn Sie ein Gefühl dafür erhalten wollen, wie es ist, wenn das mächtigste Land der Welt, die wichtigste Demokratie der Welt, in Gefahr ist, sich rapide rückwärts zu entwickeln, woher Typen wie Donald Trump ihr Wählerreservoir schöpfen, empfehlen wir diesen Artikel:

Abtreibungsverbot in den USA: Per Gericht in die Vergangenheit (rnd.de)

So geht es also in einem Land zu, in dem jährlich 40.000 Menschen durch Schusswaffeneinsatz sterben. Die Waffennarren und -närrinnen und die rigiden Abtreibungsgegner:innen sind übrigens nicht selten personalidentisch, stammen aus denselben Regionen und Communities. Manche von ihnen gehe dann hin und erschießen ganz christlich einige Menschen, die ihnen aus rassistischen Gründen nicht in den Kram passen. So gesehen und auch wegen der vielen Drogentoten spricht einiges dafür, die Geburtenrate der USA sozusagen von oben herab diktiert wieder anzuheben. Dabei wächst das Land einwohnermäßig durch die weiterhin vielen Zuwander:innen doch sowieso, aber vielleicht sind es für die Fundis auch „die falschen Menschen“, die dazukommen.

Europa muss sich dringend unabhängiger von den USA stellen, nicht nur aus geostrategischen, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Gründen. Wir haben ähnliche Rechtstendenzen und wir haben reaktionäre Weltbilder, die sich mitten unter uns ausbreiten. Bei uns kommt das Problem dieser Weltbilder bzw. offensiver Propaganda dafür, das dürfen wir nicht verschweigen, weniger aus christlich-fundamentalistischen Kreisen, diese haben hier keinen vergleichbar großen Einfluss, aber sehr wohl aus Milieus, die ebenfalls religiös geprägt sind. Wir müssen uns hier nicht jeden Tag für Frauenrechte einsetzen, weil das ja schon geradezu eine Aneignung wäre, aber die Feministinnen sollten wissen, worum es geht und dass das, was wir heute in den USA sehen, in ein paar Jahren in Europa, speziell in Ländern wie Frankreich oder Deutschland, ebenfalls anschlussfähig sein und Gestaltungspolitik werden kann. Wenn Rechte, wenn Nazis sich mit religiösen Fundis verbünden, anstatt einander aus ethnischen Gründen zu bekämpfen, beispielsweise. Darin liegt ein großes reaktionäres Potenzial, das bisher noch nicht vereint ist. Insofern ist es geradezu ein Glück, dass die deutsche Geschichte bisher verhindert, dass das allzu offen angegangen wird.

Wir haben auch ein Beispiel dafür gefunden. Denn wir wollen nicht so tun, als gäbe es ähnliche Strömungen wie in den USA aus dem „christlichen“ Raum nicht auch bei uns. Radikale Katholiken, so unser Gefühl, würden, wenn es der Durchsetzung ihrer Ziele dient, sich dann auch gerne mit der AfD zusammentun. Wem dies ein wenig wie ein kleines Amerika-Echo vorkommt, der liegt sicher nicht ganz falsch. Beachten Sie auch bitte den gehässig-unchristlichen Ton dieses Artikels, in dem u. a. behauptet wird, die Bundestagsabgeordneten der Ampel-Koalition „genießen das Sterben Ungeborener“.[52] Wir haben mal in der Publikation einige Monate zurückgescrollt: Kein einziger Beitrag zum massiven Pädophilie-Problem unter Amtsträgern der katholischen Kirche. Vielleicht genießen die Herausgeber der Publikation ja diese Zustände, die aus einer kompletten Fehlstellung im Priestertum resultiert. Der Unterschied zu amerikanischen Fundis, die unter dem Deckmantel christlicher Prinzipien eine vorgestrige, paternalistische und notabene undemokratische  Gesellschaft zurückwollen, ist in der Tat eher der aktuell noch zu verzeichnende Außenseiterstatus selbiger hierzulande, nicht, dass ähnliche Weltbilder nicht gepflegt würden. Generell geht es hier um Offenheit oder Verengung und leider auch in diesem Kontext um unser Zentralthema „Demokratie in Gefahr“.

Ob das nun gerade der richtige Gegenakzent ist, kann man als Ansichtssache bezeichnen, aber offenbar in der Tat auch, um ein Gegenzeichen zu setzen, hat man in Spanien gerade das Abtreibungsrecht weiter liberalisiert, sodass nun u. a. schon 16-Jährige eigenständig über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden können.[53]

Wir werden den Gegenstand noch mit Grafiken zur weltweiten Lage des Abtreibungsrechts vertiefen. So viel vorweg: Wo die Bevölkerung unkontrolliert und in rasantem Tempo weiterwächst, gibt es, wenn überhaupt, nur ein sehr eingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Dafür sind gleich zwei Religionsgemeinschaften und deren die Überbevölkerung so gut wie möglich fördernder Einfluss verantwortlich: die christlich-katholische und die sunnitisch-muslimische. Welche Lebensbedingungen die zu vielen Menschen dann in armen Ländern und Regionen haben werden, die ökologisch-klimatechnisch immer mehr in die Knie gehen, ist diesen Apologeten der unschönen menschlichen Existenz nicht so wichtig. Wir denken auch vermutlich, wir nehmen in Europa schon viele dieser Menschen auf, aber das stimmt nicht: Es müssten mehr sein, wenn verhindert werden soll, dass die Hungerkatastrophen vor allem in Afrika Dimensionen annehmen werden, die es nie zuvor in der Weltgeschichte gegeben hat.

Die für das Leben der großen Mehrheit auf dem Globus bessere Lösung wäre es, endlich u. a. ein modernes Abtreibungsrecht in diesen Ländern zu etablieren. Dass es in der „Ersten Welt“ eher umgekehrt laufen kann, wenn wir Pech haben und dadurch auch im Westen die Armut noch schneller um sich greifen wird – siehe oben. Weitere Kandidaten für einen Move in die falsche Richtung sind autokratische Länder wie China, deren Regierende sich Sorgen machen, weil sie glauben, die Bevölkerung altere zu schnell. 2021 hatte China die niedrigste Geburtenrate seit 1949 zu verzeichnen und die Menschen dort haben trotz der Aufhebung der Ein-Kind-Politik gar keine Lust, ihre nun einmal angenommene Rolle als Kleinfamilienmitglieder oder kinderlose Paare zu ändern.[54]

17.05.2022 Wahlen in NRW, Abschluss: Immer dieser Lauterbach und der Herr Kühnert

„Wir haben diese Wahl verloren. Union und Grüne haben gewonnen, die müssen daher auch zuerst die Gespräche führen. Alles andere kommt danach“, sagte der SPD-Politiker am Sonntagabend in der ARD.[55] Da soll noch einmal jemand behaupten, dass Lauterbach lügt. Es trendet häufig auf Twitter, immer wieder mit Rücktrittsforderungen verbunden, aber vergleichen Sie seine Aussage mit der des neuen SPD-Generalsekretärs Kevin Kühnert:

„Ich bleibe dabei: Das wird uns heute Abend, davon bin ich fest überzeugt, die Gelegenheit bieten, einen Regierungswechsel für Nordrhein-Westfalen herbeizuführen, den sich viele Menschen gewünscht haben“, erklärte Kühnert in der ARD. Zu dem Zeitpunkt stand sogar noch eine rot-grüne Mehrheit bei den Sitzen im Landtag in Aussicht, eine Koalition aus SPD und Grünen wollte Kühnert daher keinesfalls ausschließen, im Gegenteil: „Schwarz-Gelb ist abgewählt! Rot-Grün ist möglich!“[56]

Wie schnell auch dieser angebliche Linksausleger in der SPD gelernt hat, den typischen Anforderungen an einen Posten gerecht zu werden, auf dem noch jede:r in der SPD so abgeschliffen wurde, dass er am Ende als die Schröders, Nahles etc. herauskam, die wir kennen. Kevin Kühnert begann erst vor wenigen Jahren seine politische Karriere in unserem Berliner Bezirk und uns wurde immer wieder berichtet, dass sein linkes Gepräge nicht mit allzu viel Substanz unterlegt sei. Daher sind wir über seine Entwicklung nicht besonders überrascht.

