Die Tote aus der Themse (DE 1971) #Filmfest 177 #EdgarWallace

Filmfest 177 A "Special Edgar Wallace" (33)

2020-08-14 Filmfest AWieder der Fluss des Schicksals, ohne Gasthaus

Die Tote aus der Themse ist ein deutscher Kriminalfilm des Regisseurs Harald Philipp und der 36. deutschsprachige Edgar-Wallace-Film der Nachkriegszeit. Die Produktion der Rialto Film basiert auf Motiven von Edgar-Wallace-Roman The Angel of Terror und wurde vom 11. Januar bis 14. Februar 1971 in West-Berlin und London gedreht. Die Uraufführung des Films fand am 30. März 1971 in Mainz statt. (1)

Die Handlung in einem Satz, ohne Auflösung: Eine Tänzerin des Royal Ballet will sich mit ihrer Schwester treffen, die eigens von Australien nach London fliegt, doch bevor die Frauen zusammenfinden können, wird die Tänzerin erschossen, Inspector Craig greift ein und schnell zieht sich das Personaltableau auseinander, da es wieder einmal um die OK, genauer um den Drogenhandel geht – und um eine mysteriöse Person, die einen der Drogen-Großdealer mit ehrbarer Fassade nach dem anderen umbringt. Mehr zu diesem Spätwerk der Wallace-Reihe in der -> Rezension.

Notizen (1 und eigener Text)

  • Offiziell ist „Die Tote aus der Themse“ der drittletzte Edgar Wallace-Film der „deutschen Reihe“ von 1959 bis 1972, an der aber immer wieder ausländische Koproduzenten beteiligt waren.
  • Mit 1,4 Millionen Kinobesuchern war dies der letzte Publikumserfolg, der aber nicht mehr an die Top-Einspielergebnisse der 1960er Jahre anknüpfen konnte die zuweilen bei über 3 Millionen verkauften Kinokarten lagen (Spitzenreiter: „Das Gasthaus an der Themse“, 1962, mit 3,6 Millionen). Vielleicht hatte man den Titel auch in Anklang und in Hoffnung auf die Fortsetzung jenes größten Erfolges der Rialto-Wallaces gewählt. Wenn schon ein Gasthaus an der Themse so viele Zuschauer anlocken kann, warum nicht eine Tote aus der Themse noch ein paar mehr? Nein, diesen Illusionen wird sich Produzent Horst Wendtland nicht hingegeben haben, der die Reihe schon hatte abschließen wollen.
  • Nach dem Misserfolg von „Das Gesicht im Dunkeln“ war Produzent Horst Wendlandt zunächst nicht an der Produktion weiterer Wallace-Filme interessiert. Im Sommer 1970 brachte der Constantin-Filmverleih den von Artur Brauner koproduzierten GialloDas Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ als Bryan-Edgar-Wallace-Film in die deutschen Kinos und landete damit einen großen Erfolg. Daraufhin begann Rialto Film mit der Vorbereitung dieses Edgar-Wallace-Films.
  • Horst Wendlandt erfand unter seinem Pseudonym O. Gregor (nach Horst Otto Gregor die Handlung, die lediglich auf Motiven von Edgar Wallace basiert.
  • Zunächst war Werner Jacobs als Regisseur vorgesehen, der jedoch durch Harald Philipp ersetzt wurde. Philipp sollte bereits bei den Edgar-Wallace-Filmen „Der unheimliche Mönch“ (1965) und „Der Gorilla von Soho“ (1968) Regie führen. Diese wurden schließlich von Harald Reinl Alfred Vohrer inszeniert.
  • Wie in den 1970er Jahren zunehmend üblich, drehte man die Innenaufnahmen nicht im Studio, sondern in gemieteten Räumen. Als Kulisse für Scotland Yard diente das Büro der Rialto Film. Weitere Drehorte in West-Berlin waren unter anderem der Neue Zwölf-Apostel-Kirchhof, das Hotel Palace und der Spandauer Im Februar 1971 fanden außerdem Außenaufnahmen in London statt, z. B. am Piccadilly Circus.
  • Hansjörg Felmy, der hier seine einzige Rolle in einem Edgar-Wallace-Film hatte, spielte vorher bereits in drei Bryan-Edgar-Wallace-Filmen die Hauptrolle.
  • Werner Peters, der insgesamt in fünf Edgar-Wallace-Filmen mitspielte, verstarb am 30. März 1971, dem Tag der Uraufführung, während der Premierentournee zu diesem Film an einem Herzinfarkt.