Lauterbach ist im Grunde immer noch kein Politiker, Kühnert war immer schon einer.

16.05.2022 Weizen für die Welt oder nicht

Russland versucht offenbar auf unterschiedliche Weise gezielt, die Welt auszuhungern, so kommt es jedenfalls in vielen Nachrichten rüber („Weizenklau in der Ukraine“) u. a., oder Nahrungsmittel gezielt an die wenigen Verbündeten umzuleiten. [57], Derweil hat Indien, offiziell in Erwartung einer schlechten Ernte,[58] einen Exportstopp verhängt und der Weizenpreis an den Märkten explodiert. Für uns ist diese Entwicklung ein weiterer Vorbote für die Verteilungskämpfe zulasten der Ärmeren, die der Welt bevorstehen. Wasser wird dabei ebenfalls eine eminent wichtige Rolle spielen. Der Hunger wird wieder zunehmen. Aber nicht, weil die Menschheit (sofern ihre Zahl sich mal irgendwann endlich stabilisiert) nicht zu ernähren wäre, sondern weil künstlich an der Knappheit geschraubt wird. Was in der Ukraine und in Russland passiert, ist rein politisch und ob Indien nicht bloß Kapital aus dieser Lage schlagen und Weizen zu Überpreisen verkaufen will, darf man sich ebenfalls fragen. Die Spekulation an den Märkten tut ein Übriges, um die Probleme zu steigern, weil sie natürlich diesem Trend folgt und für weiteren Preisauftrieb sorgt. Wer diese Form von Marktwirtschaft gut findet, hat eine verbrecherische Mentalität. Und damit zu weiteren Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und damit weiter im Thema.

16.05.2022 Die größten Sorgen der Menschen hierzulande[59]

Ist es der Ukraine-Krieg, der den Menschen am meisten Sorgen bereitet? Nein, überraschenderweise nicht. 34 Prozent tendierten aber immerhin dazu. Nur noch 8 Prozent sehen die Pandemie als den größten Sorgenbringer an. Doch nicht weniger als 40 Prozent haben Angst vor der grassierenden Inflation. Zwei Drittel der Befragten dieser Umfrage haben angegeben, ihr eigenes Einkaufsverhalten bereits geändert zu haben und auf den Energieverbrauch (mehr) zu achten. Brav, die Bevölkerung, oder? Aber ob das so bleibt, wenn wir nicht, wie heute, die letzte Flasche Sonnenblumenöl bei unserem Markt um die Ecke abgrasen konnten, sondern, wie letzte Woche, in drei verschiedenen Geschäften gar nicht mehr fündig wurden? Wie wir unser Einkaufsverhalten zu professionalisieren versuchen, wohl wissend, dass wir damit bald an Grenzen stoßen werden, wenn die massive Teuerung weiter anhält oder sich gar weiter beschleunigt, haben wir in unserem letzten Beitrag zur Inflation erläutert. Komisch auch: Die Menschen bibbern, aber die Verantwortlichen werden nicht durch Abstrafung bei Wahlen zur Rechenschaft gezogen. Siehe gestern in NRW. Nicht wählen ist übrigens erst gar keine Lösung, auch wenn wir alle wissen, dass wir der Politik, auch wenn wir Millionen sind, in Relation zu einigen Millionär:innen ziemlich blunze sind. Und damit weiter im Thema.

16.05.2022 Der heutige Trend: #IchBinArmutsbetroffen – Twitter Suche / Twitter

Lange ist es her, dass Menschen in diesem Land, die von Armut betroffen sind, ihre Scham überwanden und sich outeten. Wenn wir richtig orientiert sind, geschah das, als „Hartz IV“ eingeführt wurde und es zu Protesten kam. Wir mussten richtig lachen, angesichts dieser Übersicht der Süddeutschen Zeitung: Hartz IV: „Ohne Sanktionen tanzen uns Empfänger auf dem Kopf herum“ – Wirtschaft – SZ.de (sueddeutsche.de)

Klassismus und Diskriminierung durch Ämter mit und dem misanthropischen Menschentyp, der sich dort offenbar gerne ansiedelt, und der übliche Von-oben-herab-Journalismus mal wieder voll at Work. Das BVerfG ist mitschuldig an den Sozialverbrechen der Regierungen Schröder und Merkel, weil es Sanktionen unter das Existenzminimum für zulässig erklärt hat. Die Schäden reichen über Hartz IV hinaus, denn damit wurde der Wert des gesamten Grundrechte-Katalogs des GG zur Disposition der herrschen Klasse gestellt. Wer Art. 1, Die Würde des Menschen, so mit Füßen tritt, wie die Politik es mit der heutigen „Sozial“-Gesetzgebung tut, kann nicht mehr glaubhaft machen, dass die folgenden Normen noch Geltung haben und das schadet massiv dem Vertrauen in die Demokratie. Da Art. 1 Ewigkeitsgarantie hat, höhlt man ihn eben aus, wenn er nicht mehr passt. Das Eigentumsrecht hat übrigens keine Ewigkeitsgarantie, ist aber das absolute, das Meta-Dogma, in diesem System.

Zur Hartz IV zurück: Richtig wäre es vielmehr, Wohlverhalten, Eigenanstrengungen durch Boni zu privilegieren und den Missbrauch zu bekämpfen, als wieder einmal pauschal auf die Ärmsten einzudreschen, aber sich nicht an die Abzocker:innen heranzutrauen. Allgemein typisches Berliner Verhalten Verbrecher:innen gegenüber, kennen wir. Immer auf die tatsächlich Schwachen.

Zu jenen gehören auch Menschen, die möglicherweise dieses System viele Jahre lang durch ihre Steuern und ihre Tätigkeit gestützt haben. Es kann ganz schnell gehen, dass jemand, der ganz normal gearbeitet hat, in Hartz IV landet, z. B. durch eine länger andauernde Erkrankung, die ihn aus dem Beruf drängt. Besonders bei Selbstständigen geht das ratzfatz, weil es keinen Zeitpuffer durch Krankengeld und ALG I gibt. Wer noch keine Möglichkeit hatte, massiv Vermögen aufbauen, sitzt sofort in der Falle und wer schon etwas dafür tun konnte, muss es erst einmal bis zu einem lächerlich niedrigen Restwert hin aufbrauchen, bevor er überhaupt Unterstützung erhält. Egal, wie es diesen Menschen dann geht, sie werden mit einer strikt autoritären Behörde konfrontiert, die sie grundsätzlich als Delinquenten, nicht etwa als „Kunden“ ansieht und zu dem persönlichen Unglück, das mit einer solchen Abdrängung aus der bisherigen Tätigkeit regelmäßig verbunden ist, mit einem gesellschaftlichen Stigma versehen und von vorne bis hinten drangsaliert. Wer diese permanenten Demütigungen nicht aushält und seinem Leben selbst ein Ende setzt, dessen unsterbliche Seele darf von wo auch immer dabei zusehen, wieauf dem Amt ein Korken knallt: Wieder eine:n zur Strecke gebracht, der sich nicht wehren konnte.

Bei dem heutigen Hashtag darf es nicht bleiben, aus diesem Ansatz muss endlich eine mutige Bewegung werden. Hoffentlich erkennen wenigstens ein paar nicht ganz so verpeilte m. o. w. inke Politiker:innen diese Möglichkeit. Soziologisch betrachtet ist die folgende Anmerkung viel zu kurz, das wissen wir, aber sie muss sein: Es geht auch darum, zu begreifen, dass man das Spiel der Mächtigen nicht mitmachen darf, sich als arbeitender Mensch des Prekariats, der unteren oder mittleren Mittelschicht gegen die Armen in Stellung bringen zu lassen, anstatt zu überlegen, wie man selbst in Relation zu den leistungslosen Superreichen gestellt ist und endlich politische Konsequenzen daraus zu ziehen.

Die NRW-Wahl hat leider gerade wieder gezeigt, wie schwer das den Menschen zu vermitteln ist. Leider liegt es nicht nur an ihnen, sondern auch daran, wie linke Politik in diesem Land generell vermittelt wird: Es ist nur noch zum Fremdschämen. Und damit zur NRW-Wahl.

16.05.2022 Wahlen in NRW

Die professionellen Wahlanalytiker sind am Werk und wir haben ein paar Stimmen für Sie zusammengetragen.

Marie Illner, Web.de.

Merz: „Die CDU ist zurück“ – Der Wahlabend in NRW in Zitaten | WEB.DE

Welche Bedeutung das Ergebnis der Landtagswahl in NRW für die Bundesparteien hat | WEB.DE

Nordrhein-Westfalen: Landtagswahl in NRW: Niedrige Wahlbeteiligung schadete vor allem der SPD | tagesschau.de

Analyse: NRW-Wählermehrheit will neue Koalition – Landespolitik – Nachrichten – WDR

FDP-Pleite in NRW – Wahlforscher sieht zwei Gründe: Corona-Ärger und einen Lindner-„Fehler“ (merkur.de)

In der Analyse heißt es, in der Bundesregierung sei das marktwirtschaftliche Elemente nicht zu erkennen. Welch ein Unsinn, mit Verlaub Anfangs dominierte die FDP als kleinster Koalitionspartner die Szene komplett, erst seit dem Ukraine-Krieg ist klar, dass man es nicht einfach so marktwirtschaftlich laufen lassen kann, ohne die Menschen wenigstens ein bisschen zu entlasten. Andere Länder in der EU greifen gerade viel stärker in die Wirtschaft ein, um die Bevölkerung einigermaßen vor den Folgen eines ganz sicher nicht von ihr verursachten Krieges zu schützen. Deutschland ist das neoliberalste Land in ganz Europa und damit auch eines der neoliberalsten Länder weltweit. Aber vom Elfenbeinturm der einen oder anderen Uni aus kriegt man vermutlich die desaströsen Auswirkungen dieser Politik auf den Zustand der Gesellschaft nicht so mit oder ist mit den Thinktanks verbunden, die am liebsten sämtliche Rechte der Menschen gegenüber einem letztlich vollkommenen Ausbeutungsdurchgriff der „Wirtschaft“ schleifen möchten. Gerade für NRW mit den vielen Menschen, die in großindustriellen Strukturen tätig waren, wäre die neoliberale Medizin des puren Individual-Egoismus das pure Gift, gerade sie brauchen eine mehr kooperative Konversion der Wirtschaft.

Der hoffnungsvollste Ansatz: Die Grünen wollen NRW zur ersten klimaneutralen Industriezone Europas machen und damit zu einer Futurezone (Ricarda Lang sinngemäß gestern Abend bei Anne Will). Dann mal los, auf so etwas warten wir ja schon so lange, im Interesse unserer Freund:innen in NRW und von uns allen. Es wäre das erste Mal, dass eine Industrieregion die Konversion aus dem Niedergang riesiger Altindustrien heraus, in dem Fall als immer noch größte Industrielandschaft Europas, wirklich schaffen würde und insofern zukunftsweisend über NRW und über Deutschland hinaus. Wenn das mit der CDU gelingen soll, muss aber mehr Druck gemacht werden als gerade in der Bundes-Ampel, wo man offenbar gar nicht so gram darüber ist, dass man durch den Krieg erst einmal an mehr Nachhaltigkeit und mehr sozialer Politik gehindert wird.

Der beste, weil unumstößlich wahre Satz: Die Linke muss sich erneuern. Das gilt schon, seit wir sie kennen, bisher hat sie es in der Zeit als Auftrag zu Lean Cusine verstanden, wenn es um Wahlergebnisse ging. Dass sie in Berlin (AGH-Wahlen September 2021) noch zweistellig ist, verdankt sie hauptsächlich dem Engagement für „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die als Volksentscheid 56 Prozent Zustimmung einfahren konnten. Die Grünen können da anders auftreten:

Wir sind in Krisen handlungsfähig und verlieren trotzdem dabei die großen Herausforderungen nicht aus dem Blick“, äußerte die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang selbstbewusst. Gerade in Nordrhein-Westfalen hätten die Menschen sehen können, was geschehe, wenn eine Regierung sich vor Transformationsprozessen verstecke und wegducke, erklärte Lang weiter. Man habe als Partei ein eigenständiges Angebot gemacht und werde nun schauen, wer bereit sei, „diesen Weg in eine klimaneutrale Zukunft mitzugehen“.[60]

Wenn das Verhalten von Jens Spahn (Sie erinnern sich, der Fail-Corona-Gesundheitsminister) gestern bei Anne Will der Maßstab für eine anpackende und kooperative Politik der Zukunft auch in NRW sein soll, dann sollte man allerdings mit den Hoffnungen vorsichtig sein Wie kann man nur so jung sein und schon so old School rüberkommen? Merz hin, Günther und Wüst her, die CDU hatte immerhin eines richtig gemacht: Frühzeitig von der Idee Abstand zu nehmen, dass Spahn ihr nächster Vorsitzender werden könnte.

Wir sind aber a.) nicht der Ansicht, dass man aus dem, was gestern bei einer rekordmäßig niedrigen Wahlbeteiligung gelaufen ist, zu sehr auf die Bundespolitik übertragen und es auch nicht für Scholz-Bashing verwenden sollte, b.) wie wär’s denn mit der alten Weisheit, dass ein Regierungswechsel im Bund eine Gegenbewegung auf Länderebene verursacht? Im Saarland, bei der ersten Landtagswahl nach der Bundestagswahl im September 2021, war der Ampel-Auftrieb vielleicht noch zu frisch für eine Gegenbewegung, hauptsächlich war der Aufstieg der SPD aber dem Zusammenbruch der dortigen Linken in der Nach-Lafontaine-Zeit zu verdanken, also einer Sondersituation.

15.05.2022: Wahlen in NRW, Update nach der Wahl, nach Vorlage des vorl. Amtl. Endergebnisses noch einmal aktualisiert

„Wir haben bei der ans Ende des Artikels angefügten Abstimmung mitgemacht. Danach wäre die CDU sehr klar vor der SPD. Wir haben mit ‚keine der genannten Parteien‘ gestimmt“, schrieben wir heute Mittag im Briefing. Man durfte also auch mitmachen, wenn man nicht in NRW wohnt. Die CDU kam in dieser Abstimmung zum relevanten Zeitpunkt auf 36 Prozent, die SPD auf 24 Prozent. Verblüffend, wie gut diese sicher nicht repräsentative Abstimmung, die nicht einmal regional gebunden war, nun das spiegelt, was die aktuellen Hochrechnungen aussagen, Zahlen sind Prozentwerte, das vorläufige amtliche Endergebnis in Prozentzahlen:

CDU 35,7 (+2,7)

SPD 26,7 (-4,6)

Grüne 18,2 (+11,8)

FDP 5,9 (-6,7)

FDP 5,4 (-2,0)

Die Linke 2,1 (-2,7)

Sonstige: 6,1 (+1,5)

Der Verlust an linken Politkmöglichkeiten wird uns in den nächsten Jahren noch beschäftigen. NRW wäre ein Bundesland gewesen, in dem Die Linke unter einigermaßen normalen Voraussetzungen Chancen auf den Einzug in den Landtag gehabt hätte, wie die 4,9 Prozent bei der vorausgegangen Wahl bewiesen haben.

Krass niedrig scheint mit 56 Prozent die Wahlbeteiligung zu sein. Das zeugt leider auch davon, dass die Menschen nicht wirklich politisiert sind, angesichts der Angebote. Keinerlei „Schicksalswahl“-Stimmung offensichtlich. Wir haben das wohl sogar in Berlin gespürt und deswegen die Berichterstattung zu diesem wichtigen Ereignis dezent ins Briefing integriert, anstatt ihr breiten Raum zu widmen. Irgendwann werden wir uns die wichtigen Kennzahlen von NRW wieder anschauen und feststellen, was wirklich für die Menschen bei diesen leichten Verschiebungen zwischen CDU und SPD herauskommt. Die Grünen betreffend: Es gibt Soziologen und Parteienforscher, die sagen, weit über 20 Prozent kann es für sie in NRW nicht gehen, weil dafür das Milieu in Gegenden fehlt, die eben auch hohe ländliche Anteile und nicht-urbane Städte haben (ein Mangel an Hipstern und kriegswütigen Biobauern sowie der für sie / durch sie geschaffenen Infrastruktur ist wohl insbesondere im Ruhrgebiet zu beklagen). Ausnahme: Baden-Württemberg, begründet in der speziellen Person des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der auf uns immer eher wie ein Generalschwabe denn wie ein Grüner wirkt.