Handlung (1)

Im Hotel Portland, einem drittklassigen Hotel in London, wird die Tänzerin Myrna Fergusson von dem Drogendealer Jim Donovan erschossen. Myrna arbeitete für eine Rauschgiftorganisation, war aber gleichzeitig für Scotland Yard tätig. Als Inspektor Craig am Tatort eintrifft, ist die Leiche verschwunden.

Myrnas Schwester Danny reist aus Australien an, um ihre Schwester zu besuchen. Was sie jedoch nicht ahnt ist, dass Myrna erschossen wurde. Als Danny erfährt, dass Myrna bei einer Rauschgiftorganisation tätig war, geht sie auf eigener Faust dem Rätsel nach. Unterstützt wird sie dabei von Scotland Yard. Der Fotograf David Armstrong bietet ihr diesbezüglich Fotos, worauf zu erkennen ist, dass sich Myrna nach dem Mord bewegt haben muss. Kurz darauf wird Armstrong von einem geheimnisvollen Schützen erschossen.

Seine erste Spur führt Inspektor Craig in die Fabrik des Fleischimporteurs William Baxter, wo Jim Donovan, identifiziert von dem Hotelbesitzer, arbeiten soll. Craig verhaftet ihn, jedoch wird er ebenfalls erschossen. Im Palace Hotel werden Dannys Fotos gestohlen. Sie findet heraus, dass Myrnas Freundin Maggy McConnor mit dem Hotelbesitzer Louis Stoud befreundet ist. Maggy McConnor ist beim Royal Ballet angestellt, wo auch Myrna getanzt hat. Maggy erzählt Danny, dass nach einer Vorführung Rauschgift in den Kleidern der Tänzerinnen versteckt wurde. Verantwortlich soll dafür Myrna gewesen sein. Dannys weiteren Untersuchungen führen zu dem Antiquitätenhändler Anthoney Wyman, ein Freund von Myrna. Wyman zahlte die Kaution bei Myrnas Verurteilung. Kurze Zeit später wird Wyman ebenfalls erschossen.

Zurück im Hotel wird Danny entführt. Alle Spuren führen Inspektor Craig zu der Schlachterei von William Baxter. Sir John stattet ihm persönlich einen Besuch ab. In der Zeit wird der Hotelbesitzer Louis Stoud ermordet. Inspektor Craig kann Danny befreien, und William Baxter wegen Entführung verhaften. Aber auch William Baxter wird ermordet.

Inzwischen wird die richtige Leiche von Myrna aus der Themse geborgen. Doch kurze Zeit später bekommt Danny einen Anruf: Am Telefon spricht die echte Myrna. Danny soll sich am Piccadilly Circus einfinden. In Anwesenheit von Danny wird dort Myrna erschossen.

Inspektor Craig findet nun den wahren Mörder: Es ist der Polizeiarzt Dr. Ellis. Gemeinsam mit seiner Freundin Susan, der Sekretärin von Sir John, hat er Myrna vor dem Rauschgiftring gerettet. Er tauschte das beschlagnahmte Heroin der Organisation in Zucker um und vernichtete ihn. Das Heroin aber verkaufte er mit Myrna weiter. David Armstrong musste sterben, weil er Beweismaterial hatte, dass Myrna lebt. Jim Donovan musste ebenfalls sterben, ebenso die Köpfe der Rauschgiftorganisation, William Baxter, Louis Stoud und Anthoney Wyman. Doch als Danny den Anruf von Myrna erhalten hatte, musste auch Myrna sterben. Denn sie hätte Ellis verraten.