Bei ersten Hochrechnungen musste die FDP noch um den Wiedereinzug ins Parlament bangen, die SPD könnte nur mit ihr und den Grünen regieren, und auch für eine solche Ampel würde es knapp, die CDU kann auch mit den Grünen alleine in eine stabile Zweierkoalition gehen. NRW, das Land der noch relativ klaren Verhältnisse? Innenstädte für die Grünen, Randbezirke der Städte und weniger urbane städtische Kommunen für die SPD, katholisches Rhein- und Münsterland für die CDU? Wir werden es bei der Wahlkreisanalyse sehen.

Krass niedrig scheint mit 56 Prozent die Wahlbeteiligung zu sein. Das zeugt leider auch davon, dass die Menschen nicht wirklich politisiert sind, angesichts der Angebote. Wir haben das wohl sogar in Berlin gespürt und deswegen die Berichterstattung zu dieser wichtigen Wahl dezent ins Briefing integriert, anstatt ihr breiten Raum zu widmen. Irgendwann werden wir uns die wichtigen Kennzahlen von NRW wieder anschauen und feststellen, was wirklich für die Menschen bei diesen leichten Verschiebungen zwischen CDU und SPD herauskommt. Die Grünen betreffend: Es gibt Soziologen und Parteienforscher, die sagen, weit über 20 Prozent kann es für sie in NRW nicht gehen, weil dafür das Milieu in Flächenländern fehlt, die eben auch hohe ländliche Anteile und nicht-so-richtig-urbane Städte haben (ein Mangel an politisch rudimentären Hipstern und kriegswütigen Biobauern mitsamt der für / durch sie geschaffenen Infrastruktur ist wohl insbesondere im Ruhrgebiet zu beklagen). Ausnahme: Baden-Württemberg, begründet in der speziellen Person des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der auf uns eher wie ein Generalschwabe denn wie ein Grüner der tonangebenden Generation wirkt.

Ansonsten bleibt uns nur, den vielen Menschen in NRW, darunter auch Freunden von uns, viel Glück mit der neuen Regierung zu wünschen. Glück auf heißt es ja endgültig nicht mehr, seit alle Zechen stillgelegt sind. Ach ja, wir werden unsere Freunde auch mal fragen, ob sie überhaupt gewählt haben.

15.05.2022, während der Wahl

Wir haben den Wahl-O-Mat gemacht und das Ergebnis war sozusagen das Übliche.[61] Heißt, gleich, wer die heutige Wahl gewinnt, Hendrik Wüst von der CDU, der amtierende Ministerpräsident oder Thomas Kuschaty, sein Herausforderer von der SPD, wir würden ihn nicht wählen, wenn wir dort wohnen würden. Wie schon in Schleswig-Holstein am letzten Wochenende: Es ist mehr oder weniger egal, wer unter der Ägide der Wirtschaftslobbyisten regiert. Falls Sie in NRW wohnen und den Eindruck haben, hier zeichnen sich bahnbrechend unterschiedliche Alternativen ab, schreiben Sie uns bitte, vor allem, wenn es sich um solche handelt, die eine krass gute Zukunftsvision für das bevölkerungsreichste Bundesland haben. Wir bilden Ihre Antwort dann in einem unserer nächsten Briefings ab.

Wir finden es übrigens falsch, von einer „kleinen Bundestagswahl“ zu sprechen, wie viele Kommentator:innen es tun. NRW spiegelt weder den Durchschnitt der Bundesrepublik, noch ist es mit seinen regionalen Besonderheiten repräsentiert, wenn es quasi als Miniaturausgabe der Republik apostrophiert wird. Richtig ist: Die Wahl dort ist besonders wichtig, weil die großen Parteigliederungen in NRW viel Einfluss auf die Bundesparteien haben und ein Erfolg oder eine Niederlage dort wichtige interne Strukturen verändern kann. Hier gibt es ein paar schnelle Informationen,[62] unter anderem diese:

Den Zahlen zufolge dürften die Grünen mit Umfragewerten um 17 Prozent die „Königsmacher“ werden und könnten sich in Sondierungen mit CDU und SPD entsprechend teuer verkaufen. Ihre Spitzenkandidatin Mona Neubaur stellte in dieser Woche bereits ihre „Regierungsvorhaben“ vor und meinte selbstbewusst, es wäre „vielleicht gar nicht so spielentscheidend“, welcher Mann Ministerpräsident werde. „Egal in welcher Regierungskonstellation“ würden die Grünen schon für Wandel sorgen. Die Spitzenkandidaten von CDU, SPD, Grünen und FDP schließen nichts kategorisch aus – außer eine Zusammenarbeit mit der AfD.

Und mit der Linken? Ach ja, die wird weit von einem Einzug in den NRW-Landtag entfernt abschneiden.

Wir haben bei der ans Ende des Artikels angefügten Abstimmung mitgemacht. Danach wäre die CDU sehr klar vor der SPD. Wir haben mit „keine der genannten“ Parteien gestimmt.

Eine gesonderte Wahlberichterstattung wird es trotz der Wichtigkeit der Wahl von uns nicht geben, allenfalls ein Update des heutigen Briefings, wenn sich Überraschungen ergeben sollten. Ansonsten morgen mehr zum Ergebnis.

15.05.2022 Ukraine-Krieg

Gestern hat die russische Regierung verkündet, dass sie die EU-Mitgliedschaft der Ukraine nicht mehr neutral sieht, sondern einer NATO-Mitgliedschaft mehr oder weniger gleichstellt, also dagegen ist.[63] Da wirkt es irgendwie seltsam kongruent, dass in der Nacht auf das mittlerweile weltberühmte Asow-Stahlwerk in Mariupol, das Symbol der Verteidigungsbereitschaft, in dem noch ca. 1.000 Kämpfer:innen ausharren, Phosphorbomben mit hämischen Aufschriften zum ESC-Gewinn der Ukraine und wegen eines Appells, den die ukrainischen Teilnehmer:innen dabei abgegeben haben, geworfen wurden. Wäre es nach den professionellen Voter:innen gegengen, hätte die Ukraine diesen ESC nicht gewonnen, aber das Publikum, das die überwiegende Zahl der Stimmen vergibt, hat sein Herz sprechen lassen.[64]

Ob die rüde und zynische Form der Bombardierung des Asow-Werks stimmt oder nicht, wollen wir noch abwarten, aber da in diesem Krieg wieder einmal jede Menschlichkeit verloren geht, ist es nicht unmöglich. Phosphorbomben zählen zu den geächteten Kriegswaffen, ebenso wie biologische, chemische und natürlich auch atomare Waffen.

Was man dahinter sehen könnte, ist großer russischer Frust, ist weitere Verrohung und möglicherweise sind die Informationen richtig, dass auch die massive russische Offensive im Osten der Ukraine nicht mehr richtig vorankommt oder, vorsichtiger ausgedrückt, „nicht im Zeitplan liegt“.[65] Sollte das der Fall sein, gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, wie es weitergehen könnte: Die Ukraine wird mit Hilfe des Westens den Krieg drehen oder Putin wird (noch mehr) verbotene Waffen einsetzen lassen. Falls die Informationen des ukrainischen Verteidigungsministeriums auch nur annähernd stimmen, die gerade veröffentlicht wurden,[66] wäre das ein Desaster für die russischen Kriegsherren und würde eine Beobachtung belegen, die nun im Wesentlichen und im Großen seit 100 Jahren gilt: Aggressoren gehen gegen eine entschlossene Verteidigung blutig baden, auch wenn sie zunächst hoch überlegen erscheinen. Uns fällt spontan jedenfalls kein erfolgreicher Angriffskrieg der letzten Jahrzehnte ein.

15.05.2022 NATO-Erweiterung, Nord-Süd-Konflikt auf Normalmaß reduziert?

Gestern haben wir uns zur überraschenden möglichen Blockade der Aufnahme von Schweden  und Finnland in die NATO durch die Türkei geäußert. Mittlerweile wird nicht mehr ganz so heiß gekocht, vermutlich wird die Sache auch bald gegessen sein, nachdem Finnland nun seinen offiziellen Antrag gestellt hat. Schweden wird vermutlich nicht zurückbleiben. Nach dieser Argumentation klingt das Ansinnen der Türkei, aus deren Sicht dargestellt, nicht unlogisch: Wenn die EU die PKK als Terrororganisation einstuft, dann darf sie in EU-Ländern nicht walten, wie sie will.[67]

Ob das in Schweden der Fall ist, haben wir noch nicht recherchiert, aber dass das Land, ebenso wie Deutschland, viel Raum für alle möglichen Organisationen lässt, die man nicht unbedingt als Speerspitze der Demokratieverteidigung bezeichnen kann, ist bekannt. Vermutlich glaubt man die Stärke des eigenen Systems. Was wir in Deutschland sehen: Das könnte eine Fehlannahme sein, zumindest, wenn zu viele Angriffe aus verschiedenen Richtungen auf die Demokratie gleichzeitig stattfinden. Auch eine Schwächung der Demokratie durch immer rigidere Überwachungs- und Polizeigesetze ist ein Sieg für die Antidemokraten. Wer also dass Narrativ pflegt, dass in der Ukraine die Freiheit verteidigt wird, der muss auch etwas mehr darauf achten, was im eigenen Land passiert, als das bei uns schon seit vielen Jahren der Fall ist. 

Gestern gab es nur Erdogans Auftritt, der auf geostrategisches Sich-Aufplustern schließen ließ, aber nach der obigen Darstellung wirkt das, was wir gerade sehen, viel rationaler und nachvollziehbarer. Das ändert freilich nichts daran, dass Erdogan gegen die Türken ebenso einen Angriffskrieg führen lässt wie Putin gegen die Ukraine. Wenn er sich aber auf eine Einschätzung der EU, die PKK betreffend, berufen kann, dann hilft ihm das natürlich dabei, die NATO-Mitgliedschaft von Schwedne und Finnland an Bedinungen zu knüpfen. Ob diese erfüllt werden? Wir werden es sehen, aber dass eine NATO-Erweiterung in diesem wichtigen Moment an einem, von der Ursache her Türkei-internen Problem scheitert, das die dortige herrschende Politik wesentlich mitverursacht hat, scheint doch eher unwahrscheinlich.

15.05.2022 Spaltung oder Vereinigung durch den Krieg?

Kürzlich hat die Zeit ein Interview mit Harald Welzer geführt, einem der Unterzeichner des offenen Briefs an Bundeskanzler Scholz, in dem vor einem Atomkrieg gewarnt wird. Wir haben diesen Appell nicht unterzeichnet, weil er uns zu einseitig war und zu sehr in die Richtung ging, Russland mehr oder weniger ungehindert den Krieg gewinnen zu lassen. Zumindest kann man den Aufruf so interpretieren. Klar, dass der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk darauf ansprang, woraus eine Kontroverse hervorging, die sich letztlich mit einer anderen verknüpfte: Spaltet oder eint dieser Krieg das Land? Damit ist nicht die Ukraine gemeint, sondern Deutschland. Auf NATO- und EU-Ebene ist überwiegend ein Schließen der Reihen zu beobachten, keine Frage.

Aber wie sieht es mit der deutschen Gesellschaft aus? Wir meinen, es ist wie mit Corona. Disparitäten werden und wurden nicht durch diese Herausforderungen geschaffen, sondern deutlicher sichtbar als bisher. Außerdem gehören sie in einer Demokratie mehr oder weniger dazu, sofern der Anstand bei der Auseinandersetzung einigermaßen gewahrt bleibt. Dass dies häufig nicht der Fall ist, liegt an einem Mindset, das durch jahrzehntelange neoliberalistische Verrohung geschaffen wurde, nicht an den politischen Themen selbst. Bezüglich existenzieller Gegenstände wie Krieg und Frieden wird es immer unterschiedliche Ansichten geben, die mit Leidenschaft vorgetragen werden dürfen.

Selbst die Verrohung der Diskussionskultur ist durchaus ein fragwürdiges Narrativ: Schauen Sie sich mal Bundestagsdebatten an, in denen noch die Kriegsgeneration das Wort führte: Haben Sie den Eindruck, dass es damals einen besseren politischen Stil gab als heute? Oder sind wir nur gegenwärtig massiv davon enttäuscht, dass die Wende von 1989 keine friedlichere, empathischere Welt hervorbrachte? Was es in jenen Jahren noch nicht gab und was die Sichtbarkeit der Differenzen erhöht: Soziale Netzwerke und „Bürgerjournalismus“, Plattformen, auf denen alles aufeinanderprallt, was früher auf ähnlich deftige Weise am Stammtisch als dem Vorläufer der virtuellen Bubble besprochen wurde. Dort blieb es aber im Wesentlichen in der Bubble und man hatte weniger Kontakt zur Gegenseite. Klassenpolitisch war das sogar von Vorteil, aber die hohe Transparenz dessen, was die Menschen so denken, ist eben eine Erscheinung unserer Zeit, an die sich nicht alle gleichermaßen gewöhnen, mit der nicht alle umgehen können. Deswegen vertreten wir im Wesentlichen eine Position, die, wo immer es geht, pro Meinungsfreiheit und gegen Einschränkungen derselben gerichtet ist. Grenzen ziehen wir vor allem dort, wo es um strafbare Tatbestände geht, die unabhängig vom technischen Medium, mit dem sie geäußert werden, zu verfolgen wären.

Die Gesellschaft ist nicht „einig“ und wird es durch diesen Krieg nicht werden, vielmehr muss sie, wenn sich der Pulverdampf etwas verzogen haben wird, wieder über ihre Zukunft und mehr Gerechtigkeit diskutieren. In aller Offenheit. Gerne inkludiert: Wie es eigentlich immer wieder zu solchen Kriegen komme kann und wie wir unser Verhalten endlich so verändern, damit die Wahrscheinlichkeit wesentlich sinkt, dass wir uns doch mal eines Tages alle gegenseitig auslöschen. Nur ein Tipp: Je lebendiger und gerechter eine Demokratie ist, je weniger sie Hass und Gewalt im Inneren produziert, je weniger sie andere unterdrücken und imperialistisch beherrschen will, desto weniger kriegslüstern geht es in ihr und mit ihr in der Regel zu. Darüber muss mit einer Demokratie wie den USA wieder ohne Scheu gesprochen werden. Aber sprechen Sie mal mit den Machthabern in China über Demokratie. Da können Sie auch gleich einen Sack Reis umwerfen. Und das ist der Unterschied, der im Grunde antiimperialistische Äquidistanz eher von der Seite her angreifbar macht, dass Russland oder China augenfällig und einseitig als die Guten angesehen werden. Das Umgekehrte ließe sich besser argumentieren. Wir bleiben in der Mitte und sind gegen jede Form von expansiver und auf Ungleichstellung beruhender Geopolitik. Wäre ein solches multipolares System verwirklicht, würden wir es bis in unseren Alltag hinein merken: Alles wäre entspannter und friedlicher.

14.05.2022 Ukraine-Krieg

Kürzlich haben wir gelesen, dass ein Deal sein könnte: Die Ukraine handelt mit Russland einen Waffenstillstand aus unter Aufgabe einiger von Russland besetzter Gebiete und erhält dafür die EU-Mitgliedschaft. Ernsthaft jetzt? Eine Mitgliedschaft kann sie sowieso beantragen, aber nicht zu Sonderkonditionen, also qua Putin-Express. Wir sind diesbezüglich verhalten. Die Ukraine wäre nach einer Aufnahme das ärmste Land der EU, zudem ein ziemlich großes, außerdem hat sie noch einen Weg vor sich, bis die Kriterien an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eingehalten sind, die man als EU-Mitglied mindestens erbringen sollte. Dass einige aktuelle Mitglieder der EU diesbezüglich keine guten Vorbilder sind, muss hingegen viel mehr diskutiert und gegebenenfalls auch sanktioniert werden, falls sich die EU tatsächlich als Wertegemeinschaft begreift (was sie nach unserer Auffassung nur an zweiter Stelle ist, was aber vorrangig sein sollte). Die Abstimmenden sind bei einer entsprechenden Umfrage gespalten, es gibt nur eine knappe Mehrheit für die Aufnahme der Ukraine.[68] Allerdings kommt es immer auf die exakte Fragestellung an, die liegt uns in diesem Fall nicht vor.