Sir John schickt Craig nach der Lösung des Falles nach Australien, um an einem Fall zu arbeiten. Danny kehrt auch nach Australien zurück.

Rezension

Der letzte echte Wallace-Krimi also, da die beiden noch folgenden, wenig erfolgreichen Werke, „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ (Rezension beim Wahlberliner) und „Das Rätsel des silbernen Halbmonds“ italienische bzw. italienisch dominierte Filme des Giallo-Genres waren, dessen Entstehen wiederum von den führenden Wallace-Adaptionen der 1960er beeinflusst war und die selbst wiederum auf die Entstehung des amerikanischen Slasher-Films einwirkten. So einfach kann Kinogeschichte sein, anhand einer einzigen Unterhaltungsfilm-Reihe dargestellt.

Natürlich sind alle formalen Merkmale der Wallace-Filme, die als Marken- und Erkennungszeichen dienen, hier voll ausgeprägt, wie der Vorspann allein belegt: Schussgeräusche, Blutflecke, der Name Edgar Wallace, „Hier spricht Edgar Wallace“, eine erste, prägnante Szene vor dem Vorspann, die mit dessen Einsetzen festgefroren wird. Hier ist es die etwas inkonsequent ausgeführte Heroin-Übergabe an die Polizei, in der Myrna schon als Frau zwischen Herz und Geld den Anschein erweckt, dass sie sich selbst ein Grab graben könnte. Dass dem dann doch lange Zeit nicht so ist, sondern erst am Schluss einem tragischem Ende anstatt der eigentlich zu erwartenden Schwestern-Reunion, macht den Film sicher düsterer als viele vor ihm, aber dafür schickt Sir John höchstpersönlich seinen braven Inspektor Craig mit Schwester Danny nach Australien. Der Film ist auf eine Weise aber kein Kern-Wallace, denn das Drehbuch wurde nur nach dessen Motiven geschrieben, und wo schon Wallace selbst immer wieder mit unwahrscheinlichen bis unmöglichen Wendungen verblüfft, erlaubt sich auch das von niemand anderem als Produzent Wendtland verfasste Drehbuch von „Die Tote aus der Themse“ eine Menge Unsinn. Allerdings kommt das Unwahrscheinliche nicht so verschroben, so kautzig und damit schon wieder kultig daher wie vor allem in den Verfilmungen, die Alfred Vohrer verantwortete und die maßgeblich für den Sonderstatus der Wallace-Reihe unter den deutschen – und nicht nur den deutschen – Filmkrimis ist.

In gewisser Weise geht „Die Tote aus der Themse“ zu den Wurzeln des Krimis zurück. Es gibt keine seltsamen Tiermasken oder Mönchskutten, keine aberwitzigen Mordinstrumente und –ausführungen, schon aber einen geheimnisvollen Präzisionsschützen-Mörder, der sozusagen im Drogenhandel die organisierten Kriminellen freundlich begleitet, bis sich ein guter Moment zu deren Erschießung aus der Ferne ergibt. In der Realiät dürfte diese Art von nach Auftragskill riechender Mordausführung zu den wenigen gehören, die auch heute a.) offensichtlich und b.) schwer zu ermitteln sind. Allerdings ist der Thrill der Grundkonstellation bei weitem nicht so groß, wie man meinen sollte, wenn man nicht allerhand Kunstgriffe einsetzt, wie zum Beispiel aus der Sicht des Ermittlers ein Rennen gegen die Zeit zu veranstalten oder eines der möglichen Opfer so herauszuheben, dass man als Zuschauer beginnt, sich mit ihm zu identifizieren und zu hoffen, es wird überleben.