Dafür haben wir eine Abstimmung, hier können Sie mitmachen: Civey-Umfrage: Sorgen Sie sich, dass die neuesten russischen Sanktionen gegen die EU Deutschlands Wirtschaft nachhaltig schaden werden? – Civey

Das „nachhaltig“ spielt dabei für uns eine wichtige Rolle: Schäden, die auf mittlere oder gar lange Sicht nicht wiedergutzumachen sind und auch nicht durch einen Innovationsschub an anderer Stelle, etwa auf dem Sektor der erneuerbaren Energien, ausgeglichen werden können. Wir fürchten angesichts der extremen globalen Vernetzung der Wirtschaft sehr wohl, dass dies der Fall sein wir und  mit uns tun dies derzeit exakt 50 Prozent sogar mit „eindeutig ja“, weitere 15 Prozent mit „eher ja“. Die übrigen haben keine Ahnung von Wirtschaft und vor allem nichtvon der Fragilität eines Systems, das schon seit der Bankenkrise nur noch mit Notmaßnahmen funktionsfähig gehalten wird. Hier aber der Begleittext von Civey:

„Energie kann als Waffe genutzt werden. So reagierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag im deutschen Bundestag, nachdem Russland Handelsverbote gegen 31 Energiefirmen verhängt hatte. Zwar verringerte Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Gas seit Kriegsbeginn von zuvor 55 Prozent auf etwa 35 Prozent, dennoch könnten die Sanktionen Auswirkungen auf die deutsche Energieversorgung haben.

Auf der Sanktionsliste stehen auch Teile von Gazprom Germania. Das Unternehmen ist Eigentümerin wichtiger Firmen der nationalen Gaswirtschaft und besitzt den größten Einzelspeicher für Gas in Deutschland. Jetzt müssen sich diese Tochterfirmen nach potenziell teureren Alternativen umsehen, was auf die Verbraucher umgewälzt werden könnte. Außerdem wird es europäischen Firmen durch die Sanktionen erschwert, ausreichend Gasvorräte anzulegen.

In der „Wirtschaftswoche“ versicherte Habeck, dass Deutschland auf die Sanktionen eingestellt sei, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt seien. So müssen die Gasspeicher zum Jahreswechsel voll und mindestens zwei Flüssiggasterminals angeschlossen sein. Außerdem riet er die Deutschen dazu an, kräftig Energie einzusparen. Um wirklich nachhaltig abgesichert zu sein, sei der Ausbau erneuerbarer Energien allerdings der einzige Weg.“

Was wir jetzt erleben und was noch kommen kann, war alles schon abzusehen, seit es um  Sanktionen geht. Deswegen waren wir bereits kurz nach Kriegsbeginn eher dafür, die Menschen in der Ukraine, die kämpfen wollen, mit Waffen zu beliefern als für ein Sanktionskarussell mit unabschätzbaren Folgen. Die Gefahr, dass am Ende alle verlieren werden, ist ziemlich groß, denn auch immer mehr Sanktionen sind eine feindselige Spirale der Eskalation. Dass Putin seinerseits den Hahn zudrehen könnte, wurde ja bisher deshalb mehr oder weniger ausgeschlossen, weil Russland auf die Einnahmen aus Europa angewiesen ist. Den Move, dass er sagt: Entweder mehr Geld oder kein Gas, an den hat lange Zeit kaum jemand gedacht und den werden wir alle deutlich zu spüren bekommen. Es sei denn, er erweist sich als Bluff, aber ob unsere Politiker:innen es darauf ankommen lassen werden, es herauszufinden? Es wird sehr spannend bleiben, so viel steht fest und die Preise werden steigen, so viel steht auch fest. Einige EU-Länder deckeln übrigens die Energiepreise und / oder fordern den „Übergewinn“ von Energieunternehmen zurück, aber in Deutschland, wo Parteien wie die FDP und die Grünen mitregieren? Oh je. Gerechtigkeit ist kein harte Währung, in diesem Land. Deswegen müssen wir uns alle darauf einstellen, dass es voll auf uns durchschlägt, wenn die Politik meint, einen Saktionswettlauf inszenieren zu müssen. Wer anschafft, bezahlt, ist übrigens hierzulande ebenfalls kein hoch geschätztes Prinzip: Die Politik schafft ständig neue Verwerfungen, aber die Mehrheit darf darunter ächzen, nicht die gutbezahlten Anschaffer:innen.

Deswegen schließt sich die Folgefrage logisch an, auch hier können Sie Ihre Meinung kundtun:

14.05.2022 Militär oder Klima?

„Aufgrund des Russland-Ukraine-Krieges läutete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine sicherheitspolitische Kehrtwende ein. Nachdem die Bundeswehr lange einem Sparkurs unterlag, soll sie künftig mit einem Sondervermögen über 100 Milliarden Euro aufgerüstet werden. Laut der Wehrbeauftragten des Bundestages Eva Högl ist dies dringend nötig, da es der Armee an sämtlichen Ausrüstungsmaterialien fehle.

Die Linke lehnt die Aufrüstungspläne ab. Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow und weitere führende Linke fordern stattdessen ein Sondervermögen, mit dem die dringend benötigte Energiewende auch für finanzschwache Haushalte tragbar ist. Mit dem Geld soll u.a. der Gaspreis gedeckelt und der ÖPNV ausgebaut werden. Linken-Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte dem Phoenix zudem, dass nur Deeskalation und nicht Aufrüsten zum Frieden führe.

Neben dem geplanten Sondervermögen erhält das Verteidigungsressort mit dem aktuellen Bundeshaushalt zusätzliche Mittel in einer Rekordhöhe von rund 50 Milliarden Euro. Die Haushaltsplanung sieht zudem „Investitionen in eine wettbewerbsfähige, klimaneutrale und digitale Zukunft” vor, die in den Jahren 2023 bis 2026 insgesamt mehr als 200 Milliarden Euro umfassen sollen. Bis 2045 soll dadurch das Ziel der Treibhausgasneutralität erreicht werden.“

Die Bundeswehr ist im Vergleich zu anderen Armeen krass ineffizient, dort gilt es, den Hebel anzusetzen, anstatt bequem nach immer mehr Geld zu rufen. Klar ist der Instandhaltungsstau jetzt riesig, weil man jahrelang geschlunzt hat, um nicht zu schreiben, jahrzehntelang. Aber schien es nicht so, als ob es nie wieder Krieg geben könnte, in den 1990ern? Die Bundeswehrstrukturen sind es aber nicht allein, es ist auch der Mangel an klarem Auftrag, der sie in Nachteil gegenüber anderen Armeen setzt. Sie ist Verfügungsmasse für ständig wechselnde politische Ideen und Anhängsel anderer Armeen, wenn sie im Einsatz ist. Das hemmt die Motivation und die Effizienz ebenfalls. Wir haben uns von Beginn an gegen das „Sondervermögen“ ausgesprochen und offen gelassen, wie viel Geld wirklich notwendig sein könnte, um die Armee „in Schuss zu bringen“,  und zwar so, dass sie ihren Verteidigungsauftrag erfüllen kann, aber nicht jedes Abenteuer logistisch covern muss, das von anderen an die Bundesregierung herangetragen wird.

Für uns eine ganz eindeutige Angelegenheit: Für das Klima kann man Schulden machen, aber nicht für eine Aufrüstung, die jedes Maß sprengt, obwohl es der NATO ganz gewiss nicht an zu wenig Militär mangelt. Unsere Prognose: Bisher musste noch niemand zur Verteidigung Deutschlands einschreiten und das wird auh so bleiben.

14.05.2022 Blick auf die Linke

Dass „nur Deeskalation und nicht Aufrüstung zum Frieden führe“, wie Linken-Fraktionsvorsitzender Bartsch sagt, ist zumindest in Bezug auf die aktuelle Konfliktlage in der Ukraine eher der Tatsache geschuldet, dass er den verzweifelten Spagat zwischen den stark auseinanderdriftenden Teilen der Linken machen muss, damit die einzige relevante linke Partei in Deutschland sich nicht endgültig selbst zerstört. Ob das noch abzuwenden ist? Für uns ganz und gar offen, wenn wir sehen, wie groß die internen ideologischen Differenzen mittlerweile sind. Bartsch ist zwar eine Integrationsperson, aber kein Zugpferd, wie die Partei es jetzt bräuchte, um sachliche Differenzen zu überwinden.