Auf beides verzichtet aber der von Harald Philipp inszenierte Film und das trägt sicher dazu bei, dass man sich eher mittelmäßig engagiert, vom Sofa oder von wo auch immer aus betrachtet. Wir mussten zweimal ansetzen, um den Film in einer Spät-Session doch auf die Reihe zu kriegen, aber nicht alle Wahrnehnmungsmerkmale kann man dem Wahrgenommenen zuschreiben – auch für gute Filme kann  man zu müde sein. Und nur exorbitante Filme können diesen Zustand noch aufheben, wenn er weit fortgeschritten ist.

Ein exorbitanter Film ist aber „Die Tote aus der Themse“ gewiss nicht. Und ob er ein guter ist, hängt davon bereits davon ab, ob man diese Art von eher anspruchslosem Unterhaltungskino mag, wenn nicht der einzelne Film etwas Besonderes und filmgeschichtlich Wertvolles bietet oder als Vehikel für Fan-Interessen, etwa einzelne Stars betreffend, dienen kann. Die Altstars der Reihe sind aber, bis auf Friedrich Schürenberg, der seit Mitte der 1960er den Sir John, Scotland Yard-Chef, spielt, verschwunden. Kein Fuchsberger, kein Drache, kein Lowitz, Arendt, Kinski mehr, die alle auf ihre Weise die große Zeit der Wallace-Verfilmungen geprägt hatten. Nebst vielen großen Schauspielern, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg aktiv waren und, oft als Bösewichter oder zwielichtige Figuren von Format, die Wallace-Reihe bereicherten. Unvergessen sind Elisabeth Flickenschildt, die Wirtin vom Gasthaus an der Themse oder Lil Dagover als seltsame Gräfin, einpräsame Typen wie Fritz Rasp oder Dieter Borsche, der sich eigentümlich vom Leading Man in Romanzen  zum Bösewicht wandelte. Mit deren Verlassen des Wallace-Universums war auch das Ende einer Kino-Epoche verknüpft, die zwar konservativ, manchmal bieder, aber dennoch vielversprechend war, und die in den Wallace-Filmen im Grunde schon auf den Arm oder auf die leichte Schulter genommen wurde.

Von all dem ist aber „Die Tote aus der Themse“ um einiges entfernt. Vielmehr spürt man schon die neue Zeit des deutschen Fernsehkrimis. Sicher ist die Handlung wegen ihres Mangels an Realismus nicht mit den „Tatorten“ vergleichbar, die  zu der Zeit begannen, den Bildschirm zu erobern, aber Hansjörg Felmy steht bereits für die Ermittler der 1970er, die mit einem gewissen Ernst an die Sache herangingen, die nicht mehr übergriffig-flapsig waren wie Jochaim Fuchsberger, nicht mehr so kernig-markant wie Heinz Drache (obwohl auch dieser zum „Tatort“ ging).

Hansjörg Felmy hingegen konnte in „Die Tote aus der Themse“ schon seinen Kommissar Haferkamp üben, den er von 1974 bis 1980 im Essener Tatort gab. Als Untergebener und vom Charakter Gegenpart von Siegfried Schürenberg, den er immer wieder ironisch von der Seite anschaut, bildet er aber noch einmal mit diesem ein ansehnliches Scotland Yard-Duo, das bei weiterer Fortsetzung der Reihe sicher tragfähig gewesen wäre. Ob hingegen Uschi Glas, trotz mehrfachen Mitwirkens in den späten Filmen der Wallace-Reihe für fetzige Krimis geeignet ist, steht auf einem anderen Blatt. Sie hat hier eine der anspruchsvollsten Frauenrollen aller Edgar Wallace-Filme zu meistern, denn sie ist nicht nur ein Sidekick & Love Interest, sondern aus ihrer Sicht sind weite Teile der Handlung gefilmt. Das heißt auch, sie muss alles darstellen, was einer Australierin in London passieren kann, wenn die Schwester plötzlich weg ist, ermordet scheint, dann doch wieder nicht, dann doch wieder. Eine Darstellerin mit mehr mimischer Varianz hätte man sich da vielleicht doch gewünscht, etwas weniger Niedlich-Effekt in Kauf genommen, aber nach „Zur Sache, Schätzchen“ war Uschi Glas eben ein Star, und für uns hat es nicht den Film kaputt gemacht, dass sie die Danny gespielt hat. Sagen wir, die Betrachtung ihrer Rolle abschließend, es hätte andere Möglichkeiten gegeben. Und immerhin hat man sie nicht in einer Doppelrolle besetzt, was durchaus nahegelegen hätte, da sich die Schwestern nur einmal begegnen.