Die Folgen dieses Niedergangs sind dramatisch, denn wer soll in Deutschland jetzt noch soziale Politik einfordern? Nicht erst der Krieg hat den Zerfall eingeleitet, aber er beschleunigt ihn möglicherweise.

14.05.2022 Der Norden in die NATO: Kalte Füße schon vor Beitritt?  Und im Süden plustert sich Freund Erdogan auf.

Russland stellt die Stromlieferungen nach Finnland ein, weil Finnland sich zu einem NATO-Beitritt entschlossen hat.[69] Derweil will jemand die Nordländer nicht in der NATO haben, der zuletzt eher kleinere Brötchen backen musste, aber jetzt wieder mächtig großspurig auftritt: Freund Erdogan aus der Türkei, Putins Bruder im autokratischen Geiste. Wir erklären mal kurz, warum es für ihn plötzlich so einfach ist:

Die NATO hat es zugelassen, dass er ein sehr enges Verhältnis mit Putin pflegt und sogar Waffensystem für die Türkei in Russland gekauft hat, obwohl sie selbst NATO-Mitglied ist. Und zwar ein wichtiges, an einer geostrategischen Bruchstelle zwischen Europa und Asien. Während Putins Krieg in der Ukraine zu Recht angeprangert wird, schert sich niemand darum, was Erdogan mit den Kurden macht. Er greift sie in Nordsyrien an und das geht weder ohne Putin, aus militärischen Gründen, noch geht es ohne Billigung der NATO-Partner. In Deutschland schweigen die Erdogan-Anprangerer spätestens seit dem Krieg, auch diejenigen, die kurdische Wurzeln haben. Einige von ihnen in der Linken sind sogar gleichzeitig Putin-Versteher:innen. Wie sollen diese eine antiimperialistische Haltung glaubhaft vertreten, wenn sie sich an Russland ketten, egal, was von dot kommt? Das Ergebnis ist, dass sie auch zu Erdogan nichts mehr sagen können, ohne sich vollkommen lächerlich zu machen. Das muss weh tun, aber vielleicht tut ja jemanden, der lange genug in der Politik ist, kein noch so offensichtlicher Widerspruch in den eigenen Positionen mehr weh.

Das Ergebnis des Verhätschelns von Erdogan, das natürlich auch mit dem Flüchtlingsdeal zu tun hat, ist, dass er jetzt die Schweden nicht in die NATO lassen will, weil sie eine relativ freundliche Haltung den Kurden gegenüber gezeigt haben. Das heißt, er macht für dessen Aufnahme zur Bedingung, dass er in Schweden genauso beherzt in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates eingreifen darf wie z. B. in Deutschland. Was erlauben Recep? wäre die richtige Antwort, in beiden Fällen, aber am Ende siegt immer geostrategisches Denken über Menschenrechte und über Ethik und in Ernstfall auch über die Demokratie. Das Krasseste ist, dass Erdogan sich nun auch als Friedensfürst im Sinne eines Vermittlers geriert. Unsere Prognose: Putin wird nicht derjenige sein, der den Frieden in der Ukraine herbeiführen wird. Wenn der Westen zulässt, dass Erdogan dieses Narrativ mit Recht pflegen darf, ist der Westen ein weiteres Mal bis auf die Knochen blamiert, so kurz nach Afghanistan.

Ein Problem ist unzweifelhaft, dass Länder, die in Bündnissen zusammengeschlossen sind, unterschiedliche Entwicklungen nehmen können. Als die Türkei 1952 der NATO beitrat, war sie in einem Demokratisierungsprozess begriffen, jetzt geht es rückwärts, wie auch in Russland. Wird die Türkei deshalb rausgeschmissen? Aber sicher nicht. Erdogans Regime war nicht nur wegen seines Dauerkrieges gegen die Kurden moralisch korrumpiert, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen schon fast am Ende, da kam dieser günstige Krieg in der Ukraine und er wittert Morgenluft. Profiteure gibt es eben überall. Ein Grund mehr, sich bei uns nicht selbst wirtschaftlich massiv zu schaden, während andere die Situation dermaßen kaltblütig ausnützen dürfen. Haben Sie mitgekriegt, wie zahm Kanzler Scholz bei seinem letzten Treffen mit Freund Erdogan war? Okay, nennen wir es typisch scholzsche Zurückhaltung, aber peinlich ist es trotzdem und es nimmt nicht Wunder, dass immer wieder ausländische Politiker mit den unseren einen Umgang pflegen, der unter der Würde ist. Zu ihnen zählt nicht nur der aktuelle ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, sondern immer dann auch Recep Erdogan, wenn ihm etwas nicht passt. Und das kommt recht häufig vor, z. B. immer dann, wenn in Deutschland versucht wird, die politische Einflussnahme religiöser Elemente zu begrenzen.

14.05.2022 Noch einmal zum Norden und zur Energie: Geheimnisse um die Nord-Stream-2-Klimastiftung und wie man sie aufbauschen kann

Die „Welt“ ist in die Meisterklasse des investigativen Journalismus aufgenommen worden, weil sie es geschafft hat, den „wirtscchaftlich Berechtigten“ der Klimastiftung zu ermitteln, die in Mecklenburg-Vorpommern zur Absicherung der russisch-deutschen Gaspipeline eingerichtet wurde, falls die USA durchsanktionieren.[70] Nun ja, ein Triumph ist ein Triumpf und nach unserer Ansicht bleibt es an Putin hängen, dass er seine Freunde in Deutschland hängen lässt, indem er es ihnen durch seinen Angriffskrieg verunmöglicht, das Projekt der Gaspipeline aufrechtzuerhalten. Es fällt uns nach wie vor schwer, den Politiker:innen in MV oder auch in der Bundes-SPD deswegen schwerste Vorwürfe zu machen, denn wie Ex-Präsident Trump sich wegen Nord Stream 2 aufführte, das war – sic! – einer jener Fälle, in denen die Potentaten anderer Staaten meinten, mit der deutschen Politik Schlitten fahren zu können. Wir hatten das Zeichen von Unabhängigkeit, das durch Nord Stream 2 gesetzt wurde, durchaus begrüßt und die ökologischen Aspekte deshalb zurückgestellt, zumal wir davon ausgingen, dass man nicht gleichzeitig aus Kohle, Gas und Atom aussteigen kann und dass Gas als Brückentechnologie das geringere Übel ist. Fragen zu diesen Konstruktionen im Umfeld von Nord Stream 2 sind sicherlich berechtigt, müssten allerdings auch an Angela Merkel gehen. Aber der CDU-geführte Untersuchungsausschuss, den es demnächst in MV geben soll, wird sicherlich auch sie vorladen, oder: warten wir’s ab. Falls ja, viel herauskommen wird dabei nicht. Genau so, wie wir nicht alle so wahnsinnig viel haben, dass jetzt ein gewisser Herr Petersen namentlich bekannt ist.