Etwas realistischer oder authentischer wirkt diese späte Verfilmung, weil man tatsächlich und erkennbar in London gedreht hat und weil die Dekors der Innenräume echter wirken – was sie auch sind, weil man damals schon in realen Hotels und Schlachthöfen und an anderen interessanten Orten, nicht mehr auf dem Studiogelände gefilmt hat, das hat sich ja dann auch durchgesetzt. So wirkt einiges nicht sehr britisch, wie etwa das Palace-Hotel in Berlin, in dem u. a. gedreht wurde, aber hinreichend hotelmäßig im plüschig gewordenen Stil der frühen 1970er. An die großen Wallaces erinnert der Schlachthof als sinnbildlicher Ort des Massenmordes, und der Moment, in dem dessen Besitzer von einer am Haken schwingenden toten Schwein verfolgt wird, ruft noch einmal das Feeling von Schmunzel-Grusel hervor, das man von den Wallace-Filmen kennt, trotz Farbe, welche den toten Schweinen allerdings auch erst das Blutige vermittelt.

Hätte sich Horst Wendlandt nicht entschlossen, keine weiteren Wallace-Filme mehr zu produzieren, hätte sich vermutlich eine gegenseitige Befruchtung des realistischeren Stils der späten Wallaces (die Giallos ausgenommen) mit dem Fernsehfilmstil der Zeit ergeben, auch ein Austausch von Schauspielern wäre denkbar gewesen. Andererseits war Wallace auserzählt, was man daran sehen kann, dass es keine Originalbücher mehr gab, die man als noch nicht adaptierte Stoffgrundlage hätte verwenden können.

Typische Merkmale von Edgar Wallace-Filmen gemäß Wikipedia und unsere Anmerkungen zum jeweiligen Film:

  • Regie: (…) Nicht viel weniger Einfluss auf die Serie (als Alfred Vohrer mit seinem eher ekstatischen und effektvollen Stil, A. d. Verf.) hatte Harald Reinl, zu dessen fünf Edgar-Wallace-Filmen das erste Werk zur Reihe Der Frosch mit der Maske sowie die Höhepunkte Die Bande des Schreckens und Der unheimliche Mönch zählen. Typische Merkmale der Filme des einstigen Heimat- und Bergfilm-Regisseurs sind stimmungsvolle Außenaufnahmen mit langen Kamerafahrten und -schwenks. Stilmittel, die Reinl vor allem auch in den durch ihn geprägten Karl-May-Filmen angewendet hat. (…) Die eher routinemäßig arbeitenden Regisseure Franz Josef Gottlieb (drei Filme) und Harald Philipp (ein Film) hatten mit ihren Wallace-Adaptionen eher die Funktion, Vohrers und Reinls Stile zu kopieren.
    • Vohrers Stil hat Philipp jedenfalls nicht sehr eng kopiert, dafür setzt er viel zu wenig auf Knalleffekte und exzentrisches Schauspiel, und Reinl mit seinen oft schönen Raumkonzeptionen findet sich auch nicht auf den ersten Blick. Lediglich das Schlachthof-Szenario, insbesondere die oben erwähnte Szene, hat noch was von der Exploitation, die eines von Vohrers Merkmalen war.
  • Darsteller: Die Besetzung mit bewährten Schauspielern in ähnlichen Rollen war typisch für die Edgar-Wallace-Verfilmungen. Zu den meist reifen und besonnenen Ermittlern zählten Joachim Fuchsberger (13 Filme), Heinz Drache (acht Filme), Siegfried Lowitz (vier Filme (…) In den weiblichen Hauptrollen waren meist attraktive, junge Schauspielerinnen wie Karin Dor (fünf Filme), Brigitte Grothum (drei Filme), Uschi Glas (fünf Filme) oder Karin Baal (drei Filme) zu sehen. (…) Komische Rollen übernahmen Eddi Arent (23 Filme), Siegfried Schürenberg (16 Filme) und Hubert von Meyerinck (vier Filme) (…).
    • Der einzige aus der aufgezählten Garde, der noch in „Die Tote aus der Themse“ mitspielt, ist Siegfried Schürenberg. Uschi Glas ist zwar mit fünf Hauptrollen eine der meistbesetzten Schauspielerinnen in der Reihe, aber dennoch kann man sie nicht zu deren prägenden Figuren rechnen, denn diese agierten zu einer Zeit, als Uschi Glas noch nicht filmte.
  • Titel: Die Filmtitel, die meist den Romantiteln entsprachen, sollten beim Publikum eindeutige Assoziationen mit dem Genre des Edgar-Wallace-Films hervorrufen. So verbarg sich hinter vielen Titeln ein eindeutiger Hinweis auf den Hauptverbrecher des Films (Der grüne Bogenschütze, Der Zinker, Der Mönch mit der Peitschea.).
    • Das galt schon in den ersten Jahren in der Tat für viele, aber nicht für alle Titel. „Das Gasthaus an der Themse“ und „Das Rästel der gelben Narzissen“, die beiden erfolgreichsten Werke, folgten dem Schema noch nicht bzw. es war noch nicht vorhanden und es trifft auch nicht auf „Die Tote aus der Themse“ zu, wo sogar das – erste – Opfer ausnahmsweise in den Titel gehoben wird, was eine weitere Hinwendung zum Realismus – eher suggeriert als darstellt, es wirkt nämlich so, als ob es tatsächlich nur einem Mord gegeben hätte.
  • Handlung: Die Handlungselemente der Edgar-Wallace-Filme waren ähnlich angelegt. So drehte sich das Geschehen vordergründig um einen meist fantasievoll maskierten Hauptverbrecher. Im Gegensatz zum Psychothriller war hierbei das Entlarven des bis zum Finale unbekannten Verbrechers entscheidend (Whodunit). Die Motive der Verbrecherfiguren waren meist Habgier, Rache, Erbschleicherei sowie Mädchen- und Drogenhandel.
    • Habgier wird immer wieder gerne genommen. Welchen Grund als Habgier sollten die Herren Schlachthausbesitzer, Hoteliers oder Antiquitätenhändler sonst haben, mit Drogen noch mehr Geld zu verdienen als ohnehin? Selbst der Schütze, der wie ein Rächer wirkt, ist in Wahrheit eine Person mit materiellen Interessen, die zudem etwas aus dem Hut gezaubert wirkt.