TH

[1] Nach Beschuss des Hafens: Russland räumt Angriff auf Odessa ein | tagesschau.de

[2] Die Ukraine, ein weiteres Highlight für die EU? +++ Die Welt, eine Geisel +++ Die Steuern, keine Chance dank FDP +++ Die Ernte, zu trocken +++ Die Lebensmittel, zu teuer +++ Das Gas, zu wenig +++ Die Spaltung, nicht erst durch den Krieg | Briefing 19 – DER WAHLBERLINER

[3] Der Krieg in der Ukraine im Live-Ticker: Ukrainische Häfen bereiten Ausfuhr von Getreide vor | WEB.DE

[4] Civey-Umfrage: Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre? – Civey

[5] Russischer Außenminister Lawrow nennt neue militärische Ziele in der Ukraine | WEB.DE

[6] Je suis die Lindners – Sie dürfen die Braut jetzt dissen! | WEB.DE

[7] WEB.DE Premium – E-Mail made in Germany

[8] Deutschland | Bip Pro Kopf | 1970 – 2022 | Ökonomische Indikatoren | CEIC (ceicdata.com)

[9] UK Prime Minister Boris Johnson resigns after mutiny in his party – CNN

[10] Zur Hauptseite: Aktuelle internationale Nachrichten und Ansichten | Reuters

[11] Ukraine aktuell: Ukraine ordnet Rückzug aus Sjewjerodonezk an (msn.com)

[12] Gazprom-Chef Miller will nach „unseren Regeln“ spielen (msn.com)

[13] Wirtschaft: Schwere Gefechte im Donbass – Ukrainer kämpfen um Sjewjerodonezk (handelsblatt.com)

[14] Putins Kriege – von Tschetschenien bis zur Ukraine | ZDFheute

[15] Maischberger schreitet schockiert ein: „Es hören uns auch Ukrainer zu“ | WEB.DE

[16] Johannes Varwick – Wikipedia

[17] Hartz IV: Mehrere Länder wollen Neun-Euro-Ticket bei Schülern anrechnen | WEB.DE

[18] Warum der russische Angriffskrieg keine Folge der Geschichte ist | WEB.DE

[19] Petition · Die Sache der Ukraine ist auch unsere Sache! · Change.org

[20] Andrij Melnyk: Viele Geflüchtete haben „keine Lust, hier zu bleiben“ | STERN.de

[21]  Ukrainische Flüchtlinge nicht willkommen?: Botschafter Andrij Melnyks verstörender Vorwurf an Deutschland (msn.com)

[22] Angebot aus Spanien: Rollen bald deutsche Panzer in der Ukraine? | WEB.DE

[23] Beitrittspläne der Ukraine spalten die Europäische Union | WEB.DE

[24] Beitrittskandidat: EU-Beitritt? Wie es derzeit für die Ukraine aussieht (t-online.de)

[25] Umfrage zum Ukraine-Krieg: Deutsche zweifeln an Effekt von Ölsanktionen – n-tv.de

[26] Modernisierte Marder fertig zur Auslieferung (msn.com)

[27] Bericht: Scholz reist im Juni nach Kiew – Die Nacht im Überblick | WEB.DE

[28] Warum der durchschnittliche Gaspreis bei $ 4.99 pro Gallone liegt und wie hoch er gehen wird – CNN

[29] Die Inflation steigt so schnell wie seit 40 Jahren nicht mehr, angetrieben von den Rekordgaspreisen – CNN

[30] In Ungarn sollte Deutschland Haltung zeigen – und hinknien! | WEB.DE

[31] „Stinkt zum Himmel“: Esken bringt wegen hoher Spritpreise Tempolimit ins Spiel | WEB.DE

[32] „Das größte Problem“: Militärexperte prognostiziert Ukraine düstere Lage | WEB.DE

[33] Scholz in Skopje und Sofia: Vermittlung im Dauerstreit? | tagesschau.de

[34] Ukraine-Krieg: So erklärt sich das unterschiedliche Handeln der EU-Staaten | WEB.DE

[35] Stimmung der Verbraucher bleibt angespannt | Frontpage | Wirtschaft | Statista, Konsumbarometer – DER WAHLBERLINER

[36] Reuters, Briefing vom 25.05.2022

[37] 9-Euro-Ticket ist beschlossen – der Bundesländer-Frust bleibt (rnd.de)

[38] Parteien – Berlin – Lederer schließt Amt an der Spitze der Bundespartei aus – Politik – SZ.de (sueddeutsche.de), dpa-Meldung

[39] Affenpocken statt Corona? ++ SPD-Fail, Güne-Hype beim Politbarometer ++ Ukraine: Azovstal ++ Putinknechte und Sorgenmenschen ++| Briefing 6 – DER WAHLBERLINER

[40] Affenpocken-Virus: Hot Spot Gay Pride auf Gran Canaria? (yahoo.com)

[41] Affenpocken in Deutschland und weiteren Ländern nachgewiesen – Spektrum der Wissenschaft

[42] Russische Armee: Azovstal und Mariupol sind gefallen | WEB.DE

[43] Neue Haltung zur Ukraine: New York Times klingt plötzlich wie Sahra Wagenknecht (berliner-zeitung.de)

[44] Abhängigkeit von Putin: Deutschland befindet sich in einer gefährlichen Lage (t-online.de)

[45] Mehr Sanktionen und Waffen: Ex-NATO-Chef fordert „deutsche Führung“ – n-tv.de

[46] Corona-Report 108/22 | Es geht wieder voran +++ Übersterblichkeit zu hoch berechnet +++ weltweit mehr Infektionen +++ Wie wird der Herbst, Herr Lauterbach? | Kurzreport – DER WAHLBERLINER

[47] Bundeswehrinstitut bestätigt ersten Affenpocken-Fall in Deutschland​ (rp-online.de)

[48] (1) ZDFheute auf Twitter: „Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die #SPD nur noch auf 22 Prozent, die #Grünen erhielten 24 Prozent und lägen damit vor der SPD. #Politbarometer https://t.co/jj5C6QB3qP“ / Twitter

[49] UKRAINE-TICKER-Asow-Regiment – Zivilisten und Schwerverletzte aus Stahlwerk gebracht (msn.com)

[50] UKRAINE-TICKER-Asow-Regiment – Zivilisten und Schwerverletzte aus Stahlwerk gebracht (msn.com), 20.05.2022, 03:00 Uhr.

[51] (1) DER SPIEGEL auf Twitter: „Die Gräuel von #Butscha entsetzten die Welt, russische Soldaten haben dort wohl Hunderte Menschen ermordet. Der Kreml bestreitet die Verbrechen, doch die »New York Times« hat anhand von Videos acht Fälle genau aufgearbeitet. https://t.co/7ktVmULd01“ / Twitter

[52] Gesellschaftspolitik ohne jeden Skrupel | Die Tagespost (die-tagespost.de)

[53] Spaniens Regierung billigt Gesetzesentwurf zu Abtreibungen | WEB.DE

[54] Chinas Geburtenrate fiel 2021 auf Rekordtief – Asien – derStandard.de › International

[55] Rüffel von Klingbeil für ehrliche Wahlanalyse? Lauterbach reagiert auf Twitter | WEB.DE

[56] (1) Kevin Kühnert auf Twitter: „Schwarz-gelb ist abgewählt! Rot-grün ist möglich! #nrwwahl2022 https://t.co/cXCuLk2w4z“ / Twitter

[57] Russland stiehlt offenbar massenhaft Weizen aus der Ukraine (msn.com)

[58] Weizen: Preis steigt nach Indiens Exportstopp auf neuen Rekord (msn.com)

[59] Nicht Pandemie oder Krieg: Das ist die größte Sorge der Deutschen | WEB.DE

[60] NRW-Wahlanalyse bei Anne Will: „Wir stehen vor dramatischen Entscheidungen“ (t-online.de)

[61] Wenn ich in NRW abstimmen dürfte: Der Wahl-O-Mat für die größte Wahl des Jahres | Parteien, Personen, Politik | Landtagswahl in NRW 2022 – DER WAHLBERLINER

[62] Nordrhein-Westfalen: Bei den Landtagswahlen bleibt es spannend | STERN.de

[63] „Kein Unterschied“ mehr zur NATO: Kreml ändert seine Meinung zu Kiews EU-Plänen – n-tv.de

[64] Publikum-Voting reißt es rum: Die Ukraine gewinnt den ESC | WEB.DE

[65] Ukraine-Krieg im Liveticker: +++ 13:33 Russland hat laut Kiew bereits 27.400 Soldaten und 1220 Panzer verloren +++ – n-tv.de

[66] MFA of Ukraine 🇺🇦 auf Twitter: „Information on Russian invasion Losses of the Russian armed forces in Ukraine, May 15 https://t.co/zhP6zGrAjW“ / Twitter

[67] Finnland und Schweden: Türkei knüpft NATO-Aufnahme an Bedingung – n-tv.de

[68] Das denken die Deutschen zu einem EU-Beitritt der Ukraine (t-online.de)

[69] Nach Ankündigung zu Nato: Russland stellt Stromlieferungen nach Finnland ein – WELT

[70] Nord Stream 2: Geheimnis um Schattenmann der Klimastiftung gelüftet – WELT

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