  • Handlungsorte: Der (hauptsächliche, A. d. Verf.) Handlungsort war, wie in den Romanvorlagen, fast immer London und Umgebung, wobei sich die Akteure vorwiegend in alten Schlössern, Herrenhäusern oder Villen bewegten. Auch verruchte Nachtlokale, düstere Blindenheime, Irrenanstalten und finstere Kellergewölbe waren beliebte Haupt- und Nebenschauplätze der Handlung. In späteren Filmen kamen Mädchenheime und -pensionate hinzu. Die tatsächlichen Drehorte befanden sich aufgrund geringerer Produktionskosten jedoch selten in Großbritannien sondern in Deutschland. So dienten vor allem Straßen in Berlin und Hamburg. (…) Als Kulisse für London-Szenen. Für die nötige Authentizität in den Filmen sorgten oft allein Archivaufnahmen Londons, die man in die Filme einfügte.
    • Der obige Abschnitt ist erkennbar auf die klassische Phase der Wallace-Filme orientiert, wir haben oben schon die Zunahme an Echt-Appeal durch wirkliche Außenaufnahmen an markanten Londoner Plätzen wie dem Trafalgar Square erwähnt. Selbstverständlich gibt es ergänzende Außenaufnahmen in Deutschland und Innenaufnahmen nur hierzulande.
  • Vorspann: Die meisten Edgar-Wallace-Filme begannen mit einem spektakulär in Szene gesetzten Mord. Dann folgte der Vorspann des Films, der ab 1961 (bis auf zwei Ausnahmen) farbig gestaltet war (der Rest des Films war Schwarzweiß). Schon die Gestaltung der Namensnennung mit blutroten oder giftgrünen Buchstaben sollte einen spannenden Film ankündigen. Um der Serie einen noch höheren Wiedererkennungswert zu verleihen, wurde der Vorspann der Wallace-Filme ab 1962 mit aus dem Off erklingenden Schüssen und dem Satz „Hallo, hier spricht Edgar Wallace“ eröffnet. (…)
    • Ab Mitte der 1960er waren diese Merkmale voll ausgeprägt und wurden später nicht mehr verändert, sofern es die Rialto-Filme betraf. Das gilt auch für „Die Tote aus der Themse“.
  • Musik: Besonders prägnant gerieten auch die Soundtracks der Filme, vor allem die oft reißerische und eingängige Titelmusik. Die Musik von insgesamt 18 Filmen der Serie stammt von Peter Thomas, der mit seinen phantasiereichen Arrangements und modernen Aufnahmetechniken der markanteste und dominanteste Komponist der Serie war. Während die Soundtracks von Martin Böttcher (fünf Filme), Willy Mattes (zwei Filme) oder Peter Sandloff (ein Film) eher aus zeitlosem Orchestersound mit Easy-Listening-Charakter bestanden, griffen Heinz Funk (drei Filme) und Oskar Sala (ein Film) auch auf neue Techniken der elektronischen Musik und experimentelle Kompositionen zurück.
    • Doch, es gibt noch einen Mitwirkenden, der die große Zeit der Wallace-Filme maßgeblich mitgestaltet hatte: Peter Thomas, der auch für „Die Tote aus der Themse“ noch einmal die Musik geschrieben hatte. Er war einer der beiden bekanntesten Filmkomponisten Deutschlands in den 1960er Jahren (der andere: Martin Böttcher, der ebenfalls für die Rialto-Wallaces schrieb, aber vor allem durch seine Melodien für Karl May-Filme berühmt wurde). Peter Thomas hat für „Die Tote aus der Themse“ gemäß dem Stil des Films auf Experimentelles verzichtet und einen eher konventionellen Score geschrieben, aber der hat es in sich und ist wohl das einzig Herausragende an dem Film. Die Titelmelodie kam uns sogar bekannt vor und man kann ihr ein Ohrwurm-Potenzial nicht absprechen. Dass sie konventioneller klingt und arrangiert ist als ältere Kompositionen von Thomas für die Reihe, mag man gerne verzeihen, denn warum soll die Musik avantgardistischen Charakter haben, wenn der Film im Ganzen ebenfalls viel zurückgenommener wirkt als ältere Wallace-Adaptionen?

Finale

Die Grundlage für das Rezensionsschema, dem hier gefolgt wird, haben wir für die Rezension von „Der Frosch mit der Maske“ erarbeitet, dem Sensationserfolg, der die Wallace-Reihe auslöste, und jetzt, 13 Jahre später, geht sie zu Ende, offiziell dauert es dann noch einmal ein Jahr, bis Schluss ist.

Was sich in den 1960ern herausgebildet und bewährt hatte, hätte man in den 1970ern nicht einfach fortführen können, so gut es anfangs auch beim Publikum ankam. Darauf weisen die schon in Farbe, aber immer noch in klassischer Manier gedrehten Filme der späten 1960er hin. Was aber ist an einem Wallace-Film noch besonders, wenn er mehr oder weniger wie ein mit etwas mehr Bodycount ausgestatteter, aber sonst ganz normal wirkender Krimi daherkommt? Das Dilemma war wohl nicht mehr auflösbar und so kann man nur feststellen, jedes Ding hat seine Zeit. Ausnahmen sind sicher Mega-Franchises wie die James Bond-Reihe, aber um die über 50 Jahre hinweg frisch zu erhalten, muss man als Produzententeam schon einen ganz großen, langen Atem haben und immer wieder den Nerv der Zeit treffen, ohne das, was den Kern der Marke darstellt, zu zerstören. So etwas hat es in Deutschland nie gegeben und dass dem so ist, spiegelt das Fehlen einer positiven geschichtlichen Kontinuität des Landes gut wieder. Es ist auch bezeichnend, dass ein britischer Schriftsteller und ein britisches Setting den Erfolg der Wallace-Reihe erst möglich machten. 

Eine Ausnahme im Bereich Krimi gibt es allerdings, wenn auch im Fernsehformat. Die Reihe „Tatort“ hält sich mit immer neuen Teams und Konzepten nun seit fast 50 Jahren, und der Erfolg beruht sich nicht darauf, dass das Genre hier immer wieder neu erfunden wird, sondern auf seiner sehr variantenreichen, stets zeitgemäßen Interpretation. Eine solche permanente Erneuerung ist aber auch deshalb möglich, weil das Konzept sie zulässt.

Trotzdem ist der letzte „echte“ Edgar Wallace-Film kein Reinfall, sondern im Rahmen der Reihe bildet er einen würdigen Schlusspunkt, der aber auch erklärt, warum danach (bis auf die zwei italienischen Spätproduktionen) Schluss war.

61/100

© 2020 (Entwurf 2016) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1) und kursiv = Wikipedia bzw. zitiert nach der Wikipedia

Begleitartikel „Special Edgar Wallace“ (Update)
Filmfest News 1 (beinhaltet das 2. Update zum „Special Edgar Wallace“ – vorliegender Artikel)
Filmfest News 2 (aktueller Stand des „Special Edgar Wallace“ und weiterer Vortellungsrhythmus)
Filmfest News 3 (aktueller Stand des „Special Edgar Wallace“ und weitere Neuigkeiten)
FFA 61 Der Frosch mit der Maske
FFA 63 Der Rächer
FFA 65 Der grüne Bogenschütze
FFA 67 Die toten Augen von London
FFA 70 Der rote Kreis
FFA 72 Das Geheimnis der gelben Narzissen
FFA 74 Die seltsame Gräfin
FFA 76 Das Rätsel der roten Orchidee
FFA 78 Die Tür mit den sieben Schlössern
FFA 80 Das Gasthaus an der Themse
FFA 83 Die Bande des Schreckens
FFA 85 Der Zinker
FFA 88 Der schwarze Abt
FFA 91 Das indische Tuch
FFA 94 Der Hexer
FFA 97 Neues vom Hexer
FFA 102 Der Fälscher von London
FFA 107 Der unheimliche Mönch
FFA 112 Zimmer 13
FFA 117 Die Gruft mit dem Rätselschloss
FFA 122 Das Verrätertor
FFA 127 Der Fluch der gelben Schlange
FFA 132 Todestrommeln am großen Fluss
FFA 137 Sanders und das Schiff des Todes
FFA 142 Der Bucklige von Soho
FFA 147 Das Geheimnis der weißen Nonne
FFA 152 Im Banne des Unheimlichen
FFA 157 Der Hund von Blackwood Castle 
FFA 162 Die blaue Hand
FFA 167 Der Mönch mit der Peitsche
FFA 172 Der Mann mit dem Glasauge
FFA 177 Die Tote aus der Themse (dieser Beitrag)

Regie Harald Philipp
Drehbuch Horst Wendlandt
(als H. O. Gregor)
Harald Philipp
Produktion Horst Wendlandt,
Preben Philipsen
Musik Peter Thomas
Kamera Karl Löb
Schnitt Alfred Srp
Besetzung

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